Ödipuskonflikt

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Ödipus beschreibt das Rätsel der Sphinx von Jean-Auguste-Dominique Ingres, um 1805

Der Ödipuskomplex (auch Œdipuskomplex genannt) ist ein Konzept der psychoanalytischen Theorie. Sigmund Freud führte das Konzept in seinem Buch Traumdeutung (1899) ein und prägte den Ausdruck in seinem Aufsatz Eine besondere Art der Objektwahl des Menschen (1910). In Freuds ursprünglicher Formulierung ist der Ödipuskomplex eine angeblich universelle Phase im Leben eines Jungen, in der er seinen Vater hasst und Sex mit seiner Mutter haben möchte. Diese Wünsche können unbewusst sein.

Später erweiterte Freud diese Idee zu der Behauptung, dass sowohl Jungen als auch Mädchen dem Ödipuskomplex unterliegen, mit unterschiedlichen Ergebnissen: Jungen erleben Kastrationsangst und Mädchen Penisneid. Manchmal wird der Begriff positiver Ödipuskomplex verwendet, um das sexuelle Verlangen des Kindes nach dem andersgeschlechtlichen Elternteil und den Hass auf den gleichgeschlechtlichen Elternteil zu bezeichnen, während sich der negative Ödipuskomplex auf das Verlangen nach dem gleichgeschlechtlichen Elternteil und den Hass auf den andersgeschlechtlichen Elternteil bezieht. Freud war der Ansicht, dass die Identifikation des Kindes mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil das erfolgreiche Ergebnis des Komplexes ist. Gelingt sie nicht, kann sie zu einer Neurose führen.

Die Existenz des Ödipuskomplexes ist empirisch nicht gut belegt. Kritiker haben behauptet, dass die Theorie, die Kindern sexuelles Verlangen zuschreibt, als Deckmantel für sexuellen Missbrauch von Kindern dient. Wissenschaftler und Psychologen haben kritisiert, dass die Theorie nicht auf gleichgeschlechtliche Eltern anwendbar sei und nicht mit der weit verbreiteten Abneigung gegen Inzest vereinbar sei.

Er ist nach der mythologischen Figur Ödipus benannt. Freud lehnte den Begriff des Elektra-Komplexes ab, der 1913 von Carl Jung eingeführt wurde, um einen entsprechenden Komplex bei jungen Mädchen zu beschreiben. Freuds Verführungstheorie wird manchmal als Vorläufer des Ödipuskomplexes angesehen.

Gustave Moreaus Gemälde Ödipus und die Sphinx im Metropolitan Museum of Art, New York 1864

Der Ödipuskonflikt oder Ödipuskomplex ist ein psychoanalytisches Erklärungsmodell der konflikthaften psychosexuellen Entwicklung im frühen Kindesalter, das von Sigmund Freud entwickelt wurde und seitdem durch vielfältige Diskurse innerhalb und außerhalb der Psychoanalyse verschiedene Modifikationen erfuhr. Es gehört zu den Kernkonzepten der Psychoanalyse und war immer wieder Gegenstand kritischer Auseinandersetzung.

Nach heutigem Verständnis beschreibt der Ödipuskonflikt die Gesamtheit aller Liebes- und Hassgefühle und der sich daraus entwickelnden Schuldgefühle eines Kindes als Resultat der erlebten personalen Beziehungen, einschließlich der unbewussten intersubjektiven und familiendynamischen Vorgänge. Zur Bewältigung des Ödipuskonflikts gehöre die Anerkennung der Generationengrenzen, die Anerkennung der Mutter und des Vaters, die Anerkennung der Eltern als sexuelles Paar, das Durcharbeiten der Trauer über die sich nicht erfüllenden erotischen Bindungen an die Eltern sowie der Aggressionen aufgrund der Rivalität gegenüber dem einen Elternteil. Aus Sicht der Eltern sei eine Bearbeitung der ambivalenten Regungen von Liebe und Hass, Fürsorge und Destruktion von Bedeutung, die mit der Geburt eines Kindes immer verbunden seien. Auch können unbewältigte ödipale Konflikte aus der eigenen Kindheit reaktiviert werden und müssen neu bearbeitet werden.

Bis heute ist das Erklärungsmodell des Ödipuskonflikts von der patrizentrischen Haltung der ersten Psychoanalytiker-Generationen geprägt, die Männlichkeit für so selbstverständlich hielten, dass nur die weibliche Sexualität als „dunkler Kontinent“ (Freud) galt. Zudem werden heute zunehmend Vorstellungen über Zweigeschlechtlichkeit, Sexualitat und Normalität in Frage gestellt.

Hintergrund

Der Neurologe Sigmund Freud (im Alter von 16 Jahren) mit seiner Mutter im Jahr 1872

Ödipus bezieht sich auf eine Figur der griechischen Mythologie aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., Ödipus, der unwissentlich seinen Vater Laios tötet und seine Mutter Jocasta heiratet. Ein auf dem Mythos basierendes Theaterstück, Oedipus Rex, wurde von Sophokles ca. 429 v. Chr. geschrieben.

Moderne Inszenierungen von Sophokles' Stück wurden im 19. Jahrhundert in Paris und Wien aufgeführt und waren in den 1880er und 1890er Jahren phänomenal erfolgreich. Der österreichische Neurologe Sigmund Freud (1856-1939) nahm daran teil. In seinem Buch Die Traumdeutung, das erstmals 1899 veröffentlicht wurde, vertritt er die Auffassung, dass das ödipale Begehren ein universelles, psychologisches Phänomen ist, das dem Menschen angeboren (phylogenetisch) ist und die Ursache für viele unbewusste Schuldgefühle darstellt.

Freud glaubte, dass das ödipale Gefühl im Laufe der Millionen von Jahren, die der Mensch brauchte, um sich vom Affen zu entwickeln, vererbt wurde. Er stützte sich dabei auf seine Analyse seiner Gefühle beim Besuch des Stücks, auf seine anekdotischen Beobachtungen neurotischer oder normaler Kinder und auf die Tatsache, dass Ödipus Rex sowohl beim antiken als auch beim modernen Publikum Wirkung zeigte. Freud beschreibt die zeitlose Anziehungskraft des Ödipusmythos so:

Sein Schicksal bewegt uns nur, weil es das unsere hätte sein können - weil das Orakel vor unserer Geburt denselben Fluch auf uns gelegt hat wie auf ihn. Es ist vielleicht unser aller Schicksal, unseren ersten sexuellen Impuls auf unsere Mutter zu richten und unseren ersten Hass und unseren ersten Mordwunsch auf unseren Vater. Unsere Träume überzeugen uns, dass dies so ist.

Freud behauptet auch, dass das Stück Hamlet "auf demselben Boden wurzelt wie Ödipus Rex", und dass die Unterschiede zwischen den beiden Stücken aufschlussreich sind:

In [Ödipus Rex] wird die zugrunde liegende Wunschphantasie des Kindes ans Licht gebracht und wie in einem Traum verwirklicht. In Hamlet bleibt sie verdrängt; und - wie bei einer Neurose - erfahren wir von ihrer Existenz erst durch ihre hemmenden Folgen.

In der Traumdeutung macht Freud jedoch deutlich, dass die "Urtriebe und Urängste", um die es ihm geht und die dem Ödipuskomplex zugrunde liegen, in den Mythen liegen, auf denen das Stück von Sophokles basiert, und nicht in erster Linie im Stück selbst, das Freud als "weitere Modifikation der Legende" bezeichnet, die einer "falsch verstandenen sekundären Überarbeitung des Stoffes entspringt, die ihn für theologische Zwecke auszunutzen versucht hat".

Vor der Idee des Ödipuskomplexes glaubte Freud, dass ein sexuelles Trauma in der Kindheit die Ursache der Neurose sei. Diese Idee, die manchmal als Freuds Verführungstheorie bezeichnet wird, wurde um 1897 zugunsten des Ödipuskomplexes aufgegeben.

