Paraphilie

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Die Paraphilien (griechisch παραφιλία von pará, ‚abseits‘, ‚neben‘, und philía, ‚Freundschaft‘, ‚Liebe‘) bezeichnen sexuelle Neigungen, die deutlich von der empirischen Norm abweichen. Dazu zählen insbesondere ausgeprägte und wiederkehrende sexuelle Fantasien, Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, die sich auf unbelebte Objekte (sexueller Fetischismus), Schmerz, Demütigung, nicht einverständnisfähige Personen wie Kinder oder auf Tiere beziehen.

Paraphilien wurden lange Zeit überwiegend als krankhaft betrachtet. Mit der Veröffentlichung des DSM-5 im Jahr 2013 wird ihnen nicht mehr grundsätzlich Krankheitswert zugeschrieben, sondern nur noch dann, wenn sie bei der betroffenen Person mit Leidensdruck einhergehen, Not, Verletzung oder den Tod einer anderen Person beinhalten oder jemand beteiligt ist, der nicht bereit oder nicht in der Lage ist, eine rechtliche Zustimmung zu erteilen wie insbesondere Kinder. Unterschieden wird heute zwischen sexuellen Präferenzstörungen, die die sexuelle Selbstbestimmung anderer Menschen nicht beeinträchtigt, und der Kategorie der sexuellen Verhaltensstörungen (Dissexualität, engl. paraphilic disorder).

Paraphilie
SpezialitätPsychiatrie
VerursachtSexuelle Anziehungskraft

Es gibt keinen wissenschaftlichen Konsens über eine genaue Abgrenzung zwischen ungewöhnlichen sexuellen Interessen und paraphilen Interessen. Es ist umstritten, ob und welche Paraphilien in Diagnosehandbüchern wie dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) oder der International Classification of Diseases (ICD) aufgeführt werden sollten.

Die Anzahl und Taxonomie der Paraphilien ist umstritten; eine Quelle nennt bis zu 549 Arten von Paraphilien. Im DSM-5 werden acht paraphile Störungen aufgeführt. Es wurden mehrere Unterklassifizierungen der Paraphilien vorgeschlagen, und einige argumentieren, dass ein volldimensionaler, spektraler oder beschwerdeorientierter Ansatz die Faktenlage besser widerspiegeln würde.

Terminologie

Geschichte

Viele Begriffe wurden zur Beschreibung atypischer sexueller Interessen verwendet, und es gibt nach wie vor Diskussionen über die fachliche Richtigkeit und die Wahrnehmung der Stigmatisierung. Der Sexualwissenschaftler John Money machte den Begriff Paraphilie als nicht pejorative Bezeichnung für ungewöhnliche sexuelle Interessen populär. Money beschrieb Paraphilie als "eine sexuoerotische Verschönerung oder Alternative zur offiziellen, ideologischen Norm". Der Psychiater Glen Gabbard schreibt, dass trotz der Bemühungen von Stekel und Money "der Begriff Paraphilie in den meisten Fällen pejorativ bleibt".

Der Begriff Paraphilie wurde 1903 von Friedrich Salomon Krauss geprägt und gelangte 1913 in den englischen Sprachgebrauch, als der Urologe William J. Robinson auf Krauss Bezug nahm. In den 1920er Jahren wurde er mit einiger Regelmäßigkeit von Wilhelm Stekel verwendet. Der Begriff stammt aus dem Griechischen παρά (para) "neben" und φιλία (-philia) "Freundschaft, Liebe".

Im späten 19. Jahrhundert begannen Psychologen und Psychiater, verschiedene Paraphilien zu kategorisieren, da sie ein anschaulicheres System als die rechtlichen und religiösen Konstrukte der Sodomie und Perversion wünschten. Vor der Einführung des Begriffs Paraphilie im DSM-III (1980) wurde in den ersten beiden Ausgaben des Handbuchs der Begriff sexuelle Abweichung verwendet, um sich auf Paraphilien zu beziehen. In einem 1981 im American Journal of Psychiatry veröffentlichten Artikel wurde Paraphilie als "wiederkehrende, intensive sexuell erregende Phantasien, sexuelle Triebe oder Verhaltensweisen, die im Allgemeinen Folgendes beinhalten", beschrieben:

  • Nicht-menschliche Objekte
  • Das Leiden oder die Demütigung der eigenen Person oder des Partners/der Partnerin
  • Kinder
  • Nicht zustimmende Personen

Unter Acrotomophilie versteht man sexuelle Erregung durch sexuelle Betätigung mit Menschen mit amputierten Gliedmaßen, Apotemnophilie ist ein sexueller Lustgewinn durch Amputation. Beide Begriffe wurden 1977 vom amerikanischen Psychologen John Money im selben Artikel geprägt. Money beschrieb darin zwei Fälle von Patienten, die sich jeweils gesunde Gliedmaßen amputieren lassen wollten, und erklärte dieses Verlangen mit sexuellen Wünschen.

Diese Argumentation ist jedoch umstritten, da es in keinem der Fälle (weder bei Money noch bei zahlreichen darauf folgenden) wirklich um einen sexuellen Lustgewinn durch die Amputation ging. Die Einordnung der Apotemnophilie unter den Paraphilien ist daher nach Meinung vieler Fachleute nicht haltbar. Heute wird häufiger der Begriff „BIID“ verwendet (Body Integrity Identity Disorder).

Diese Formen sexueller Präferenz sind vor allem durch das Buch A Leg to Stand On von Oliver Sacks bekannt geworden, obwohl dort keiner der beiden Zustände ausdrücklich beschrieben wird.

Homosexualität und Nicht-Heterosexualität

Homosexualität, die heute weitgehend als eine Variante der menschlichen Sexualität anerkannt ist, wurde früher als sexuelle Abweichung diskutiert. Sigmund Freud und spätere psychoanalytische Denker betrachteten Homosexualität und Paraphilien als Ergebnis psychosexueller nicht-normativer Beziehungen zum Ödipuskomplex. Der Begriff "sexuelle Perversion" oder das Epitheton "pervers" bezieht sich daher seit jeher auf homosexuelle Männer sowie auf andere Nicht-Heterosexuelle (Menschen, die nicht den Normen der sexuellen Orientierung entsprechen).

