Moral

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Als Moral werden zumeist die faktischen Handlungsmuster, -konventionen, -regeln oder -prinzipien bestimmter Individuen, Gruppen oder Kulturen und somit die Gesamtheit der gegenwärtig geltenden Werte, Normen und Tugenden bezeichnet. Der Verstoß gegen Moralvorstellungen wird als Unmoral bezeichnet. Amoral benennt das Fehlen bzw. die bewusste Zurückweisung von Moralvorstellungen, bis hin zur Abwesenheit von moralischer Empfindung.

So verstanden sind die Ausdrücke Moral, Ethos oder Sitte weitgehend gleichbedeutend, und werden beschreibend (deskriptiv) gebraucht. Daneben wird mit der Rede von Moral auch ein Bereich von praktischen Wertvorgaben (Werte, Güter, Pflichten, Rechte), Handlungsprinzipien, oder allgemein anerkannter (gesellschaftlicher) Urteile verbunden. Eine so verstandene Unterscheidung von Moral und Unmoral ist nicht beschreibend, sondern normsetzend (normativ). Eine moralische Bewertung kann als bloßer Ausdruck subjektiver Zustimmung oder Ablehnung verstanden werden (vergleichbar mit Applaus oder Buhrufen), vor allem bei der Beurteilung von Handlungen, deren Maximen oder sonstige Prinzipien als moralisch gut oder moralisch schlecht gelten. Daher bedeutet Moral im engeren Sinn die subjektive Neigung, der Sitte oder Moral im weiteren Sinne, oder davon abweichenden, jedoch als richtig angesehenen eigenen ethischen Maximen, zu folgen. In diesem Sinne wird auch Engagement oder besondere Disziplin innerhalb einer Gruppe als „Moral“ bezeichnet; so ist zum Beispiel in der Arbeitswelt häufig von der „Arbeitsmoral“ eines bestimmten Mitarbeiters die Rede. Im Militärjargon wird die Courage von Streitkräften in gefährlichen Situationen „Moral“ genannt (Kampfmoral).

Positionen, die einen metaethischen Realismus vertreten, gehen davon aus, dass der moralische Wert einer Handlung, eines Weltzustands oder eines Gegenstandes nicht auf deren bzw. dessen subjektive Bewertung reduziert werden kann. So gibt es Moral auch in der spontanen Beurteilung von Handlungen („Moralische Intuition“). Die theoretische Ausarbeitung unterschiedlicher methodischer Vorgehensweisen und Kriterien moralischer Urteile und Gefühle sind Gegenstand der philosophischen Disziplin der Ethik.

Allegorie mit dem Porträt eines venezianischen Senators (Allegorie der Moral der irdischen Dinge), Tintoretto zugeschrieben, 1585

Moral (von lateinisch moralitas 'Art und Weise, Charakter, richtiges Verhalten') ist die Unterscheidung von Absichten, Entscheidungen und Handlungen in solche, die als richtig (richtig) und solche, die als falsch (falsch) gelten. Bei der Moral kann es sich um eine Reihe von Normen oder Grundsätzen handeln, die sich aus einem Verhaltenskodex einer bestimmten Philosophie, Religion oder Kultur ableiten, oder um eine Norm, die nach Ansicht einer Person universell sein sollte. Moral kann auch ein Synonym für "Güte" oder "Rechtschaffenheit" sein.

Die Moralphilosophie umfasst die Metaethik, die sich mit abstrakten Fragen wie der Moralontologie und der moralischen Erkenntnistheorie befasst, und die normative Ethik, die sich mit konkreteren Systemen der moralischen Entscheidungsfindung wie der deontologischen Ethik und dem Konsequentialismus beschäftigt. Ein Beispiel für die normative ethische Philosophie ist die Goldene Regel, die besagt: "Man sollte andere so behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte."

Unmoral ist der aktive Widerstand gegen die Moral (d. h. der Widerstand gegen das, was gut oder richtig ist), während Amoralität unterschiedlich definiert wird als Unkenntnis, Gleichgültigkeit oder Unglaube an bestimmte moralische Normen oder Grundsätze.

Ethik

Immanuel Kant führte den kategorischen Imperativ ein: "Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde."

Die Ethik (auch Moralphilosophie genannt) ist der Zweig der Philosophie, der sich mit Fragen der Moral befasst. Das Wort "Ethik" wird "üblicherweise austauschbar mit 'Moral' verwendet, und manchmal wird es im engeren Sinne verwendet, um die moralischen Grundsätze einer bestimmten Tradition, Gruppe oder Person zu bezeichnen." Auch bestimmte Arten von ethischen Theorien, insbesondere die deontologische Ethik, unterscheiden manchmal zwischen Ethik und Moral: "Obwohl die Moral der Menschen und ihre Ethik auf dasselbe hinauslaufen, gibt es einen Sprachgebrauch, der die Moral auf Systeme wie das von Immanuel Kant beschränkt, die auf Begriffen wie Pflicht, Verpflichtung und Verhaltensgrundsätzen beruhen, und die Ethik dem eher aristotelischen Ansatz des praktischen Denkens vorbehält, der auf dem Begriff der Tugend beruht und im Allgemeinen die Trennung von 'moralischen' Erwägungen von anderen praktischen Erwägungen vermeidet."

Für eine chinesische Diskussion von Ethik, Moral und Humanismus siehe Konfuzius, Laozi und Daode

Deskriptiver Moralbegriff

In deskriptiver Verwendung beschreibt „Moral“ eine Handlungsregelung, die für eine Gesellschaft, soziale Gruppe oder ein Individuum leitend ist oder „die in einer konkreten Gemeinschaft eingelebten oder von einer Person internalisierten Verhaltensregeln“. Dies wird je nach Theorieansatz unterschiedlich präzisiert, etwa als „Gesamtheit der sozial repräsentierten und im Persönlichkeitssystem der Individuen verankerten regelbezogenen Handlungsorientierungen und wechselseitigen Verhaltenserwartungen oder als eine näher bestimmte Teilklasse“ derselben. Luhmann definiert, „rein empirisch gemeint“: „Eine Kommunikation nimmt moralische Qualität an, wenn und soweit sie menschliche Achtung oder Missachtung zum Ausdruck bringt“. In diesem deskriptiven Sinne werden auch „moralisch“ oder „sittlich“ schlicht deskriptiv im Sinne von „zur Moral gehörig“, nicht normativ im Sinne von „moralisch gut“ gebraucht. „Moral“ bezeichnet dann etwa „ein Unternehmen der Gesellschaft“ zur „Lenkung des einzelnen und kleinerer Gruppen“. Derartigen deskriptiven Redeweisen entsprechen alltagssprachliche Formeln wie „herrschende Moral“, „bürgerliche Moral“ oder „sozialistische Moral“. Der Psychologe Jonathan Haidt hat folgende Definition vorgeschlagen: „Moralische Systeme sind ineinandergreifende Zusammenstellungen von Werten, Tugenden, Normen, Gebräuchen, Identitäten, Institutionen, Technologien und entwickelten psychischen Mechanismen, die zusammenwirken, um Selbstsucht zu unterdrücken oder zu regulieren und soziales Zusammenleben zu ermöglichen.“

Im normativen Sinne bezieht sich "Moral" auf das, was (wenn überhaupt) richtig oder falsch ist, was unabhängig von den Werten oder Sitten bestimmter Völker oder Kulturen sein kann. Die normative Ethik ist der Zweig der Philosophie, der sich mit der Moral in diesem Sinne befasst.

