Senfgas

Aus besserwiki.de
Senfgas
Sulfur-mustard-2D-skeletal.svg
Sulfur-mustard-3D-balls.png
Sulfur-mustard-3D-vdW.png
Bezeichnungen
Bevorzugte IUPAC-Bezeichnung
1-Chlor-2-[(2-chlorethyl)sulfanyl]ethan
Andere Bezeichnungen
Bis(2-Chlorethyl)sulfid
HD
Iprit
Schwefel-LOST
Verloren
Schwefel-Senf
Senfgas
Gelbe Kreuzflüssigkeit
Yperit
Destillierter Senf
Senf T- Mischung
1,1'-Thiobis[2-Chlorethan]
Dichlordiethylsulfid
Kennzeichnungsmittel
3D-Modell (JSmol)
ChEBI
ChEMBL
ChemSpider
KEGG
PubChem CID
UNII
InChI
  • InChI=1S/C4H8Cl2S/c5-1-3-7-4-2-6/h1-4H2 check
    Schlüssel: QKSKPIVNLNLAAV-UHFFFAOYSA-N check
  • InChI=1/C4H8Cl2S/c5-1-3-7-4-2-6/h1-4H2
    Schlüssel: QKSKPIVNLNLAAV-UHFFFAOYAK
SMILES
  • ClCCSCCCl
Eigenschaften
Chemische Formel
C4H8Cl2S
Molekulare Masse 159,07 g-mol-1
Erscheinungsbild Farblos, wenn rein. Normalerweise von blassgelb bis dunkelbraun. Leichter knoblauch- oder meerrettichartiger Geruch.
Dichte 1,27 g/ml, flüssig
Schmelzpunkt 14,4 °C (57,9 °F; 287,5 K)
Siedepunkt 217 °C (423 °F; 490 K) beginnt sich bei 217 °C (423 °F) zu zersetzen und siedet bei 218 °C (424 °F)
Löslichkeit in Wasser
7,6 mg/L bei 20°C
Löslichkeit Alkohole, Ether, Kohlenwasserstoffe, Fette, THF
Gefahren
Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (OHS/OSH):
Hauptgefahren
Entzündlich, giftig, ätzend, krebserregend, erbgutverändernd
GHS-Kennzeichnung:
Piktogramme
GHS06: GiftigGHS07: Ausrufezeichen
Signalwort
Gefahr
Gefahrenhinweise
H300, H310, H315, H319, H330, H335
Sicherheitshinweise
P260, P261, P262, P264, P270, P271, P280, P284, P301+P310, P302+P350, P302+P352, P304+P340, P305+P351+P338, P310, P312, P320, P321, P322, P330, P332+P313, P337+P313, P361, P362, P363, P403+P233, P405, P501
NFPA 704 (Feuerdiamant)
4
1
1
Flammpunkt 105 °C (221 °F; 378 K)
Sicherheitsdatenblatt (SDS) Externes SDB
Verwandte Verbindungen
Verwandte Verbindungen
Stickstoffsenf, Bis(chlorethyl)ether
Sofern nicht anders angegeben, beziehen sich die Daten auf Materialien im Standardzustand (bei 25 °C [77 °F], 100 kPa).
☒ verifizieren (was ist check☒ ?)
Infobox Referenzen

Senfgas oder Schwefelsenf ist eine chemische Verbindung, die zu einer Familie von zytotoxischen und blasenbildenden Mitteln gehört, die als Senfstoffe bekannt sind. Die Bezeichnung Senfgas ist weit verbreitet, aber technisch nicht korrekt: Die Substanz liegt bei ihrer Ausbreitung häufig nicht in Dampfform vor, sondern in Form eines feinen Nebels aus Flüssigkeitströpfchen.

Dichlordiethylsulfid ist ein symmetrisches, kurzkettiges Molekül, mit einem Schwefelatom in der Mitte und einem Chloratom an beiden Enden, chemische Formel C4H8Cl2S. Im weiteren Sinne werden Verbindungen mit dem Strukturelement BC2H4X, wobei X eine beliebige Abgangsgruppe und B eine Lewis-Base ist, als Senf bezeichnet. Solche Verbindungen können zyklische -onium-Ionen (Sulfonium, Ammonium usw.) bilden, die starke Alkylierungsmittel für Nukleotide in DNA-Strängen sind, was die Zellteilung verhindert und zum programmierten Zelltod führt. Wenn der Zelltod nicht sofort eintritt, kann die geschädigte DNA auch zur Entstehung von Krebs führen. Oxidativer Stress ist eine weitere Pathologie, die bei der Senfgastoxizität eine Rolle spielt.

Senfgas wird schon seit langem in der Kriegsführung als Blasenbildner eingesetzt und ist einer der am besten untersuchten Wirkstoffe dieser Art. Es kann große Blasen auf exponierter Haut und in der Lunge bilden, was oft zu einer langwierigen Erkrankung mit Todesfolge führt. Schwefelsenf ist bei Raumtemperatur eine zähflüssige Flüssigkeit und riecht nach Senfpflanzen, Knoblauch oder Meerrettich, daher der Name. In reiner Form sind sie farblos, aber wenn sie in unreiner Form, z. B. in der Kriegsführung, verwendet werden, sind sie in der Regel gelb-braun.

Als chemische Waffe wurde Senfgas erstmals im Ersten Weltkrieg eingesetzt und seitdem in mehreren bewaffneten Konflikten verwendet, u. a. im Iran-Irak-Krieg, der mehr als 100.000 Opfer forderte. Heute stehen Senfgas auf Schwefel- und Stickstoffbasis auf Liste 1 des Chemiewaffenübereinkommens von 1993, da sie nur in wenigen Fällen für die chemische Kriegsführung eingesetzt werden (obwohl sich Senfgas inzwischen als nützlich für die Chemotherapie von Krebserkrankungen erwiesen hat). Senfgas kann durch Artilleriegeschosse, Fliegerbomben, Raketen oder durch Versprühen aus Flugzeugen eingesetzt werden.

Strukturformel
Strukturformel von Lost
Allgemeines
Name Senfgas
Andere Namen
  • 1-Chlor-2-[(2-chlorethyl)sulfanyl]ethan (IUPAC)
  • Bis(2-chlorethyl)sulfid
  • Lost
  • Schwefellost
  • S-Lost
  • HD
  • Gelbkreuzgas
  • Yperit
  • Schwefelyperit
  • Bis(2-chlorethyl)thioether
Summenformel C4H8Cl2S
Kurzbeschreibung

farblos bis gelbliche, ölige, in reiner Form fast geruchlose Flüssigkeit. In technischer Reinheit knoblauch- bzw. senfartiger Geruch

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 505-60-2
EG-Nummer 684-527-7
ECHA-InfoCard 100.209.973
PubChem 10461
ChemSpider 21106142
Eigenschaften
Molare Masse 159,07 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte

1,27 g·cm−3 (20 °C)

Schmelzpunkt

13–14 °C

Siedepunkt

217 °C

Dampfdruck

8,7 Pa (20 °C)

Löslichkeit

sehr schwer in Wasser (0,48 g·l−1 bei 20 °C)

Brechungsindex

1,5313 (20 °C)

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
Gefahrensymbol

Gefahr

H- und P-Sätze H: 300​‐​310​‐​330​‐​315​‐​319​‐​335​‐​350
P: 260​‐​284​‐​304+340​‐​280​‐​281​‐​302+352​‐​308+313​‐​501
MAK

Für krebserzeugende Stoffe wird generell kein MAK-Wert vergeben.