Mitte des 20. Jahrhunderts begannen Psychiater damit, die Klassifizierung "abweichender Sexualität" in Kategorien zu formalisieren. Ursprünglich als 000-x63 kodiert, stand Homosexualität an der Spitze der Klassifikationsliste (Code 302.0), bis die American Psychiatric Association 1973 Homosexualität aus dem DSM strich. Martin Kafka schreibt: "Sexuelle Störungen, die früher als Paraphilien galten (z. B. Homosexualität), werden heute als Varianten der normalen Sexualität betrachtet."

Eine Literaturstudie des klinischen Psychologen James Cantor aus dem Jahr 2012, in der Homosexualität und Paraphilien verglichen wurden, kam zu dem Ergebnis, dass beide "die Merkmale des Auftretens und des Verlaufs (sowohl Homosexualität als auch Paraphilien sind lebenslang) gemeinsam haben, sich aber in Bezug auf das Geschlechterverhältnis, die geschlechtliche Geburtsreihenfolge, die Händigkeit, den IQ und das kognitive Profil sowie die Neuroanatomie zu unterscheiden scheinen". Die Studie kam zu dem Schluss, dass die Daten darauf hinzudeuten scheinen, dass es sich bei Paraphilien und Homosexualität um zwei unterschiedliche Kategorien handelt, betrachtete diese Schlussfolgerung jedoch angesichts des derzeit begrenzten Verständnisses von Paraphilien als "recht provisorisch".

Verursacht

Die Ursachen für Paraphilien bei Menschen sind unklar, aber einige Untersuchungen deuten auf einen möglichen Zusammenhang mit der pränatalen Neuroentwicklung hin. Eine Studie aus dem Jahr 2008, in der die sexuellen Fantasien von 200 heterosexuellen Männern mithilfe des Wilson Sex Fantasy Questionnaire untersucht wurden, ergab, dass Männer mit ausgeprägtem Fetischinteresse eine größere Anzahl älterer Brüder, ein hohes 2D:4D-Ziffernverhältnis (was auf eine übermäßige pränatale Östrogenexposition hindeuten würde) und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, Linkshänder zu sein, aufwiesen, was darauf hindeutet, dass eine gestörte hemisphärische Hirnlateralisierung bei paraphilischen Anziehungen eine Rolle spielen könnte.

Verhaltensbiologische Erklärungen gehen davon aus, dass Paraphilien schon früh im Leben konditioniert werden, und zwar während einer Erfahrung, die den paraphilen Stimulus mit intensiver sexueller Erregung verbindet. Susan Nolen-Hoeksema geht davon aus, dass Masturbationsfantasien über den Reiz die paraphile Erregung verstärken und ausweiten, wenn sie einmal entstanden sind.

Diagnose

Es gibt eine wissenschaftliche und politische Kontroverse über die fortgesetzte Aufnahme sexbezogener Diagnosen wie der Paraphilien in das DSM, die auf das Stigma der Einstufung als psychische Krankheit zurückzuführen ist.

Einige Gruppen, die sich um ein besseres Verständnis und eine größere Akzeptanz der sexuellen Vielfalt bemühen, haben sich für eine Änderung des rechtlichen und medizinischen Status von ungewöhnlichen sexuellen Interessen und Praktiken eingesetzt. Charles Allen Moser, ein Arzt und Verfechter sexueller Minderheiten, hat dafür plädiert, dass diese Diagnosen aus den Diagnosehandbüchern gestrichen werden sollten.

Typische versus atypische Interessen

Albert Eulenburg (1914) stellte eine Gemeinsamkeit der Paraphilien fest, indem er die Terminologie seiner Zeit benutzte: "Alle Formen sexueller Perversion ... haben eines gemeinsam: ihre Wurzeln reichen hinunter in die Matrix des natürlichen und normalen Sexuallebens; dort sind sie irgendwie eng mit den Gefühlen und Ausdrucksformen unseres physiologischen Erotismus verbunden. Sie sind ... hyperbolische Intensivierungen, Verzerrungen, monströse Früchte gewisser partieller und sekundärer Ausdrucksformen dieser Erotik, die als 'normal' oder zumindest innerhalb der Grenzen des gesunden Sexualgefühls angesehen wird."

In der klinischen Literatur wird über zahlreiche Paraphilien berichtet, von denen nur einige in den diagnostischen Taxonomien der American Psychiatric Association oder der Weltgesundheitsorganisation einen eigenen Eintrag erhalten. Es besteht Uneinigkeit darüber, welche sexuellen Interessen als paraphile Störungen und welche als normale Varianten sexueller Interessen anzusehen sind. So heißt es beispielsweise im DSM-IV-TR (Stand Mai 2000): "Da in einigen Fällen von sexuellem Sadismus das Opfer nicht geschädigt wird (z. B. Demütigung eines einwilligenden Partners), ist die Formulierung für sexuellen Sadismus eine Mischung aus DSM-III-R und DSM-IV (d. h. "die Person hat diese Triebe bei einer nicht einwilligenden Person ausgelebt, oder die Triebe, sexuellen Phantasien oder Verhaltensweisen führen zu ausgeprägtem Leid oder zwischenmenschlichen Schwierigkeiten").

Das DSM-IV-TR räumt auch ein, dass die Diagnose und Klassifizierung von Paraphilien in verschiedenen Kulturen oder Religionen "durch die Tatsache erschwert wird, dass das, was in einem kulturellen Umfeld als abweichend angesehen wird, in einem anderen Umfeld eher akzeptabel sein kann". Einige argumentieren, dass der kulturelle Relativismus bei der Erörterung von Paraphilien zu berücksichtigen ist, da es große Unterschiede in Bezug auf die sexuelle Akzeptanz in den verschiedenen Kulturen gibt.

Einvernehmliche Aktivitäten und Unterhaltung für Erwachsene, die sexuelle Rollenspiele, neuartige, oberflächliche oder triviale Aspekte des sexuellen Fetischismus oder die Verwendung von Sexspielzeug beinhalten, sind nicht unbedingt paraphil. Paraphile Psychopathologie ist nicht dasselbe wie psychologisch normatives menschliches Sexualverhalten, sexuelle Fantasien und Sexspiele.

Intensität und Spezifität

Kliniker unterscheiden zwischen optionalen, bevorzugten und exklusiven Paraphilien, obwohl die Terminologie nicht vollständig standardisiert ist. Eine "optionale" Paraphilie ist ein alternativer Weg zur sexuellen Erregung. Bei bevorzugten Paraphilien zieht eine Person die Paraphilie konventionellen sexuellen Aktivitäten vor, nimmt aber auch an konventionellen sexuellen Aktivitäten teil.

