Fabelwesen

Aus besserwiki.de
Verschiedene Fabelwesen aus dem Bilderbuch für Kinder zwischen 1790 und 1822, von Friedrich Justin Bertuch

Ein Fabelwesen (mythisches oder mythologisches Wesen) ist eine Art fiktives Wesen, typischerweise ein Hybrid, das nicht bewiesen ist und in der Folklore (einschließlich Mythen und Legenden) beschrieben wird, aber auch in historischen Berichten vor der Moderne vorkommen kann.

In der klassischen Epoche tauchen monströse Kreaturen wie der Zyklop und der Minotaurus in Heldengeschichten auf, die der Protagonist vernichten muss. Andere Kreaturen, wie das Einhorn, wurden von verschiedenen Gelehrten der Antike in naturhistorischen Berichten erwähnt. Einige Fabelwesen haben ihren Ursprung in der traditionellen Mythologie und wurden für reale Wesen gehalten, z. B. Drachen, Greife und Einhörner. Andere beruhten auf realen Begegnungen, die ihren Ursprung in entstellten Erzählungen von Reisenden hatten, wie z. B. das Gemüselamm von Tartar, das angeblich an der Erde angebunden wuchs.

Fabelwesen. Darstellung F. J. Bertuch 1806: Basilisk, Vogel Roch, Phönix, Einhorn, Skythisches Lamm, Chimäre
Fabelwesen. Darstellung F. J. Bertuch 1806: Greif, Harpyie, Satyr, Gigant, Hippokamp, Meerjungfrau.

Fabelwesen sind Geschöpfe, deren äußere Erscheinung durch die Phantasie der Menschen geprägt ist und deren Existenz nicht belegt ist. Es handelt sich dabei um menschliche Wesen, Tiere (Fabeltiere), Geistwesen oder Mischwesen (Chimären), die im Märchen, in der Mythologie und in der Heraldik eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel den Minotauros, den Zyklopen oder den Zentauren.

Die meisten Fabelwesen gelten heute als Phantasiegebilde der Menschen ihrer Zeit. Dennoch haben viele ihren Ursprung in der realen Welt: So geht man zum Beispiel davon aus, dass in früheren Zeiten Seefahrer Seekühe zu Meerjungfrauen oder Nixen umgedeutet haben und dass zufällig gefundene Mammutknochen Riesen zugeordnet wurden. In einigen wenigen Fällen hat sich ein regionales „Fabeltier“ in der neueren Forschung sogar als echtes Tier erwiesen. Beispiele hierfür sind das Okapi im Kongogebiet, die Moas und die Brückenechse auf Neuseeland und schließlich das Saola in Vietnam.

In den fürstlichen Wunderkammern, die ab dem 16. Jahrhundert entstanden, nahmen Raritäten und Fabelwesen einen besonderen Platz ein. So zeichnete zum Beispiel Conrad Gessner Drachen und Einhörner, die wahrhaftig in den Alpen vorkämen. Damit sollte der Reichtum von Gottes Natur dargestellt werden.

Zu den bekanntesten modernen Fabelwesen zählen etwa Mothman und der Jersey Devil oder Kryptiden wie Bigfoot und das Ungeheuer von Loch Ness.

Kreaturen

In der klassischen Mythologie wurde der Minotaurus von dem Helden Theseus besiegt.
Mittelalterliche Bestiarien enthielten neben realen Tieren wie dem Bären auch mythische Tiere wie den Monoceros (oben).

In der Kunst und in den Erzählungen der klassischen Epoche taucht eine Vielzahl von Fabeltieren auf. In der Odyssee zum Beispiel muss sich der Held Odysseus mit monströsen Kreaturen wie dem Zyklopen, Skylla und Charybdis auseinandersetzen. In anderen Geschichten taucht die Medusa auf, die von Perseus besiegt wird, der Minotaurus (Mensch/Stier), der von Theseus vernichtet wird, und die Hydra, die von Herakles getötet wird, während Aeneas mit den Harpyien kämpft. Diese Ungeheuer haben also die grundlegende Funktion, die Größe der beteiligten Helden zu unterstreichen.