Toxikologische Daten
  • 100 mg·kg−1 (LD50Mensch, perkutan)
  • 0,7 mg·kg−1 (LD50Mensch, oral)
  • 64 mg·kg−1 (LDLoMensch, perkutan)
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Senfgas ist ein Trivialname für die Chemikalie Bis(2-chlorethyl)sulfid, einen hautschädigenden chemischen Kampfstoff aus der Gruppe der Loste. Weitere Bezeichnungen sind Lost, Schwefellost, S-Lost, Gelbkreuzgas, Yperit oder Schwefelyperit, im englischen Sprachgebrauch sulfur mustard, mustard gas oder kurz mustard. Der NATO-Code lautet HD. Der Name „Senfgas“ stammt vom typischen Geruch des nicht hochgereinigten Produktes nach Senf oder Knoblauch. Loste sind in reiner Form bei Raumtemperatur farb- und geruchlose Flüssigkeiten. Die Bezeichnung als Gas für diese Substanzen trifft also nicht im strengen Sinne zu. Vermutlich wurde „Giftgas“ nach dem Ersteinsatz von Chlorgas als chemischer Waffe (1915) zunächst unterschiedslos für alle anderen chemischen Kampfstoffe übernommen.

Synthese und Reaktionen

Senfgas kann auf verschiedene Weise synthetisiert werden.

Bei der Depretz-Methode wird Schwefeldichlorid mit Ethylen behandelt:

SCl2 + 2 C2H4 → (ClC2H4)2S

Beim Levinstein-Verfahren wird stattdessen Disulfurdichlorid verwendet:

S2Cl2 + 2 C2H4 → (ClC2H4)2S + 18 S8

Beim Meyer-Verfahren wird Thiodiglykol aus Chlorethanol und Kaliumsulfid hergestellt und mit Phosphortrichlorid chloriert:

3 (HOC2H4)2S + 2 PCl3 → 3 (ClC2H4)2S + 2 P(OH)3

Bei der Meyer-Clarke-Methode wird anstelle von PCl3 konzentrierte Salzsäure (HCl) verwendet:

(HOC2H4)2S + 2 HCl → (ClC2H4)2S + 2 H2O

Thionylchlorid und Phosgen, letzteres ebenfalls ein Erstickungsmittel, sind ebenfalls als Chlorierungsmittel verwendet worden. Diese Verbindungen haben den zusätzlichen Vorteil, dass sie, wenn sie im Übermaß verwendet werden, als Verunreinigungen im Endprodukt verbleiben und somit zusätzliche Mechanismen der Toxizität erzeugen können.

Senfgas ist bei normalen Temperaturen eine viskose Flüssigkeit. Die reine Verbindung hat einen Schmelzpunkt von 14 °C (57 °F) und zersetzt sich vor dem Sieden bei 218 °C (424 °F).

Bei der idealisierten Verbrennung von Senfgas in Sauerstoff entstehen neben Kohlendioxid und Wasser auch Salzsäure und Schwefelsäure:

(ClC2H4)2S + 7 O2 → 4 CO2 + 2 H2O + 2 HCl + 2 H2SO4

Bei diesem Prozess entstehen auch Phosgen, Schwefeloxide und Chlor.

Die Dekontamination von Senfgas kann mit Natriumhydroxid erfolgen, wobei Divinylsulfid entsteht:

(ClC2H4)2S + 2 NaOH → (CH2=CH)2S + 2 H2O + 2 NaCl

Andere Verbindungen, die zur Dekontaminierung verwendet wurden, sind Natriumethoxid, das anstelle von Wasser Ethanol ergibt.

Mechanismus der zellulären Toxizität

Senfgas alkyliert eine Aminogruppe durch Umwandlung in ein Sulfoniumion (2-Chlorethylthiiranium)

Schwefel-Senfgase eliminieren leicht Chloridionen durch intramolekulare nukleophile Substitution unter Bildung zyklischer Sulfonium-Ionen. Diese sehr reaktiven Zwischenprodukte neigen dazu, Nukleotide in DNA-Strängen dauerhaft zu alkylieren, was die Zellteilung verhindern und zum programmierten Zelltod führen kann. Wenn der Zelltod nicht sofort eintritt, kann die geschädigte DNA auch zur Entstehung von Krebs führen. Oxidativer Stress wäre eine weitere Pathologie, die bei der Senfgastoxizität eine Rolle spielt.

Im weiteren Sinne werden Verbindungen mit dem Strukturelement BC2H4X, wobei X eine beliebige Abgangsgruppe und B eine Lewis-Base ist, als Senfstoffe bezeichnet. Solche Verbindungen können zyklische "Onium"-Ionen (Sulfonium, Ammonium usw.) bilden, die gute Alkylierungsmittel sind. Weitere derartige Verbindungen sind Bis(2-halogenethyl)ether (Sauerstoffsenf), (2-Halogenethyl)amine (Stickstoffsenf) und Sesquimustard, das zwei α-Chlorethylthioethergruppen (ClC2H4S-) aufweist, die durch eine Ethylenbrücke (-C2H4-) verbunden sind. Diese Verbindungen haben eine ähnliche Fähigkeit zur Alkylierung der DNA, aber ihre physikalischen Eigenschaften sind unterschiedlich.

Physiologische Auswirkungen

Soldat mit mittelschweren Verbrennungen durch Senfgas aus dem Ersten Weltkrieg mit charakteristischen Wülsten an Hals, Achselhöhle und Händen

Senfgase sind extrem giftig und haben eine starke blasenbildende Wirkung auf die Opfer. Aufgrund ihrer alkylierenden Eigenschaften sind sie stark karzinogen und mutagen. Außerdem sind sie sehr lipophil, was ihre Aufnahme in den Körper beschleunigt. Da Menschen, die Senfgas ausgesetzt sind, selten unmittelbare Symptome erleiden und kontaminierte Bereiche völlig normal erscheinen, können die Opfer unwissentlich hohe Dosen erhalten. Innerhalb von 24 Stunden nach der Exposition leiden die Opfer unter starkem Juckreiz und Hautreizungen. Bleibt diese Reizung unbehandelt, können sich an den Stellen, an denen der Wirkstoff mit der Haut in Berührung kam, mit gelber Flüssigkeit (Eiter) gefüllte Blasen bilden. Dies sind chemische Verbrennungen, die sehr schwächend sind. Senfgase durchdringen leicht Kleidungsstoffe wie Wolle oder Baumwolle, so dass nicht nur die exponierte Haut verbrannt wird. Wenn die Augen des Opfers dem Gas ausgesetzt waren, kommt es zu einer Bindehautentzündung (auch bekannt als rosa Auge), die Augenlider schwellen an und es kommt zu einer vorübergehenden Erblindung. Bei extremer Belastung der Augen durch Senfgasdämpfe kann es zu Hornhautgeschwüren, Narbenbildung in der vorderen Augenkammer und Neovaskularisierung kommen. In diesen schweren und seltenen Fällen wurde eine Hornhauttransplantation als Behandlungsoption eingesetzt. Eine Miosis, bei der sich die Pupille stärker als gewöhnlich verengt, kann ebenfalls auftreten, was wahrscheinlich auf die cholinomimetische Wirkung von Senf zurückzuführen ist. In sehr hohen Konzentrationen verursachen Senfstoffe beim Einatmen Blutungen und Blasenbildung in den Atemwegen, schädigen die Schleimhäute und verursachen Lungenödeme. Je nach Kontaminationsgrad können Verbrennungen durch Senfstoffe zwischen erstem und zweitem Grad variieren, sie können aber auch genauso schwer, entstellend und gefährlich sein wie Verbrennungen dritten Grades. Schwere Verbrennungen (d. h. Verbrennungen, die mehr als 50 % der Haut des Opfers bedecken) sind oft tödlich, wobei der Tod schon nach wenigen Tagen oder Wochen eintritt. Bei einer leichten oder mittelschweren Verbrennung durch Senfgase ist der Tod unwahrscheinlich, aber die Opfer benötigen dennoch eine lange Zeit der medizinischen Behandlung und Rekonvaleszenz, bevor sie sich vollständig erholen.