Zeitleiste

  • 1896. Freud veröffentlicht Die Ätiologie der Hysterie. Das Werk wird kritisiert, weil es die Theorie aufstellt, dass Hysterie durch sexuellen Missbrauch verursacht wird.
  • 1897-1909. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1896 und nachdem er das Stück Ödipus Rex von Sophokles gesehen hat, beginnt Freud, den Begriff "Ödipus" zu verwenden. In einem Brief aus dem Jahr 1897 schrieb Freud: "Ich fand in mir eine ständige Liebe zu meiner Mutter und Eifersucht auf meinen Vater. Ich betrachte dies jetzt als ein universelles Ereignis in der frühen Kindheit".
  • 1909-1914. Schlägt vor, dass das ödipale Begehren der "Kernkomplex" aller Neurosen ist; erste Verwendung des Begriffs "Ödipuskomplex" im Jahr 1910.
  • 1914-1918. Betrachtet väterlichen und mütterlichen Inzest.
  • 1919-1926. Vervollständigung des Ödipuskomplexes; Identifikation und Bisexualität werden in späteren Werken konzeptionell deutlich.
  • 1926-1931. Wendet die ödipale Theorie auf Religion und Sitte an.
  • 1931-1938. Untersucht die "weibliche Ödipushaltung" und den "negativen Ödipuskomplex"; später den "Elektrakomplex".

Der Ödipuskomplex

In ihrem Werk The Bonds of Love von 1988 (dt. Die Fesseln der Liebe: Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht 1990) revidiert Jessica Benjamin, eine Feministin und Vertreterin der relationalen oder intersubjektiven Psychoanalyse, den Ödipuskomplex. Sie kritisiert das mangelnde Verständnis des Begehrens der Frau, der Entwicklung weiblicher Geschlechtsidentität sowie die resultierende Polarisierung der geschlechtlichen Identität in der klassischen Psychoanalyse. (S. 103ff.).

Ihr Konzept nennt Benjamin "Der Neue Ödipus".

„Der Neue Ödipus, diese Umdeutung der Geschichte als Konfrontation mit der Erkenntnis des Selbst und der anderen, eröffnet nicht nur die Perspektive auf die verborgene Innenwelt, sondern auch auf die Mystifikationen der Außenwelt, ihrer Macht und Ohnmacht. Er zeigt eine andere Möglichkeit der postödipalen Ablösung, bei der die Individuen auf ihre Eltern zurückblicken könnten, um deren Vermächtnis kritisch zu beurteilen, statt sich einfach mit ihrer Autorität zu identifizieren.“ (S. 207).

Nicht erst der Vater konstituiere eine dritte Position, die eine Triangulierung ermögliche; diese sei vielmehr als Gemeinschaft im Dritten ein intersubjektives Produkt der frühen Mutter-Kind-Beziehung. Das orthodoxe Verständnis des Ödipus, in dem der Mutter nur Objektstatus zuerkannt wird, sei tatsächlich eine Forcierung des Abwehrmechanismus der Identifikation mit dem Aggressor. Die Folge sei die Idealisierung und Nicht-Anerkennung von Müttern als Subjekten, von Mutterschaft, Mütterlichkeit, Frauen und weiblicher Subjektivität. Es sei darüber hinaus die Grundlage für das „Prinzip der Polarisierung“, das innerpsychische und psychosoziale Spaltungsprozesse befördert und die eigentliche Ursache des von Sigmund Freud konstatierten Unbehagens in der Kultur sei:

„Die tiefste Ursache des Unbehagens in unserer Kultur ist also nicht die Verdrängung oder – nach neuster Mode – der Narzissmus, sondern die Polarisierung der Geschlechter“ (S. 198).

Geschlechterpolarisierung erzeuge psychosozial einen starren „geschlechtlichen Dimorphismus“. Diese Polarisierung spiele den Vater gegen die Mutter aus und erzeuge Elternbilder als polare Gegensätze (Spaltung). Sie führe in eine übermäßige Vereinfachung der Geschlechterverhältnisse als Komplementarität von Mutter und Vater bzw. weiblich und männlich. Dies erzeuge fundamentale innerpsychische und psychosoziale Konflikte bei der Identifikation mit der Mutter und der Anerkennung der Mutter als erste Andere und Subjekt. Geschlechterpolarisierung verhinderte so die erforderliche „Identifizierung mit beiden Eltern“, die „identifikatorische Liebe“ zu beiden Eltern. Benjamin stellt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Liebe, Machtdynamiken und Geschlechterordnung her. Die Unfähigkeit, eine dynamische Spannung zwischen Trennung und Verbindung innerpsychisch wie sozial aufrechtzuerhalten, führe zu hochgradig problematischen Idealisierungen und Omnipotenzphantasien.

„Aus der Vorstellung, die Mutter solle perfekt und allesgewährend sein (nur um Haaresbreite entfernt von alleskontrollierend), spricht die Denkungsweise der Omnipotenz, die Unfähigkeit, die Mutter als unabhängig existierendes Subjekt zu erleben.“ (S. 243)

Eine zentrale Voraussetzung zur „Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Realität“ ist nach Benjamin zuallererst die Fähigkeit zur Wahrnehmung der Mutter als Subjekt und in der Folge generell die Fähigkeit zur „Wahrnehmung der Anderen als einer getrennten Person, die nicht perfekt und auch kein Ideal zu sein braucht, um uns zufriedenstellen zu können.“(S. 242) Solange Idealisierungen und Allmachtsphantasien Menschen in einer inneren „Phantasiewelt“ gefangen halten, weichen sie dem wahren Problem der „gegenseitigen Anerkennung“ aus.

„Diese Dynamik, die zuerst die Mutter konkret demontiert und sie dann durch symbolische Wiederverzauberung zu reparieren sucht, lässt zwei idealisierte Figuren entstehen: die perfekte Mutter und das (männliche) autonome Individuum, miteinander verbunden in einer Herrschaftsbeziehung. Je mehr das Individuum die Mutter ablehnt, desto mehr wird es durch seine eigene Destruktivität und ihre übermächtige Schwäche oder Vergeltung bedroht.“ (S. 245)

Die Lösung liegt für Benjamin in der „gesellschaftlichen Abschaffung des Patriarchats. Und dies heißt nicht nur Gleichberechtigung der Frau, sondern auch die Aufhebung der Geschlechterpolarisierung“. Dies ermögliche eine „Wiederherstellung der lebenswichtigen Spannung zwischen Anerkennung und Selbstbehauptung, zwischen Abhängigkeit und Freiheit“.

Die Geschlechterpolarisierung führe zu einem ungeheuerlichen Verlust. Sie eliminiere „die mütterlichen Aspekte der Anerkennung (Fürsorge und Empathie) aus unseren kollektiven Werten, Handlungen und Institutionen“ und vernichte die Subjektivität selbst, die dann nurmehr auf Selbstbehauptung, Leistung, Kontrolle und unpersönliche Beziehungen reduziert sei. Zudem führe sie zu einem Verlust an moralischer Urteilskraft und Zeugenschaft und mache Herrschaft rational, unpersönlich und unsichtbar, weswegen sie natürlich und notwendig erscheine.

Ursprüngliche Formulierung

Freuds ursprüngliche Beispiele für den Ödipuskomplex werden nur auf Jungen oder Männer angewandt; er hat seine Ansichten über die Natur des Komplexes bei Mädchen nie vollständig geklärt. Er beschrieb den Komplex als den Hass oder den Wunsch eines Jungen, seinen Vater zu beseitigen und Sex mit seiner Mutter zu haben.

Freud führte den Begriff "Ödipuskomplex" in einem Artikel von 1910 mit dem Titel A Special Type of Choice of Object made by Men ein. Er taucht in einem Abschnitt dieses Artikels auf, der beschreibt, was passiert, nachdem ein Junge zum ersten Mal von der Prostitution erfährt:

Wenn er danach den Zweifel nicht mehr aufrechterhalten kann, der seine Eltern zu einer Ausnahme von den universellen und verabscheuungswürdigen Normen der sexuellen Aktivität macht, redet er sich mit zynischer Logik ein, dass der Unterschied zwischen seiner Mutter und einer Hure doch gar nicht so groß ist, da sie im Grunde dasselbe tun. Die aufklärenden Informationen, die er erhalten hat, haben in der Tat die Erinnerungsspuren der Eindrücke und Wünsche seiner frühen Kindheit geweckt, und diese haben in ihm zu einer Reaktivierung bestimmter geistiger Impulse geführt. Er beginnt, seine Mutter selbst in dem Sinne zu begehren, wie er sie vor kurzem kennengelernt hat, und seinen Vater als Rivalen, der diesem Wunsch im Wege steht, von neuem zu hassen; er gerät, wie wir sagen, unter die Herrschaft des Ödipuskomplexes. Er verzeiht seiner Mutter nicht, dass sie die Gunst des Geschlechtsverkehrs nicht ihm, sondern seinem Vater gewährt hat, und betrachtet dies als einen Akt der Untreue.