Einige Kreaturen der klassischen Epoche, wie der Kentaur (Pferd/Mensch), die Chimäre, Triton und das fliegende Pferd, finden sich auch in der indischen Kunst wieder. In ähnlicher Weise erscheinen Sphinxen als geflügelte Löwen in der indischen Kunst und der Piasa-Vogel in Nordamerika.

In der mittelalterlichen Kunst spielten Tiere, sowohl reale als auch mythische, eine wichtige Rolle. Dazu gehörten dekorative Formen wie bei mittelalterlichem Schmuck, manchmal mit kunstvoll verflochtenen Gliedmaßen. Tierformen wurden verwendet, um Objekten Humor oder Erhabenheit zu verleihen. In der christlichen Kunst trugen Tiere symbolische Bedeutungen, wobei beispielsweise das Lamm Christus symbolisierte, eine Taube den Heiligen Geist und der klassische Greif einen Wächter der Toten darstellte. In mittelalterlichen Bestiarien wurden Tiere unabhängig von ihrer biologischen Realität dargestellt; der Basilisk repräsentierte den Teufel, während der Mantikor die Versuchung symbolisierte.

Allegorie

Symbolische Kraft: ein Drache in der Kaiserstadt, Huế, Vietnam

Eine Funktion der Fabeltiere im Mittelalter war die Allegorie. Einhörner zum Beispiel wurden als außerordentlich schnell und mit traditionellen Methoden uneinholbar beschrieben. Man glaubte, dass die einzige Möglichkeit, dieses Tier zu fangen, darin bestand, eine Jungfrau zu seiner Behausung zu führen. Dann sollte das Einhorn auf ihren Schoß springen und sich schlafen legen, woraufhin ein Jäger es schließlich fangen konnte. In der Symbolik war das Einhorn eine Metapher für Christus. Einhörner verkörperten die Idee der Unschuld und Reinheit. In der King-James-Bibel heißt es in Psalm 92,10: "Mein Horn sollst du erheben wie das Horn eines Einhorns". Das liegt daran, dass die Übersetzer der King James Bibel das hebräische Wort re'em fälschlicherweise mit Einhorn übersetzt haben. Spätere Versionen übersetzen dies mit wilder Ochse. Die geringe Größe des Einhorns steht für die Demut Christi.

Ein weiteres verbreitetes Fabelwesen, das im Mittelalter allegorische Funktionen erfüllte, war der Drache. Der Drache wurde mit der Schlange gleichgesetzt, wobei die Eigenschaften des Drachens stark intensiviert wurden. Der Drache soll größer gewesen sein als alle anderen Tiere. Man glaubte, dass der Drache kein schädliches Gift besaß, sondern in der Lage war, alles zu töten, was er umarmte, ohne dass er Gift brauchte. In den biblischen Schriften wird der Drache mit dem Teufel in Verbindung gebracht, und im Mittelalter wurden sie zur Bezeichnung der Sünde im Allgemeinen verwendet. Man sagte, dass Drachen an Orten wie Äthiopien und Indien hausten, weil es an diesen Orten immer heiß war.

Körperliche Details standen für die Künstler, die diese Tiere darstellten, nicht im Mittelpunkt, und mittelalterliche Bestiarien waren nicht als biologische Kategorisierungen konzipiert. Kreaturen wie das Einhorn und der Greif wurden in mittelalterlichen Bestiarien nicht in einem separaten "mythologischen" Abschnitt kategorisiert, da die symbolischen Implikationen im Vordergrund standen. Tiere, von denen wir wissen, dass sie existierten, wurden immer noch mit einem phantastischen Ansatz dargestellt. Es scheint, dass die religiösen und moralischen Implikationen der Tiere bei diesen Darstellungen weitaus wichtiger waren als ihre physische Ähnlichkeit. Nona C. Flores erklärt: "Im zehnten Jahrhundert waren die Künstler zunehmend an eine allegorische Interpretation gebunden und gaben naturalistische Darstellungen auf."