Die krebserregende und mutagene Wirkung von Senfgasen bedeutet, dass die Opfer, selbst wenn sie sich vollständig erholen, ein erhöhtes Risiko haben, später im Leben an Krebs zu erkranken. In einer Studie an Patienten, die 25 Jahre nach der Exposition gegenüber chemischen Waffen im Krieg erkrankt waren, zeigte das c-DNA-Mikroarray-Profiling, dass 122 Gene in den Lungen und Atemwegen von Senfgasopfern signifikant mutiert waren. Alle diese Gene entsprechen Funktionen, die bei einer Senfgasbelastung häufig beeinträchtigt werden, darunter Apoptose, Entzündungen und Stressreaktionen. Zu den langfristigen Augenkomplikationen gehören Brennen, Tränen, Juckreiz, Photophobie, Presbyopie, Schmerzen und Fremdkörpergefühl.

Typisches Erscheinungsbild von Blasen an einem Arm, die durch Verätzungen durch Senfgase verursacht wurden

Die blasenbildende Wirkung von Senfgasen kann durch Oxidation oder Chlorierung mit Haushaltsbleichmitteln (Natriumhypochlorit) oder durch nukleophilen Angriff mit Dekontaminationslösungen wie "DS2" (2% NaOH, 70% Diethylentriamin, 28% 2-Methoxyethanol) neutralisiert werden. Nach der anfänglichen Dekontamination der Wunden des Opfers ist die medizinische Behandlung ähnlich wie bei einer herkömmlichen Verbrennung. Auch das Ausmaß der Schmerzen und Beschwerden des Opfers ist vergleichbar. Verbrennungen durch Senfgas heilen nicht schnell und bergen (wie andere Arten von Verbrennungen) das Risiko einer Sepsis durch Krankheitserreger wie Staphylococcus aureus und Pseudomonas aeruginosa. Die Mechanismen, die der Wirkung von Senfgas auf Endothelzellen zugrunde liegen, werden noch erforscht, aber neuere Studien haben gezeigt, dass eine hohe Exposition sowohl eine hohe Nekrose- als auch Apoptoserate hervorrufen kann. In-vitro-Tests haben gezeigt, dass bei niedrigen Senfgaskonzentrationen, bei denen die Apoptose die vorherrschende Folge der Exposition ist, eine Vorbehandlung mit 50 mM N-Acetyl-L-Cystein (NAC) die Apoptoserate verringern konnte. NAC schützt Aktinfilamente vor einer Reorganisation durch Senfgas, was zeigt, dass Aktinfilamente eine große Rolle bei den schweren Verbrennungen der Opfer spielen.

Eine britische Krankenschwester, die während des Ersten Weltkriegs Soldaten mit Verbrennungen durch Senfgas behandelte, sagte dazu:

Sie können nicht bandagiert oder berührt werden. Wir decken sie mit einem Zelt aus hochgezogenen Laken zu. Gasverbrennungen müssen quälend sein, denn normalerweise klagen die anderen Betroffenen nicht, selbst bei den schlimmsten Wunden, aber bei Gasverbrennungen ist es unerträglich, und sie können nicht anders, als zu schreien.

Hauptexpositionswege sind die perkutane oder die inhalatorische Aufnahme von Dämpfen. Lost ist ein starkes Hautgift und erwiesenermaßen krebserregend. Die Wirkung auf die Haut ist vergleichbar mit starken Verbrennungen oder Verätzungen. Es bilden sich große, stark schmerzende Blasen. Die Verletzungen heilen schlecht. Das Gewebe wird nachhaltig zerstört und die Zellteilung gehemmt. Großflächig betroffene Gliedmaßen müssen meistens amputiert werden. Werden die Dämpfe eingeatmet, so werden die Bronchien zerstört.

Formulierungen

Test von Lewisit (obere Reihe) und Senfgas (untere Reihe) mit Konzentrationen von 0,01 % bis 0,06 %

In seiner Geschichte wurden verschiedene Arten und Mischungen von Senfgas verwendet. Dazu gehören:

  • H - Auch bekannt als HS ("Hunnenzeug") oder Levinstein-Senf. Benannt nach dem Erfinder des "schnellen, aber schmutzigen" Levinstein-Verfahrens zur Herstellung, bei dem trockenes Ethylen unter kontrollierten Bedingungen mit Schwefeldichlorid reagiert. Undestilliertes Senfgas enthält 20-30 % Verunreinigungen, weshalb es sich nicht so gut speichern lässt wie HD. Außerdem erhöht sich bei der Zersetzung der Dampfdruck, so dass die Munition, in der es enthalten ist, vor allem entlang einer Naht aufplatzen kann, wodurch der Wirkstoff in die Atmosphäre entweicht.
  • HD - Codename Pyro bei den Briten und Distilled Mustard bei den USA. Destillierter Senf mit einem Reinheitsgrad von 95 % oder mehr. Der Begriff "Senfgas" bezieht sich in der Regel auf diese Senfart.
  • HT - Von den Briten als Runcol bezeichnet, von den USA als Mustard T-Mix. Eine Mischung aus 60 % Senf und 40 % O-Senf, einem verwandten Vesikant mit niedrigerem Gefrierpunkt, geringerer Flüchtigkeit und ähnlichen Vesikant-Eigenschaften.
  • HL - Eine Mischung aus destilliertem Senf (HD) und Lewisit (L), die aufgrund ihres im Vergleich zu den reinen Substanzen niedrigeren Gefrierpunkts ursprünglich für den Einsatz unter winterlichen Bedingungen vorgesehen war. Die Lewisit-Komponente von HL wurde als eine Art Frostschutzmittel verwendet.
  • HQ - Eine Mischung aus destilliertem Senf (HD) und Sesquimustard (Q) (Gates und Moore 1946).

Üblicherweise gelagerte Senfstoffe (Klasse)

Chemisch Code Trivialer Name CAS-Nummer PubChem Struktur
Bis(2-Chlorethyl)sulfid H, HD Senf 505-60-2 CID 10461 von PubChem Sulfur mustard.svg
1,2-Bis(2-chlorethylsulfanyl)ethan Q Sesquim-Senf 3563-36-8 CID 19092 von PubChem Sesquimustard.svg
2-Chlorethylethylsulfid Halber Senf 693-07-2 CID 12733 von PubChem Chloroethyl ethyl sulfide.svg
Bis(2-(2-Chlorethylsulfanyl)ethyl)ether T O-Senf 63918-89-8 CID 45452 von PubChem O-Mustard.svg
2-Chlorethylchlormethylsulfid 2625-76-5 2-Chlorethylchlormethylsulfid.svg
Bis(2-Chlorethylsulfanyl)methan HK 63869-13-6 Bis(2-chlorethylthio)methan.svg
1,3-Bis(2-chlorethylsulfanyl)propan 63905-10-2 Bis-1,3-(2-chlorethylthio)-n-propan.svg
1,4-Bis(2-chlorethylsulfanyl)butan 142868-93-7 Bis-1,4-(2-chlorethylthio)-n-butan.svg
1,5-Bis(2-chlorethylsulfanyl)-pentan 142868-94-8 Bis-1,5-(2-chlorethylthio)-n-pentan.svg
Bis((2-Chlorethylsulfanyl)methyl)ether 63918-90-1 Bis(2-chlorethylthiomethyl)ether.svg