In der Literatur finden sich Einzelfallstudien über sehr seltene und idiosynkratische Paraphilien. Dazu gehören ein männlicher Jugendlicher, der ein starkes fetischistisches Interesse an den Auspuffrohren von Autos hatte, ein junger Mann mit einem ähnlichen Interesse an einem bestimmten Autotyp und ein Mann, der ein paraphilisches Interesse am Niesen hatte (sowohl an seinem eigenen als auch am Niesen anderer).

Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen

DSM-I und DSM-II

In der amerikanischen Psychiatrie wurden Paraphilien vor der Veröffentlichung des DSM-I als Fälle von "psychopathischer Persönlichkeit mit pathologischer Sexualität" eingestuft. Im DSM-I (1952) wurde die sexuelle Abweichung als Persönlichkeitsstörung des soziopathischen Subtyps aufgenommen. Die einzige diagnostische Vorgabe lautete, dass sexuelle Abweichung "einer abweichenden Sexualität vorbehalten sein sollte, die nicht symptomatisch für umfassendere Syndrome wie schizophrene oder zwanghafte Reaktionen ist". Die Besonderheiten der Störung sollten vom Kliniker als "Zusatzbegriff" zur Diagnose der sexuellen Abweichung angegeben werden; im DSM-I gab es keine Einschränkungen, was dieser Zusatzbegriff sein könnte. Der Forscher Anil Aggrawal schreibt, dass das inzwischen überholte DSM-I als Beispiele für Zusatzbegriffe für pathologisches Verhalten "Homosexualität, Transvestismus, Pädophilie, Fetischismus und sexueller Sadismus, einschließlich Vergewaltigung, sexueller Übergriffe und Verstümmelung" aufführte.

Das DSM-II (1968) verwendet weiterhin den Begriff sexuelle Abweichungen, ordnet sie aber nicht mehr den Persönlichkeitsstörungen zu, sondern stellt sie in eine breite Kategorie mit der Bezeichnung "Persönlichkeitsstörungen und bestimmte andere nicht psychotische psychische Störungen". Die im DSM-II aufgeführten Arten sexueller Abweichungen waren: Störung der sexuellen Orientierung (Homosexualität), Fetischismus, Pädophilie, Transvestitismus (sic), Exhibitionismus, Voyeurismus, Sadismus, Masochismus und "andere sexuelle Abweichung". Für "andere sexuelle Abweichungen" wurden keine Definitionen oder Beispiele angegeben, aber die allgemeine Kategorie der sexuellen Abweichung sollte die sexuellen Vorlieben von Personen beschreiben, die "in erster Linie auf andere Objekte als Menschen des anderen Geschlechts, auf sexuelle Handlungen, die normalerweise nicht mit dem Koitus verbunden sind, oder auf Koitus unter bizarren Umständen, wie bei Nekrophilie, Pädophilie, sexuellem Sadismus und Fetischismus" gerichtet sind. Abgesehen von der Streichung der Homosexualität aus dem DSM-III diente diese Definition als allgemeiner Standard, an dem sich die spezifischen Definitionen der Paraphilien in den nachfolgenden DSM-Ausgaben bis hin zum DSM-IV-TR orientierten.

DSM-III bis DSM-IV

Der Begriff Paraphilie wurde im DSM-III (1980) als Untergruppe der neuen Kategorie "psychosexuelle Störungen" eingeführt.

Das DSM-III-R (1987) benannte die breite Kategorie in sexuelle Störungen um, benannte atypische Paraphilien in Paraphilien NOS (nicht anderweitig spezifiziert) um, benannte Transvestismus in transvestischen Fetischismus um, fügte Frotteurismus hinzu und verschob Zoophilie in die Kategorie NOS. Außerdem wurden sieben nicht erschöpfende Beispiele für NOS-Paraphilien aufgeführt, zu denen neben Zoophilie auch Exhibitionismus, Nekrophilie, Partialismus, Koprophilie, Klismaphilie und Urophilie gehören.

Das DSM-IV (1994) behielt die Klassifikation der sexuellen Störungen für Paraphilien bei, fügte aber eine noch umfassendere Kategorie, "Störungen der sexuellen und geschlechtlichen Identität", hinzu, die diese einschließt. Das DSM-IV behielt dieselben Arten von Paraphilien bei, die im DSM-III-R aufgeführt waren, einschließlich der NOS-Beispiele, führte aber einige Änderungen an den Definitionen einiger spezifischer Arten ein.

DSM-IV-TR

Das DSM-IV-TR beschreibt Paraphilien als "wiederkehrende, intensive, sexuell erregende Fantasien, sexuelle Triebe oder Verhaltensweisen, die im Allgemeinen nicht-menschliche Objekte, das Leiden oder die Erniedrigung der eigenen Person oder des Partners oder von Kindern oder anderen nicht-einwilligenden Personen betreffen und über einen Zeitraum von sechs Monaten auftreten" (Kriterium A), die "klinisch signifikanten Stress oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen" (Kriterium B). Das DSM-IV-TR nennt acht spezifische paraphile Störungen (Exhibitionismus, Fetischismus, Frotteurismus, Pädophilie, sexueller Masochismus, sexueller Sadismus, Voyeurismus und transvestitischer Fetischismus sowie eine Restkategorie, Paraphilien - nicht anderweitig spezifiziert). Kriterium B unterscheidet sich für Exhibitionismus, Frotteurismus und Pädophilie, um das Ausleben dieser Triebe einzuschließen, und für Sadismus das Ausleben dieser Triebe mit einer nicht einwilligenden Person. Sexuelle Erregung in Verbindung mit Objekten, die für sexuelle Zwecke konzipiert wurden, ist nicht diagnostizierbar.

Einige Paraphilien können die Fähigkeit zu sexuellen Aktivitäten mit einwilligenden erwachsenen Partnern beeinträchtigen.

In der aktuellen Version des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV-TR) kann eine Paraphilie nicht als psychiatrische Störung diagnostiziert werden, es sei denn, sie verursacht bei der betreffenden Person Leiden oder schadet anderen.

DSM-5

Das DSM-5 fügt eine Unterscheidung zwischen Paraphilien und paraphilen Störungen hinzu, die besagt, dass Paraphilien an sich keine psychiatrische Behandlung erfordern oder rechtfertigen, und definiert eine paraphile Störung als "eine Paraphilie, die gegenwärtig eine Belastung oder Beeinträchtigung für die Person darstellt, oder eine Paraphilie, deren Befriedigung zu einer persönlichen Schädigung oder der Gefahr einer Schädigung anderer geführt hat".