Realismus und Anti-Realismus

Die philosophischen Theorien über das Wesen und die Ursprünge der Moral (d. h. die Theorien der Meta-Ethik) lassen sich grob in zwei Klassen einteilen:

  • Der moralische Realismus ist die Klasse der Theorien, die davon ausgehen, dass es wahre moralische Aussagen gibt, die objektive moralische Tatsachen wiedergeben. Sie räumen zwar ein, dass die Kräfte der sozialen Konformität die "moralischen" Entscheidungen des Einzelnen erheblich beeinflussen, bestreiten aber, dass diese kulturellen Normen und Bräuche das moralisch richtige Verhalten definieren. Dies mag die philosophische Sichtweise sein, die von ethischen Naturalisten vertreten wird, doch nicht alle moralischen Realisten akzeptieren diese Position (z. B. ethische Nicht-Naturalisten).
  • Der moralische Antirealismus hingegen vertritt die Auffassung, dass moralische Aussagen entweder versagen oder gar nicht erst versuchen, über objektive moralische Tatsachen zu berichten. Stattdessen sind moralische Sätze entweder kategorisch falsche Behauptungen über objektive moralische Tatsachen (Fehlertheorie), Behauptungen über subjektive Einstellungen statt über objektive Tatsachen (ethischer Subjektivismus) oder sie versuchen gar nicht, die Welt zu beschreiben, sondern etwas anderes, wie den Ausdruck eines Gefühls oder die Erteilung eines Befehls (Nicht-Kognitivismus).

Einige Formen des Nonkognitivismus und des ethischen Subjektivismus gelten zwar als antirealistisch in dem hier verwendeten robusten Sinne, werden aber als realistisch in dem Sinne betrachtet, der mit moralischem Universalismus gleichzusetzen ist. So ist beispielsweise der universelle Präskriptivismus eine universalistische Form des Nonkognitivismus, die behauptet, dass die Moral aus dem Denken über implizite Imperative abgeleitet wird, und die Theorie des göttlichen Befehls und die Theorie des idealen Beobachters sind universalistische Formen des ethischen Subjektivismus, die behaupten, dass die Moral aus den Erlassen eines Gottes bzw. den hypothetischen Dekreten eines vollkommen rationalen Wesens abgeleitet wird.

Anthropologie

Moral mit praktischer Vernunft

Praktische Vernunft ist für moralisches Handeln notwendig, aber sie ist keine hinreichende Bedingung für moralisches Handeln. Probleme des realen Lebens, die einer Lösung bedürfen, erfordern sowohl Rationalität als auch Emotion, um ausreichend moralisch zu sein. Man nutzt die Rationalität als Weg zur endgültigen Entscheidung, aber das Umfeld und die Emotionen gegenüber dem Umfeld im Moment müssen ein Faktor sein, damit das Ergebnis wirklich moralisch ist, denn Moral ist kulturabhängig. Etwas kann nur dann moralisch akzeptabel sein, wenn die Kultur als Ganzes dies als wahr akzeptiert hat. Sowohl die praktische Vernunft als auch relevante emotionale Erwägungen werden als wichtig angesehen, damit eine Entscheidung moralisch ist.

Stammesbezogen und territorial

Celia Green unterscheidet zwischen Stammes- und Territorialmoral. Letztere charakterisiert sie als überwiegend negativ und proskriptiv: Sie definiert das Territorium einer Person, einschließlich ihres Eigentums und ihrer Angehörigen, das nicht beschädigt oder angetastet werden darf. Abgesehen von diesen Verboten ist die territoriale Moral permissiv, sie erlaubt dem Einzelnen jedes Verhalten, das das Territorium eines anderen nicht beeinträchtigt. Im Gegensatz dazu ist die Stammesmoral präskriptiv und schreibt dem Einzelnen die Normen des Kollektivs vor. Diese Normen sind willkürlich, kulturabhängig und "flexibel", während die territoriale Moral auf universelle und absolute Regeln abzielt, wie etwa Kants "kategorischer Imperativ" und Geislers abgestufter Absolutismus. Green bringt die Entwicklung der territorialen Moral mit dem Aufkommen des Konzepts des Privateigentums und der Vorherrschaft des Vertrags über den Status in Verbindung.

Gruppeninterne und gruppenfremde Moral

Einige Beobachter sind der Ansicht, dass Menschen je nach ihrer Zugehörigkeit zu einer "In-Group" (der Einzelne und diejenigen, die sie für die gleiche Gruppe halten) oder zu einer "Out-Group" (Menschen, die nicht nach den gleichen Regeln behandelt werden dürfen) unterschiedliche moralische Regeln anwenden. Einige Biologen, Anthropologen und Evolutionspsychologen sind der Ansicht, dass sich diese Unterscheidung zwischen "in-group" und "out-group" entwickelt hat, weil sie das Überleben der Gruppe fördert. Diese Annahme wurde durch einfache Computermodelle der Evolution bestätigt. In Simulationen kann diese Unterscheidung sowohl zu unerwarteter Kooperation gegenüber der In-Group als auch zu irrationaler Feindseligkeit gegenüber der Out-Group führen. Gary R. Johnson und V.S. Falger haben argumentiert, dass Nationalismus und Patriotismus Formen dieser In-Group/Out-Group-Grenze sind. Jonathan Haidt hat festgestellt, dass experimentelle Beobachtungen, die auf ein In-Group-Kriterium hindeuten, eine moralische Grundlage bieten, die von Konservativen in hohem Maße genutzt wird, von Liberalen jedoch weit weniger.