Geschichte

Entwicklung

Senfgase wurden möglicherweise bereits 1822 von César-Mansuète Despretz (1798-1863) entwickelt. Despretz beschrieb die Reaktion von Schwefeldichlorid und Ethylen, erwähnte aber nie die reizenden Eigenschaften des Reaktionsprodukts. Im Jahr 1854 wiederholte ein anderer französischer Chemiker, Alfred Riche (1829-1908), dieses Verfahren, ebenfalls ohne irgendwelche negativen physiologischen Eigenschaften zu beschreiben. 1860 synthetisierte und charakterisierte der britische Wissenschaftler Frederick Guthrie die Senfstoffverbindung und stellte ihre reizenden Eigenschaften fest, insbesondere beim Schmecken. Ebenfalls 1860 wiederholte der Chemiker Albert Niemann, der als Pionier der Kokainchemie gilt, die Reaktion und stellte blasenbildende Eigenschaften fest. 1886 veröffentlichte Viktor Meyer eine Arbeit, in der er eine Synthese mit guter Ausbeute beschrieb. Er kombinierte 2-Chlorethanol mit wässrigem Kaliumsulfid und behandelte dann das entstandene Thiodiglykol mit Phosphortrichlorid. Die Reinheit dieser Verbindung war wesentlich höher, und folglich waren die gesundheitlichen Auswirkungen bei Exposition wesentlich gravierender. Um auszuschließen, dass sein Assistent an einer Geisteskrankheit litt (psychosomatische Symptome), ließ Meyer diese Verbindung an Laborkaninchen testen, von denen die meisten starben. 1913 ersetzte der englische Chemiker Hans Thacher Clarke (bekannt durch die Eschweiler-Clarke-Reaktion) in Meyers Rezeptur das Phosphortrichlorid durch Salzsäure, während er mit Emil Fischer in Berlin arbeitete. Clarke lag zwei Monate lang wegen Verbrennungen im Krankenhaus, nachdem einer seiner Kolben zerbrochen war. Fischers Bericht über diesen Unfall an die Deutsche Chemische Gesellschaft brachte das Deutsche Reich auf den Weg zu chemischen Waffen, so Meyer.

Senfgas kann dazu führen, dass sich die Haut eines Patienten in verschiedenen Farben verfärbt, darunter Rot-, Orange-, Rosa- und in seltenen Fällen auch Blautöne. Im Ersten Weltkrieg verließ sich das Deutsche Reich auf die Meyer-Clarke-Methode, da 2-Chlorethanol in der damaligen deutschen Farbstoffindustrie leicht erhältlich war.

Verwendung

Paletten mit 155-mm-Artilleriegranaten, die "HD" (destilliertes Senfgas) enthalten, im Pueblo Chemical Depot. Auf jeder Granate ist die charakteristische Farbcodierung zu erkennen

Senfgas wurde erstmals im Ersten Weltkrieg von der deutschen Armee gegen britische und kanadische Soldaten in der Nähe von Ypern, Belgien, im Jahr 1917 und später auch gegen die zweite französische Armee eingesetzt. Der Name Yperite stammt von seinem Einsatz durch die deutsche Armee in der Nähe der Stadt Ypern. Die Alliierten setzten Senfgas erst im November 1917 bei Cambrai, Frankreich, ein, nachdem die Armeen einen Vorrat an deutschen Senfgranaten erbeutet hatten. Die Briten brauchten mehr als ein Jahr, um ihre eigene Senfgaswaffe zu entwickeln, wobei die Produktion der Chemikalien in den Avonmouth Docks stattfand (die einzige Möglichkeit, die den Briten zur Verfügung stand, war das Despretz-Niemann-Guthrie-Verfahren). Diese Waffe wurde erstmals im September 1918 beim Durchbrechen der Hindenburglinie eingesetzt.

Senfgas trug ursprünglich den Namen LOST, nach den Wissenschaftlern Wilhelm Lommel und Wilhelm Steinkopf, die 1916 für das kaiserliche deutsche Heer ein Verfahren zur großtechnischen Herstellung entwickelten.

Senfgas wurde als Aerosol in einem Gemisch mit anderen Chemikalien verstreut, was ihm eine gelb-braune Farbe verlieh. Senfgas wurde auch in Munition wie Fliegerbomben, Landminen, Mörsergranaten, Artilleriegranaten und Raketen eingesetzt. Die Exposition gegenüber Senfgas war in etwa 1 % der Fälle tödlich. Seine Wirkung war die eines kampfunfähig machenden Mittels. Die ersten Gegenmaßnahmen gegen Senfgas waren relativ unwirksam, da ein Soldat, der eine Gasmaske trug, nicht davor geschützt war, das Gas über seine Haut aufzunehmen und Blasen zu bekommen. Eine gängige Gegenmaßnahme war die Verwendung einer mit Urin getränkten Maske oder eines Gesichtstuches, um Verletzungen zu verhindern oder zu verringern. Dieses leicht verfügbare Mittel wurde von Soldaten in Dokumentarfilmen (z. B. They Shall Not Grow Old im Jahr 2018) und anderen Personen (wie z. B. Krankenschwestern an vorderster Front) verwendet, die zwischen 1947 und 1981 von der British Broadcasting Corporation für verschiedene Programme zur Geschichte des Ersten Weltkriegs interviewt wurden; die Wirksamkeit dieser Maßnahme ist jedoch unklar.

Senfgas kann wochenlang im Boden verbleiben und weiterhin Krankheiten verursachen. Wenn die eigene Kleidung und Ausrüstung mit Senfgas kontaminiert ist, während sie kalt ist, können andere Personen, mit denen sie einen geschlossenen Raum teilen, vergiftet werden, wenn sich die kontaminierten Gegenstände so weit erwärmen, dass sie zu einem über die Luft übertragbaren toxischen Stoff werden. Ein Beispiel hierfür wurde in einem britischen und kanadischen Dokumentarfilm über das Leben in den Schützengräben gezeigt, insbesondere nach der Fertigstellung der "Sousterrains" (unterirdische Gänge und Schlafräume) in Belgien und Frankreich. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs wurde Senfgas in hohen Konzentrationen als Flächenvernichtungswaffe eingesetzt, um die Truppen zu zwingen, stark verseuchte Gebiete zu verlassen.

Plakat der US-Armee zur Kennzeichnung von Senfgas im Zweiten Weltkrieg, ca. 1941-1945

Seit dem Ersten Weltkrieg wurde Senfgas in mehreren Kriegen und anderen Konflikten eingesetzt, in der Regel gegen Menschen, die keine Gegenmaßnahmen ergreifen konnten:

  • Vereinigtes Königreich gegen die Rote Armee im Jahr 1919
  • Angeblicher britischer Einsatz in Mesopotamien im Jahr 1920
  • Spanien und Frankreich gegen den Widerstand der Rifianer in Marokko während des Rif-Krieges 1921-27 (siehe auch: Spanischer Einsatz von Chemiewaffen im Rif-Krieg)
  • Italien in Libyen im Jahr 1930
  • Die Sowjetunion in Xinjiang, Republik China, während der sowjetischen Invasion in Xinjiang gegen die 36. Division (Nationale Revolutionsarmee) 1934 und auch im Xinjiang-Krieg (1937) 1936-37
  • Italien gegen Abessinien (heute Äthiopien) in den Jahren 1935-1936
  • Das japanische Kaiserreich gegen China in den Jahren 1937-1945
  • Die Regierung der Vereinigten Staaten testete die Wirksamkeit an Rekruten der US-Marine in einer Laborumgebung auf dem Marinestützpunkt Great Lakes am 3. Juni 1945.
  • Der Luftangriff auf Bari am 2. Dezember 1943 zerstörte einen alliierten Vorrat an Senfgas auf der SS John Harvey.
  • Ägypten gegen Nordjemen in den Jahren 1963-1967
  • Irak gegen Kurden in der Stadt Halabja während des chemischen Angriffs auf Halabja
  • Irak gegen Iraner in den Jahren 1983-1988
  • Möglicherweise im Sudan gegen Aufständische im Bürgerkrieg, 1995 und 1997.
  • Im Irak-Krieg wurden verlassene Bestände von Senfgasgranaten unter freiem Himmel vernichtet und in Bomben am Straßenrand gegen die Koalitionstruppen eingesetzt.
  • Durch ISIS-Kräfte gegen kurdische Kräfte im Irak im August 2015.
  • Durch ISIS gegen eine andere Rebellengruppe in der Stadt Mare' im Jahr 2015.
  • Nach Angaben der staatlichen syrischen Medien durch ISIS gegen die syrische Armee während der Schlacht in Deir ez-Zor im Jahr 2016.