Freud und andere haben diese Idee schließlich erweitert und in ein größeres Theoriegebäude eingebettet.

Spätere Theorie

Ödipus und die Sphinx, von Gustave Moreau (1864)

In der klassischen psychoanalytischen Theorie tritt der Ödipuskomplex in der phallischen Phase der psychosexuellen Entwicklung (im Alter von 3 bis 6 Jahren) auf, in der sich auch die Libido und das Ich herausbilden; er kann sich jedoch auch schon früher manifestieren.

In der phallischen Phase ist die entscheidende psychosexuelle Erfahrung des Jungen der Ödipuskomplex - der Wettbewerb zwischen Sohn und Vater um den Besitz der Mutter. In diesem dritten Stadium der psychosexuellen Entwicklung sind die Genitalien des Kindes seine primäre erogene Zone; wenn Kinder sich also ihres Körpers, der Körper anderer Kinder und der Körper ihrer Eltern bewusst werden, befriedigen sie ihre körperliche Neugier, indem sie sich ausziehen und sich selbst, einander und ihre Genitalien erforschen und so die anatomischen Unterschiede zwischen Mann und Frau und die Geschlechtsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen lernen.

Obwohl die Mutter der Elternteil ist, der in erster Linie die Wünsche des Kindes befriedigt, beginnt das Kind, eine eigenständige sexuelle Identität - "Junge", "Mädchen" - zu entwickeln, die die Dynamik der Eltern-Kind-Beziehung verändert; die Eltern werden zu Objekten der kindlichen libidinösen Energie. Der Junge richtet seine Libido (sexuelles Verlangen) auf seine Mutter und richtet Eifersucht und emotionale Rivalität gegen seinen Vater - denn er ist es, der mit seiner Mutter schläft. Um die Vereinigung mit der Mutter zu ermöglichen, will das Es des Jungen den Vater töten (wie Ödipus), aber das pragmatische Ich, das auf dem Realitätsprinzip beruht, weiß, dass der Vater der stärkere der beiden Männer ist, die um den Besitz der einen Frau konkurrieren. Dennoch bleibt der Junge in Bezug auf den Platz seines Vaters in der Familie ambivalent, was sich als Angst vor der Kastration durch den körperlich stärkeren Vater äußert; die Angst ist eine irrationale, unbewusste Manifestation des kindlichen Es.

Bei beiden Geschlechtern sorgen Abwehrmechanismen für eine vorübergehende Lösung des Konflikts zwischen den Trieben des Es und den Trieben des Ichs. Der erste Abwehrmechanismus ist die Verdrängung, die Blockierung von Erinnerungen, emotionalen Impulsen und Ideen aus dem Bewusstsein, die jedoch den Es-Ich-Konflikt nicht auflöst. Der zweite Abwehrmechanismus ist die Identifikation, bei der sich der Junge oder das Mädchen anpasst, indem er die Persönlichkeitsmerkmale des gleichgeschlechtlichen Elternteils in sein (Über-)Ich aufnimmt. Dadurch verringert der Junge seine Kastrationsangst, denn seine Ähnlichkeit mit dem Vater schützt ihn vor dem Zorn des Vaters in ihrer mütterlichen Rivalität. Im Falle des Mädchens erleichtert dies die Identifikation mit der Mutter, die versteht, dass beide als Frauen keinen Penis besitzen und somit keine Antagonisten sind.

Ein ungelöster Wettbewerb zwischen Sohn und Vater um den psychosexuellen Besitz der Mutter kann zu einer Fixierung auf das phallische Stadium führen, die den Jungen zu einem aggressiven, überambitionierten und eitlen Mann werden lässt. Daher sind der zufriedenstellende Umgang der Eltern mit dem Ödipuskomplex und dessen Lösung für die Entwicklung des männlichen infantilen Über-Ichs von größter Bedeutung. Denn durch die Identifikation mit einem Elternteil verinnerlicht der Junge die Moral; dadurch entscheidet er sich, die gesellschaftlichen Regeln zu befolgen, anstatt sie reflexartig aus Angst vor Bestrafung einzuhalten.

Der günstige Ausgang des ödipalen Konflikts besteht darin, dass das Kind auf den Inzestwunsch verzichtet und aufhört, den Vater als Rivalen zu bekämpfen. Stattdessen soll es gerade dadurch in seine Geschlechtsrolle hineinwachsen, dass es sich mit dem Vater identifiziert. Aus dem Feind wird ein Vorbild, dem das Kind nachzueifern versucht. Aus dem infantilen Wunsch nach dem Besitzen der eigenen Mutter wird der reifere Wunsch, jemanden wie die eigene Mutter zu besitzen und es so dem Vater gleichzutun – jedoch außerhalb der eigenen Familie.

Ödipus-Fallstudie

Weibliches Ödipusverhalten: Elektra am Grab von Agamemnon, von Frederic Leighton, (um 1869)

In Analysis of a Phobia in a Five-year-old Boy (1909), der Fallstudie des pferdefeindlichen Jungen "Little Hans", zeigte Freud, dass die Beziehung zwischen Hans' Ängsten - vor Pferden und vor seinem Vater - auf äußere Faktoren, die Geburt einer Schwester, und innere Faktoren, den Wunsch des kindlichen Es, den Vater als Gefährten der Mutter zu ersetzen, und Schuldgefühle wegen der Masturbation, die für einen Jungen in seinem Alter normal ist, zurückzuführen ist. Außerdem wurde das Eingeständnis, sich mit der Mutter fortpflanzen zu wollen, als Beweis für die sexuelle Anziehung des Jungen zum anderen Elternteil angesehen; er war ein heterosexueller Mann. Dennoch war der Junge Hans nicht in der Lage, die Angst vor Pferden mit der Angst vor seinem Vater in Verbindung zu bringen. Als behandelnder Psychoanalytiker stellte Freud fest, dass "Hans viele Dinge gesagt werden mussten, die er selbst nicht sagen konnte" und dass "er mit Gedanken konfrontiert werden musste, für die er bisher keine Anzeichen gezeigt hatte".

Weibliche Ödipushaltung

Freud wandte den Ödipuskomplex auf die psychosexuelle Entwicklung von Jungen und Mädchen an, modifizierte aber später die weiblichen Aspekte der Theorie als "weibliche Ödipushaltung" und "negativer Ödipuskomplex". Sein Schüler und Mitarbeiter Carl Jung schlug 1913 in seinem Werk "Theorie der Psychoanalyse" den Elektra-Komplex vor, um den Wettbewerb zwischen Tochter und Mutter eines Mädchens um den psychosexuellen Besitz des Vaters zu beschreiben.

Im phallischen Stadium ist der Elektra-Komplex eines Mädchens die entscheidende psychodynamische Erfahrung bei der Herausbildung einer eigenständigen sexuellen Identität (Ego). Während ein Junge Kastrationsangst entwickelt, entwickelt ein Mädchen Penisneid, da sie wahrnimmt, dass sie zuvor kastriert wurde (und ihr der Penis fehlt), und so Ressentiments gegen ihre eigene Art als minderwertig entwickelt, während sie gleichzeitig danach strebt, den Penis ihres Vaters zu beanspruchen, indem sie ein eigenes männliches Kind gebärt. Nach dem phallischen Stadium umfasst die psychosexuelle Entwicklung des Mädchens außerdem die Verlagerung ihrer primären erogenen Zone von der kindlichen Klitoris in die erwachsene Vagina.

