Heilpflanze
Heilpflanzen, auch Heilkräuter genannt, werden seit prähistorischen Zeiten entdeckt und in der traditionellen Medizin verwendet. Pflanzen synthetisieren Hunderte von chemischen Verbindungen, die unter anderem der Abwehr von Insekten, Pilzen, Krankheiten und pflanzenfressenden Säugetieren dienen. Zahlreiche Phytochemikalien mit potenzieller oder nachgewiesener biologischer Aktivität wurden identifiziert. Da eine einzelne Pflanze jedoch sehr unterschiedliche sekundäre Pflanzenstoffe enthält, sind die Auswirkungen der Verwendung einer ganzen Pflanze als Medizin ungewiss. Darüber hinaus sind der Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen und die pharmakologischen Wirkungen vieler Pflanzen mit medizinischem Potenzial noch nicht durch strenge wissenschaftliche Forschung untersucht worden, um ihre Wirksamkeit und Sicherheit zu definieren. ⓘ
Die frühesten historischen Aufzeichnungen über Kräuter stammen aus der sumerischen Zivilisation, wo um 3000 v. Chr. Hunderte von Heilpflanzen, darunter auch Opium, auf Tontafeln aufgeführt sind. Der Ebers-Papyrus aus dem alten Ägypten, ca. 1550 v. Chr., beschreibt über 850 pflanzliche Arzneimittel. Der griechische Arzt Dioskurides, der in der römischen Armee tätig war, dokumentierte um 60 n. Chr. in De materia medica über 1000 Arzneimittelrezepte mit mehr als 600 Heilpflanzen, die etwa 1500 Jahre lang die Grundlage für Arzneibücher bildeten. Die Arzneimittelforschung bedient sich manchmal der Ethnobotanik, um nach pharmakologisch wirksamen Substanzen zu suchen, und dieser Ansatz hat Hunderte von nützlichen Verbindungen hervorgebracht. Dazu gehören die gängigen Medikamente Aspirin, Digoxin, Chinin und Opium. Die in Pflanzen gefundenen Verbindungen sind vielfältig, aber die meisten gehören zu vier großen biochemischen Klassen: Alkaloide, Glykoside, Polyphenole und Terpene. ⓘ
Heilpflanzen sind in nicht industrialisierten Gesellschaften weit verbreitet, vor allem weil sie leicht verfügbar und billiger als moderne Medikamente sind. Der jährliche weltweite Exportwert der Tausenden von Pflanzenarten mit medizinischen Eigenschaften wurde 2012 auf 2,2 Milliarden US-Dollar geschätzt. Im Jahr 2017 wurde der potenzielle Weltmarkt für Pflanzenextrakte und Arzneimittel auf mehrere hundert Milliarden Dollar geschätzt. In vielen Ländern ist die traditionelle Medizin kaum reguliert, aber die Weltgesundheitsorganisation koordiniert ein Netzwerk zur Förderung einer sicheren und vernünftigen Nutzung. Arzneipflanzen sind sowohl allgemeinen Bedrohungen ausgesetzt, wie dem Klimawandel und der Zerstörung von Lebensräumen, als auch der spezifischen Bedrohung durch übermäßiges Sammeln zur Deckung der Marktnachfrage. ⓘ
Eine Heilpflanze ist eine Nutzpflanze, die zu Heilzwecken oder als Arzneipflanze zur Linderung von Krankheiten innerlich oder äußerlich verwendet wird. Sie kann als Rohstoff für Phytopharmaka in unterschiedlichen Formen, aber auch für Teezubereitungen, Badezusätze und Kosmetika verwendet werden. ⓘ
Geschichte
Prähistorische Zeiten
Pflanzen, darunter viele, die heute als Küchenkräuter und Gewürze verwendet werden, wurden schon in prähistorischer Zeit als Arzneimittel eingesetzt, wenn auch nicht unbedingt wirksam. Gewürze wurden teilweise verwendet, um Bakterien zu bekämpfen, die Lebensmittel verderben, insbesondere in heißen Klimazonen und vor allem bei Fleischgerichten, die schneller verderben. Die Angiospermen (Blütenpflanzen) waren die ursprüngliche Quelle der meisten pflanzlichen Arzneimittel. Menschliche Siedlungen sind oft von Unkräutern umgeben, die als pflanzliche Arzneimittel verwendet werden, wie z. B. Brennnessel, Löwenzahn und Vogelmiere. Nicht nur der Mensch nutzte Kräuter als Medizin: Auch einige Tiere wie nichtmenschliche Primaten, Monarchfalter und Schafe nehmen Heilpflanzen zu sich, wenn sie krank sind. Pflanzenproben aus prähistorischen Grabstätten sind einer der Beweise dafür, dass die Menschen der Altsteinzeit Kenntnisse über die Pflanzenheilkunde hatten. So wurden in der 60 000 Jahre alten Neandertaler-Grabstätte "Shanidar IV" im Nordirak große Mengen an Pollen von acht Pflanzenarten gefunden, von denen sieben heute als pflanzliche Heilmittel verwendet werden. Außerdem wurde ein Pilz in den persönlichen Gegenständen von Ötzi, dem Mann aus dem Eis, gefunden, dessen Körper mehr als 5.000 Jahre lang in den Ötztaler Alpen eingefroren war. Der Pilz wurde wahrscheinlich gegen den Peitschenwurm eingesetzt. ⓘ
Das Altertum
Die Nutzung von Pflanzen mit der Absicht der Heilung lässt sich bereits in frühesten Schichten babylonischer, altägyptischer, indischer (Hymnen des Rig Veda) oder chinesischer Texte nachweisen, aber auch der ausdrückliche Anbau von Heilkräutern. Das bekannteste Zeugnis dieser ältesten Aufzeichnungen medizinischer Bemühungen mit zahlreichen Beispielen für Heilpflanzen und deren Anwendung ist der Papyrus Ebers, der im 16. Jahrhundert v. Chr. in Ägypten verfasst wurde. ⓘ
Aristoteles (* 384 v. Chr.; † 322 v. Chr.) und Theophrast (* um 371 v. Chr.; † um 287 v. Chr.) beschrieben medizinische Pflanzenanwendungen und auch die Hippokratiker führten therapeutische Eigenschaften von Pflanzen auf. ⓘ