Im Jahr 1943, während des Zweiten Weltkriegs, explodierte eine Ladung Senfgas aus den USA an Bord der SS John Harvey, die während eines Luftangriffs im Hafen von Bari, Italien, bombardiert wurde. Dreiundachtzig der 628 ins Krankenhaus eingelieferten Opfer, die dem Senfgas ausgesetzt waren, starben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden von den Briten Senfgasvorräte in der Nähe von Port Elizabeth, Südafrika, ins Meer versenkt, was zu zahlreichen Fällen von Verbrennungen bei den Besatzungen von Fischtrawlern führte.

Der Einsatz von giftigen Gasen oder anderen Chemikalien, einschließlich Senfgas, im Krieg ist als chemische Kriegsführung bekannt, und diese Art der Kriegsführung wurde durch das Genfer Protokoll von 1925 sowie durch das spätere Chemiewaffenübereinkommen von 1993 verboten. Das letztgenannte Übereinkommen verbietet auch die Entwicklung, Herstellung, Lagerung und den Verkauf solcher Waffen.

Im September 2012 erklärte ein US-Beamter, dass die militante Rebellengruppe ISIS in Syrien und im Irak Senfgas herstellt und einsetzt. Dies wurde angeblich vom Leiter der Chemiewaffenentwicklung der Gruppe, Sleiman Daoud al-Afari, bestätigt, der inzwischen gefangen genommen wurde.

Entwicklung des ersten Chemotherapeutikums

Bereits 1919 war bekannt, dass das Senfgas die Blutbildung unterdrückt. Bei der Autopsie von 75 Soldaten, die während des Ersten Weltkriegs an Senfgas gestorben waren, stellten Forscher der University of Pennsylvania einen Rückgang der weißen Blutkörperchen fest. Dies veranlasste das amerikanische Office of Scientific Research and Development (OSRD), die Fachbereiche Biologie und Chemie der Universität Yale zu finanzieren, um Forschungen über den Einsatz chemischer Kampfstoffe während des Zweiten Weltkriegs durchzuführen.

Im Rahmen dieser Bemühungen untersuchte die Gruppe Stickstoffsenf als Therapie für das Hodgkin-Lymphom und andere Arten von Lymphomen und Leukämie, und dieser Wirkstoff wurde im Dezember 1942 am ersten menschlichen Patienten ausprobiert. Die Ergebnisse dieser Studie wurden erst 1946 veröffentlicht, als sie deklassiert wurden. Parallel dazu stellten die Ärzte der US-Armee nach dem Luftangriff auf Bari im Dezember 1943 fest, dass die Zahl der weißen Blutkörperchen bei ihren Patienten abnahm. Einige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs trafen der Vorfall in Bari und die Arbeit der Gruppe der Universität Yale mit Stickstoffsenf aufeinander, was die Suche nach anderen ähnlichen chemischen Verbindungen auslöste. Aufgrund seiner Verwendung in früheren Studien wurde der als "HN2" bezeichnete Stickstoffsenf zum ersten Krebs-Chemotherapeutikum, Senf (auch Chlormethin genannt), das zum Einsatz kam.

Entsorgung

In den Vereinigten Staaten wurde die Lagerung und Verbrennung von Senfgas und anderen chemischen Waffen von der U.S. Army Chemical Materials Agency durchgeführt. Entsorgungsprojekte an den beiden verbleibenden amerikanischen Chemiewaffenstandorten wurden in der Nähe von Richmond, Kentucky, und Pueblo, Colorado, durchgeführt. Obwohl noch nicht freigegeben, fügen Toxikologie-Spezialisten, die sich mit dem versehentlichen Durchstechen von Gasvorräten aus dem Ersten Weltkrieg befasst haben, hinzu, dass Luftwaffenstützpunkte in Colorado zur Verfügung gestellt wurden, um Veteranen des amerikanischen Irak-Krieges von 2003 zu unterstützen, in dem viele Marinesoldaten Gas in Form von Vorräten von bis zu 11.000 kg (25.000 lb) ausgesetzt waren. Die Definition der Vereinten Nationen für Senfgas als Massenvernichtungswaffe liegt bei 14.000 kg (30.000 lb). In der Regel entdeckten die Marines und andere Verbündete der Koalition Verstecke von 11.000 kg (25.000 pounds), die sich auf der anderen Straßenseite von Verstecken mit 2.300 kg (5.000 pounds) befanden, wie mehrere Memoiren bezeugen. Diese Verstecke wurden mit Hilfe von Verbündeten aus dem Aufnahmeland oder durch undichte Stellen entdeckt, die Personal in einem Gebiet mit einem Waffen- und Gasversteck, einem so genannten ASP, betrafen.

Derzeit werden neue Detektionstechniken entwickelt, um das Vorhandensein von Senfgas und dessen Metaboliten nachzuweisen. Die Technologie ist tragbar und spürt kleine Mengen des gefährlichen Abfalls und seiner Oxidationsprodukte auf, die bekannt dafür sind, ahnungslose Zivilisten zu schädigen. Der immunchromatografische Test würde teure und zeitaufwändige Labortests überflüssig machen und einfach abzulesende Tests ermöglichen, um die Zivilbevölkerung vor Schwefel-Senf-Deponien zu schützen.

1946 wurden 10 000 Senfgasfässer (2 800 Tonnen), die in der Produktionsstätte von Stormont Chemicals in Cornwall, Ontario, Kanada, gelagert waren, auf 187 Güterwaggons verladen, um auf einem 120 m langen Lastkahn 40 Meilen (64 km) südlich von Sable Island, südöstlich von Halifax, in einer Tiefe von 1 100 m (600 Faden) vergraben zu werden (900 Meilen). Der Standort der Deponie ist 42 Grad, 50 Minuten Nord und 60 Grad, 12 Minuten West.

Ein großer britischer Vorrat an altem Senfgas, der seit dem Ersten Weltkrieg in der M. S. Factory, Valley bei Rhydymwyn in Flintshire, Wales, hergestellt und gelagert worden war, wurde 1958 zerstört.

Der größte Teil des Senfgases, das nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gefunden wurde, wurde in die Ostsee gekippt. Zwischen 1966 und 2002 haben Fischer in der Region Bornholm etwa 700 chemische Waffen gefunden, von denen die meisten Senfgas enthalten. Eine der am häufigsten versenkten Waffen war die "Sprühbüchse 37" (1937 wurde sie von der deutschen Armee eingesetzt). Diese Waffen enthalten Senfgas, das mit einem Verdickungsmittel vermischt ist, das ihm eine teerähnliche Viskosität verleiht. Wenn der Inhalt der SprüBü37 mit Wasser in Berührung kommt, hydrolysiert nur das Senfgas in den äußeren Schichten der Klumpen aus zähflüssigem Senf und hinterlässt bernsteinfarbene Rückstände, die noch den größten Teil des aktiven Senfgases enthalten. Beim mechanischen Zerbrechen dieser Klumpen (z. B. mit dem Schleppbrett eines Fischernetzes oder durch die menschliche Hand) ist das eingeschlossene Senfgas noch genauso aktiv wie zum Zeitpunkt des Abwurfs der Waffe. Diese Klumpen können, wenn sie an Land gespült werden, mit Bernstein verwechselt werden, was zu schweren gesundheitlichen Problemen führen kann. Artilleriegranaten, die Senfgas und andere giftige Munition aus dem Ersten Weltkrieg enthalten (ebenso wie konventionelle Sprengstoffe), sind in Frankreich und Belgien noch immer zu finden. Diese wurden früher durch Explosion unter Wasser entsorgt, aber da die geltenden Umweltvorschriften dies verbieten, baut die französische Regierung eine automatisierte Fabrik, um die angesammelten chemischen Granaten zu entsorgen.