Die Bevorzugung einer Gruppe ist auch auf individueller Ebene für die Weitergabe der eigenen Gene hilfreich. So wird beispielsweise eine Mutter, die ihre eigenen Kinder mehr bevorzugt als die Kinder anderer Menschen, ihren Kindern mehr Ressourcen zur Verfügung stellen als den Kindern von Fremden, wodurch sich die Überlebenschancen ihrer Kinder und die Chancen ihres eigenen Gens auf Weitergabe erhöhen. Dadurch wird innerhalb einer Population ein erheblicher Selektionsdruck in Richtung dieser Art von Eigeninteresse ausgeübt, so dass schließlich alle Eltern ihre eigenen Kinder (die In-Group) gegenüber anderen Kindern (die Out-Group) bevorzugen.

Vergleich der Kulturen

Peterson und Seligman nähern sich der anthropologischen Sichtweise durch den Vergleich von Kulturen, geokulturellen Gebieten und Jahrtausenden. Sie kommen zu dem Schluss, dass sich bestimmte Tugenden in allen von ihnen untersuchten Kulturen durchgesetzt haben. Zu den wichtigsten Tugenden zählen sie Weisheit/Wissen, Mut, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Transzendenz. Jede dieser Tugenden umfasst mehrere Bereiche. Zur Menschlichkeit gehören beispielsweise Liebe, Freundlichkeit und soziale Intelligenz.

Andere wiederum gehen davon aus, dass Moral nicht immer absolut ist, und behaupten, dass sich moralische Fragen oft entlang kultureller Grenzen unterscheiden. Eine PEW-Forschungsstudie aus dem Jahr 2014, an der mehrere Länder beteiligt waren, zeigt erhebliche kulturelle Unterschiede bei Themen auf, die gemeinhin mit Moral in Verbindung gebracht werden, darunter Scheidung, außereheliche Affären, Homosexualität, Glücksspiel, Abtreibung, Alkoholkonsum, Verwendung von Verhütungsmitteln und vorehelicher Sex. Jedes der 40 Länder in dieser Studie weist eine Reihe von Prozentsätzen auf, die angeben, welcher Prozentsatz des jeweiligen Landes die gemeinsamen moralischen Fragen für akzeptabel, inakzeptabel oder überhaupt nicht moralisch hält. Jeder Prozentsatz bezüglich der Bedeutung einer moralischen Frage variiert stark je nach der Kultur, in der die moralische Frage gestellt wird.

Befürworter einer Theorie, die als moralischer Relativismus bekannt ist, vertreten die Auffassung, dass moralische Tugenden nur im Kontext eines bestimmten Standpunkts (z. B. einer Kulturgemeinschaft) richtig oder falsch sind. Mit anderen Worten: Was in einer Kultur moralisch akzeptabel ist, kann in einer anderen ein Tabu sein. Kritiker des moralischen Relativismus verweisen auf historische Gräueltaten wie Kindermord, Sklaverei oder Völkermord als Gegenargumente und weisen darauf hin, dass es schwierig ist, diese Handlungen einfach durch die kulturelle Brille zu betrachten.

Fons Trompenaars, Autor von Did the Pedestrian Die?, stellte Angehörige verschiedener Kulturen vor verschiedene moralische Dilemmas. Eines davon war die Frage, ob der Fahrer eines Autos seinen Freund, einen Mitfahrer im Auto, zum Lügen auffordern würde, um den Fahrer vor den Folgen eines zu schnellen Fahrens und eines Zusammenstoßes mit einem Fußgänger zu schützen. Trompenaars fand heraus, dass die Erwartungen in den verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich waren, von gar nicht bis hin zu eindeutig.

Entwicklung

Die Entwicklung der modernen Moral ist ein Prozess, der eng mit der soziokulturellen Evolution verbunden ist. Einige Evolutionsbiologen, insbesondere Soziobiologen, glauben, dass Moral ein Produkt evolutionärer Kräfte ist, die auf individueller Ebene und auch auf Gruppenebene durch Gruppenselektion wirken (inwieweit dies tatsächlich geschieht, ist in der Evolutionstheorie umstritten). Einige Soziobiologen sind der Ansicht, dass sich die Verhaltensweisen, die die Moral ausmachen, vor allem deshalb entwickelt haben, weil sie einen möglichen Überlebens- oder Fortpflanzungsvorteil (d. h. einen größeren evolutionären Erfolg) bieten. Als Reaktion auf diese moralischen Verhaltensweisen entwickelten die Menschen folglich "prosoziale" Emotionen wie Empathie oder Schuldgefühle.

Nach diesem Verständnis sind Moralvorstellungen eine Reihe sich selbst erhaltender und biologisch bedingter Verhaltensweisen, die die menschliche Zusammenarbeit fördern. Biologen behaupten, dass alle sozialen Tiere, von der Ameise bis zum Elefanten, ihre Verhaltensweisen modifiziert haben, indem sie ihren unmittelbaren Egoismus einschränkten, um ihre evolutionäre Fitness zu verbessern. Obwohl die menschliche Moral im Vergleich zur Moral anderer Tiere hoch entwickelt und komplex ist, handelt es sich im Wesentlichen um ein natürliches Phänomen, das sich entwickelt hat, um übermäßigen Individualismus einzuschränken, der den Zusammenhalt einer Gruppe untergraben und dadurch die Fitness der Individuen verringern könnte.

Nach dieser Auffassung beruhen Moralvorstellungen letztlich auf emotionalen Instinkten und Intuitionen, die in der Vergangenheit ausgewählt wurden, weil sie das Überleben und die Fortpflanzung fördern (inklusive Fitness). Beispiele: Die mütterliche Bindung ist erwünscht, weil sie das Überleben der Nachkommen verbessert; der Westermarck-Effekt, der besagt, dass Nähe in den ersten Lebensjahren die gegenseitige sexuelle Anziehung verringert, ist die Grundlage für Tabus gegen Inzest, weil er die Wahrscheinlichkeit genetisch riskanten Verhaltens wie Inzucht verringert.

Das Phänomen der Reziprozität in der Natur wird von Evolutionsbiologen als eine Möglichkeit angesehen, die menschliche Moral zu verstehen. Ihre Funktion besteht in der Regel darin, eine zuverlässige Versorgung mit lebenswichtigen Ressourcen zu gewährleisten, insbesondere für Tiere, die in einem Lebensraum leben, in dem die Menge oder Qualität der Nahrung unvorhersehbar schwankt. So gibt es beispielsweise Vampirfledermäuse, die in manchen Nächten keine Beute finden, während es anderen gelingt, einen Überschuss zu verzehren. Fledermäuse, die gefressen haben, würgen dann einen Teil ihrer Blutmahlzeit wieder aus, um einen Artgenossen vor dem Verhungern zu retten. Da diese Tiere über viele Jahre hinweg in engen Gruppen leben, kann ein Individuum darauf zählen, dass sich die anderen Gruppenmitglieder in Nächten, in denen es Hunger hat, revanchieren (Wilkinson, 1984).