Der Grieche Dioskurides beschrieb im 1. Jahrhundert zahlreiche (etwa 600) Heilpflanzen und deren Anwendungen sowie einen der ältesten zusammenhängenden Texte zum Einsammeln und Aufbewahren von Heilpflanzen. So sollen (wie noch heute gültig) Wurzel und Rhizome im Herbst (nach Abschluss aller Wachstumsprozesse), Blätter und Zweigspitzen, bevor Frucht und Samen zu reifen beginnen (wenn die Photosyntheserate ihr Optimum erreicht hat), Blüten kurz vor oder zur Zeit der Bestäubung, Früchte kurz vor oder nach dem Reifungsprozess und Samen wenn er ausgereift ist, aber noch nicht ausfällt, geerntet werden. Zuvor verfassten Diokles von Karystos (im 4. Jahrhundert v. Chr.) und Krateuas (im 1. Jahrhundert v. Chr.) vergleichbare Werke (Kräuterbücher). Im Gegensatz zu den eher (natur)philosophisch geprägten Betrachtungen etwa des Aristoteles stellte Dioskurides in seiner um das Jahr 60 entstandenen Materia medica den Nutzen und die genaue Beschreibung unter anderem der Pflanzen in den Vordergrund und ist mit einem etwa 512 verfassten Manuskript die erste noch erhaltene abendländische Abhandlung über Heilpflanzen. Die 77 n. Chr. entstandene Naturgeschichte des Plinius zählt etwa 1000 Heilpflanzen auf, Galenos 473 pflanzliche Heilmittel. ⓘ
Im alten Sumerien sind Hunderte von Heilpflanzen, darunter Myrrhe und Opium, auf Tontafeln aus der Zeit um 3000 v. Chr. aufgeführt. Der altägyptische Papyrus Ebers listet über 800 pflanzliche Arzneimittel wie Aloe, Cannabis, Rizinus, Knoblauch, Wacholder und Alraune auf. ⓘ
Von der Antike bis in die Gegenwart hat die ayurvedische Medizin, wie sie im Atharva Veda, im Rig Veda und in der Sushruta Samhita dokumentiert ist, Hunderte von pharmakologisch aktiven Kräutern und Gewürzen wie Kurkuma, das Curcumin enthält, verwendet. Im chinesischen Arzneibuch, dem Shennong Ben Cao Jing, sind pflanzliche Arzneimittel wie Chaulmoogra gegen Lepra, Ephedra und Hanf verzeichnet. Dies wurde im Yaoxing Lun der Tang-Dynastie erweitert. Im vierten Jahrhundert v. Chr. schrieb Aristoteles' Schüler Theophrastus den ersten systematischen Botanik-Text, Historia plantarum. Um 60 n. Chr. dokumentierte der griechische Arzt Pedanius Dioskurides, der für die römische Armee arbeitete, in De materia medica mehr als 1000 Rezepte für Arzneimittel aus über 600 Heilpflanzen. Das Buch blieb über 1500 Jahre lang, bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein, die maßgebliche Referenz für die Kräuterkunde. ⓘ
Das Mittelalter
Im Frühmittelalter bewahrten Benediktinerklöster das medizinische Wissen in Europa, indem sie klassische Texte übersetzten und kopierten und Kräutergärten unterhielten. Hildegard von Bingen schrieb Causae et Curae ("Ursachen und Heilmittel") über die Medizin. Im islamischen Goldenen Zeitalter übersetzten Gelehrte viele klassische griechische Texte, darunter auch Dioskurides, ins Arabische und fügten ihre eigenen Kommentare hinzu. Die Kräuterkunde florierte in der islamischen Welt, insbesondere in Bagdad und in Al-Andalus. Abulcasis (936-1013) aus Córdoba verfasste unter anderem das Buch Simples, und Ibn al-Baitar (1197-1248) beschrieb in seinem Corpus of Simples Hunderte von Heilkräutern wie Aconitum, Nux vomica und Tamarinde. Avicenna nahm viele Pflanzen in seinen Kanon der Medizin von 1025 auf. Abu-Rayhan Biruni, Ibn Zuhr, Peter von Spanien und Johannes von St. Amand verfassten weitere Arzneibücher. ⓘ
Frühe Moderne
In der frühen Neuzeit erlebte die illustrierte Kräuterkunde in ganz Europa eine Blütezeit, die mit dem Grete Herball von 1526 begann. John Gerard schrieb 1597 seinen berühmten The Herball or General History of Plants, der auf Rembert Dodoens basiert, und Nicholas Culpeper veröffentlichte sein The English Physician Enlarged. Viele neue pflanzliche Arzneimittel gelangten als Produkte der frühneuzeitlichen Entdeckungsreisen und des daraus resultierenden kolumbianischen Austauschs nach Europa, bei dem im 15. und 16. Jahrhundert Vieh, Nutzpflanzen und Technologien zwischen der Alten Welt und Amerika ausgetauscht wurden. Zu den Heilkräutern, die nach Amerika gelangten, gehörten Knoblauch, Ingwer und Kurkuma; Kaffee, Tabak und Koka reisten in die andere Richtung. In Mexiko beschrieb das Badianus-Manuskript aus dem 16. Jahrhundert die in Mittelamerika verfügbaren Heilpflanzen. ⓘ
19. und 20. Jahrhundert
Der Stellenwert der Pflanzen in der Medizin änderte sich im 19. Jahrhundert durch die Anwendung der chemischen Analyse grundlegend. Jahrhundert durch die Anwendung der chemischen Analyse grundlegend verändert. Aus einer Reihe von Heilpflanzen wurden Alkaloide isoliert, beginnend mit Morphin aus dem Mohn (1806), bald gefolgt von Ipecacuanha und Strychnos (1817), Chinin aus dem Chinarindenbaum und vielen anderen. Mit den Fortschritten der Chemie wurden weitere Klassen pharmakologisch wirksamer Substanzen in Heilpflanzen entdeckt. Die kommerzielle Extraktion von gereinigten Alkaloiden, einschließlich Morphin, aus Heilpflanzen begann 1826 bei Merck. Die Synthese einer erstmals in einer Heilpflanze entdeckten Substanz begann 1853 mit der Salicylsäure. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wendete sich die Stimmung in der Pharmazie gegen Heilpflanzen, da Enzyme die Wirkstoffe beim Trocknen ganzer Pflanzen häufig veränderten, und man begann, aus Pflanzenmaterial gereinigte Alkaloide und Glykoside zu bevorzugen. Die Entdeckung von Arzneimitteln aus Pflanzen war bis ins 20. und 21. Jahrhundert hinein von Bedeutung, wobei wichtige Krebsmedikamente aus Eibe und Immergrün aus Madagaskar gewonnen wurden. ⓘ
Ursprünge
Da die medizinische Wirkung von Pflanzen auch von Tieren, wie z. B. Menschenaffen, Schafen, Blaumeisen und Monarchfaltern instinktiv benutzt wird, dürften Heilpflanzen schon bei den frühen Vertretern der Gattung Homo Anwendung gefunden haben. ⓘ
