Enterokokken
Enterokokken ⓘ | |
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Infektion mit Enterococcus sp. im Lungengewebe | |
Wissenschaftliche Klassifizierung | |
Bereich: | Bakterien |
Phylum: | Bacillota |
Klasse: | Bazillen |
Ordnung: | Lactobacillales |
Familie: | Enterococcaceae |
Gattung: | Enterokokken (ex Thiercelin & Jouhaud 1903) Schleifer & Kilpper-Bälz 1984 |
Arten: | |
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Enterococcus ist eine große Gattung von Milchsäurebakterien aus dem Stamm Bacillota. Enterokokken sind gram-positive Kokken, die oft paarweise (Diplokokken) oder in kurzen Ketten auftreten und allein aufgrund ihrer physischen Merkmale schwer von Streptokokken zu unterscheiden sind. Zwei Arten sind häufige Begleitorganismen im menschlichen Darm: E. faecalis (90-95 %) und E. faecium (5-10 %). Seltene Häufungen von Infektionen treten mit anderen Arten auf, darunter E. casseliflavus, E. gallinarum und E. raffinosus. ⓘ
Enterokokken (eingedeutschter Plural aus dem latinisierten Singular Enterococcus, der sich aus den beiden altgriechischen Bestandteilen ἔντερον énteron ‚Darm‘, ‚Eingeweide‘ und κόκκος kókkos ‚Kern‘, ‚Korn‘ zusammensetzt) wurden ursprünglich als Streptokokken der Lancefield-Gruppe D eingeordnet, später jedoch als eigene Gattung von den Streptokokken abgetrennt. Enterokokken kommen ubiquitär in der Umwelt (Wasser, Erdboden), beim Tier und beim Menschen (in der normalen Darmflora) sowie in fermentierten Lebensmitteln wie Käse oder Rohwürsten vor. ⓘ
Physiologie und Klassifizierung
Enterokokken sind fakultativ anaerobe Organismen, d. h. sie sind zur Zellatmung sowohl in sauerstoffreicher als auch in sauerstoffarmer Umgebung fähig. Obwohl sie nicht in der Lage sind, Sporen zu bilden, sind Enterokokken tolerant gegenüber einer Vielzahl von Umweltbedingungen: extreme Temperaturen (10-45 °C), pH-Werte (4,6-9,9) und hohe Natriumchloridkonzentrationen. ⓘ
Enterokokken zeigen in der Regel eine Gamma-Hämolyse auf Schafsblutagar. ⓘ
Geschichte
Die Mitglieder der Gattung Enterococcus (von griechisch έντερο, éntero, "Darm" und κοκκος, coccos, "Körnchen") wurden bis 1984 als Streptokokken der Gruppe D klassifiziert, bis eine genomische DNA-Analyse ergab, dass eine eigene Gattungszuordnung angebracht wäre. ⓘ
Entwicklung
Diese Gattung scheint sich vor 425 Millionen Jahren bis 500 Millionen Jahren entwickelt zu haben. ⓘ
Pathologie
Wichtige klinische Infektionen, die durch Enterokokken verursacht werden, sind Harnwegsinfektionen (siehe Enterococcus faecalis), Bakteriämie, bakterielle Endokarditis, Divertikulitis, Meningitis und spontane bakterielle Peritonitis. Empfindliche Stämme dieser Bakterien können mit Ampicillin, Penicillin und Vancomycin behandelt werden. Harnwegsinfektionen können gezielt mit Nitrofurantoin behandelt werden, auch bei Vancomycin-Resistenz. ⓘ
Hirnhautentzündung
Die Enterokokkenmeningitis ist eine seltene Komplikation bei neurochirurgischen Eingriffen. Sie erfordert häufig eine Behandlung mit intravenösem oder intrathekalem Vancomycin, wobei umstritten ist, ob die Anwendung von Vancomycin einen Einfluss auf das Ergebnis hat: Die Entfernung aller neurologischen Geräte ist ein entscheidender Bestandteil der Behandlung dieser Infektionen. Neue epidemiologische Erkenntnisse haben gezeigt, dass Enterokokken die wichtigsten Infektionserreger bei chronischer bakterieller Prostatitis sind. Enterokokken sind in der Lage, in der Prostatadrüse einen Biofilm zu bilden, was ihre Eradikation erschwert. ⓘ
Antibakterielle Resistenz
Aus medizinischer Sicht ist ein wichtiges Merkmal dieser Gattung der hohe Grad an intrinsischer Antibiotikaresistenz. Einige Enterokokken sind intrinsisch resistent gegen Antibiotika auf β-Lactam-Basis (Penicilline, Cephalosporine, Carbapeneme) sowie gegen viele Aminoglykoside. In den letzten zwei Jahrzehnten sind besonders virulente Enterokokkenstämme, die gegen Vancomycin resistent sind (Vancomycin-resistente Enterokokken oder VRE), bei nosokomialen Infektionen von Krankenhauspatienten aufgetreten, insbesondere in den USA. Andere Industrieländer, wie das Vereinigte Königreich, sind von dieser Epidemie verschont geblieben, und 2005 gelang es Singapur, eine VRE-Epidemie zu stoppen. Obwohl Quinupristin/Dalfopristin (Synercid) früher in den USA für die Behandlung von VRE zugelassen war, wurde die FDA-Zulassung für diese Indikation inzwischen zurückgezogen. Die Begründung für die Rücknahme der Indikation von Synercid für VRE war die geringe Wirksamkeit bei E. faecalis, der für die überwiegende Mehrheit der VRE-Fälle verantwortlich ist. Tigecyclin und Rifampicin haben ebenfalls eine antienterokokkale Wirkung gezeigt. ⓘ