Die DSM-5-Unterarbeitsgruppe "Paraphilien" kam zu dem "Konsens, dass Paraphilien nicht ipso facto psychiatrische Störungen sind", und schlug vor, "dass das DSM-V eine Unterscheidung zwischen Paraphilien und paraphilen Störungen trifft. [...] Man würde eine Paraphilie feststellen (entsprechend der Art der Triebe, Phantasien oder Verhaltensweisen), aber eine paraphile Störung diagnostizieren (auf der Grundlage von Leid und Beeinträchtigung). Nach dieser Auffassung wäre das Vorhandensein einer Paraphilie eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für das Vorliegen einer paraphilen Störung." Auf der Seite "Rationale" für jede Paraphilie im elektronischen DSM-5-Entwurf heißt es weiter: "Dieser Ansatz lässt die Unterscheidung zwischen normativem und nicht-normativem Sexualverhalten intakt, was für Forscher wichtig sein könnte, ohne jedoch nicht-normatives Sexualverhalten automatisch als psychopathologisch zu bezeichnen. Er beseitigt auch bestimmte logische Absurditäten im DSM-IV-TR. In dieser Version kann ein Mann beispielsweise nicht als Transvestit eingestuft werden, egal wie oft er sich cross-dressed kleidet und wie sexuell aufregend das für ihn ist, es sei denn, er ist unglücklich über diese Aktivität oder beeinträchtigt durch sie. Diese veränderte Sichtweise würde sich in den diagnostischen Kriterien widerspiegeln, indem allen Paraphilien das Wort "Störung" hinzugefügt wird. So würde aus sexuellem Sadismus eine sexuelle Sadismus-Störung, aus sexuellem Masochismus eine sexuelle Masochismus-Störung und so weiter.

Die Bioethik-Professorin Alice Dreger interpretierte diese Änderungen als "eine subtile Art zu sagen, dass sexuelle Neigungen grundsätzlich in Ordnung sind - also okay, die Unterarbeitsgruppe macht sich nicht die Mühe, Paraphilie zu definieren. Aber eine paraphile Störung ist definiert: Das ist der Fall, wenn ein atypisches sexuelles Interesse bei der betreffenden Person Leiden oder Beeinträchtigungen hervorruft oder anderen schadet." Ray Blanchard, der Vorsitzende der Unterarbeitsgruppe Paraphilien, erklärte in einem Interview mit Dreger: "Wir haben versucht, milde und harmlose Paraphilien so weit wie möglich zu entpathologisieren und gleichzeitig anzuerkennen, dass schwere Paraphilien, die Menschen in Bedrängnis bringen oder beeinträchtigen oder anderen Schaden zufügen, zu Recht als Störungen angesehen werden."

Charles Allen Moser stellte fest, dass diese Änderung nicht wirklich substanziell ist, da das DSM-IV bereits einen Unterschied zwischen Paraphilien und nicht-pathologischen, aber ungewöhnlichen sexuellen Interessen anerkannte, eine Unterscheidung, die praktisch identisch mit dem ist, was für das DSM-5 vorgeschlagen wurde, und es ist eine Unterscheidung, die in der Praxis oft ignoriert wurde. Der Linguist Andrew Clinton Hinderliter argumentierte, dass "die Einbeziehung einiger sexueller Interessen - aber nicht anderer - in das DSM eine grundlegende Asymmetrie schafft und ein negatives Werturteil gegenüber den einbezogenen sexuellen Interessen vermittelt" und die Paraphilien in einer ähnlichen Situation belässt wie die ego-dystonische Homosexualität, die aus dem DSM entfernt wurde, weil sie nicht mehr als psychische Störung anerkannt wurde.

Das DSM-5 erkennt an, dass es viele Dutzend Paraphilien gibt, führt aber nur acht davon auf, die forensisch wichtig und relativ häufig sind. Dabei handelt es sich um die voyeuristische Störung, die exhibitionistische Störung, die frotteuristische Störung, die sexuelle masochistische Störung, die sexuelle sadistische Störung, die pädophile Störung, die fetischistische Störung und die transvestische Störung. Andere Paraphilien können unter den Auflistungen Andere spezifizierte paraphile Störung oder Unspezifizierte paraphile Störung diagnostiziert werden, wenn sie mit Leiden oder Beeinträchtigungen einhergehen.

Internationale Klassifikation der Krankheiten

IKD-6, IKD-7, IKD-8

In der ICD-6 (1948) und der ICD-7 (1955) wurde eine Kategorie "sexuelle Abweichung" unter "andere pathologische Persönlichkeitsstörungen" aufgeführt. In der ICD-8 (1965) wurden "sexuelle Abweichungen" als Homosexualität, Fetischismus, Pädophilie, Transvestismus, Exhibitionismus, Voyeurismus, Sadismus und Masochismus kategorisiert. _ICD-7, _ICD-8

ICD-9

In der ICD-9 (1975) wurde die Kategorie der sexuellen Abweichungen und Störungen um Transsexualismus, sexuelle Funktionsstörungen und Störungen der psychosexuellen Identität erweitert. Die Liste enthielt Homosexualität, Bestialität, Pädophilie, Transvestismus, Exhibitionismus, Transsexualismus, Störungen der psychosexuellen Identität, Frigidität und Impotenz, andere sexuelle Abweichungen und Störungen (einschließlich Fetischismus, Masochismus, Sadismus).

ICD-10

In der ICD-10 (1990) wurde die Kategorie "Sexuelle Abweichungen und Störungen" in mehrere Unterkategorien unterteilt. Paraphilien wurden in die Unterkategorie der "Störungen der Sexualpräferenz" eingeordnet. Die Liste umfasste Fetischismus, fetischistischen Transvestismus, Exhibitionismus, Voyeurismus, Pädophilie, Sadomasochismus und andere Störungen der Sexualpräferenz (einschließlich Frotteurismus, Nekrophilie, Zoophilie). Homosexualität wurde aus der Liste gestrichen, aber die ego-dystonische sexuelle Orientierung wurde weiterhin als Abweichung betrachtet und in die Unterkategorie "Psychologische und Verhaltensstörungen im Zusammenhang mit der sexuellen Entwicklung und Orientierung" aufgenommen.