Der Mann vom Tisenjoch, allgemein bekannt als Ötzi, eine etwa 5300 Jahre alte Gletschermumie aus der ausgehenden Jungsteinzeit (Neolithikum) bzw. der Kupferzeit (Eneolithikum, Chalkolithikum), führte Birkenporlinge vermutlich als Heilmittel mit sich. ⓘ
Alle in den letzten 200 Jahren aufgefundenen und erforschten oder wenigstens beschriebenen Stämme von Jägern und Sammlern wenden bei medizinischen Problemen auch Pflanzen zur Heilung an. ⓘ
Mittelalter und Neuzeit
Während des Mittelalters erfolgte der Anbau (vgl. die Landgüterverordnung Karls des Großen), die Beschreibung und Anwendung von Heilpflanzen vor allem durch Klostermönche (siehe Klostermedizin). Der Zusammenhang zwischen Nahrung und Arznei wurde insbesondere in der orientalischen Heilkunst schon früh erkannt, und dementsprechend finden sich zahlreiche Hinweise in den Medizinbüchern des Orients, etwa bei Ibn Sina (Avicenna) um 1000 n. Chr. Der spanisch-arabische Arzt und Botaniker Abu Muhammad ibn al-Baitar beschrieb um 1230 im Kitab al-gami über 1400 pflanzliche Heilmittel und ihre Rezepturen. ⓘ
Paracelsus (1493–1541) erkannte: „Alle Dinge sind Gift und nichts ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ Leonhard Fuchs veröffentlichte 1543 mit dem New Kreüterbuch eines der wichtigsten Kräuterbücher in deutscher Sprache, das zahlreiche Arzneipflanzen abbildet und ihre Wirkung beschreibt. ⓘ
Zu den Wegbereitern der modernen Phytotherapie gehören auch die Bücher des Schweizer „Kräuterpfarrers“ Johann Künzle (1857–1945). Als Begründer der wissenschaftlichen Pflanzenheilkunde gilt Rudolf Fritz Weiss (1895–1991). ⓘ
Gegenwart
Heute werden Heilpflanzen im Rahmen der Phytotherapie verwendet, in manchen europäischen Ländern sowie den USA spielen sie durch das Aufkommen von chemisch synthetisierten und definierten Wirkstoffen nur eine geringe Rolle. Andererseits ist die pharmazeutische Industrie und die Pharmakologie zu der Erkenntnis gelangt, dass die Vielfalt der sekundären Pflanzenstoffe ein enormes Reservoir für neue, hochpotente Medikamente darstellt. Gerade die kaum erforschte und katalogisierte Flora der tropischen Urwälder und die in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) sowie der indischen Medizin Ayurveda verwendeten Pflanzen bergen in dieser Hinsicht ein sehr großes Potenzial. ⓘ
Während das Sammeln von Heilkräutern in früheren Zeiten Grundbestandteil einer Subsistenzwirtschaft war, wird weltweit bis heute insbesondere in wirtschaftlich schlechter Lage auf die Verwendung von Heilpflanzen als Arzneimittel zurückgegriffen. Auch die Bewegung des biologischen Landbaus hat Heilkräuter wieder populär gemacht. ⓘ
Heilpflanzen für den pharmazeutischen Bedarf in Apotheken werden unter möglichst kontrollierten Bedingungen angebaut. Sie werden aber auch wild wachsend gesammelt oder im Hausgarten angepflanzt, um als Hausmittel vorbeugend oder bei Krankheiten zur Verfügung zu stehen. Die gebräuchlichste Verwendungsform ist wohl der Heiltee. ⓘ
Kontext
Heilpflanzen werden sowohl in der modernen Medizin als auch in der traditionellen Medizin zur Erhaltung der Gesundheit, zur Behandlung eines bestimmten Leidens oder für beides verwendet. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) schätzte im Jahr 2002, dass weltweit über 50.000 Heilpflanzen verwendet werden. Die Royal Botanic Gardens, Kew, schätzten 2016 vorsichtiger, dass 17.810 Pflanzenarten eine medizinische Verwendung haben, von den etwa 30.000 Pflanzen, für die eine Verwendung jeglicher Art dokumentiert ist. ⓘ
In der modernen Medizin wird etwa ein Viertel der Medikamente, die Patienten verschrieben werden, aus Heilpflanzen gewonnen, und sie werden rigoros getestet. In anderen Medizinsystemen können Heilpflanzen den Großteil der oft informellen, nicht wissenschaftlich geprüften Behandlungsversuche ausmachen. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, ohne dass verlässliche Daten vorliegen, dass etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung hauptsächlich von traditioneller Medizin (einschließlich, aber nicht beschränkt auf Pflanzen) abhängig sind; vielleicht sind etwa zwei Milliarden Menschen weitgehend auf Heilpflanzen angewiesen. Die Verwendung pflanzlicher Stoffe, einschließlich pflanzlicher oder natürlicher Gesundheitsprodukte mit angeblichen gesundheitlichen Vorteilen, nimmt in den Industrieländern zu. Dies birgt die Gefahr der Toxizität und anderer Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, obwohl pflanzliche Heilmittel als sicher gelten. Pflanzliche Arzneimittel wurden bereits verwendet, lange bevor es die moderne Medizin gab; es gab und gibt oft immer noch wenig oder gar kein Wissen über die pharmakologischen Grundlagen ihrer Wirkungen, wenn überhaupt, oder über ihre Sicherheit. Die Weltgesundheitsorganisation hat 1991 eine Politik für die traditionelle Medizin formuliert und seither Leitlinien für sie sowie eine Reihe von Monographien über weit verbreitete pflanzliche Arzneimittel veröffentlicht. ⓘ
Heilpflanzen können drei Arten von Nutzen bringen: gesundheitlichen Nutzen für die Menschen, die sie als Arzneimittel konsumieren; finanziellen Nutzen für die Menschen, die sie ernten, verarbeiten und für den Verkauf vertreiben; und gesamtgesellschaftlichen Nutzen wie Beschäftigungsmöglichkeiten, Steuereinnahmen und eine gesündere Erwerbsbevölkerung. Die Entwicklung von Pflanzen oder Extrakten mit potenzieller medizinischer Verwendung wird jedoch durch unzureichende wissenschaftliche Erkenntnisse, schlechte Praktiken bei der Arzneimittelentwicklung und unzureichende Finanzierung behindert. ⓘ