Freud war daher der Ansicht, dass der negative Ödipuskomplex eines Mädchens emotional intensiver ist als der eines Jungen, was möglicherweise zu einer Frau mit einer unterwürfigen, unsicheren Persönlichkeit führt; so könnte ein ungelöster Elektrakomplex, der Wettbewerb zwischen Tochter und Mutter um den psychosexuellen Besitz des Vaters, zu einer Fixierung auf das phallische Stadium führen, die dazu führt, dass ein Mädchen zu einer Frau wird, die ständig danach strebt, Männer zu dominieren (d. h. Penisneid), entweder als Penisneid), entweder als ungewöhnlich verführerische Frau (hohes Selbstwertgefühl) oder als ungewöhnlich unterwürfige Frau (geringes Selbstwertgefühl). Daher sind der zufriedenstellende Umgang der Eltern mit dem Elektra-Komplex und dessen Lösung für die Entwicklung des weiblichen kindlichen Über-Ichs von größter Bedeutung, denn durch die Identifikation mit einem Elternteil verinnerlicht das Mädchen die Moral; dadurch entscheidet es sich, die gesellschaftlichen Regeln zu befolgen, anstatt sie reflexartig aus Angst vor Bestrafung einzuhalten.

In Bezug auf den Narzissmus

In Bezug auf den Narzissmus wird der Ödipuskomplex als Höhepunkt des individuellen Strebens nach Erfolg oder Liebe betrachtet. In Das ökonomische Problem des Masochismus (1924) schreibt Freud, dass im "Ödipuskomplex ... [die persönliche Bedeutung der Eltern für das Über-Ich in den Hintergrund tritt" und "die Imagos, die sie hinterlassen, ... mit den Einflüssen von Lehrern und Autoritäten verbunden sind". Pädagogen und Mentoren werden in das Ich-Ideal des Individuums gestellt und sie bemühen sich, deren Wissen, Fähigkeiten oder Einsichten zu übernehmen.

In Some Reflections on Schoolboy Psychology (1914) schreibt Freud:

"Wir können jetzt unsere Beziehung zu unseren Schulmeistern verstehen. Diese Männer, von denen nicht alle selbst Väter waren, wurden zu unseren Ersatzvätern. Deshalb wirkten sie, obwohl sie noch recht jung waren, auf uns so reif und so unerreichbar erwachsen. Wir übertrugen den Respekt und die Erwartungen, die wir an den allwissenden Vater unserer Kindheit knüpften, auf sie und begannen, sie so zu behandeln, wie wir unsere Väter zu Hause behandelten. Wir konfrontierten sie mit der Ambivalenz, die wir in unseren eigenen Familien erworben hatten, und mit ihrer Hilfe kämpften wir mit ihnen, wie wir es gewohnt waren, mit unseren Vätern zu kämpfen..."

Der Ödipuskomplex bedeutet in narzisstischer Hinsicht, dass ein Individuum die Fähigkeit verlieren kann, einen Elternersatz ohne Ambivalenz in sein Ich-Ideal aufzunehmen. Sobald das Individuum ambivalente Beziehungen zu Elternersatzpersonen hat, wird es in den triangulierenden Kastrationskomplex eintreten. Im Kastrationskomplex wird das Individuum rivalisierend mit den Eltern-Substituten, und dies wird der Punkt der Regression sein. In den psychoanalytischen Notizen zu einem autobiographischen Bericht über einen Fall von Paranoia (Dementia paranoides) (1911) schreibt Freud, dass die "Enttäuschung über eine Frau" (Objekttriebe) oder "ein Missgeschick in den sozialen Beziehungen zu anderen Männern" (Ich-Triebe) die Ursache für die Regression oder Symptombildung ist. Die Triangulierung kann mit einem romantischen Rivalen um eine Frau oder mit einem beruflichen Rivalen um den Ruf, potenter zu sein, stattfinden.

Freudsche theoretische Revision

Als Freud vorschlug, dass der Ödipuskomplex psychologisch universell sei, löste er die Entwicklung der Freudschen Psychologie und der psychoanalytischen Behandlungsmethode aus, und zwar sowohl bei Mitarbeitern als auch bei Konkurrenten.

Carl Gustav Jung

Der Elektra-Komplex: die Matriciden Elektra und Orestes.

Als Gegenposition zu Freuds Vorschlag, dass die psychosexuelle Entwicklung von Jungen und Mädchen gleich ist, d.h. gegen Freuds Vorschlag, dass die psychosexuelle Entwicklung von Jungen und Mädchen gleich, d. h. gleich ausgerichtet ist - dass beide zunächst sexuelles Verlangen (Libido) nach der Mutter und Aggression gegenüber dem Vater empfinden -, schlug sein Schüler Carl Jung vor, dass Mädchen Verlangen nach dem Vater und Aggression gegenüber der Mutter über den Elektra-Komplex erfahren - abgeleitet von der griechischen mythologischen Figur Elektra aus dem 5. Darüber hinaus verwendet die orthodoxe Jungsche Psychologie den Begriff "Ödipuskomplex" nur zur Bezeichnung der psychosexuellen Entwicklung eines Jungen, da er aus der Freudschen Psychologie stammt.

Otto Rank

Otto Rank hinter Sigmund Freud und anderen Psychoanalytikern (1922).

In der klassischen Freud'schen Psychologie wird das Über-Ich, "der Erbe des Ödipuskomplexes", gebildet, wenn der kleine Junge die familiären Regeln seines Vaters verinnerlicht. Im Gegensatz dazu schlug Otto Rank in den frühen 1920er Jahren unter Verwendung des Begriffs "präödipal" vor, dass die mächtige Mutter eines Jungen die Quelle des Über-Ichs im Verlauf der normalen psychosexuellen Entwicklung sei. Ranks theoretischer Konflikt mit Freud schloss ihn aus dem inneren Kreis der Freudianer aus; dennoch entwickelte er später, im Jahr 1925, die psychodynamische Objektbeziehungstheorie.

Melanie Klein

Während Freud vorschlug, dass der Vater (der väterliche Phallus) für die kindliche und erwachsene psychosexuelle Entwicklung von zentraler Bedeutung ist, konzentrierte sich Melanie Klein auf die frühe mütterliche Beziehung und schlug vor, dass ödipale Manifestationen im ersten Lebensjahr, dem oralen Stadium, wahrnehmbar sind. Ihr Vorschlag war Teil der "kontroversen Diskussionen" (1942-44) in der Britischen Psychoanalytischen Vereinigung. Die kleinianischen Psychologen schlugen vor, dass "hinter dem Ödipuskomplex, wie Freud ihn beschrieb, ... eine frühere Schicht primitiverer Beziehungen zum ödipalen Paar liegt". In ihrer Diskussion über die projektiven Phantasien des Kindes wies sie "gefährliche destruktive Tendenzen nicht nur dem Vater, sondern auch der Mutter zu". Darüber hinaus wurde in Kleins Werk die zentrale Rolle des Ödipuskomplexes durch das Konzept der depressiven Position abgeschwächt.

Wilfred Bion

Wilfred Bion (1916)

"Für den Post-Kleinianer Bion geht es im Ödipus-Mythos nicht um die sexuelle Differenz, sondern um die forschende Neugier, das Streben nach Wissen; die andere Hauptfigur im ödipalen Drama wird zu Tiresias (die falsche Hypothese, die gegen die Angst vor einer neuen Theorie aufgestellt wird)". Folglich sah Bion "das zentrale Verbrechen des Ödipus in seinem Beharren auf der Wahrheit um jeden Preis".

Jacques Lacan

Aus postmoderner Sicht sprach sich Jacques Lacan dagegen aus, den Ödipuskomplex aus dem Zentrum der psychosexuellen Entwicklungserfahrung zu entfernen. Er war der Ansicht, dass "der Ödipuskomplex - sofern wir ihn weiterhin als das gesamte Feld unserer Erfahrung mit seiner Bedeutung anerkennen ... [der] dem Menschen das Reich der Kultur überstülpt" und seine Einführung in die symbolische Ordnung markiert.