Marc Bekoff und Jessica Pierce (2009) haben argumentiert, dass Moral eine Reihe von Verhaltensfähigkeiten ist, die wahrscheinlich von allen Säugetieren geteilt werden, die in komplexen sozialen Gruppen leben (z. B. Wölfe, Kojoten, Elefanten, Delphine, Ratten, Schimpansen). Sie definieren Moral als "eine Reihe miteinander verbundener, auf andere bezogener Verhaltensweisen, die komplexe Interaktionen innerhalb sozialer Gruppen kultivieren und regulieren". Zu dieser Reihe von Verhaltensweisen gehören Empathie, Gegenseitigkeit, Altruismus, Kooperation und ein Sinn für Fairness. In verwandten Arbeiten wurde überzeugend nachgewiesen, dass Schimpansen in einer Vielzahl von Kontexten Empathie füreinander zeigen. Sie besitzen auch die Fähigkeit zur Täuschung und ein Maß an sozialer Politik, das unseren eigenen Tendenzen zu Klatsch und Reputationsmanagement ähnelt.

Christopher Boehm (1982) hat die Hypothese aufgestellt, dass die schrittweise Entwicklung der moralischen Komplexität während der Evolution der Hominiden auf die zunehmende Notwendigkeit zurückzuführen ist, Streitigkeiten und Verletzungen zu vermeiden, als sie in die offene Savanne zogen und Steinwaffen entwickelten. Andere Theorien besagen, dass die zunehmende Komplexität einfach ein Korrelat der zunehmenden Gruppengröße und Gehirngröße und insbesondere der Entwicklung von Fähigkeiten zur Theorie des Geistes war.

Psychologie

Kohlbergs Modell der moralischen Entwicklung

In der modernen Moralpsychologie wird davon ausgegangen, dass sich die Moral durch die persönliche Entwicklung verändert. Mehrere Psychologen haben Theorien über die Entwicklung der Moral aufgestellt, wobei sie in der Regel verschiedene Stufen der Moral durchlaufen. Lawrence Kohlberg, Jean Piaget und Elliot Turiel haben kognitiv-entwicklungspsychologische Ansätze zur Moralentwicklung entwickelt; für diese Theoretiker bildet sich die Moral in einer Reihe konstruktiver Stufen oder Bereiche heraus. Nach dem von Carol Gilligan vertretenen Ansatz der Ethik der Fürsorge findet die moralische Entwicklung im Kontext fürsorglicher, auf gegenseitiger Abhängigkeit beruhender Beziehungen statt, insbesondere in der Elternschaft, aber auch in sozialen Beziehungen im Allgemeinen. Sozialpsychologen wie Martin Hoffman und Jonathan Haidt betonen die soziale und emotionale Entwicklung auf der Grundlage der Biologie, z. B. der Empathie. Theoretiker der moralischen Identität wie William Damon und Mordechai Nisan gehen davon aus, dass moralisches Engagement aus der Entwicklung einer Selbstidentität erwächst, die durch moralische Ziele definiert ist: Diese moralische Selbstidentität führt zu einem Gefühl der Verantwortung, diese Ziele zu verfolgen. Von historischem Interesse in der Psychologie sind die Theorien von Psychoanalytikern wie Sigmund Freud, die glauben, dass die moralische Entwicklung das Produkt von Aspekten des Über-Ichs wie der Vermeidung von Schuld und Scham ist.

Als Alternative zur Betrachtung der Moral als individuelle Eigenschaft haben sich einige Soziologen sowie Sozial- und Diskurspsychologen der Untersuchung der In-vivo-Aspekte der Moral angenommen, indem sie das Verhalten von Personen in sozialen Interaktionen untersuchten.

Moralische Kognition

Moralische Kognition bezieht sich auf kognitive Prozesse, die bei der moralischen Beurteilung und Entscheidungsfindung sowie beim moralischen Handeln eine Rolle spielen. Sie besteht aus mehreren bereichsübergreifenden kognitiven Prozessen, die von der Wahrnehmung eines moralisch bedeutsamen Reizes bis hin zur Argumentation in einem moralischen Dilemma reichen. Es ist zwar wichtig zu erwähnen, dass es keine einzelne kognitive Fakultät gibt, die sich ausschließlich mit moralischer Kognition befasst, aber die Charakterisierung der Beiträge bereichsübergreifender Prozesse zum moralischen Verhalten ist ein wichtiges wissenschaftliches Unterfangen, um zu verstehen, wie Moral funktioniert und wie sie verbessert werden kann.

Kognitionspsychologen und Neurowissenschaftler untersuchen in kontrollierten Experimenten den Input für diese kognitiven Prozesse und ihre Wechselwirkungen sowie deren Beitrag zum moralischen Verhalten. In diesen Experimenten werden vermeintlich moralische und nicht-moralische Reize miteinander verglichen, wobei andere Variablen wie der Inhalt oder die Belastung des Arbeitsgedächtnisses berücksichtigt werden. Häufig wird die unterschiedliche neuronale Reaktion auf spezifisch moralische Aussagen oder Szenen mit Hilfe funktioneller Neuroimaging-Experimente untersucht.

Die spezifischen kognitiven Prozesse, die daran beteiligt sind, hängen von der prototypischen Situation ab, der eine Person begegnet. Während beispielsweise Situationen, die eine aktive Entscheidung in einem moralischen Dilemma erfordern, ein aktives Denken voraussetzen, kann eine unmittelbare Reaktion auf eine schockierende moralische Verletzung schnelle, affektgeladene Prozesse beinhalten. Bestimmte kognitive Fähigkeiten wie die Fähigkeit, sich selbst und anderen mentale Zustände - Überzeugungen, Absichten, Wünsche und Emotionen - zuzuschreiben, sind jedoch ein gemeinsames Merkmal einer Vielzahl prototypischer Situationen. Im Einklang damit fand eine Meta-Analyse Überschneidungen zwischen moralischen Emotionen und moralischem Denken, was auf ein gemeinsames neuronales Netzwerk für beide Aufgaben hindeutet. Die Ergebnisse dieser Meta-Analyse zeigten jedoch auch, dass die Verarbeitung von moralischem Input durch die Anforderungen der Aufgabe beeinflusst wird.

Was die Frage der Moral in Videospielen anbelangt, so sind einige Wissenschaftler der Ansicht, dass die Spieler, die in Videospielen als Schauspieler auftreten, eine Distanz zwischen ihrem Selbstverständnis und der Rolle des Spiels in Bezug auf ihre Vorstellungskraft wahren. Daher spiegeln die Entscheidungsfindung und das moralische Verhalten der Spieler im Spiel nicht die Moralvorstellungen des Spielers wider.