Phytochemische Grundlage
Alle Pflanzen produzieren chemische Verbindungen, die ihnen einen evolutionären Vorteil verschaffen, z. B. bei der Abwehr von Pflanzenfressern oder, wie im Fall der Salicylsäure, als Hormon bei der Pflanzenabwehr. Diese sekundären Pflanzenstoffe haben das Potenzial, als Arzneimittel verwendet zu werden, und der Gehalt und die bekannte pharmakologische Aktivität dieser Stoffe in Heilpflanzen ist die wissenschaftliche Grundlage für ihre Verwendung in der modernen Medizin, sofern sie wissenschaftlich bestätigt wird. Narzissen (Narcissus) enthalten zum Beispiel neun Gruppen von Alkaloiden, darunter Galantamin, das zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit zugelassen ist. Die Alkaloide haben einen bitteren Geschmack, sind giftig und konzentrieren sich in den Pflanzenteilen wie dem Stängel, die am ehesten von Pflanzenfressern verzehrt werden. ⓘ
Das moderne Wissen über Heilpflanzen wird in der Medicinal Plant Transcriptomics Database systematisiert, die 2011 eine Sequenzreferenz für das Transkriptom von etwa dreißig Arten lieferte. Im Folgenden werden die wichtigsten Klassen pharmakologisch aktiver Phytochemikalien beschrieben und Beispiele für Heilpflanzen genannt, die sie enthalten. ⓘ
Alkaloide
Alkaloide sind bitter schmeckende, in der Natur weit verbreitete und oft giftige Chemikalien, die in vielen Heilpflanzen vorkommen. Es gibt mehrere Klassen mit unterschiedlichen Wirkungsweisen als Drogen, sowohl in der Freizeit als auch als Arzneimittel. Zu den Medikamenten der verschiedenen Klassen gehören Atropin, Scopolamin und Hyoscyamin (alle aus Nachtschattengewächsen), das traditionelle Medikament Berberin (aus Pflanzen wie Berberis und Mahonia), Koffein (Coffea), Kokain (Coca), Ephedrin (Ephedra), Morphin (Schlafmohn), Nikotin (Tabak), Reserpin (Rauvolfia serpentina), Chinidin und Chinin (Cinchona), Vincamin (Vinca minor) und Vincristin (Catharanthus roseus). ⓘ
Die Tollkirsche, Atropa belladonna, liefert Tropanalkaloide, darunter Atropin, Scopolamin und Hyoscyamin. ⓘ
Glykoside
Anthrachinonglykoside finden sich in Heilpflanzen wie Rhabarber, Kaskara und Alexandrinischer Sennes. Zu den pflanzlichen Abführmitteln, die aus solchen Pflanzen hergestellt werden, gehören Sennes, Rhabarber und Aloe. ⓘ
Die Herzglykoside sind wirksame Arzneimittel aus Heilpflanzen wie Fingerhut und Maiglöckchen. Zu ihnen gehören Digoxin und Digitoxin, die den Herzschlag unterstützen und als Diuretika wirken. ⓘ
Die Senna alexandrina, die Anthrachinonglykoside enthält, wird seit Jahrtausenden als Abführmittel verwendet.
Digoxin wird zur Behandlung von Vorhofflimmern, Vorhofflattern und manchmal auch von Herzversagen eingesetzt. ⓘ
Polyphenole
Polyphenole verschiedener Klassen sind in Pflanzen weit verbreitet und spielen eine vielfältige Rolle bei der Abwehr von Pflanzenkrankheiten und Fressfeinden. Zu ihnen gehören hormonähnliche Phytoöstrogene und adstringierende Gerbstoffe. Pflanzen, die Phytoöstrogene enthalten, werden seit Jahrhunderten bei gynäkologischen Störungen wie Fruchtbarkeits-, Menstruations- und Wechseljahrsbeschwerden eingesetzt. Zu diesen Pflanzen gehören Pueraria mirifica, Kudzu, Engelwurz, Fenchel und Anis. ⓘ
Viele polyphenolische Extrakte, z. B. aus Traubenkernen, Oliven oder Seekiefernrinde, werden als Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika verkauft, ohne dass die gesundheitsfördernden Wirkungen nachgewiesen oder rechtlich anerkannt sind. Im Ayurveda wird die adstringierende Schale des Granatapfels, die Polyphenole namens Punicalagine enthält, als Medizin verwendet. ⓘ
Zu den Polyphenolen gehören Phytoöstrogene (oben und Mitte), Nachahmer des tierischen Östrogens (unten). ⓘ
Terpene
Terpene und Terpenoide verschiedenster Art finden sich in einer Vielzahl von Heilpflanzen und in harzigen Pflanzen wie den Koniferen. Sie sind stark aromatisch und dienen dazu, Pflanzenfresser abzuwehren. Aufgrund ihres Duftes werden sie in ätherischen Ölen verwendet, sei es für Parfüms wie Rose und Lavendel oder für die Aromatherapie. Einige von ihnen werden medizinisch genutzt: Thymol beispielsweise ist ein Antiseptikum und wurde früher als Wurmmittel verwendet. ⓘ
Thymol ist eines von vielen Terpenen, die in Pflanzen vorkommen. ⓘ
In der Praxis
Kultivierung
Arzneipflanzen erfordern eine intensive Bewirtschaftung. Die verschiedenen Arten erfordern jeweils ihre eigenen Anbaubedingungen. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt eine Fruchtfolge, um Probleme mit Schädlingen und Pflanzenkrankheiten zu minimieren. Der Anbau kann auf traditionelle Weise erfolgen oder mit Hilfe von Praktiken der konservierenden Landwirtschaft, um die organische Substanz im Boden zu erhalten und Wasser zu sparen, z. B. mit Direktsaatsystemen. Bei vielen Heil- und Aromapflanzen variieren die Pflanzeneigenschaften je nach Bodentyp und Anbaustrategie stark, so dass Sorgfalt geboten ist, um zufriedenstellende Erträge zu erzielen. ⓘ
Zubereitung
Heilpflanzen sind oft zäh und faserig und müssen in irgendeiner Form aufbereitet werden, damit sie bequem verabreicht werden können. Nach Angaben des Institute for Traditional Medicine gehören zu den üblichen Zubereitungsmethoden pflanzlicher Arzneimittel Abkochung, Pulverisierung und Extraktion mit Alkohol, wobei in jedem Fall eine Mischung von Substanzen entsteht. Bei der Abkochung wird das Pflanzenmaterial zerkleinert und anschließend in Wasser gekocht, um einen flüssigen Extrakt zu gewinnen, der oral eingenommen oder äußerlich angewendet werden kann. Bei der Pulverisierung wird das Pflanzenmaterial getrocknet und anschließend zerkleinert, um ein Pulver zu erhalten, das zu Tabletten gepresst werden kann. Bei der Alkoholextraktion wird das Pflanzenmaterial in kaltem Wein oder destilliertem Alkohol eingeweicht, um eine Tinktur herzustellen. ⓘ