So "lernt das Kind, was eine von ihm selbst unabhängige Macht ist, wenn es den Ödipuskomplex durchläuft ... und auf die Existenz eines von ihm selbst unabhängigen symbolischen Systems trifft". Darüber hinaus erwies sich Lacans Vorschlag, dass "die ternäre Beziehung des Ödipuskomplexes" den "Gefangenen der dualen Beziehung" der Sohn-Mutter-Beziehung befreit, für spätere Psychoanalytiker als nützlich; so besteht für Bollas die "Errungenschaft" des Ödipuskomplexes darin, dass "das Kind etwas über die Seltsamkeit des Besitzes des eigenen Verstandes begreift ... die Vielfältigkeit der Standpunkte entdeckt". Ähnlich sieht es Ronald Britton: "Wenn die Verbindung zwischen den Eltern, die in Liebe und Hass wahrgenommen werden, im Geist des Kindes toleriert werden kann, ... verschafft uns dies die Fähigkeit, uns in der Interaktion mit anderen zu sehen und ... über uns selbst nachzudenken, während wir wir selbst sind". So schlug Michael Parsons in The Dove that Returns, the Dove that Vanishes (2000) vor, dass eine solche Perspektive es erlaubt, "den Ödipuskomplex als eine lebenslange Entwicklungsherausforderung zu betrachten ... [mit] neuen Arten von ödipalen Konfigurationen, die zum späteren Leben gehören".

1920 schrieb Sigmund Freud, dass "mit dem Fortschritt der psychoanalytischen Studien die Bedeutung des Ödipuskomplexes immer deutlicher zutage tritt; seine Anerkennung ist zum Schibboleth geworden, das die Anhänger der Psychoanalyse von ihren Gegnern unterscheidet"; so blieb er ein theoretischer Eckpfeiler der Psychoanalyse bis etwa 1930, als Psychoanalytiker begannen, die präödipale Sohn-Mutter-Beziehung im Rahmen der Theorie der psychosexuellen Entwicklung zu untersuchen. Janet Malcolm berichtet, dass im späten 20. Jahrhundert für die Avantgarde der Objektiven Beziehungspsychologie die Ereignisse der ödipalen Periode blass und belanglos sind, verglichen mit den abenteuerlichen Psychodramen der Kindheit. ... Für Kohut, wie auch für Winnicott und Balint, ist der Ödipuskomplex für die Behandlung schwerer Pathologie irrelevant. Nichtsdestotrotz behauptete die Ich-Psychologie weiterhin, dass "die ödipale Periode - etwa dreieinhalb bis sechs Jahre - wie Lorenz vor dem Küken steht, sie ist die prägendste, bedeutendste, formendste Erfahrung des menschlichen Lebens ... Nimmt man das Erwachsenenleben eines Menschen - seine Liebe, seine Arbeit, seine Hobbys, seine Ambitionen -, so weisen sie alle auf den Ödipuskomplex zurück".

Kritik

Kind, Mutter und Vater bilden ein „ödipales Dreieck“, aus dem das Kind eine Person ausschließen will, um die andere exklusiv zu besitzen. Das Kind wünscht sich also letztlich, so Freuds nicht nur für die damalige Zeit provokante These, unbewusst eine Situation des Inzests herbei. Diese aus den Assoziationen und Träumen seiner Patienten gewonnene Beobachtung sah Freud durch die soziale Institution des Inzestverbots belegt, das bis in archaische Gesellschaften hinein zurückverfolgt werden kann.

Bereits die Bibel warnt eindringlich vor der „Blutschande“. Wenn aber die Vermeidung des Inzests erst durch eine strenge soziale Norm durchgesetzt werden muss, so muss es, nach Freud, auch eine Tendenz geben, die dieser Norm entgegenwirkt und von dieser in Schach gehalten wird. Das ödipale Begehren ist laut Freud eben jene Herausforderung, die der Ödipuskonflikt an jede Familie stellt und die im Idealfall mit seiner Überwindung endet.

Der Ethnologe Claude Lévi-Strauss hat die soziale Funktion des Inzestverbots in der Gewährleistung der Exogamie ausgemacht, das heißt in der Öffnung der Familie ihrer sozialen Umwelt gegenüber. Das Inzesttabu sichert auf elementare Weise den Zusammenhalt des Sozialen. Für Freud stand dagegen vor allem die individuelle Funktion im Vordergrund, die es dem Kind erlaubt, sich mit seiner Geschlechterrolle zu identifizieren und so eine Identität zu finden.

Fehlende empirische Grundlage

Es gibt nur sehr wenige wissenschaftliche Belege für den Ödipuskomplex.

Studien über die Einstellung von Kindern zu ihren Eltern in der vermeintlich ödipalen Phase zeigen nicht die Verschiebungen positiven Gefühle, die von der Theorie vorausgesagt werden. Geschichten aus der Mythologie und Anthropologie, die Freud zur Veranschaulichung seiner Theorie herangezogen hat, mögen seine Leser faszinieren, aber sie stellen keinen empirischen Beweis für die Theorie dar. Fallstudien, auf die sich Freud stützte, wie der Fall des kleinen Hans, konnten nicht durch Forschung oder Experimente an einer größeren Population verifiziert werden. Adolf Grünbaum argumentiert, dass die Art von Beweisen, die Freud und seine Anhänger verwendeten, nämlich die klinischen Inszenierungen von Patienten während einer analytischen Behandlung, naturgemäß keine überzeugende Beobachtungsunterstützung für Freuds Kernhypothesen liefern können.

Die Evolutionspsychologen Martin Daly und Margo Wilson argumentieren in ihrem 1988 erschienenen Buch Homicide, dass die Theorie des Ödipuskomplexes nur wenige überprüfbare Vorhersagen liefert. Sie finden keine Beweise für den Ödipuskomplex beim Menschen. Es gibt zwar Belege für Eltern-Kind-Konflikte, doch geht es dabei nicht um sexuellen Besitz des anderen Geschlechts.

Laut dem Psychiater Jeffrey Lieberman weigerten sich Freud und seine Anhänger, ihre Theorien, einschließlich der Ödipus-Theorie, einer wissenschaftlichen Prüfung und Verifizierung zu unterziehen. Evidenzbasierte Untersuchungen in Disziplinen wie der kognitiven Psychologie scheinen Freuds Ideen nicht zu stützen oder durch Beweise zu widerlegen, so dass sie in evidenzbasierten Behandlungen nicht verwendet werden.

Freuds angebliche Heilung von Sergei Pankejeff, ein angeblicher Triumph der Ödipuskomplextheorie, wird von der wissenschaftlichen Gemeinschaft und von Pankejeff selbst als Betrug angesehen.

Deckmantel für sexuellen Missbrauch

Die Freudsche Vertuschung ist die Behauptung, dass Freud absichtlich Beweise dafür ignorierte, dass seine Patienten Opfer von sexuellem Missbrauch in der Kindheit waren, und den Missbrauch als inzestuöses Verlangen darstellte. In den 1970er Jahren schrieb die Sozialarbeiterin Florence Rush, dass Freuds Verführungstheorie, die zu Beginn seiner Karriere entstand, die Erinnerungen seiner Patienten an Kindheitstraumata korrekt der Familie des Patienten, häufig dem Vater, zuschrieb, was implizierte, dass sexueller Missbrauch von Kindern durch die Eltern in seiner Gesellschaft weit verbreitet war. Die Entdeckung dieses Missbrauchs bereitete Freud Unbehagen, so dass er diese Theorie aufgab. Als Ersatz erfand er den Ödipuskomplex, der es ihm ermöglichte, Geschichten über sexuellen Missbrauch in der Kindheit den Kindern selbst zuzuschreiben; Freud stellte sich vor, dass es sich bei den Geschichten um Fantasien über verborgene Wünsche handelte und nicht um tatsächliche Beschreibungen von Traumata. Auf diese Weise, so Rush, habe Freud illegalen und unmoralischen sexuellen Missbrauch vertuscht, indem er die Wahrnehmung seiner Patienten, insbesondere seiner weiblichen Patienten, unterminiert habe.

Der Direktor des Sigmund-Freud-Archivs, Jeffrey Moussaieff Masson, vertrat nach der Lektüre von Freuds unveröffentlichten Briefen die Ansicht, dass Freuds Arbeit eine Vertuschung von Missbrauch war. In seinem Buch The Assault on Truth (Der Angriff auf die Wahrheit) argumentiert Masson, dass Freud die Berichte über sexuellen Missbrauch fälschlicherweise den Erfindungen und Fantasien von Kindern zuschrieb, weil er aus persönlichen Gründen nicht akzeptieren konnte, dass die Berichte real waren. Freud erfand den Ödipuskomplex, um die sexuellen Übergriffe auf Kinder zu erklären. Einer seiner Gründe für die Verdrängung des Missbrauchs war, dass Freud nicht mit dem Vater eines Patienten konfrontiert werden wollte, der des Missbrauchs beschuldigt wurde. Gegen Ende seiner Karriere versuchte Freud, die Arbeit eines Kollegen, Sandor Ferenczi, zu unterdrücken, weil Ferenczi weiterhin glaubte, dass die Berichte über sexuellen Missbrauch in der Kindheit wahrheitsgemäß seien.