Kürzlich wurde festgestellt, dass moralische Urteile aus der gleichzeitigen Bewertung dreier verschiedener Komponenten bestehen, die mit den Grundsätzen der drei vorherrschenden Moraltheorien (Tugendethik, Deontologie und Konsequentialismus) übereinstimmen: der Charakter einer Person (Akteur-Komponente, A), ihre Handlungen (Tat-Komponente, D) und die Konsequenzen, die die Situation mit sich bringt (Konsequenz-Komponente, C). Dies bedeutet, dass verschiedene Faktoren der Situation, der eine Person begegnet, die moralische Wahrnehmung beeinflussen.

Neurowissenschaft

Die Gehirnareale, die durchweg beteiligt sind, wenn Menschen über moralische Fragen nachdenken, wurden in mehreren quantitativen, groß angelegten Meta-Analysen der in der moralischen neurowissenschaftlichen Literatur berichteten Veränderungen der Gehirnaktivität untersucht. Das neuronale Netzwerk, das moralischen Entscheidungen zugrunde liegt, überschneidet sich mit dem Netzwerk, das die Absichten anderer repräsentiert (d. h. die Theorie des Geistes), und dem Netzwerk, das die (stellvertretend erlebten) emotionalen Zustände anderer repräsentiert (d. h. die Empathie). Dies unterstützt die Vorstellung, dass moralisches Denken sowohl mit der Sichtweise anderer Personen als auch mit dem Erfassen der Gefühle anderer zusammenhängt. Diese Ergebnisse belegen, dass das neuronale Netzwerk, das moralischen Entscheidungen zugrunde liegt, wahrscheinlich bereichsübergreifend ist (d. h., es gibt möglicherweise kein "moralisches Modul" im menschlichen Gehirn) und sich in kognitive und affektive Teilsysteme aufteilen lässt.

Gehirnbereiche

Eine wesentliche, gemeinsame Komponente des moralischen Urteils beinhaltet die Fähigkeit, moralisch bedeutsame Inhalte in einem bestimmten sozialen Kontext zu erkennen. Jüngste Forschungen haben ergeben, dass das Salienznetzwerk an dieser ersten Erkennung moralischer Inhalte beteiligt ist. Das Salienznetzwerk reagiert auf verhaltensrelevante Ereignisse und ist möglicherweise entscheidend für die Modulation nachgelagerter Standard- und frontaler Kontrollnetzwerkinteraktionen im Dienste komplexer moralischer Argumentations- und Entscheidungsprozesse.

Das explizite Fällen von moralisch richtigen und falschen Urteilen geht mit einer Aktivierung des ventromedialen präfrontalen Kortex (VMPC) einher, während intuitive Reaktionen auf Situationen, die implizite moralische Fragen enthalten, den temporoparietalen Übergangsbereich aktivieren.

Die Stimulation des VMPC durch transkranielle Magnetstimulation hemmt nachweislich die Fähigkeit menschlicher Versuchspersonen, bei der Bildung eines moralischen Urteils die Absicht zu berücksichtigen. Laut dieser Untersuchung beeinträchtigte die TMS die Fähigkeit der Teilnehmer, moralische Urteile zu fällen, nicht. Im Gegenteil: Moralische Urteile über absichtliche Schädigungen und Nicht-Schädigungen wurden weder durch TMS an der RTPJ noch an der Kontrollstelle beeinträchtigt. Warum also wurden moralische Urteile über absichtliche Schädigungen nicht durch TMS an der RTPJ beeinflusst? Eine Möglichkeit ist, dass moralische Urteile typischerweise eine gewichtete Funktion aller moralisch relevanten Informationen widerspiegeln, die zu diesem Zeitpunkt verfügbar sind. Wenn also Informationen über die Überzeugung des Handelnden nicht verfügbar sind oder sich verschlechtern, spiegelt das resultierende moralische Urteil einfach eine höhere Gewichtung anderer moralisch relevanter Faktoren (z. B. des Ergebnisses). Alternativ könnten moralische Urteile nach einer TMS am RTPJ über einen abnormalen Verarbeitungsweg erfolgen, bei dem die Überzeugung nicht berücksichtigt wird. In beiden Fällen werden moralische Urteile auf andere moralisch relevante Faktoren (z. B. das Ergebnis) verlagert, wenn die Informationen über den Glauben beeinträchtigt oder nicht verfügbar sind. Bei absichtlichen Schädigungen und Nichtschädigungen legt das Ergebnis jedoch die gleiche moralische Beurteilung nahe wie die Absicht. Die Forscher vermuten daher, dass die TMS am RTPJ die Verarbeitung negativer Überzeugungen sowohl bei vorsätzlichen Schädigungen als auch bei versuchten Schädigungen unterbricht, aber das aktuelle Design ermöglichte es den Forschern, diesen Effekt nur bei versuchten Schädigungen nachzuweisen, bei denen die neutralen Ergebnisse für sich genommen keine strengen moralischen Urteile zuließen.

In ähnlicher Weise beurteilen VMPC-geschädigte Personen eine Handlung ausschließlich nach ihrem Ergebnis und sind nicht in der Lage, die Absicht dieser Handlung zu berücksichtigen.

Die Überwindung der Orientierung moralischer Urteile an den jeweils herrschenden Konventionen oder durch positives Recht gesetzten Normen einerseits, an rein subjektiven Gewissensentscheidungen andererseits strebt die postkonventionelle Moral an, die moralische Urteile insbesondere im Fall ethischer Dilemmata auf rationale Diskurse gründen will.

Spiegelneuronen

Spiegelneuronen sind Neuronen im Gehirn, die feuern, wenn eine andere Person bei einer bestimmten Handlung beobachtet wird. Die Neuronen feuern in Nachahmung der beobachteten Handlung und bewirken, dass beim Beobachter dieselben Muskeln minutiös arbeiten wie bei der Person, die die Handlung tatsächlich ausführt. Die Forschungen zu den Spiegelneuronen seit ihrer Entdeckung im Jahr 1996 deuten darauf hin, dass sie nicht nur beim Verstehen von Handlungen eine Rolle spielen, sondern auch beim Teilen von Gefühlen und Empathie. Der kognitive Neurowissenschaftler Jean Decety ist der Ansicht, dass die Fähigkeit, zu erkennen und stellvertretend mitzuerleben, was eine andere Person durchmacht, ein entscheidender Schritt in der Entwicklung des Sozialverhaltens und letztlich der Moral war. Die Unfähigkeit, Empathie zu empfinden, ist eines der charakteristischen Merkmale der Psychopathie, was Decetys Ansicht zu untermauern scheint.