Traditionelle Umschläge wurden hergestellt, indem man Heilpflanzen kochte, sie in ein Tuch wickelte und das so entstandene Paket äußerlich auf den betroffenen Körperteil auftrug. ⓘ
Wenn die moderne Medizin eine Droge in einer Heilpflanze identifiziert hat, können kommerzielle Mengen der Droge entweder synthetisiert oder aus dem Pflanzenmaterial extrahiert werden, um eine reine Chemikalie zu erhalten. Die Extraktion kann praktisch sein, wenn es sich um eine komplexe Verbindung handelt. ⓘ
Verwendung
Pflanzliche Arzneimittel werden überall auf der Welt verwendet. In den meisten Entwicklungsländern, insbesondere in ländlichen Gebieten, ist die lokale traditionelle Medizin, einschließlich der Kräuterkunde, die einzige Quelle für die Gesundheitsversorgung der Menschen, während in den Industrieländern die alternative Medizin, einschließlich der Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln, aggressiv mit den Behauptungen der traditionellen Medizin vermarktet wird. Im Jahr 2015 waren die meisten aus Heilpflanzen hergestellten Produkte nicht auf ihre Unbedenklichkeit und Wirksamkeit geprüft worden, und die Produkte, die in den entwickelten Volkswirtschaften vermarktet und in der unterentwickelten Welt von traditionellen Heilern bereitgestellt wurden, waren von uneinheitlicher Qualität und enthielten manchmal gefährliche Verunreinigungen. In der traditionellen chinesischen Medizin wird neben anderen Materialien und Techniken eine Vielzahl von Pflanzen verwendet. Forscher von Kew Gardens fanden 104 Arten, die in Mittelamerika zur Behandlung von Diabetes verwendet werden, von denen sieben in mindestens drei verschiedenen Studien identifiziert wurden. Die Yanomami im brasilianischen Amazonasgebiet haben mit Unterstützung von Forschern 101 Pflanzenarten beschrieben, die für traditionelle Arzneimittel verwendet werden. ⓘ
Aus Pflanzen gewonnene Drogen, darunter Opiate, Kokain und Cannabis, werden sowohl in der Medizin als auch in der Freizeit verwendet. Verschiedene Länder haben zu verschiedenen Zeiten auf illegale Drogen zurückgegriffen, teilweise aufgrund der Risiken, die mit der Einnahme psychoaktiver Drogen verbunden sind. ⓘ
Wirkungsweise
Pflanzliche Arzneimittel wurden häufig nicht systematisch getestet, sondern kamen im Laufe der Jahrhunderte informell zum Einsatz. Bis 2007 wurde in klinischen Versuchen die potenziell nützliche Wirkung von fast 16 % der pflanzlichen Arzneimittel nachgewiesen; für etwa die Hälfte der Arzneimittel gab es nur begrenzte In-vitro- oder In-vivo-Nachweise; für etwa 20 % gab es nur phytochemische Nachweise; 0,5 % waren allergen oder toxisch; und etwa 12 % waren im Grunde nie wissenschaftlich untersucht worden. Cancer Research UK gibt zu bedenken, dass es keine zuverlässigen Beweise für die Wirksamkeit pflanzlicher Heilmittel bei Krebs gibt. ⓘ
In einer phylogenetischen Studie aus dem Jahr 2012 wurde anhand von 20 000 Arten ein Stammbaum bis hinunter zur Gattungsebene erstellt, um die Heilpflanzen dreier Regionen - Nepal, Neuseeland und das Kap von Südafrika - zu vergleichen. Dabei wurde festgestellt, dass die Arten, die traditionell zur Behandlung der gleichen Arten von Krankheiten verwendet werden, in allen drei Regionen zu den gleichen Pflanzengruppen gehören, was ein "starkes phylogenetisches Signal" darstellt. Da viele Pflanzen, die pharmazeutische Wirkstoffe liefern, genau diesen Gruppen angehören und die Gruppen unabhängig voneinander in drei verschiedenen Weltregionen verwendet wurden, wurden die Ergebnisse so interpretiert, dass 1) diese Pflanzengruppen das Potenzial für eine medizinische Wirksamkeit haben, 2) eine nicht definierte pharmakologische Aktivität mit der Verwendung in der traditionellen Medizin verbunden ist und 3) die Verwendung einer phylogenetischen Gruppe für Arzneimittel in einer Region deren Verwendung in den anderen Regionen vorhersagen kann. ⓘ
Regelung
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) koordiniert ein Netzwerk mit der Bezeichnung International Regulatory Cooperation for Herbal Medicines (Internationale Zusammenarbeit bei der Regulierung pflanzlicher Arzneimittel), um die Qualität der aus Heilpflanzen hergestellten medizinischen Produkte und die für sie gemachten Angaben zu verbessern. Im Jahr 2015 verfügten nur etwa 20 % der Länder über gut funktionierende Regulierungsbehörden, 30 % hatten keine, und etwa die Hälfte hatte nur begrenzte Regulierungskapazitäten. In Indien, wo Ayurveda seit Jahrhunderten praktiziert wird, fallen pflanzliche Heilmittel in den Zuständigkeitsbereich der Regierungsbehörde AYUSH, die dem Ministerium für Gesundheit und Familienwohlfahrt untersteht. ⓘ
Die WHO hat eine Strategie für traditionelle Arzneimittel entwickelt, die vier Ziele verfolgt: die Integration dieser Arzneimittel in die nationalen Gesundheitssysteme, die Bereitstellung von Wissen und Leitlinien zu ihrer Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität, die Verbesserung ihrer Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit sowie die Förderung ihrer rationalen, therapeutisch sinnvollen Verwendung. Die WHO stellt in der Strategie fest, dass die Länder bei dieser Umsetzung auf sieben Herausforderungen stoßen, nämlich bei der Entwicklung und Durchsetzung der Politik, bei der Integration, bei der Sicherheit und Qualität, insbesondere bei der Bewertung von Produkten und der Qualifikation von Ärzten, bei der Kontrolle der Werbung, bei der Forschung und Entwicklung, bei der Aus- und Weiterbildung und beim Informationsaustausch. ⓘ