1972 verbot der US-Kongress die Entsorgung von Chemiewaffen im Meer durch die Vereinigten Staaten. 29.000 Tonnen Nerven- und Senfstoffe wurden von der US-Armee bereits vor den Vereinigten Staaten ins Meer gekippt. Laut einem 1998 von William Brankowitz, einem stellvertretenden Projektleiter der U.S. Army Chemical Materials Agency, erstellten Bericht hat die Armee mindestens 26 Deponien für chemische Waffen im Meer vor der Küste von mindestens 11 Staaten sowohl an der Ost- als auch an der Westküste angelegt (in der Operation CHASE, Operation Geranium usw.). Darüber hinaus sind aufgrund mangelhafter Aufzeichnungen bei etwa der Hälfte der Lagerstätten nur die groben Standorte bekannt.

Im Juni 1997 meldete Indien seinen Bestand an chemischen Waffen in Höhe von 1.044 Tonnen (1.151 kurze Tonnen) Senfgas. Bis Ende 2006 hatte Indien mehr als 75 Prozent seiner Bestände an chemischen Waffen/Materialien vernichtet und erhielt eine Fristverlängerung für die Vernichtung der verbleibenden Bestände bis April 2009; es wird erwartet, dass es innerhalb dieses Zeitrahmens eine hundertprozentige Vernichtung erreicht. Im Mai 2009 teilte Indien den Vereinten Nationen mit, dass es seine Chemiewaffenbestände in Übereinstimmung mit dem internationalen Chemiewaffenübereinkommen vernichtet habe. Damit ist Indien nach Südkorea und Albanien das dritte Land, das dies getan hat. Dies wurde von Inspektoren der Vereinten Nationen überprüft.

Die Herstellung und Lagerung von Senfgas ist nach dem Chemiewaffenübereinkommen verboten. Bei Inkrafttreten des Übereinkommens im Jahr 1997 meldeten die Vertragsparteien weltweite Lagerbestände von 17 440 Tonnen Senfgas. Im Dezember 2015 waren 86 % dieser Bestände vernichtet worden.

Ein erheblicher Teil der Senfgasvorräte der Vereinigten Staaten wurde in der Edgewood Area des Aberdeen Proving Ground in Maryland gelagert. Ungefähr 1.621 Tonnen Senfstoffe wurden in Ein-Tonnen-Behältern auf dem Stützpunkt gelagert und streng bewacht. Auf dem Testgelände wurde eine chemische Neutralisierungsanlage errichtet, in der im Februar 2005 die letzten dieser Bestände neutralisiert wurden. Diese Bestände hatten Vorrang, da sie das Risiko für die Bevölkerung schnell verringern konnten. Die nächstgelegenen Schulen wurden mit Überdruckanlagen ausgestattet, um die Schüler und Lehrkräfte im Falle einer katastrophalen Explosion und eines Brandes am Standort zu schützen. Diese Projekte sowie Planungs-, Ausrüstungs- und Schulungshilfe wurden der umliegenden Gemeinde im Rahmen des Chemical Stockpile Emergency Preparedness Program (CSEPP), einem gemeinsamen Programm der Armee und der Federal Emergency Management Agency (FEMA), zur Verfügung gestellt. Nicht explodierte Granaten, die Senfgase und andere chemische Kampfstoffe enthielten, befinden sich immer noch auf mehreren Testgeländen in der Nähe von Schulen in der Umgebung von Edgewood, aber die geringeren Mengen an Giftgas (4 bis 14 Pfund (1,8 bis 6,4 kg)) stellen ein wesentlich geringeres Risiko dar. Diese Überreste werden aufgespürt und systematisch zur Entsorgung ausgegraben. Die U.S. Army Chemical Materials Agency überwachte die Beseitigung mehrerer anderer Chemiewaffenlager in den Vereinigten Staaten in Übereinstimmung mit den internationalen Chemiewaffenverträgen. Dazu gehört die vollständige Verbrennung der in Alabama, Arkansas, Indiana und Oregon gelagerten chemischen Waffen. Zuvor hatte die Behörde auch die Vernichtung des Chemiewaffenlagers auf dem Johnston-Atoll südlich von Hawaii im Pazifik abgeschlossen. Das größte Senfgaslager mit rund 6.200 Tonnen lagerte im Deseret Chemical Depot im Norden Utahs. Die Verbrennung dieser Bestände begann 2006. Im Mai 2011 wurden die letzten Senfstoffe im Deseret Chemical Depot verbrannt, und die letzten senfgashaltigen Artilleriegeschosse wurden im Januar 2012 verbrannt.

2008 wurden in einer Ausgrabungsstätte auf dem Armeestützpunkt Marrangaroo westlich von Sydney (Australien) zahlreiche leere Fliegerbomben gefunden, die Senfgas enthielten. 2009 wurden bei einer Bergbauuntersuchung in der Nähe von Chinchilla, Queensland, 144 105-Millimeter-Haubitzengranaten entdeckt, von denen einige "Senf H" enthielten und die von der US-Armee im Zweiten Weltkrieg vergraben worden waren.

Im Jahr 2014 wurde in der Nähe der flämischen Dörfer Passendale und Moorslede eine Sammlung von 200 Bomben gefunden. Die meisten der Bomben waren mit Senfgas gefüllt. Die Bomben stammten von der deutschen Armee und sollten in der Schlacht von Passchendale im Ersten Weltkrieg eingesetzt werden. Es handelte sich um die größte Sammlung chemischer Waffen, die je in Belgien gefunden wurde.

Eine große Menge an chemischen Waffen, darunter Senfgas, wurde in einem Viertel von Washington DC gefunden. Die Aufräumarbeiten wurden 2021 abgeschlossen.

Unbeabsichtigte Exposition in der Nachkriegszeit

Im Jahr 2002 kam ein Archäologe des Presidio Trust Archäologielabors in San Francisco mit Senfgas in Berührung, das im Presidio von San Francisco, einem ehemaligen Militärstützpunkt, ausgegraben worden war.

Im Jahr 2010 zog ein Muschelboot einige alte Artilleriegranaten aus dem Ersten Weltkrieg aus dem Atlantik südlich von Long Island, New York, hoch. Mehrere Fischer litten unter Blasenbildung und Atemwegsreizungen, die so stark waren, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten.

Tests an Menschen im Zweiten Weltkrieg

Senfgas-Testpersonen betreten die Gaskammer, Edgewood Arsenal, März 1945

Von 1943 bis 1944 führten britische und amerikanische Experimentatoren im tropischen Queensland, Australien, Versuche mit Senfgas an australischen Freiwilligen durch, die zum Teil schwere Verletzungen zur Folge hatten. Ein Testgelände, der Brook Islands National Park, wurde ausgewählt, um pazifische Inseln zu simulieren, die von der kaiserlichen japanischen Armee gehalten wurden.

Die Vereinigten Staaten testeten während des Zweiten Weltkriegs und danach bis zu 60 000 Soldaten mit Schwefelsenf und anderen chemischen Stoffen wie Stickstoffsenf und Lewisit. Die Experimente wurden als geheim eingestuft, und wie bei Agent Orange wurden Anträge auf medizinische Versorgung und Entschädigung routinemäßig abgelehnt, selbst nachdem die Tests aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs 1993 freigegeben worden waren. Das Ministerium für Veteranenangelegenheiten erklärte, dass es 4.000 überlebende Versuchspersonen kontaktieren würde, tat dies jedoch nicht und kontaktierte schließlich nur 600. Hautkrebs, schwere Ekzeme, Leukämie und chronische Atemprobleme plagten die Versuchspersonen, von denen einige zum Zeitpunkt der Tests erst 19 Jahre alt waren, bis zu ihrem Tod, aber selbst diejenigen, die zuvor Ansprüche beim VA angemeldet hatten, erhielten keine Entschädigung.