Masson schreibt, dass Psychoanalytiker ihren Patienten weiterhin Schaden zufügen, indem sie die Realität der frühen Traumaerinnerungen der Patienten anzweifeln, weil die Theorie des Ödipuskomplexes weit verbreitet ist.

In seinen frühen Überlegungen zur Ätiologie der Hysterie entwickelte Freud die Theorie, dass der Entstehung psychischer Störungen verdrängte, tatsächlich erlebte Erfahrungen sexuellen Missbrauchs zugrunde liegen, welche er bei all seinen (vor allem weiblichen) Patientinnen aufgespürt zu haben meinte.

Diese für seine Zeit noch wesentlich skandalösere Theorie als jene des Ödipuskonflikts, der den Inzest zumindest auf einer rein imaginierten Ebene verortet, brachte Freud bei seinem Vortrag vor der Wiener Vereinigung für Psychiatrie und Neurologie am 21. April 1896 scharfe Kritik ein. Freuds Motive für die Abwendung von der Verführungstheorie und ihrem Ersatz durch das Konstrukt des Ödipuskonflikts sind bis heute stark umstritten (siehe Jeffrey Masson, Sandor Ferenczi).

Annahmen zur Geschlechterrolle

Viele Wissenschaftler und Psychologen sind der Ansicht, dass die Theorie des Ödipuskomplexes, die der Mutter und dem Vater unterschiedliche Rollen zuweist, schlecht zu Familien passt, in denen es keine traditionellen Geschlechterrollen gibt.

Der Ödipuskomplex wurde dafür kritisiert, dass er nicht-traditionelle Familienstrukturen außer Acht lässt, wie z. B. Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern, wie die hier abgebildete

Seit Dezember 2017 ist die gleichgeschlechtliche Ehe in 29 Ländern legal. Gleichgeschlechtliche Paare gründen Familien durch Adoption oder Leihmutterschaft. Die Säulen der Familienstruktur diversifizieren sich und umfassen neben den traditionellen heterosexuellen, verheirateten Eltern auch Eltern, die alleinstehend sind oder das gleiche Geschlecht wie ihr Partner haben. Diese neuen Familienstrukturen werfen neue Fragen für die psychoanalytischen Theorien wie den Ödipuskomplex auf, die die Anwesenheit von Mutter und Vater für die erfolgreiche Entwicklung eines Kindes voraussetzen.

Es gibt Hinweise darauf, dass Kinder, die von gleichgeschlechtlichen Eltern aufgezogen wurden, sich nicht wesentlich von Kindern unterscheiden, die in einer traditionellen Familienstruktur aufwachsen. Die klassische Theorie des Ödipusdramas ist laut einer Studie von Drescher in der heutigen Gesellschaft in Ungnade gefallen, da sie wegen ihrer "negativen Implikationen" gegenüber gleichgeschlechtlichen Eltern kritisiert wurde. Viele psychoanalytische Denker wie Chodorow und Corbett bemühen sich um eine Veränderung des Ödipuskomplexes, um die "automatischen Assoziationen zwischen Geschlecht, Gender und den stereotypen psychologischen Funktionen, die sich aus diesen Kategorien ergeben", zu beseitigen und ihn auf die heutige moderne Gesellschaft anwendbar zu machen. Die Psychoanalyse und ihre Theorien haben sich seit ihrer freudschen Konzeption immer auf die traditionellen Geschlechterrollen gestützt, um sich zu profilieren.

In den 1950er Jahren unterschieden die Psychologen bei der Kindererziehung unterschiedliche Rollen für Mutter und Vater. Die Rolle der primären Bezugsperson wird der Mutter zugewiesen. Die mütterliche Liebe wurde als bedingungslos angesehen. Während dem Vater die Rolle der sekundären Bezugsperson zugewiesen wird, ist die väterliche Liebe an Bedingungen geknüpft und richtet sich nach den konkreten Leistungen des Kindes. Der Ödipuskomplex wird im Kontext moderner Familienstrukturen beeinträchtigt, da er die Existenz der Begriffe Männlichkeit und Weiblichkeit voraussetzt. Wenn kein Vater vorhanden ist, gibt es für einen Jungen keinen Grund, Kastrationsangst zu haben und damit den Komplex aufzulösen. Die Psychoanalyse stellt nicht-heteronormative Beziehungen eher als eine Art Perversion oder Fetisch denn als natürliches Phänomen dar. Für einige Psychologen kann diese Betonung der Geschlechternormen eine Ablenkung bei der Behandlung homosexueller Patienten darstellen.

Das 1972 erschienene Buch Anti-Ödipus von Gilles Deleuze und Félix Guattari ist laut Didier Eribon "eine Kritik der psychoanalytischen Normativität und des Ödipus". Eribon kritisiert den von Freud oder Lacan beschriebenen Ödipuskomplex als "unplausibles ideologisches Konstrukt", das einen "Minderwertigkeitsprozess der Homosexualität" darstellt. Die Psychologin Geva Shenkman meint: "Um die Anwendung von Konzepten wie Ödipuskomplex und Urszene auf männliche gleichgeschlechtliche Familien zu untersuchen, müssen wir zunächst die automatischen Assoziationen zwischen Geschlecht, Gender und den auf diesen Kategorien basierenden stereotypen psychologischen Funktionen beseitigen."

Postmoderne psychoanalytische Theorien, die darauf abzielen, die Psychoanalyse für die moderne Zeit neu zu etablieren, schlagen vor, den Komplex zu modifizieren oder zu verwerfen, da er keine neueren Familienstrukturen beschreibt. Shenkman schlägt vor, dass eine lockere Interpretation des Ödipuskomplexes, bei der das Kind sexuelle Befriedigung von jedem Elternteil sucht, unabhängig von Geschlecht oder Sex, hilfreich wäre: "Aus dieser Perspektive kann jede elterliche Autorität oder Institution das Tabu darstellen, das den Komplex hervorruft". Die Psychoanalytikerin Melanie Klein schlug eine Theorie vor, die mit Geschlechterstereotypen brach, aber die traditionelle Vater-Mutter-Familienstruktur beibehielt. In ihrer Diskussion über die projektiven Phantasien des Kindes wies sie "gefährliche destruktive Tendenzen nicht nur dem Vater, sondern auch der Mutter zu".

Gestreckte Theorie

Anouchka Grose versteht den Ödipuskomplex als "eine Art, zu erklären, wie Menschen sozialisiert werden ... und lernen, mit Enttäuschungen umzugehen". Ihre Zusammenfassung des Komplexes lautet: "Man muss aufhören zu versuchen, alles für seine Hauptbezugsperson zu sein, und damit fortfahren, etwas für den Rest der Welt zu sein". Diese postlateinische Interpretation des Komplexes weicht erheblich von seiner Beschreibung im 19. Jahrhundert ab. Eribon schreibt, dass sie "den Ödipuskomplex bis zu einem Punkt ausdehnt, an dem er fast nicht mehr wie der von Freud aussieht".

Abneigung gegen Inzest

Inzestverbindungen zwischen Eltern und Kindern sowie zwischen Geschwistern sind fast überall verboten. Eine Erklärung für dieses Inzesttabu ist, dass es kein instinktives sexuelles Verlangen gibt, sondern eine instinktive sexuelle Abneigung gegen diese Verbindungen (siehe Westermarck-Effekt). Steven Pinker schrieb: "Die Vorstellung, dass Jungen mit ihren Müttern schlafen wollen, erscheint den meisten Männern als das Dümmste, was sie je gehört haben. Offensichtlich schien es Freud nicht so zu sein, der schrieb, dass er als Junge einmal eine erotische Reaktion darauf hatte, seine Mutter beim Anziehen zu beobachten. Bemerkenswert ist, dass Amalia Nathansohn Freud während Freuds Kindheit relativ jung und damit im fortpflanzungsfähigen Alter war, und dass Freud, der eine Amme hatte, möglicherweise nicht die frühe Intimität erlebte, die sein Wahrnehmungssystem darauf gebracht hätte, dass Frau Freud seine Mutter war."