Entdeckung von Arzneimitteln
Die pharmazeutische Industrie hat ihre Wurzeln in den Apotheken im Europa des 19. Jahrhunderts, in denen Apotheker ihren Kunden lokale traditionelle Arzneimittel, darunter Extrakte wie Morphin, Chinin und Strychnin, anboten. Therapeutisch wichtige Arzneimittel wie Camptothecin (aus Camptotheca acuminata, das in der traditionellen chinesischen Medizin verwendet wird) und Taxol (aus der Pazifischen Eibe, Taxus brevifolia) wurden aus Heilpflanzen gewonnen. Die Vinca-Alkaloide Vincristin und Vinblastin, die als Krebsmedikamente verwendet werden, wurden in den 1950er Jahren aus dem madagassischen Immergrün, Catharanthus roseus, entdeckt. ⓘ
Hunderte von Verbindungen wurden mit Hilfe der Ethnobotanik identifiziert, bei der Pflanzen, die von indigenen Völkern verwendet werden, auf mögliche medizinische Anwendungen untersucht werden. Einige wichtige Phytochemikalien, darunter Curcumin, Epigallocatechingallat, Genistein und Resveratrol, sind Pan-Assay-Interferenzverbindungen, was bedeutet, dass In-vitro-Studien zu ihrer Aktivität oft unzuverlässige Daten liefern. Infolgedessen haben sich Phytochemikalien als Leitsubstanzen in der Arzneimittelforschung häufig als ungeeignet erwiesen. In den Vereinigten Staaten wurden im Zeitraum von 1999 bis 2012 trotz mehrerer hundert Anträge auf den Status eines neuen Arzneimittels nur zwei pflanzliche Arzneimittelkandidaten mit ausreichendem medizinischem Wert von der Food and Drug Administration zugelassen. ⓘ
Die pharmazeutische Industrie ist nach wie vor daran interessiert, die traditionellen Verwendungsmöglichkeiten von Heilpflanzen für ihre Arzneimittelforschung zu nutzen. Von den 1073 niedermolekularen Arzneimitteln, die im Zeitraum 1981 bis 2010 zugelassen wurden, stammte mehr als die Hälfte entweder direkt von natürlichen Substanzen oder wurde von diesen inspiriert. Bei den Krebsmedikamenten stammten von den 185 im Zeitraum 1981 bis 2019 zugelassenen niedermolekularen Arzneimitteln 65 % aus Naturstoffen oder wurden von diesen inspiriert. ⓘ
Sicherheit
Pflanzliche Arzneimittel können unerwünschte Wirkungen und sogar den Tod verursachen, sei es durch Nebenwirkungen ihrer Wirkstoffe, durch Verfälschung oder Verunreinigung, durch Überdosierung oder durch unsachgemäße Verschreibung. Viele dieser Wirkungen sind bekannt, während andere noch wissenschaftlich erforscht werden müssen. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass ein Produkt sicher sein muss, nur weil es aus der Natur stammt: Die Existenz starker natürlicher Gifte wie Atropin und Nikotin zeigt, dass dies nicht stimmt. Außerdem gelten die hohen Standards, die für konventionelle Arzneimittel gelten, nicht immer für pflanzliche Arzneimittel, und die Dosis kann je nach den Wachstumsbedingungen der Pflanzen stark variieren: Ältere Pflanzen können beispielsweise viel giftiger sein als junge Pflanzen. ⓘ
Pharmakologisch wirksame Pflanzenextrakte können mit konventionellen Arzneimitteln interagieren, weil sie eine höhere Dosis ähnlicher Verbindungen liefern können und weil einige Phytochemikalien mit den körpereigenen Systemen interferieren, die Arzneimittel in der Leber verstoffwechseln, einschließlich des Cytochrom-P450-Systems, wodurch die Arzneimittel länger im Körper verbleiben und eine stärkere kumulative Wirkung haben. Pflanzliche Arzneimittel können während der Schwangerschaft gefährlich sein. Da Pflanzen viele verschiedene Stoffe enthalten können, können Pflanzenextrakte komplexe Auswirkungen auf den menschlichen Körper haben. ⓘ
Qualität, Werbung und Kennzeichnung
Pflanzliche Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel sind in die Kritik geraten, weil es keine ausreichenden Standards oder wissenschaftlichen Beweise gibt, die ihre Inhaltsstoffe, ihre Sicherheit und ihre vermutete Wirksamkeit bestätigen. Eine Studie aus dem Jahr 2013 ergab, dass ein Drittel der untersuchten pflanzlichen Produkte keine Spur der auf dem Etikett angegebenen Kräuter enthielt, und andere Produkte waren mit nicht aufgeführten Füllstoffen, einschließlich potenzieller Allergene, verfälscht. ⓘ
Bedrohungen
Werden Heilpflanzen nicht kultiviert, sondern wild geerntet, so sind sie sowohl allgemeinen als auch spezifischen Bedrohungen ausgesetzt. Zu den allgemeinen Bedrohungen gehören der Klimawandel und der Verlust von Lebensräumen durch Bebauung und Landwirtschaft. Eine spezifische Bedrohung ist das übermäßige Sammeln, um die steigende Nachfrage nach Arzneimitteln zu decken. Ein Beispiel dafür ist der Druck auf die Wildpopulationen der Pazifischen Eibe, kurz nachdem die Wirksamkeit von Taxol bekannt wurde. Der Bedrohung durch übermäßiges Sammeln könnte durch den Anbau einiger Heilpflanzen oder durch ein Zertifizierungssystem begegnet werden, das die Wildsammlung nachhaltig macht. In einem Bericht der Royal Botanic Gardens, Kew, aus dem Jahr 2020 wird festgestellt, dass 723 Heilpflanzen vom Aussterben bedroht sind, was zum Teil auf das übermäßige Sammeln zurückzuführen ist. ⓘ
Begriffsklärung
In der Heilpflanzenkunde (Phytopharmakognosie) unterscheidet man folgende Begriffe:
- Eine Heilpflanze ist eine Pflanze, die für medizinische Zwecke verwendet werden kann.