Genetik

Moralische Intuitionen können genetische Grundlagen haben. Eine Studie aus dem Jahr 2022, die von den Wissenschaftlern Michael Zakharin und Timothy C. Bates durchgeführt und im European Journal of Personality veröffentlicht wurde, kam zu dem Ergebnis, dass moralische Intuitionen eine bedeutende genetische Grundlage haben. Eine andere Studie von Smith und Hatemi fand ebenfalls signifikante Beweise für die Vererbbarkeit von Moral, indem sie die Antworten auf moralische Dilemmas zwischen Zwillingen untersuchten und verglichen.

Politik

Wenn Moral die Antwort auf die Frage ist, wie wir auf individueller Ebene leben sollen, kann Politik als Antwort auf dieselbe Frage auf sozialer Ebene gesehen werden, auch wenn die politische Sphäre zusätzliche Probleme und Herausforderungen mit sich bringt. Es ist daher nicht überraschend, dass ein Zusammenhang zwischen moralischen und politischen Einstellungen nachgewiesen wurde. Die von Jonathan Haidt und Kollegen entwickelte Theorie der moralischen Grundlagen wurde verwendet, um die Unterschiede zwischen Liberalen und Konservativen in dieser Hinsicht zu untersuchen. Haidt fand heraus, dass Amerikaner, die sich als Liberale identifizierten, dazu neigten, Fürsorge und Fairness höher zu bewerten als Loyalität, Respekt und Reinheit. Konservative Amerikaner, die sich selbst als konservativ bezeichneten, schätzten Fürsorge und Fairness weniger und die übrigen drei Werte mehr. Beide Gruppen gaben der Fürsorge die höchste Gesamtgewichtung, aber die Konservativen schätzten Fairness am geringsten, während die Liberalen Reinheit am niedrigsten bewerteten. Haidt stellt außerdem die Hypothese auf, dass der Ursprung dieser Spaltung in den Vereinigten Staaten auf geo-historische Faktoren zurückgeführt werden kann, wobei der Konservatismus in eng verbundenen, ethnisch homogenen Gemeinden am stärksten ist, im Gegensatz zu Hafenstädten, in denen die kulturelle Mischung größer ist und daher mehr Liberalismus erfordert.

Die Gruppenmoral entwickelt sich aus gemeinsamen Konzepten und Überzeugungen und wird häufig kodifiziert, um das Verhalten innerhalb einer Kultur oder Gemeinschaft zu regeln. Verschiedene definierte Handlungen werden als moralisch oder unmoralisch bezeichnet. Individuen, die sich für moralisches Handeln entscheiden, gelten im Volksmund als "moralisch gefestigt", während diejenigen, die sich unmoralisch verhalten, als sozial degeneriert bezeichnet werden können. Der Fortbestand einer Gruppe kann von einer weit verbreiteten Konformität mit den Moralvorstellungen abhängen; die Unfähigkeit, die Moralvorstellungen an neue Herausforderungen anzupassen, wird manchmal mit dem Untergang einer Gemeinschaft in Verbindung gebracht (ein positives Beispiel wäre die Funktion der Zisterzienserreform bei der Wiederbelebung des Mönchtums; ein negatives Beispiel wäre die Rolle der Kaiserinwitwe bei der Unterwerfung Chinas unter europäische Interessen). In nationalistischen Bewegungen gibt es eine gewisse Tendenz zu der Auffassung, dass eine Nation nicht überleben oder gedeihen kann, wenn sie nicht eine gemeinsame Moral anerkennt, unabhängig von deren Inhalt.

Politische Moral ist auch für das internationale Verhalten nationaler Regierungen und für die Unterstützung, die sie von der Bevölkerung ihres Gastlandes erhalten, von Bedeutung. Das Sentience Institute, das von Jacy Reese Anthis mitbegründet wurde, analysiert die Entwicklung des moralischen Fortschritts in der Gesellschaft anhand des Rahmens eines sich ausweitenden moralischen Kreises. Noam Chomsky erklärt, dass

... wenn wir das Prinzip der Universalität annehmen: Wenn eine Handlung für andere richtig (oder falsch) ist, ist sie auch für uns richtig (oder falsch). Diejenigen, die sich nicht auf die minimale moralische Ebene begeben und an sich selbst die Maßstäbe anlegen, die sie an andere anlegen - und zwar noch strengere -, können schlichtweg nicht ernst genommen werden, wenn sie von der Angemessenheit einer Reaktion oder von richtig und falsch, gut und böse sprechen. In der Tat ist eines der, vielleicht das elementarste, moralische Prinzip das der Universalität, das heißt: Was für mich richtig ist, ist auch für dich richtig; was für dich falsch ist, ist auch für mich falsch. Jeder Moralkodex, der es wert ist, auch nur in Betracht gezogen zu werden, hat dies in seinem Kern.

Religion

Religion und Moral sind keine Synonyme. Die Moral hängt nicht von der Religion ab, obwohl dies für manche "eine fast automatische Annahme" ist. Nach dem Westminster Dictionary of Christian Ethics sind Religion und Moral "unterschiedlich zu definieren und haben keine definitorische Verbindung zueinander. Konzeptionell und prinzipiell sind Moral und ein religiöses Wertesystem zwei verschiedene Arten von Wertesystemen oder Handlungsanleitungen."

Positionen

Innerhalb des breiten Spektrums moralischer Traditionen koexistieren religiöse Wertesysteme mit zeitgenössischen säkularen Rahmenkonzepten wie Konsequentialismus, Freidenkertum, Humanismus, Utilitarismus und anderen. Es gibt viele Arten von religiösen Wertesystemen. Moderne monotheistische Religionen wie der Islam, das Judentum, das Christentum und bis zu einem gewissen Grad auch andere Religionen wie der Sikhismus und der Zoroastrismus definieren Recht und Unrecht durch die Gesetze und Regeln, die in ihren jeweiligen Schriften niedergelegt sind und von den religiösen Führern innerhalb des jeweiligen Glaubens interpretiert werden. Andere Religionen, die von pantheistisch bis nicht-theistisch reichen, neigen dazu, weniger absolut zu sein. Im Buddhismus beispielsweise sollten die Absicht des Einzelnen und die Umstände in Form von Verdienst berücksichtigt werden, um festzustellen, ob eine Handlung als richtig oder falsch bezeichnet wird. Auf eine weitere Diskrepanz zwischen den Werten religiöser Traditionen weist Barbara Stoler Miller hin, die feststellt, dass im Hinduismus "Recht und Unrecht praktisch nach den Kategorien des sozialen Ranges, der Verwandtschaft und der Lebensabschnitte entschieden werden. Für den modernen westlichen Menschen, der mit den Idealen der Universalität und der Gleichheit aufgewachsen ist, ist diese Relativität der Werte und Pflichten der Aspekt des Hinduismus, der am schwierigsten zu verstehen ist".