Arme von vier Testpersonen nach der Exposition gegenüber Stickstoffsenf und Lewisit.

Afroamerikanische Soldaten wurden zusammen mit Weißen in separaten Versuchen getestet, um festzustellen, ob ihre Hautfarbe ihnen eine gewisse Immunität gegen die Agenzien verleiht, und Nisei-Soldaten, von denen einige nach ihrer Entlassung aus japanisch-amerikanischen Internierungslagern zu den Streitkräften gestoßen waren, wurden getestet, um die Anfälligkeit japanischer Militärangehöriger für diese Agenzien festzustellen. Diese Tests umfassten auch puertoricanische Probanden.

Nachweis in biologischen Flüssigkeiten

Die Konzentration von Thiodiglykol im Urin wurde verwendet, um die Diagnose einer chemischen Vergiftung bei hospitalisierten Opfern zu bestätigen. Das Vorhandensein von 1,1'-Sulfonylbismethylthioethan (SBMTE), einem Konjugationsprodukt mit Glutathion, im Urin gilt als spezifischerer Marker, da dieser Metabolit in Proben von nicht exponierten Personen nicht gefunden wird. In einem Fall wurde intaktes Senfgas in postmortalen Flüssigkeiten und Geweben eines Mannes nachgewiesen, der eine Woche nach der Exposition starb.

Erster Weltkrieg

Lost-Opfer in Behandlung während des Ersten Weltkrieges

Erstmals während des Ersten Weltkriegs wurde Schwefellost von den deutschen Truppen in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 1917 eingesetzt. Taktisches Ziel war, die deutsche Ausgangslage für den erwarteten britischen Angriff bei Ypern zu verbessern (daher der Name Yperit). Schwefellost wurde wegen der entstellenden Verletzungen, die es verursacht, im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges zu einer der gefürchtetsten Waffen.

„Von den deutschen Gelbgasangriffen, bei denen die Truppen selbst und nicht das leere Terrain beschossen wurden, gibt ja Professor Meyer selber an: »Die Wirkung des Gelbkreuzes in der Flandernschlacht von 1917 steigerte sich mehr und mehr, und es kam wiederholt vor, daß der Gegner froh war, wenn er ein Viertel seiner Mannschaft unbeschädigt halten konnte.« Die drei Viertel anderen, die Beschädigten also, mögen sich dafür mit seiner berühmten Umschreibung der Senfgaswirkung getröstet haben, die also lautet: ‚Die Verwundungen sind an und für sich nicht tödlich, werden es aber häufig dadurch, dass der Atmungsprozeß in der Lunge unterbunden wird.‘ Das heißt also, wenn man jemandem die Kehle zuschnürt, so ist das an und für sich nicht tödlich. Man stirbt nur, weil man nicht mehr atmen kann! – und die Ehre des Senfgases ist gerettet.“

Gertrud Woker: Blüten der Kampfgaspropaganda

Allerdings wurden durch das ab 1915 eingesetzte Phosgen im Ersten Weltkrieg noch mehr Soldaten getötet als durch Schwefellost.

Rifkrieg in Marokko (1921–1926)

Der Rifkrieg wurde von spanischen Truppen übereilt und ohne Sicherung der Nachschublinien begonnen.

Der Führer der Berber-Stämme, Mohammed Abd al-Karim, griff darauf am 22. Juli 1921 die spanischen Stellungen bei Annual (Marokko) im nordöstlichen Marokko direkt an. In den drei Wochen der Schlacht von Annual kamen ca. 8.000 bis 10.000 spanische Soldaten ums Leben.

Danach beschlossen die Spanier unter Mitwirkung von Hugo Stoltzenberg einen großflächigen Einsatz von Senfgas in dieser Gegend. Zu diesem Zweck räumten sie das zentrale Rifgebirge bis Anfang 1925.

1925 griff auch Frankreich in den Krieg ein: Der französische Kriegsminister Paul Painlevé vereinbarte am 17. Juni 1925 in Madrid mit dem Diktator Miguel Primo de Rivera, eine wirksame Seeblockade zu errichten. Am 13. Juli 1925 wurde Philippe Pétain zum Oberbefehlshaber der französischen Rif-Armee ernannt. Er verfügte über mehr als hundert Bataillone, nicht gezählt die mehr als 350.000 Harkas des Majzen, der Verwaltung des Sultans Mulai Yusuf. Ab 1925 besetzten 250.000 Mann unter Pétain die fruchtbaren Gebiete in Französisch-Marokko und unterbanden die Versorgung der Rif-Republik mit Lebensmitteln. Gegen das von der Rif-Republik kontrollierte Gebiet wurden massiv Chemiewaffen eingesetzt (Hauptartikel: Chemiewaffeneinsatz im Rifkrieg).

Der Einsatz von Senfgas war ein Bruch der Haager Landkriegsordnung. Die Genfer Konvention vom Juni 1925 verbot ausdrücklich den Gebrauch chemischer und biologischer Waffen.

Die Kontaminierung mit Lost führte dazu, dass das Gebiet um Al-Hoceima auch heute noch die Lungenkrebsstatistik in Marokko anführt.

Abessinienkrieg

Am 3. Oktober 1935 brach der faschistische Diktator Mussolini den Abessinienkrieg los. Etwa 200.000 italienische Soldaten rückten in Äthiopien vor. Als der Vormarsch nach einiger Zeit ins Stocken geriet, verwendete die faschistische Kriegsleitung Giftgas und großangelegte Luftbombardements, um den Krieg rasch zu gewinnen. Es kam zu massiven Luftangriffen mit Senfgas, das unter den schlecht ausgerüsteten und leicht gekleideten äthiopischen Soldaten zu hohen Verlusten führte. Der Kampfstoff wurde aber nicht nur gegen äthiopische Soldaten, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Des Weiteren wurden landwirtschaftliche Anbauflächen mit Senfgas kontaminiert. Die italienischen Verbände bombardierten mit Senfgas zudem gezielt Lazarette des Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes. Dazu nutzten sie kartographisches Material, welches das Rote Kreuz bei Kriegsbeginn an Rom übermittelt hatte, um so (versehentlichen) Angriffen auf Hospitäler vorzubeugen.

Die gezielten Attacken machten international Schlagzeilen. Zu einer wesentlichen Verschärfung der Sanktionen kam es nicht; Frankreich und Großbritannien waren bestrebt, Mussolini nicht in die Arme Hitlers zu drängen. Vergeblich trat Kaiser Haile Selassie persönlich vor dem Völkerbund auf und forderte Unterstützung. Am 5. Mai 1936 zog der italienische Feldmarschall Pietro Badoglio schließlich in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba ein. Italien nahm die Proteste zum Anlass, aus dem Völkerbund auszutreten.

In dem danach bis zum Ende der italienischen Besatzung 1941 andauernden Guerillakrieg wurde der Einsatz von Giftgas sogar noch gesteigert. Wie beim Massaker von Zeret im April 1939 wurde dabei Senfgas rücksichtslos gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt, um den äthiopischen Widerstand zu brechen.

Zweiter Weltkrieg

Amerikanisches Plakat während des Zweiten Weltkriegs

Während des Zweiten Weltkrieges wurde in Bomben munitionierter Schwefellost, soweit bekannt, nur ein einziges Mal eingesetzt. Dies geschah bei der Sprengung einer Brücke und dem Verminen einer Straßensperre durch polnische Truppen in der Nähe von Jasło. Dabei wurden am 8. September 1939 zwei deutsche Soldaten getötet und zwölf verwundet. Man geht aber davon aus, dass dies die Entscheidung eines einzelnen polnischen Offiziers war. Aus diesem Grund unterblieben von Seiten der deutschen Truppen Vergeltungsmaßnahmen.