- Pflanzliche Drogen sind rohe oder zubereitete Pflanzenteile, die zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet werden.
- Ein Phytopharmakon ist ein Fertigarzneimittel, das aus einer oder mehreren Heilpflanzen gewonnen wird.
- Ein phytogener Arzneistoff ist ein Arzneistoff (medizinischer Wirkstoff) aus Bestandteilen von Pflanzen (siehe auch Biogene Arzneistoffe). ⓘ
„Heilpflanze“ ist dabei ein funktioneller Begriff, der nur nach dem Zweck verwendet wird, ungeachtet der botanischen Zugehörigkeit oder der Wuchsform. Jede Pflanze, für die der pharmazeutischen Biologie eine entsprechende Anwendung als Medikament bekannt ist, kann als Heilpflanze bezeichnet werden. Gelegentlich werden auch Pilze, Flechten und Algen zu den Heilpflanzen gezählt. ⓘ
Es gibt vielfältige Formen von Drogen aus Heilpflanzen: frische oder getrocknete Teile, Extrakte (mit Lösungsmittel), Dekokten (durch Kochen gewonnen), Mazerationen (durch Kaltauszug gewonnen) usw. Ursprünglich stand die Trocknung im Vordergrund: Das Wort Droge stammt wahrscheinlich von niederländisch droog „trocken“ ab. ⓘ
Manche Pflanzen, die ursprünglich wichtige Heilkräuter waren, werden heute als Genussmittel verwendet (etwa Tee, Kaffee oder Tabak) oder als Küchenkräuter (Gewürzkräuter, z. B. Pfeffer, Zimt, Basilikum) oder als schlichte Nahrungsmittel (Apfel, Zitrusfrüchte). ⓘ
Wirtschaftliche Bedeutung
Auch Heilpflanzen werden zu den nachwachsenden Rohstoffen gezählt, da ihre Verwendung außerhalb des Nahrungs- und Futtermittelbereichs stattfindet. Zusammen mit Färberpflanzen beträgt die Anbaufläche in Deutschland rund 12.000 ha (ca. 0,5 % der Gesamtanbaufläche für nachwachsende Rohstoffe). Etwa 90 % der in Deutschland verwendeten Heilpflanzen werden importiert. Heilpflanzen stammen allerdings nur zu 30 % aus Anbau und zu etwa 70 % aus Wildsammlungen. Von den etwa 440 heimischen Heilpflanzen werden in Deutschland ca. 75 Arten angebaut, wobei allein 24 Arten 92 % des Angebots ausmachen. Hauptanbaugebiete in Deutschland sind Thüringen (Erfurter Becken), Bayern (Oberbayern, Erdinger Moos, Mittelfranken), Sachsen (Lößgebiete Mittelsachsens), Sachsen-Anhalt (Mitteldeutsches Trockengebiet) und Ostfriesland. ⓘ
Wirkungen
Eine ganze Reihe von wirksamen Medikamenten stammt aus Pflanzen oder wurde aus pflanzlichen Stoffen weiterentwickelt. Diese genau untersuchten und als reiner Stoff dargestellten Pflanzeninhaltsstoffe werden von der Medizin benutzt, da ihre medizinische Wirksamkeit nachgewiesen ist. Das Pflanzenreich besitzt extrem starke Gifte, die in entsprechenden Verdünnungen und teilweise als chemisch veredelte Stoffe insbesondere bei Herzbeschwerden und als Narkotika in der evidenzbasierten Medizin Verwendung finden. Beispiele sind der Rote Fingerhut mit seinen Herzglykosiden sowie der Schlafmohn beziehungsweise dessen Opiate. Zu großen Teilen werden Pflanzen auch als unterstützende Therapeutika eingesetzt. ⓘ
Heilpflanzen enthalten zumeist eine Vielzahl von Stoffen, die unterschiedliche, auch entgegengesetzte, Effekte haben können. Ein weiterer Nachteil gegenüber synthetisch hergestellten Medikamenten ist, dass der Wirkstoffgehalt aufgrund klimatischer, regionaler und verarbeitungsbedingter Umstände schwer zu standardisieren ist. So gibt es mitunter zwischen verschiedenen Herstellern und auch einzelnen Chargen eines Produktes starke Schwankungen in Dosis und Galenik. Drogen, die in Apotheken erhältlich sind, müssen allerdings den strengen Bestimmungen des jeweiligen staatlichen Arzneibuches (z. B. Deutsches Arzneibuch) entsprechen. Ihr Gehalt an Wirkstoffen ist also sichergestellt. ⓘ
Dementsprechend bemühen sich die Züchter oft, soweit der oder die Wirkstoffe einer Heilpflanze bekannt sind, auf einen hohen Wirkstoffgehalt hin zu züchten. Für eine Reihe von pflanzlichen Medikamenten sind Mindestwirkstoffgehalte oder Bandbreiten vorgeschrieben oder vom Hersteller garantiert (zum Beispiel für ein Kamillekonzentrat: normiert auf 50 mg Levomenol, standardisiert auf 150–300 mg ätherisches Öl und 150–300 mg Apigenin-7-glucosid je 100 g Auszug). ⓘ
Einige traditionelle Heilpflanzen sind z. B. wegen erkannter schwerer Nebenwirkungen aus dem Arzneibuch gestrichen worden. Viele sind wirkungslos, andere wirken, sind aber durch besser wirksame synthetische Medikamente überholt. Teilweise kann bei individueller Unverträglichkeit des synthetischen Medikaments auf die pflanzliche Variante zurückgegriffen werden. Bei vielen Heilpflanzen ist die Wirksamkeit noch nicht untersucht, weil kein kommerzielles Interesse besteht bzw. von Staat und/oder Pharmaunternehmen keine entsprechenden Forschungsgelder bereitgestellt werden. ⓘ
In den Jahren von 1984 bis 1994 hat die Kommission E des Bundesgesundheitsamtes wissenschaftliches und erfahrungsheilkundliches Material zu erwünschten und unerwünschten Wirkungen pflanzlicher Arzneidrogen in Monographien zusammengetragen. Auf europäischer Ebene wird diese Arbeit seit 2004 vom Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (Committee on Herbal Medicinal Products, HMPC) der Europäischen Arzneimittelagentur (European Medicines Agency, EMA) fortgesetzt. Daneben gibt es auf internationaler Ebene und ohne rechtliche Bindung auch die Monografien der European Scientific Cooperative on Phytotherapy (kurz ESCOP, seit 1989) und der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO). ⓘ