Religionen bieten unterschiedliche Möglichkeiten, mit moralischen Dilemmata umzugehen. So gibt es beispielsweise im Hinduismus kein absolutes Tötungsverbot, der Hinduismus erkennt an, dass das Töten unter bestimmten Umständen "unvermeidlich und sogar notwendig" sein kann. In monotheistischen Traditionen werden bestimmte Handlungen, wie Abtreibung oder Scheidung, als absolut angesehen. Religion wird nicht immer positiv mit Moral in Verbindung gebracht. Der Philosoph David Hume stellte fest, dass "die größten Verbrechen in vielen Fällen mit einer abergläubischen Frömmigkeit und Hingabe vereinbar sind; daher wird es zu Recht als unsicher angesehen, von der Inbrunst oder Strenge der religiösen Übungen eines Menschen auf seine Moral zu schließen, auch wenn er selbst glaubt, dass sie aufrichtig sind."

Religiöse Wertesysteme können auch dazu dienen, Handlungen zu rechtfertigen, die der heutigen Moral zuwiderlaufen, wie Massaker, Frauenfeindlichkeit und Sklaverei. So stellt Simon Blackburn fest, dass "Apologeten des Hinduismus dessen Verstrickung in das Kastensystem verteidigen oder wegerklären, und Apologeten des Islam verteidigen oder wegerklären dessen hartes Strafgesetzbuch oder dessen Haltung gegenüber Frauen und Ungläubigen". In Bezug auf das Christentum stellt er fest, dass die "Bibel so gelesen werden kann, dass sie uns einen Freibrief für eine harte Haltung gegenüber Kindern, geistig Behinderten, Tieren, der Umwelt, Geschiedenen, Ungläubigen, Menschen mit verschiedenen sexuellen Gewohnheiten und älteren Frauen gibt", und verweist auf moralisch fragwürdige Themen auch im Neuen Testament der Bibel. Elizabeth Anderson vertritt ebenfalls die Ansicht, dass "die Bibel sowohl gute als auch böse Lehren enthält" und dass sie "moralisch widersprüchlich" ist. Christliche Apologeten gehen auf Blackburns Standpunkte ein und interpretieren, dass die jüdischen Gesetze in der hebräischen Bibel die Entwicklung der moralischen Normen hin zum Schutz der Schwachen, zur Verhängung der Todesstrafe für Sklavenhalter und zur Behandlung von Sklaven als Personen und nicht als Eigentum zeigen. Humanisten wie Paul Kurtz sind der Meinung, dass wir in allen Kulturen moralische Werte erkennen können, auch wenn wir uns nicht auf ein übernatürliches oder universalistisches Verständnis von Prinzipien berufen - Werte wie Integrität, Vertrauenswürdigkeit, Wohlwollen und Fairness. Diese Werte können Ressourcen sein, um eine gemeinsame Basis zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen zu finden.

Empirische Analysen

Es wurden mehrere Studien zur Empirie der Moral in verschiedenen Ländern durchgeführt, und die Beziehung zwischen Glauben und Kriminalität ist insgesamt unklar. Eine 2001 durchgeführte Überprüfung von Studien zu diesem Thema kam zu dem Schluss: "Die vorhandenen Beweise für die Auswirkungen von Religion auf Kriminalität sind vielfältig, umstritten und nicht schlüssig, und derzeit gibt es keine überzeugende Antwort auf die empirische Beziehung zwischen Religion und Kriminalität." Phil Zuckerman stellt in seinem 2008 erschienenen Buch Society without God (Gesellschaft ohne Gott), das auf Studien basiert, die er 2005-2006 während 14 Monaten in Skandinavien durchgeführt hat, fest, dass Dänemark und Schweden, "die wahrscheinlich die am wenigsten religiösen Länder der Welt und möglicherweise der Weltgeschichte sind", "mit die niedrigsten Gewaltverbrechensraten der Welt [und] die niedrigsten Korruptionsraten der Welt" aufweisen.

Seit dem zwanzigsten Jahrhundert sind Dutzende von Studien zu diesem Thema durchgeführt worden. In einer Studie von Gregory S. Paul aus dem Jahr 2005, die im Journal of Religion and Society veröffentlicht wurde, heißt es: "Im Allgemeinen korrelieren höhere Raten des Glaubens an einen Schöpfer und dessen Verehrung mit höheren Raten von Tötungsdelikten, Jugend- und früher Erwachsenensterblichkeit, sexuell übertragbaren Krankheiten, Teenagerschwangerschaften und Abtreibungen in den wohlhabenden Demokratien", und "In allen säkularen Entwicklungsdemokratien sind die Tötungsdelikte in einem jahrhundertelangen Trend auf einen historischen Tiefstand gesunken", wobei die Vereinigten Staaten (mit einem hohen Religiositätsniveau) und das "theistische" Portugal eine Ausnahme bilden. In einer Antwort baut Gary Jensen auf Pauls Studie auf und verfeinert sie. Er kommt zu dem Schluss, dass zwischen Religiosität und Tötungsdelikten eine "komplexe Beziehung" besteht, "wobei einige Dimensionen der Religiosität Tötungsdelikte begünstigen und andere Dimensionen davon abhalten". Im April 2012 wurden in der Fachzeitschrift Social Psychological and Personality Science die Ergebnisse einer Studie veröffentlicht, in der das prosoziale Empfinden der Probanden getestet wurde. Religiöse Menschen wurden weniger durch ihr Mitgefühl motiviert, wohltätig zu sein, als durch ein inneres Gefühl der moralischen Verpflichtung.

Wissenschaften der Moral

Moral ist Gegenstand diverser Wissenschaften:

  • Ethik ist eine Disziplin der Philosophie, die moralische Prinzipien, Werte, Tugenden, Geltungsansprüche, Forderungen, Begründungen etc. untersucht und oft auch formuliert und begründet.
  • Metaethik untersucht die metaphysischen, erkenntnistheoretischen, semantischen und psychologischen Voraussetzungen und Implikationen moralischen Denkens, Sprechens und Handelns.
  • Moraltheologie und Theologische Ethik betrachten die Beziehungen zwischen Moral und Religion.
  • Moralpsychologie untersucht, welche moralischen Meinungen, Handlungsweisen und Emotionen Individuen zeigen; Motivationspsychologie versucht, die Neigungen dazu zu erklären.
  • Moral im Kontext sozialer Einheiten oder Organisationen ist einer der Gegenstände der Gesellschaftswissenschaften.
  • Auch Politikwissenschaft oder Ökonomie können normativ verstanden werden und so moralische Wissenschaften sein, die Handlungen intrinsischen Wert beimessen.