Am 2. Dezember 1943 bombardierte die deutsche Luftwaffe den Hafen von Bari in Italien. Dabei wurde der unter anderem mit Schwefellost-Granaten beladene US-Frachter John Harvey getroffen und versenkt. Ein Teil der Ladung lief ins Wasser, ein anderer Teil wurde durch die Explosionen und die Brände in der Luft verteilt. Da aufgrund der Geheimhaltung nur wenige Personen in Bari von der Existenz dieser Ladung wussten und diese allesamt umkamen, konnten die Verwundeten zunächst nicht richtig behandelt werden. Genaue Zahlen über die Opfer existieren nicht. Es wird geschätzt, dass über 600 Soldaten und Angehörige der Handelsmarine verätzt wurden, von denen etwa 100 starben. Die Zahl der getöteten Zivilisten dürfte um die 1000 betragen. Dieser Vorfall hätte beinahe eine weitere Eskalation des Krieges ausgelöst, da die Alliierten zunächst davon ausgingen, dass der Kampfstoff von den Deutschen abgeworfen worden war. Eine im Hafenbecken gefundene Gasbombe wurde aber noch rechtzeitig als amerikanisches Modell identifiziert, so dass die Alliierten keinen „Gegenschlag“ durchführten.

Während der NS-Zeit wurde S-Lost in Deutschland bis 1942 in Munster sowie in Ammendorf bei Halle von der Firma ORGACID GmbH produziert, kam aber im Zweiten Weltkrieg nicht mehr zum Einsatz. Unter dem ehemaligen Ammendorfer Firmengelände an der heutigen Camillo-Irmscher-Straße liegen acht weitverzweigte grüngeflieste Zisternen, die aufgrund fehlender Baupläne nur schwer zu entgiften waren und nach der Wende hermetisch versiegelt wurden. Dennoch gelangten nach 1990 noch 30 Tonnen Giftstoffe durch das Grundwasser an die Oberfläche.

Nach 1945

155-mm-Senfgasgranaten in einem Lager der US-Streitkräfte in Colorado um 2009

Nach den beiden Weltkriegen wurde ein Großteil der verbliebenen deutschen Restbestände an Schwefellost in der Ostsee versenkt. Da das Lost aber allmählich aus den mittlerweile undichten Fässern austritt, ist es möglich, dass die Senfgasklumpen an den Küsten der Ostseeanrainer, insbesondere in Schweden, Polen und Deutschland, angeschwemmt werden. Diese Anschwemmungen gab es vermehrt in den 1960er und 1970er Jahren und weitere Anschwemmungen sind zukünftig nicht auszuschließen. Bei der Beschädigung, des sich durch Hydrolyse und im Lost enthaltenen Verdickungsmitteln gebildeten lederartigen Mantels, entfalten diese Anschwemmungen ihre volle Wirkung als Kampfstoff. Der nicht versenkte Teil wird seit einigen Jahren durch die Gesellschaft des Bundes für Kampfmittelbeseitigung (GEKA) in einer Delaborierungs- und Verbrennungsanlage in Munster entsorgt.

Herstellung von S-Lost

Ursprüngliche Verfahren

In Deutschland wurde S-Lost in beiden Weltkriegen durch ein von Victor Meyer entwickeltes Verfahren durch Umsetzung von Thiodiglycol mit trockenem Chlorwasserstoff bei 50 °C produziert.

Die Alliierten wählten im Ersten Weltkrieg als Synthese die elektrophile Addition von Schwefelchloriden an Ethen. Anfangs wurden Mischungen aus Dischwefeldichlorid und Schwefeldichlorid verwendet, wobei ein stark mit anderen Thioethern verunreinigtes Produkt entstand, welches man als Reinstoff ansah. Später wurde die Reaktion auch mit den Reinstoffen Dischwefeldichlorid (erste Synthese von S-Lost 1822 durch César-Mansuète Despretz) oder Schwefeldichlorid (1922 von William Jackson Pope eingeführt) ausgeführt.

Mustard gas synth 1.svg

Je nach Ausgangsstoff wird das Verfahren auch Levinstein-Prozess oder Depretz-Methode genannt. Bei der Reaktion mit Dischwefeldichlorid bildet sich Schwefel als Nebenprodukt, was als Zwischenreaktion von Dischwefeldichlorid zu Schwefeldichlorid angesehen wurde. Bei der Reaktion von reinem Schwefeldichlorid bildet sich ebenfalls Schwefel, da es gewöhnlich in Monochlorid und Schwefel gespalten ist und sich chemisch wie eine Lösung von Chlor in einem Schwefelmonochlorid- und Schwefeldichloridgemisch verhält. Das Rohprodukt (Prochlerit) ist jahrelang lagerfähig und enthält etwa 70 % S-Lost, geringe Mengen von Dithio-, Polythioethern (Levinsteinyperite) und weitere Verunreinigungen. Bei neueren Prozessverfahren entstehen etwa 92 % S-Lost.

Bei der großtechnischen Herstellung benutzte man größtenteils gusseiserne, mit Blei ausgekleidete Behälter mit eingebautem Rührwerk. Man füllte sie mit S2Cl2 und blies durch ein Rohr am Boden unter Rührung Ethen ein. Nach Beendigung der Reaktion ließ man das Dichlordiethylsulfid durch ein Absetzbecken laufen, um den entstandenen Schwefel zu entfernen. Eine weitere Konzentrierung fand nicht statt.

In den USA wurde S-Lost auch durch eine radikalische Addition von Schwefelwasserstoff an Vinylchlorid unter UV-Licht mit organischen Peroxiden als Katalysator hergestellt.

Modernes Verfahren

Durch die Umsetzung von Natriumhydrogensulfid mit Ethylenoxid entsteht als Zwischenprodukt Thiodiglycol. Dieses wird dann mit Thionylchlorid (SOCl2) in einem weiteren Reaktionsschritt zu Lost chloriert.

Mustard gas synth 2.svg

Schutzmaßnahmen

Wegen der hohen Hautgängigkeit und des verzögerten Wirkungseintritts kommt dem Schutz der Körperoberfläche besondere Bedeutung zu. Die Aufnahme durch die Haut erfolgt leicht und ohne auffällige Anzeichen wie Nässe- oder Kältegefühl. Das Opfer bemerkt in der Regel die Vergiftung nicht.

Schwefellost kann, sowohl flüssig als auch in der Gasphase, handelsübliche Textilien relativ schnell durchdringen; diese Fähigkeit, verbunden mit der langen Latenzzeit vor Wirkungseintritt, erhöht die von Schwefellost ausgehende Gefährdung stark. Die bei den meisten Streitkräften eingeführten gängigen Schutzmittel – Maske, Schutzhandschuhe, Überschuhe und Schutzanzug – bieten jedoch über einen Zeitraum von derzeit mindestens sechs Stunden sicheren Schutz vor der Einwirkung. Künftig ist z. B. für die Deutsche Bundeswehr ein sicherer Schutz über einen Zeitraum von mindestens 24 Stunden gefordert.

Für die Dekontamination können unter anderem Oxidationsmittel (z. B. Chlorkalk oder Calciumhypochlorit – letzteres im 1. und 2. Weltkrieg in den deutschen Streitkräften unter der Bezeichnung Losantin), alkalische Lösungen und nichtwässrige Medien, z. B. Aminoalkoholate, verwendet werden, da Lost zum einen empfindlich gegenüber Oxidationsmitteln ist und zum anderen die Hydrolyse einmal gelösten Losts sehr schnell verläuft.

Analytik

Die zuverlässige Bestimmung von Senfgas in Luftproben gelingt durch speziell ausgestattete Massenspektrometer.

Internationale Kontrollen

S-Lost wird als Chemikalie der Liste 1 im internationalen Abrüstungsvertrages CWÜ von der hierfür zuständigen UN-Behörde OPCW mit Sitz in Den Haag kontrolliert. Die Entwicklung oder der Besitz zu militärischen Zwecken ist verboten. In Deutschland muss jeder zivile Umgang mit S-Lost von dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) genehmigt und der OPCW gemeldet werden.