ICD-11

In der ICD-11 (2022) wurde "Paraphilie" durch "paraphile Störung" ersetzt. Jede Paraphilie und jedes andere Erregungsmuster stellt für sich genommen keine Störung mehr dar. Bislang muss die Diagnose die Kriterien einer Paraphilie UND eines der folgenden Kriterien erfüllen: 1) ein ausgeprägter Leidensdruck im Zusammenhang mit dem Erregungsmuster (jedoch nicht aufgrund von Ablehnung oder Angst vor Ablehnung);

2) die Person hat das Erregungsmuster gegenüber unwilligen oder als nicht einwilligungsfähig geltenden Personen ausgeübt;

3) ein ernsthaftes Risiko von Verletzungen oder Tod.

Die Liste der paraphilischen Störungen umfasst: Exhibitionistische Störung, Voyeuristische Störung, Pädophile Störung, Zwangsstörung des sexuellen Sadismus, Frotteuristische Störung, Sonstige paraphile Störung unter Beteiligung nicht einwilligender Personen und Sonstige paraphile Störung unter Beteiligung einsamer Verhaltensweisen oder einwilligender Personen. Ab sofort werden Störungen im Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung nicht mehr in der ICD aufgeführt. Geschlechtsspezifische Probleme wurden aus der Kategorie "Psychische Gesundheit" herausgenommen und unter "Zustände im Zusammenhang mit der sexuellen Gesundheit" eingeordnet.

Verwaltung

Die meisten Kliniker und Forscher sind der Meinung, dass paraphile sexuelle Interessen nicht verändert werden können, obwohl es dafür noch Beweise braucht. Stattdessen besteht das Ziel der Therapie normalerweise darin, das Unbehagen der Betroffenen an ihrer Paraphilie zu verringern und kriminelles Verhalten einzuschränken. Zu diesem Zweck stehen sowohl psychotherapeutische als auch pharmakologische Methoden zur Verfügung.

Mitunter kann eine kognitive Verhaltenstherapie Menschen mit Paraphilien dabei helfen, Strategien zu entwickeln, um zu vermeiden, dass sie ihren Interessen nachgehen. Den Patienten wird beigebracht, Faktoren zu erkennen und zu bewältigen, die das Ausleben ihrer Interessen wahrscheinlicher machen, wie z. B. Stress. Sie ist derzeit die einzige Form der Psychotherapie für Paraphilien, die durch randomisierte Doppelblindstudien unterstützt wird, im Gegensatz zu Fallstudien und übereinstimmenden Expertenmeinungen.

Medikamente

Pharmakologische Behandlungen können den Betroffenen helfen, ihr Sexualverhalten zu kontrollieren, ändern aber nichts am Inhalt der Paraphilie. Sie werden in der Regel mit einer kognitiven Verhaltenstherapie kombiniert, um die beste Wirkung zu erzielen.

SSRIs

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) werden insbesondere bei Exhibitionisten, nicht straffälligen Pädophilen und zwanghaften Masturbatoren eingesetzt. Sie sollen die sexuelle Erregung, die Zwanghaftigkeit und die depressiven Symptome verringern. Sie sind gut aufgenommen worden und gelten als wichtige pharmakologische Behandlung von Paraphilien.

Antiandrogene

In schwereren Fällen werden Antiandrogene eingesetzt. Ähnlich wie die physische Kastration wirken sie durch die Senkung des Androgenspiegels und werden daher als chemische Kastration bezeichnet. Es hat sich gezeigt, dass das Antiandrogen Cyproteronacetat sexuelle Fantasien und strafbares Verhalten erheblich reduziert. Medroxyprogesteronacetat und Gonadotropin-Releasing-Hormon-Agonisten (wie Leuprorelin) wurden ebenfalls zur Senkung des Sexualtriebs eingesetzt. Aufgrund der Nebenwirkungen empfiehlt die World Federation of Societies of Biological Psychiatry, hormonelle Behandlungen nur dann einzusetzen, wenn ein ernsthaftes Risiko für sexuelle Gewalt besteht oder wenn andere Methoden versagt haben. Die chirurgische Kastration wurde weitgehend aufgegeben, da diese pharmakologischen Alternativen ähnlich wirksam und weniger invasiv sind.

Epidemiologie

Die Forschung hat gezeigt, dass Paraphilien bei Frauen selten zu beobachten sind. Es gibt jedoch einige Studien über weibliche Paraphilien. Sexueller Masochismus wurde als die am häufigsten beobachtete Paraphilie bei Frauen festgestellt, wobei etwa 1 von 20 Fällen von sexuellem Masochismus weiblich ist.

Viele räumen ein, dass es nur wenige Forschungsarbeiten über weibliche Paraphilien gibt. Die meisten Studien über Paraphilien werden an Personen durchgeführt, die wegen Sexualverbrechen verurteilt wurden. Da die Zahl der verurteilten männlichen Sexualstraftäter die Zahl der verurteilten weiblichen Sexualstraftäter bei weitem übersteigt, fehlt es folglich an Untersuchungen zu paraphilem Verhalten bei Frauen. Einige Forscher argumentieren, dass Pädophilie bei Frauen unterrepräsentiert ist. Aufgrund der geringen Anzahl von Frauen in Studien über Pädophilie beruhen die meisten Studien auf "ausschließlich männlichen Stichproben". Diese wahrscheinliche Unterrepräsentation kann auch auf eine "gesellschaftliche Tendenz zurückzuführen sein, die negativen Auswirkungen sexueller Beziehungen zwischen Jungen und erwachsenen Frauen zu ignorieren". Michele Elliott hat umfangreiche Untersuchungen zum sexuellen Missbrauch von Kindern durch Frauen durchgeführt und das Buch Female Sexual Abuse of Children: Das letzte Tabu" veröffentlicht, um den geschlechtsspezifischen Diskurs über Sexualverbrechen in Frage zu stellen. John Hunsley stellt fest, dass bei der Erforschung der weiblichen Sexualität auch die physiologischen Grenzen anerkannt werden müssen, wenn es um die Erforschung von Paraphilien geht. Er stellt fest, dass die sexuelle Erregung eines Mannes direkt an seiner Erektion gemessen werden kann (siehe Penis-Plethysmograph), während die sexuelle Erregung einer Frau nicht so deutlich gemessen werden kann (siehe Vaginal-Photoplethysmograph), weshalb die Forschung zur weiblichen Sexualität selten so aussagekräftig ist wie die Forschung über Männer.