Moral als Aspekt der menschlichen Natur

Als soziales Wesen erfährt der Mensch von Geburt an im Normalfall Liebe, die Bereitschaft zum Verzicht und zur Fürsorge. Ohne diese Eigenschaften wäre ein dauerhaftes Zusammenleben in Gemeinschaften nicht möglich. Sie haben sich im Laufe der Evolution entwickelt und die Veranlagung dazu liegt demnach in den Genen. Der Biologe Hans Mohr drückt es folgendermaßen aus: „Wir brauchen moralisches Verhalten nicht zu lernen – es ist eine angeborene Disposition, die uns befähigt, das moralisch Richtige zu treffen.“ Die konkreten Moralvorstellungen eines Menschen sind jedoch kulturell überprägt: Sie äußern sich etwa in der „goldenen Regel“, in religiösen Handlungsvorschriften (etwa die Zehn Gebote im Judentum und Christentum, die Fünf Silas im Buddhismus oder die Traumzeit-Mythologie der australischen Aborigines) oder in den Rechtsnormen der modernen Staaten. Trotz der moralischen Veranlagung können Erziehung und ideologische Manipulation selbst destruktive Verhaltensweisen zum angeblich „Guten“ erheben, die den eingangs genannten Eigenschaften komplett widersprechen.

Moral und Recht

Es ist eine der Grundfragen der Rechtsphilosophie, in welchem Verhältnis Recht und Moral zueinander stehen. In vielerlei Hinsicht stimmen Moral und Recht (z. B. das Tötungsverbot) überein. Die Frage, wie es z. B. um moralisch verwerfliche Gesetze steht, wurde seit der Antike (siehe Naturrecht) und in der jüngeren Geschichte besonders intensiv in der deutschen Nachkriegszeit diskutiert. Nennenswert sind hierbei insbesondere die Radbruchsche Formel zum Verhältnis von Recht und Ungerechtigkeit, die Gehorsamsverweigerung und die Frage, ob Deserteure amnestiert werden sollten (siehe Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege).

Begründung von Moral

Die Ethik sieht es als eine zentrale Aufgabe, Moral begründen und damit auf eine wissenschaftliche Grundlage stellen zu können. Damit könnten in der Vorstellung der Philosophen fehlerhafte oder schlechte Moralvorstellungen zugunsten wünschenswerter Moralbegriffe abgewehrt werden. Lange galt der Kategorische Imperativ von Immanuel Kant als Standardbegründung von Moral und gleichzeitig als Grundlage der deontologischen Ethik.

Arthur Schopenhauer kritisiert diesen Begründungsversuch als realitätsfern. Als eine der ersten kritischen Abhandlungen zur Begründung der Moral gilt daher seine Preisschrift „Über die Grundlage der Moral“, die er 1840 im Auftrag der Königlich Norwegischen Societät der Wissenschaften anfertigte. Einen Preis gewann Schopenhauer damit nicht, denn die Grundlage der Moral schien mit dieser Schrift ferner denn je. Am Ende hält Schopenhauer die Suche nach einer Moralbegründung für unzulässig: „Wer sagt euch, daß es Gesetze giebt, denen unser Handeln sich unterwerfen soll?“. Auch Friedrich Nietzsche zweifelt an der Existenz einer Moralbegründung und schlägt stattdessen eine Rangordnung vor: „Die einmal angenommene Rangordnung der Güter, je nachdem ein niedriger, höherer, höchster Egoismus das eine oder das andere will, entscheidet jetzt über das Moralisch-sein oder Unmoralisch-sein“. Matthias Wühle kritisiert moderne Moralbegründungen als assoziativ und verwendet dafür das Beispiel des Aachener Friedenspreises, der 2013 an Schulen verliehen wurde, die sich gegen Unterrichtsbesuche der Bundeswehr aussprachen. Die Rechtfertigung dieses moralischen Urteils läge dabei ausschließlich in der Assoziation Bundeswehr – Krieg – Schule begründet, so Wühle.

Hypermoral

In seinem 1969 veröffentlichten Werk Moral und Hypermoral hat der Philosoph Arnold Gehlen eine pluralistische Ethik entworfen und zeitkritisch Tendenzen der Gesellschaft beschrieben, die er als hypermoralisch bezeichnet. Er kritisierte, dass Hypermoral sich ungebührlich an Privatem und Innerlichem (im Extremfall: an Gedankenverbrechen) festbeiße, während Missstände gleichzeitig vernachlässigt werden, die auch außerhalb des Persönlichen und Gedanklichen existieren, wo ihnen gesellschaftliche Institutionen wie Politik oder Rechtssystem entgegenwirken könnten. Odo Marquard hat Gehlens Gedanken 1986 in seinem Aufsatz Entlastungen weitergeführt und schrieb von „Übertribunalisierung“.

Im politischen Diskurs der Gegenwart wird über „Hypermoral“ erneut nachgedacht, etwa im Hinblick auf Debatten um „Mikroaggression“, die 2016 an Hochschulen in den Vereinigten Staaten geführt wurden, aber auch in Deutschland, etwa im Streit um die politisch korrekte Mediendarstellung von Straftaten Angehöriger ethnischer oder religiöser Minderheiten. Im gesellschaftspolitischen Diskurs wird gesteigertes moralisierendes Agieren als "Moralismus" bezeichnet und negativ konnotiert. Der Philosoph Alexander Grau erkennt 2018 überdies einen "Moralismus mit totalitären Zügen" und nennt einen solchen: "Hypermoralismus": „Der Hypermoralismus ist ja nicht politisch neutral, sondern wir kennen ihn vor allem eigentlich aus dem linken oder linksliberalen Lager. Er ist der Versuch, die Gesellschaft anhand linker Ordnungsvorstellungen und eines weitestgehend links konnotierten Menschenbildes auszurichten und hat seine Wurzeln in der 68er-Bewegung und in der kulturellen Hegemonie, die in einigen Teilen der Gesellschaft zumindest dieser Linksliberalismus inzwischen erlangt hat.“

Der Begriff der Hypermoral wird als zugehörig zum Vokabular der Neuen Rechten gezählt. Die FAZ beschreibt, dass der Begriff der Aushebelung des Universalitätsanspruchs "nicht nur" der Menschenrechte dient. Der Begriff wird häufig dazu verwendet, progressive und linke, aber auch viele ethische Positionen zu diskreditieren. Darunter fallen Aspekte wie Klimaschutz, Tierwohl, Flüchtlingshilfe, Antirassismus, Antifaschismus, LGBTQIA-Rechte und Feminismus.