Beispiele für pflanzliche Drogen
Die Beispiele sind sortiert nach dem jeweils wirksamen Teil der Pflanze. Man unterscheidet volkstümliche Namen (Trivialnamen) und botanische Namen. Die lateinische Bezeichnung der pflanzlichen Droge wird aus dem botanischen Namen des verwendeten Pflanzenteils und dem botanischen Namen der verwendeten Pflanzenart zusammengesetzt. ⓘ
- Cortex (Rinde):
Chinarinde (Cinchonae cortex), Eichenrinde (Quercus cortex), Faulbaumrinde (Frangulae cortex), Seifenrinde (Quillaiae cortex), Weidenrinde (Salicis cortex), Zimtrinde (Cinnamomi cortex) - Flos (Blüte):
Lindenblüten (Tiliae flos), Kamillenblüten (Matricariae flos), Heublumen (Graminis flos), Holunderblüten (Sambuci flos), Cannabisblüten (Cannabis flos) - Folium (Blätter):
Erdbeerblätter (Fragariae folium), Spitzwegerichblätter (Plantaginis lanceolatae folium), Salbeiblätter (Salviae officinalis folium) - Fructus (Früchte):
Kümmel (Carvi fructus), Fenchel (Foeniculi fructus), Heidelbeeren (Myrtilli fructus) - Herba (Kraut):
Brennnesselkraut (Urticae herba), Tausendgüldenkraut (Centaurii herba), Wermutkraut (Absinthii herba), Schachtelhalmkraut (Equiseti herba) - Radix (Wurzel):
Baldrianwurzel (Valerianae radix), Enzianwurzel (Gentianae radix), Ginsengwurzel (Ginseng radix) - Rhizoma (Wurzelstock):
Ingwerwurzelstock (Zingiberis rhizoma), Veilchenwurzel (Iridis rhizoma), Tormentillwurzelstock (Tormentillae rhizoma), Curcumawurzelstock (Curcumae longae rhizoma) - Semen (Samen):
Kürbissamen (Cucurbitae semen), Leinsamen (Lini semen), Muskatnuss (Myristicae semen), Weiße Senfsamen (Erucae semen), Schwarze Senfsamen (Sinapis nigrae semen) ⓘ
Daneben existieren noch zahlreich andere Begriffe, wie Stramentum (Stroh), Balsamum (Balsam), Pseudofructus usw. Die pharmazeutischen Bezeichnungen sind pflanzenmorphologisch gesehen manchmal etwas unpräzise, etwa Wurzelstock für Rhizom. ⓘ
Beispiele für pflanzliche Arzneistoffe
Zahlreiche Arzneistoffe werden auch heute direkt aus Pflanzen hergestellt oder zumindest naturidentisch (mit gleicher chemischer Struktur wie der in Pflanzen vorliegende Wirkstoff) synthetisiert. Teilweise sind dies hochwirksame oder in der nichtmedizinischen Anwendung hochgiftige Substanzen. Zu den Pflanzeninhaltsstoffen, die als isolierte Einzelsubstanz eingesetzt werden, gehören beispielsweise Colchicin, Paclitaxel und Morphin.
- Herzglykoside, etwa Digitalis aus verschiedenen Fingerhüten (Digitalis purpureae/lanatae folium) oder ähnliche Glykosoide aus dem Maiglöckchen und verwandten Arten (Flores/Herba/Radix convallariae)
- Atropin, z. B. aus Tollkirsche (Belladonna folii/fructae) als Antidot (Gegengift) bei Fliegenpilzvergiftung und anderen Anwendungen
- Pyrethrum, ein Insektizid (z. B. gegen Kopfläuse) aus Chrysanthemen der Gattung Tanacetum (Pyrethri flores, syn. Flores chrysanthemi, Flores tanaceti)
- Bestimmte Alkaloide aus der Rosafarbenen Catharanthe, die in der Chemotherapie verwendet werden.
- Allicin, ein Dialyllthiosulfinat, gebildet in beschädigtem Knoblauchgewebe Allium sativum und Rhodomyrton, ein Acylphlorogluzinol, aus Rhodomyrtus tomentosa zeigen antibakterielle Aktivitäten gegen ein breites Spektrum gramnegativer und grampositiver Bakterien. ⓘ
Falschmeldungen über EU-Politik gegen Heilpflanzen
2010 wurde eine Petition an den Deutschen Bundestag gerichtet, die sich gegen ein angeblich drohendes Verbot von Heilpflanzen in der EU aussprach. Es handelte sich um ein Missverständnis. Die entsprechende Richtlinie THMPD (Traditional Herbal Medical Product Directive) war schon 2004 verabschiedet worden und enthält Zulassungsregeln für Naturheilmittel, die ein einfaches Registrierungsverfahren ermöglichen sollen. Sie gilt nicht für alternative Therapien und verbietet auch nicht irgendwelche Pflanzen oder Stoffe. Im April 2011 wurden im Internet erneut Falschmeldungen über ein angeblich drohendes Verbot verbreitet. ⓘ
Im August 2013 riefen Initiatoren, die zunächst unbekannt waren, mit Bezug auf die EU-Verordnung 1924/2006/CE zur Unterzeichnung einer an das Europäische Parlament gerichteten Petition „Grundrecht auf Gesundheit“ auf und vermittelten wiederum den Eindruck, es drohe ein Verbot von Naturheilmitteln. Die Verordnung war jedoch schon seit 2006 in Kraft. Sie betrifft auch nur Lebensmittel und keine Naturheilmittel oder sonstige Arzneimittel. Die Carstens-Stiftung (Fördergemeinschaft Natur und Medizin) und die Hufelandgesellschaft (Dachverband der Ärztegesellschaften für Naturheilkunde und Komplementärmedizin) reagierten mit Richtigstellungen und Kritik an der Aktion. Die Hufelandgesellschaft verurteilte den Aufruf als „manipulativ“ und als Missbrauch des Interesses an Naturheilmitteln. ⓘ