Rechtliche Fragen

In den Vereinigten Staaten hat seit 1990 eine beträchtliche Anzahl von Bundesstaaten Gesetze gegen sexuell gewalttätige Straftäter erlassen. Im Anschluss an eine Reihe bahnbrechender Fälle vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten wurden Personen, bei denen Paraphilien, insbesondere Pädophilie (Kansas v. Hendricks, 1997) und Exhibitionismus (Kansas v. Crane, 2002), mit einer Vorgeschichte von antisozialem Verhalten und einer damit verbundenen kriminellen Vorgeschichte (die zumindest einen "gewissen Mangel an Kontrolle" der Person einschließt), können auf der Grundlage verschiedener einzelstaatlicher Gesetze, die allgemein als Gesetze gegen sexuell gewalttätige Straftäter bekannt sind, und des bundesstaatlichen Adam-Walsh-Gesetzes (Vereinigte Staaten gegen Comstock, 2010) auf unbestimmte Zeit in Zivilhaft gehalten werden.

Wandlungen des Begriffs

Der Begriff wurde von Friedrich Salomo Krauss geprägt, nachdem bereits 1843 der ungarische Arzt Heinrich Kaan unter dem Titel Psychopathia sexualis eine Schrift veröffentlicht hatte, in der er die Sündenvorstellungen des Christentums in medizinische Diagnosen umwandelte. Kritiker sehen Krauss in einer entsprechenden Traditionslinie, die der moralischen Vorstellungswelt seiner Zeit entsprach.

Heute werden Paraphilien als psychische Störungen im DSM-IV-Katalog sowie unter dem Begriff „Störung der Sexualpräferenz“ (F65) in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten, 10. Revision (ICD-10) klassifiziert. Die Diagnose einer sexuellen Vorliebe als Paraphilie ist jedoch umstritten und unterliegt historisch und soziologisch einem kontinuierlichen Wandel, der sich in einer andauernden Überarbeitung und Diskussion seitens der Herausgeber beider diagnostischen Handbücher spiegelt.

Abgrenzung des Begriffs

Wenngleich Überschneidungen möglich sind, sind von der Paraphilie folgende Fachtermini begrifflich abzugrenzen:

  • Devianz und Perversion (letzterer Begriff findet heutzutage kaum noch Verwendung und gilt eher als abwertend bis diskriminierend)
  • Dissexualität: ein „sich im Sexuellen ausdrückendes Sozialversagen“ als ein „Verfehlen der (zeit- und soziokulturell bedingten, damit veränderlichen) durchschnittlich erwartbaren Partnerinteressen“
  • Sexualdelinquenz: ein in erster Linie durch die jeweilige Gesetzgebung und Rechtsprechung definiertes Verhalten

Von Laien werden Paraphilien (auch schon in ihrer subklinischen Form) häufig als Perversionen bezeichnet, wobei sich sowohl die WHO wie auch die APA nachdrücklich gegen die Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen mit „ausgefallenen“ sexuellen Vorlieben ausspricht.

Ich-Syntonie vs. Ich-Dystonie bei Paraphilien

Im Gegensatz zu vielen psychischen Störungen sind die Paraphilien in der Regel ich-synton. Dies führt in vielen Fällen dazu, dass Paraphile nicht erkannt werden, da sie sich selbst meist nicht als krank empfinden. Demnach entsteht der Leidensdruck (wenn überhaupt) erst spät im Krankheitsverlauf und ist meist sekundär, sprich der Patient leidet nicht unter seiner eigenen Symptomatik, wie bei ich-dystonen Erkrankungen (z. B. Phobien), sondern er leidet unter Missständen, die sich sekundär aus seiner Krankheit ergeben. Hierzu gehören häufig juristische Folgen, soziale Isolation, finanzielle Schwierigkeiten, Verluste des Arbeitsplatzes, medizinische Krankheitsfaktoren etc., hervorgerufen durch das Auftreten der sexuellen Phantasien, Bedürfnisse oder Verhaltensweisen.

Paraphilien und Persönlichkeit

Die Ursachen für Paraphilien sind bis heute nicht geklärt, obwohl es (wie bei den meisten psychischen Störungen) viele, teilweise sehr divergierende Erklärungsansätze gibt. Eine über Jahrzehnte empirischer Forschung validierte Verbindung findet sich zwischen Sexualität (im Allgemeinen) und Persönlichkeit. Nach den gängigen Persönlichkeitstheorien resultieren menschliche Verhaltensweisen, Denkmuster, Einstellungen etc. zu einem großen Anteil aus der Persönlichkeitsstruktur eines jeden Individuums. Dies lässt sich empirisch überprüfbar auch auf sexuelles Verhalten übertragen.

Aus dieser Überlegung heraus stellen einige Forscher Zusammenhänge zwischen gestörtem Sexualverhalten und Persönlichkeitsstörungen auf. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede Paraphilie mit einer Persönlichkeitsstörung gleichzusetzen ist, sondern vielmehr, dass das gestörte Verhalten, welches viele (nicht alle) Paraphile aufweisen, stark an die Verhältnisse bei Persönlichkeitsstörungen erinnert.

Eine Persönlichkeitsstörung (F60.x) definiert sich aus einer deutlichen Normabweichung in den Einstellungen und dem Verhalten einer Person, wobei diese Normabweichung dauerhaft und gleich bleibend ist, eine ausgeprägte Tiefe und Breite (unabhängig von spezifischen Situationen) aufweist sowie in der Kindheit und Jugend beginnt, sich im frühen Erwachsenenalter manifestiert und in den meisten Fällen als ich-synton erlebt wird.

Diese Zustände finden sich ebenfalls in einer Gruppe von Paraphilen, deren normabweichendes sexuelles Verhalten extrem ausgeprägt ist, dauerhaft und dominant sowie im Erwachsenenalter (meist stärker werdend) manifest wird. Hierbei empfinden sich die betroffenen Paraphilen nicht als krank, sondern betrachten ihre sexuellen Bedürfnisse als häufig wichtiger als die anderer Menschen, sodass es häufig zu Gesetzesbrüchen kommt (z. B. Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe auf Kinder, Diebstahl, Leichenschändung, Nötigung, Hausfriedensbruch etc.). Für diesen Zustand wurde das Konzept der paraphilen Persönlichkeit(sstörung) vorgeschlagen, das jedoch noch relativ unerforscht ist und sich bisher größtenteils auf qualitative Forschung und wenige empirische Ergebnisse stützt. Überschneidungen finden sich auch im Konzept der Dissexualität von Klaus Michael Beier am Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité in Berlin.