Wasserqualität
In Gewässern ist der akzeptable Kontaminationsgrad sehr niedrig. Im Bundesstaat Hawaii und in den meisten anderen Staaten der Vereinigten Staaten liegt der Grenzwert für Wasser an den Stränden bei einem geometrischen Mittelwert von 35 koloniebildenden Einheiten pro 100 ml Wasser, bei dessen Überschreitung der Staat vor dem Aufenthalt im Meer warnen kann. Im Jahr 2004 wurde Enterococci sp. anstelle von fäkalcoliformen Bakterien als neuer US-Bundesstandard für die Wasserqualität an öffentlichen Salzwasserstränden und Escherichia coli an Süßwasserstränden festgelegt. Man geht davon aus, dass Enterococci sp. eine höhere Korrelation als fäkalcoliforme Bakterien mit vielen der menschlichen Krankheitserreger aufweist, die häufig in städtischen Abwässern vorkommen. ⓘ
Mikrobiologische Eigenschaften
Enterokokken sind grampositiv, Katalase-negativ und aufgrund des Fehlens von Porphyrinen und Cytochromen als aerotolerante, anaerobe Bakterien eingestuft. Die kugelförmigen (kokkoiden) Bakterien sind in Paaren oder kurzen Ketten angeordnet. ⓘ
Bei Menschen und Tieren spielen von den etwa 25 bekannten Enterokokken-Spezies unter anderem zwei Arten, nämlich E. faecium und E. faecalis, eine wichtige Rolle im Verdauungssystem. Sie werden daher auch in probiotischen Lebensmitteln zur Förderung der Darmflora des Verdauungssystems eingesetzt. ⓘ
In Lebensmitteln spielen Enterokokken eine wichtige Rolle bei Fermentations- und Reifungsprozessen und tragen zum besonderen und gewünschten Geschmack der Lebensmittel (z. B. Büffel-Mozzarella, Camembert und Ziegenkäse) bei. ⓘ
Weitere Spezies, die selten beim Menschen vorkommen können, sind E. durans sowie E. casseliflavus. ⓘ
Eigenschaften als Krankheitserreger
Bestimmte Enterokokken-Stämme (insbesondere bestimmte E. faecalis-Stämme) können bei Menschen, deren Immunsystem stark geschwächt ist, Infektionen auslösen. ⓘ
Enterokokken sind vor allem als Ursache für Harnwegsinfekte, postoperative Peritonitiden, Wundinfektionen, Bakteriämie und Sepsis sowie Endokarditis zu finden. Sie sind auch Erreger zum Teil schwerer nosokomialer Infektionen. ⓘ
Therapie
Amoxicillin und Ampicillin sind zur antibiotischen Therapie geeignet, sofern keine Resistenzen dagegen vorliegen. Bei Enterococcus faecalis kommt Ampicillin mit oder ohne Gentamicin, alternativ auch Mezlocillin, Piperacillin und Vancomycin in Frage. Bei Enterococcus faecium Vancomycin, Teicoplanin, Daptomycin sowie alternativ Linezolid oder Tigecyclin. Gegen Cephalosporine, Aminoglykoside und einige Penicilline besteht eine natürliche Resistenz, man spricht diesbezüglich von der „Enterokokkenlücke“ dieser Antibiotika (Enterococcus faecium ist in der Regel Ampicillin-resistent, während Enterococcus faecalis Ampicillin-sensibel ist. Zur Behandlung von VRE eignen sich Tigecyclin, Linezolid sowie (wenn sensibel) auch Fosfomycin.). ⓘ
GRE / VRE
Klassifikation nach ICD-10-GM | |
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U80.20! | – Enterococcus faecalis mit Resistenz gegen Glykopeptid-Antibiotika
– Enterococcus faecalis mit Resistenz gegen Glykopeptid-Antibiotika und gegen Oxazolidinone oder Streptogramine – Enterococcus faecalis mit Resistenz gegen Glykopeptid-Antibiotika und mit High-Level-Aminoglykosid-Resistenz |
U80.21! | Enterococcus faecalis mit Resistenz gegen Oxazolidinone oder mit High-Level-Aminoglykosid-Resistenz und ohne Resistenz gegen Glykopeptid-Antibiotika |
U80.30! | – Enterococcus faecium mit Resistenz gegen Glykopeptid-Antibiotika
– Enterococcus faecium mit Resistenz gegen Glykopeptid-Antibiotika und gegen Oxazolidinone oder Streptogramine – Enterococcus faecium mit Resistenz gegen Glykopeptid-Antibiotika und mit High-Level-Aminoglykosid-Resistenz |
U80.31! | Enterococcus faecium mit Resistenz gegen Oxazolidinone oder Streptogramine oder mit High-Level-Aminoglykosid-Resistenz und ohne Resistenz gegen Glykopeptid-Antibiotika |
ICD-10 online (GM-Version 2021) |
Enterokokken, die gegen die gesamte Antibiotikagruppe der Glykopeptide oder speziell gegen das zu dieser Gruppe gehörende Vancomycin resistent sind, werden als Glykopeptid-resistente Enterokokken (GRE) oder Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) bezeichnet. ⓘ
Über Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) wurde erstmals 1988 berichtet. Heute sind VRE einer der häufigsten Gründe einer Bakteriämie bei Krankenhauspatienten nach Antibiotikabehandlung, insbesondere bei Krebspatienten nach einer Chemotherapie. Vancomycinresistenz tritt am häufigsten bei Enterococcus faecium auf. Ein häufiger Weg der Resistenzübertragung ist der sogenannte horizontale Gentransfer über den Austausch von VanA- oder VanB-Genclustern. ⓘ