Historische Mystik

In Esquisse pour une autoanalyse argumentiert Pierre Bourdieu, dass der Erfolg des Ödipuskonzepts untrennbar mit dem Prestige der antiken griechischen Kultur und den Herrschaftsbeziehungen verbunden ist, die durch die Verwendung dieses Mythos verstärkt werden. Mit anderen Worten: Wäre Ödipus ein Bantu oder ein Baoulé, würde seine Geschichte wahrscheinlich nicht als menschliche Universalgeschichte angesehen werden. Diese Bemerkung erinnert an den historisch und sozial situierten Charakter des Begründers der Psychoanalyse.

Sexismus

Zu den feministischen Ansichten über den Ödipuskomplex gehört die Kritik am Phallozentrismus der Theorie, die unter anderem von der Philosophin Luce Irigaray geäußert wurde. Irigaray wirft Freud vor, dass sein Werk von einer männlichen Perspektive ausgeht, die durch die zentrale Rolle des Penis (oder des fehlenden Penis bei Mädchen) im Ödipuskomplex verkörpert wird. Sie ist der Meinung, dass Freuds Wunsch nach einer sauberen, symmetrischen Theorie ihn zu einem konstruierten Verständnis von Frauen als umgekehrte Männer führt. Sie wirft ihm vor, dass er die Mutter-Tochter-Beziehungen nicht erforscht und dass er dogmatisch davon ausgeht, dass die weibliche Sexualität ein perfektes Spiegelbild der männlichen Sexualität ist.

Unpopularität

In No More Silly Love Songs: A Realist's Guide to Romance (2010) sagt Anouchka Grose, dass "eine große Anzahl von Menschen heutzutage glaubt, dass Freuds Ödipuskomplex überholt ist ... 'widerlegt' oder einfach für unnötig befunden wurde, irgendwann im letzten Jahrhundert".

Thomas Nagel schrieb, dass die psychoanalytischen Behauptungen nicht wissenschaftlich seien, sondern eine Art Volkspsychologie mit gesundem Menschenverstand. Adolf Grünbaum hält diesen Vorschlag für gescheitert, weil gewöhnliche Menschen Erklärungen, die auf verbotenen unbewussten Motivationen beruhen, in der Regel unplausibel finden.

Beweise

Eine an der Universität Glasgow durchgeführte Studie stützt möglicherweise zumindest einige Aspekte des psychoanalytischen Konzepts des Ödipuskomplexes. Die Studie zeigte, dass Männer und Frauen mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit einen Partner wählen, der die gleiche Augenfarbe hat wie der Elternteil des Geschlechts, zu dem sie sich hingezogen fühlen. Eine andere Studie des Anthropologen Allen W. Johnson und des Psychiaters Douglas Price-Williams legt nahe, dass die klassische Version des Ödipuskomplexes, die Jungen durchlaufen, vorhanden ist, wobei die sexuellen und aggressiven Gefühle in Kulturen ohne Klassentrennung weniger unterdrückt werden.

Eine andere Studie untersuchte Adoptivtöchter und die Wahl des Ehemanns. In der Studie wurde versucht, begrifflich zwischen phänotypischer Übereinstimmung und positiver sexueller Prägung zu unterscheiden. Unter phänotypischem Matching versteht man die (vermutlich unbewusste) Suche eines Individuums nach Merkmalen in Partnerschaften, die dem eigenen Phänotyp ähnlich sind. Sexuelle Prägung kann als Paarungspräferenz verstanden werden, die durch Erfahrungen und Beobachtungen mit Eltern/Betreuern in der frühen Kindheit beeinflusst wird. Adoptivtöchter wurden zum Teil untersucht, um diese beiden Einflüsse zu entflechten. Die Ergebnisse der Studie belegen eine positive sexuelle Prägung unabhängig von der phänotypischen Übereinstimmung: "Die Richter fanden eine signifikante Ähnlichkeit der Gesichtszüge zwischen dem Ehemann der Tochter und ihrem Adoptivvater. Darüber hinaus kann dieser Effekt durch die Qualität der Vater-Tochter-Beziehung in der Kindheit beeinflusst werden. Töchter, die mehr emotionale Unterstützung von ihrem Adoptivvater erhielten, wählten mit größerer Wahrscheinlichkeit einen Partner, der dem Vater ähnlich war, als solche, deren Vater eine weniger positive emotionale Atmosphäre bot." Die Autoren der Studie stellten außerdem die Hypothese auf, dass "die sexuelle Prägung auf die beobachteten Merkmale des andersgeschlechtlichen Elternteils während einer sensiblen Phase in der frühen Kindheit dafür verantwortlich sein könnte, die späteren Kriterien für die Partnerwahl zu formen", eine Hypothese, die zumindest teilweise mit Freuds Ödipusmodell übereinstimmen würde.

Begriffsherkunft

Für die Bildung des Begriffes Ödipuskomplex stützte sich Freud auf die von der griechischen Mythologie überlieferte Figur des Ödipus, dessen Tragödie der Nachwelt u. a. in Sophokles’ Drama König Ödipus erhalten blieb. Ödipus hatte – ohne es zu wissen – seinen eigenen Vater, König Laios von Theben, in einem Handgemenge getötet. Später, nachdem er erfolgreich das Rätsel der Sphinx gelöst hatte, erhielt er als Belohnung seine eigene Mutter Iokaste zur Ehefrau – auch dies ohne sein Wissen. Als er erkennt, dass er mit seiner Mutter jahrelang im Inzest gelebt hat, sticht er sich die Augen aus und geht als blinder Mann ins Exil. Ödipus’ Geschichte wird oft verstanden als eine von vornherein vom Schicksal besiegelte und durch ein Orakel vorhergesagte Tragödie, die Ödipus mehr oder weniger unfreiwillig widerfährt.

Ödipuskomplex nach Freud

Nach den Pionieren der Sexualwissenschaft war es Ende des 19. Jahrhunderts Sigmund Freud, der sich erstmals mit der Entwicklung sexueller Subjektivität befasste. Zunächst entwickelte er eine Theorie, die die Entstehung psychischer Erkrankungen auf sexuelle Traumatisierungen zurückführte, revidierte sie jedoch zugunsten seiner Triebtheorie, zu der auch der Ödipuskomplex gehört.

Das Erklärungsmodell des Ödipuskomplexes wurde von Sigmund Freud anhand seiner Beobachtungen an Patienten, Kindern und der Selbstbeobachtung entwickelt. Er beschreibt den Ödipuskonflikt ursprünglich als Inzestphantasie des Kindes zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr in Bezug auf den gegengeschlechtlichen Elternteil, verbunden mit der Rivalität gegenüber dem Elternteil gleichen Geschlechts und der damit einhergehenden Angst vor dessen Rache. Aufgrund der Analogie zur Gestalt des Ödipus der griechischen Mythologie nannte Freud diese Konstellation Ödipuskomplex oder Ödipuskonflikt. Dabei bestand die Annahme, dass es sich um ein universelles Phänomen handle und dass die umgekehrte Konstellation, die Liebe zum Elternteil gleichen Geschlechts und die entsprechende Rivalität zum anderen Elternteil, ebenfalls eine Regelerscheinung sei.

Durch die Überwindung des Ödipuskonfliktes und die Identifikation mit den Eltern und der Verinnerlichung der durch sie gesetzten Grenzen bildet sich das Über-Ich als stabile innerseelische Instanz aus, welche den Triebansprüchen des Es gegenübersteht. Nach der Latenzphase erfährt der Ödipuskomplex in der Pubertät eine Wiederbelebung, um dann zur Ablösung von den Eltern und zur jeweiligen Form der erwachsenen Objektwahl zu führen. Der Ödipuskomplex spielt nicht nur eine wichtige Rolle bei der sexuellen Orientierung des Erwachsenen, sondern ebenso bei der Strukturierung der Persönlichkeit und der Entstehung der Neurosen.

Der Begriff Ödipuskonflikt betont, dass es sich um eine konflikthafte Konstellation in einem Dreieck handelt, die die Mutter-Kind-Dyade ablöst und als Triangulierung bezeichnet wird, während der Begriff Ödipuskomplex eher auf das gestalthafte Zusammenwirken unterschiedlicher Aspekte bezogen ist.