„Zur – soweit wie möglich moralisch neutralen – Kennzeichnung dieses zentralen Aspektes bietet sich der Begriff ‚Dissexualität‘ an als ein ‚sich im Sexuellen ausdrückendes Sozialversagen‘, welches verstanden wird als Verfehlen der (zeit- und soziokulturell bedingten, damit veränderlichen) durchschnittlich erwartbaren Partnerinteressen.“

Beier, 1995

Paraphilie-Formen

Die meisten der bekanntesten Paraphilien werden in beiden diagnostischen Handbüchern als eigene Klassen geführt, nur einige der im Folgenden aufgeführten Formen sind in die Restkategorien eingeordnet. Da das DSM-IV keine eigenen Diagnoseschlüssel vorsieht – die dort angegebenen sind lediglich die alten Schlüssel des ICD-9 –, werden hier der Einfachheit halber nur die Kodierungen nach ICD-10 angegeben.

F65.0 Fetischismus

Fetischismus bezeichnet die sexuelle Fixierung auf unbelebte Gegenstände, die als Ersatzobjekt für den gewöhnlichen Sexualakt mit Partner dienen. Typische sexuelle Fetische sind Kleidungsstücke. Ausdrücklich für den sexuellen Gebrauch bestimmte Hilfsmittel wie Vibratoren sind von der Diagnose ausgenommen. Die Fixierung auf bestimmte Körperteile wird demgegenüber als Partialismus, eine Erregung durch Leichenteile als Nekrophilie bezeichnet.

Fetischismus darf nach ICD-10 nur dann diagnostiziert werden, wenn er so ausgeprägt ist, dass er die wichtigste oder sogar einzige Quelle sexueller Erregung darstellt und den Geschlechtsverkehr für den Betroffenen fast zwanghaft oder qualvoll werden lässt. Das Einbeziehen von Zusatzmaterial in den Geschlechtsverkehr, etwa bei Rollenspielen mit Verkleidung, gilt nicht als sexueller Fetischismus, wenn die Diagnosestellung von F65.x nicht erfüllt ist. Ebenso wenig handelt es sich um Fetischismus, wenn bei der Selbstbefriedigung ein Gegenstand herangezogen wird, um die Erinnerung an den Besitzer wachzurufen, also beispielsweise ein getragener Slip des Partners.

F65.1 Fetischistischer Transvestismus / Transvestitischer Fetischismus (DSM)

Bei Transvestitischem Fetischismus (die DSM-Bezeichnung führt zu weniger Verwirrung) wird die sexuelle Erregung allein aus dem Anziehen der Kleidung des anderen Geschlechts gewonnen. Dies ist deutlich abgrenzbar von sowohl Transsexualität als auch klassischen Transvestismus sowie den anderen Verhaltensweisen des Transgender-Spektrums, bei dem das Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts nicht an eine sexuelle Stimulation gekoppelt ist. Im Gegensatz zu Transgendern berichten transvestitische Fetischisten häufig davon, dass sie die Kleidung des anderen Geschlechts nach dem Orgasmus oder dem Abklingen der sexuellen Erregung ausziehen (ICD-10). Eine Subkategorie der Transvestitischen Störung im DSM-5 ist die Autogynophilie.

F65.2 Exhibitionismus

Exhibitionisten erreichen ihre sexuelle Erregung durch das Zeigen des Genitals (häufig in Kombination mit Selbstbefriedigung), wobei es ihnen nicht auf das Hervorrufen eines sexuellen Kontaktes ankommt, sondern sie die Reaktion ihrer Opfer meistens als erregend empfinden. Der Exhibitionist ist typischerweise kein Vergewaltiger.

F65.3 Voyeurismus

Voyeure empfinden sexuelle Erregung beim Beobachten Anderer bei sexuellen oder masturbatorischen Handlungen bzw. in unbekleidetem Zustand. Aufgrund ihrer Paraphilie machen sie sich häufig der sexuellen Nötigung oder des Hausfriedensbruches strafbar. Das Betrachten eigens zur sexuellen Stimulation hergestellten Materials (Pornographie) wird in der Regel nicht als Voyeurismus klassifiziert.

F65.4 Pädophilie

Bei der Pädophilie richtet sich das sexuelle und emotionale Interesse ausschließlich oder überwiegend auf Kinder im prä- oder frühpubertären Alter. In Abgrenzung dazu wird die sexuelle Erregung durch postpubertäre Kinder und Jugendliche häufig als Ephebophilie (Neigung erwachsener Männer zu pubertären Jungen) oder Parthenophilie (Neigung erwachsener Frauen und Männer zu pubertären Mädchen) bezeichnet.

Laut ICD-10 und DSM-IV-TR rechtfertigt eine einmalige sexuelle Handlung mit einem Kind nicht die Diagnosestellung einer Pädophilie.

Die Frage der medizinisch-psychologischen Einordnung bzw. deren Voraussetzungen sollte allerdings nicht mit einer strafrechtlichen oder ethischen Bewertung verwechselt werden. Sexuelle Handlungen mit Personen unter einem gewissen Alter sind nach dem Recht praktisch aller Staaten Straftaten.

Siehe hierzu (insbesondere auch zu kriminologischen Aspekten wie den Folgen für die Opfer) im Artikel Sexueller Missbrauch von Kindern.

F65.5 Sadomasochismus

Sadomasochismus ist nach Definition F65.5 eine Kontraktion der Termini Sexueller Sadismus und Sexueller Masochismus und umfasst auch einvernehmliches Sexualverhalten, welches häufig als BDSM abgegrenzt wird. Beide Begriffe gehen auf Bücher zurück, in denen die jeweilige Spielart exzessiv beschrieben wurde:

  • Der Autor des Buches Die 120 Tage von Sodom, Donatien Alphonse François de Sade, inspirierte die Namensgebung des Sadismus als sexuelle Erregung durch das Quälen oder Erniedrigen anderer.
  • Das Buch Venus im Pelz von Leopold von Sacher-Masoch veranlasste den Psychiater Richard von Krafft-Ebing, die sexuelle Erregung durch das Erleiden von Schmerzen und Erniedrigung als Masochismus zu bezeichnen.

Aus dieser Sicht beschreibt Sadomasochismus Zufügen oder das lustvolle Dulden von Schmerzen, Fesseln, Erniedrigung oder Zufügen anderer – üblicherweise als belastend empfundener – (seelischer) Qualen zur sexuellen Stimulation. Sadomasochismus kann also viele verschiedene Facetten annehmen, bei denen es nicht immer um die Zufügung körperlicher Schmerzen geht (vergleiche Lustschmerz).