Weiterentwicklung

Der Ödipuskonflikt gehört zu den Kernkonzepten der Psychoanalyse. Seit der Entwicklung durch Sigmund Freud erfuhr seine Pionierleistung große Anerkennung, ist immer wieder Gegenstand kritischer Auseinandersetzung und wird durch vielfältige Diskurse innerhalb und außerhalb Psychoanalyse modifiziert.

Im Laufe des Jahrhunderts haben sich die Auffassungen von Männlichkeit und Weiblichkeit sowie das Geschlechterwissen grundlegend gewandelt. Zur Differenzierung und Revision des Erklärungsmodells des Ödipuskonflikts haben die Frauen-, Männer- und Geschlechterforschung und darin insbesondere die Arbeiten feministisch orientierter Psychoanalytikerinnen beigetragen – in den 1920er Jahren durch Karen Horney, in den 1970ern durch Janine Chasseguet-Smirgel bis hin zu zeitgenossischen Autoren wie Judith Butler, Jessica Benjamin, Nancy Chodorow, Michael J. Diamond, Muriel Dimen, Dorothee Dinnerstein, Irene Fast, Adrienne Harris, Luce Irigaray, Nancy Kulish, Ethel Person, Reimut Reiche und Christa Rohde-Dachser.

Wolfgang Mertens fasst den aktuellen Stand innerhalb der Psychoanalyse unter verschiedenen Aspekten zusammen:

  • Der Ödipuskonflikt umfasst die Gesamtheit aller Liebes- und Hassgefühle und der sich daraus entwickelnden Schuldgefühle eines Kindes als Resultat der erlebten personalen Beziehungen, einschließlich der unbewussten intersubjektiven und familiendynamischen Vorgänge. Zu seiner Bewältigung gehöre die Anerkennung der Generationengrenzen, die Anerkennung der Mutter und des Vaters, die Anerkennung der Eltern als sexuelles Paar, das Durcharbeiten der Trauer über die sich nicht erfüllenden erotischen Bindungen an die Eltern sowie der Aggressionen aufgrund der Rivalität gegenüber dem einen Elternteil.
  • Aus Sicht der Eltern sei eine Bearbeitung der ambivalenten Regungen von Liebe und Hass, Fürsorge und Destruktion von Bedeutung, die mit der Geburt eines Kindes immer verbunden seien. Auch können unbewältigte ödipale Konflikte aus der eigenen Kindheit reaktiviert werden und müssen neu bearbeitet werden. Durch die Affektabstimmung zwischen Eltern und Kind entwickele sich die Fähigkeit zur triadischen Beziehungsgestaltung und zum Umgang mit Konflikten.
  • Klinisch zeige sich ein Fortbestehen des ungelösten Ödipuskomplexes in dem unbewussten Festhalten an der Idee, der bessere Partner, die bessere Partnerin für ein Elternteil zu sein. Ebenso können das übermäßige Auftreten von Neid- und Schuldgefühlen, des Gefühls, immer ausgeschlossen, bzw. der ausgeschlossene Dritte zu sein oder übergangen zu werden, Hinweise auf eine nicht ausreichende Überwindung des Ödipuskonfliktes sein. Die Bedeutung des ödipalen Konfliktes für die psychoanalytische Krankheitslehre zeigt sich darin, dass er als eine von sieben Konfliktklassen in die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD) aufgenommen wurde.

Trotz über hundert Jahren Beschäftigung mit der psychosexuellen Entwicklung besteht nach Wolfgang Mertens aus klinisch-praktischer und theoretischer Sicht paradoxerweise zum Thema Männlichkeit dennoch ein Theoriedefizit. Mertens vermutet, dass dazu die patrizentrische Haltung der ersten Psychoanalytiker-Generationen beigetragen habe, weil Männlichkeit für so selbstverständlich genommen wurde, dass nur die weibliche Sexualität als „dunkler Kontinent“ (Freud) galt. Zudem scheinen sich viele fest gefügte Vorstellungen über Zweigeschlechtlichkeit, Sexualitat, Normalitat und Abweichung in einem Strudel von Fragen aufzulösen.

Jacques Lacan

Bei Jacques Lacan erfährt die Freudsche Darstellung des Ödipuskonflikts eine bedeutende Rekonstruktion. Zunächst weist Lacan darauf hin, dass der Ödipuskonflikt ein Mythos sei, d. h. eine sprachliche Fiktion. Das entscheidende Geschehen findet nicht auf der Ebene des Realen statt, sondern auf der Ebene des Symbolischen. Der Vater ist nicht notwendig eine reale Person, sondern eine Funktion. Diese Funktion kann von verschiedenen Repräsentanten ausgefüllt werden oder sich auch nur indirekt aus der Zurückweisung des Inzestwunsches durch die Mutter ergeben.

Entscheidend ist nach Lacan lediglich die Fiktion einer das Gesetz (das Inzestverbot) repräsentierenden Instanz. Diese Instanz nennt Lacan den großen Anderen, wobei dieser Andere durch verschiedene Autoritätsfiguren wie Lehrer, Polizisten, Richter, Geistliche etc. repräsentiert werden kann. Der große Andere ist also nicht zwangsläufig der Vater, aber er spricht, so Lacan, „im Namen-des-Vaters“. Indem sich das Kind dieser Instanz unterwirft und das Gesetz anerkennt, wird es zugleich in die Ordnung des Symbolischen eingeführt und aufgenommen – die Ordnung der Sprache, des Diskurses, des Sozialen und seiner Normen.

Der günstige Ausgang des Ödipuskonflikts bedeutet für Lacan vor allem die Möglichkeit des Subjekts, sich aus der kindlich-narzisstischen Verhaftung in das Begehren des begehrten Objekts, des sogenannten Objekts klein a, lösen zu können. Erst indem es sein ursprüngliches Objekt, die Mutter, aufgibt und gegen andere Objekte einzutauschen beginnt, wird es erwachsen.

Erich Fromm (1979)

Auch Erich Fromm interpretiert den Ödipusmythos abweichend von Freud. Er versteht ihn nicht primär als Symbol sexueller Wünsche des Sohnes gegenüber der Mutter. Freud habe zwar mit der Bindung des Sohnes und später des Mannes an die Mutter ein bedeutsames Phänomen entdeckt. Dieses sei jedoch kein sexuelles Phänomen und die Feindseligkeit gegen den Vater hänge nicht mit der Mutterbindung und einer daraus folgenden sexuellen Rivalität mit dem Vater zusammen. Vielmehr sei der Ödipusmythos ein Symbol der Rebellion des Sohnes gegen die Autorität des Vaters in einer patriarchalen Gesellschaft.

Alexander Mitscherlich: Kaspar Hauser oder Ödipus? (1983)

1950 machte Alexander Mitscherlich auf eine zeitspezifische Verschiebung des zentralen Konfliktfeldes vom Freud’schen Ödipus zu Zuständen der Lieblosigkeit und Verlassenheit aufmerksam, die er den Kaspar-Hauser-Komplex des modernen Massenmenschen nannte. Kennzeichen dieses neuen Typus seien Asozialität und Kulturverneinung; es handele sich um „augenblicksbezogene Triebwesen“ ohne geschichtliches Selbstbewusstsein. Die Voraussetzungen des Ödipuskonfliktes, insbesondere eine umfassende elterliche Liebe und Fürsorge im Rahmen der klassischen bürgerlichen Familie, die ein ödipales Begehren erst entstehen lässt, seien durch die historische Entwicklung der modernen Wohlstandsgesellschaft (etwa durch die Berufstätigkeit beider Elternteile) weitgehend außer Kraft gesetzt. Diese Entwicklung finde ihren Niederschlag in der Orientierung der zeitgenössischen Tiefenpsychologie hin zu Fragen „spezifischer Humanität“.

„Es geht darum, daß der Mensch von allem Anfang an mehr als nur leiblich gesättigt werden muß, daß die Fähigkeiten seiner Anlage durch das Überströmen mitmenschlichen Empfindens erst ihre geschichtliche Form gewinnen. Mit anderen Worten, die Versagung, die in jeder Kultur der ursprünglichen Triebhaftigkeit entgegengestellt wird, muß ihren Ausgleich finden in der Gewährung, in dem Herzen anderer beheimatet sein zu dürfen.“