Eine Sonderform des sexuellen Masochismus im weitesten Sinne ist die Asphyxiophilie, bei der sexuelle Erregung durch eine Reduktion der Blutzufuhr zum Gehirn (meist durch Selbst-Strangulation) bewirkt wird. Diese Form der Stimulation kann sowohl beim Sex mit Partner(n) wie auch bei der Selbstbefriedigung erfolgen.
Asphyxiophilie ist jedoch nicht eindeutig den Paraphilien zuzuordnen, da nicht geklärt ist, ob es sich wirklich um eine Normabweichung handelt. Es gibt Anzeichen dafür, dass eine Reduktion der Sauerstoffkonzentration im Blut tatsächlich sexuell erregend wirkt. Ein Indiz ist die Wirkung von Amylnitrit (Poppers). Die APA berichtet von etwa zwei Todesfällen pro Million Menschen im Jahr durch sexuelle Selbststrangulation.

Die Definition des F65.5 widerspricht der der Autoren des DSM-IV und führte international zu Protesten und der Gründung von Organisationen, die sich die Abschaffung dieser aus ihrer Sicht diskriminierenden Definition zum Ziel gesetzt haben.

F65.6 Multiple Störungen der Sexualpräferenz

Paraphilien treten nicht immer isoliert auf, sondern können häufig in Kombination bei Patienten beobachtet werden. Die häufigsten Kombinationen bestehen aus Fetischismus, Transvestismus und Masochismus.

F65.8 Sonstige Störungen der Sexualpräferenz

Paraphilien in ihrer Gesamtheit sind sehr selten, weshalb nicht jede einzelne Paraphilie ihre eigene diagnostische Kodierung erhält. Somit fehlt die Kategorie F65.7, und alle weiteren Formen von Paraphilie werden unter F65.8 subsumiert. Dazu zählen beispielsweise:

Frotteurismus

Wird auch als Frottage bezeichnet. Es bereitet dem Patienten sexuelle Befriedigung, seinen Körper (meist in der Öffentlichkeit) an denen anderer, unbekannter Personen zu reiben, wobei dies häufig in Menschenmengen stattfindet (z. B. in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Kaufhäusern). Laut APA (1994) klingt Frotteurismus üblicherweise nach dem 25. Lebensjahr ab. Eine Studie hat Belege gefunden, dass die meisten frotteuristischen Handlungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit selbstunsicherer Persönlichkeitsakzentuierung begangen werden.

Zoophilie

Früher wurde der Begriff der Sodomie oft benutzt, um sowohl sexuelle Handlungen an Tieren als auch den Analverkehr zwischen Männern zu bezeichnen und damit beides abzuwerten. Daher wird heute unmissverständlich von einer Zoophilie gesprochen, wenn Tiere Objekte sexueller Erregung oder Befriedigung sind.

Nekrophilie

Nekrophilie bezeichnet die Neigung zu sexuellen Handlungen an menschlichen Leichen oder toten Körpern von Tieren. Obwohl die Nekrophilie eine eher seltene Form der Paraphilie ist, lassen sich jedoch unterschiedliche Richtungen nekrophiler Handlungen beobachten:

  • Die wohl gefährlichste Form von Nekrophilie ist die Vorliebe für frische Leichen. Dies ergibt sich daraus, dass es hierbei im wahrsten Sinne des Wortes zu Beschaffungskriminalität kommt, sprich zu Morden an anderen, um an eine frische Leiche zu gelangen. Häufig befriedigen sich diese Nekrophilen bis zu einem gewissen Verwesungsgrad ihrer Opfer, bevor sie die Leichen entsorgen und erneut morden. Aufgrund des Falles von Armin Meiwes hat im Frühjahr 2005 der deutsche Bundesgerichtshof entschieden, dass das Töten eines Menschen mit dem Ziel, sich anschließend entweder an der Leiche oder an Bild- und Tonmaterial der Tötung zu erregen, auch das Mordmerkmal der Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebes erfüllt.
  • Eine andere Vorliebe von Nekrophilen sind teilweise verweste Leichen. Die Objekte der sexuellen Begierde werden daher ähnlich wie bei der letzten Gruppe auf Friedhöfen exhumiert. Es zeigt sich, dass viele Nekrophile dieser Richtung häufig explizit Berufe wählen, in denen ihnen das Herankommen an Leichen erleichtert wird (z. B. Bestatter).
  • Die Angehörigen der letzten Gruppe erfahren sexuelle Befriedigung durch Handlungen an bereits skelettierten Leichen, die meist auch auf Friedhöfen exhumiert werden.

Häufig befriedigen sich Nekrophile auch mit Leichenteilen, meist aufgrund der Tatsache, dass der Verwesungsprozess bereits zu weit fortgeschritten ist, um die ganze Leiche zu „verwenden“ oder zu transportieren.

Es gibt im Internet eine Vielzahl an Foren, in denen Nekrophile sich austauschen, Tipps und Tricks vergeben oder sich gegenseitig ihre Erlebnisse schildern. Nekrophilie findet darüber hinaus in vielen Kunstformen ihren Platz, wie in Filmen oder Musik. Ein Sänger, der das Thema Nekrophilie häufig in Titeln wie Cold Ethyl oder I Love the Dead besingt, ist Alice Cooper. Die bekannteste deutsche Band mit einem entsprechenden Text ist Rammstein mit ihrem Lied Heirate Mich.

Weitere

  • Pygophilie: ausgeprägte sexuelle Neigung, die das Gesäß betrifft
  • Amelotatismus: sexuelle Vorliebe für fehlende Gliedmaßen
  • Autassassinophilie: sexuelle Erregung durch die drohende eigene Tötung oder deren Inszenierung
  • Autonepiophilie: sexuelle Vorliebe für Windeln und/oder entsprechende Rollenspiele
  • Feeding: sexuelle Vorliebe für Füttern und Übergewicht
  • Symphorophilie: sexuelle Erregung durch das Betrachten von Unfällen oder Katastrophen
  • Koprophilie: sexuelle Vorliebe für Kot
  • Urophilie: sexuelle Vorliebe für Urin
  • Emetophilie: sexuelle Vorliebe für Erbrochenes
  • Vorarephilie: sexuelle Vorliebe für den Gedanken, verschlungen zu werden, jemanden zu verschlingen oder diesen Vorgang zu beobachten