Pentatonik
Eine pentatonische Tonleiter ist eine musikalische Skala mit fünf Tönen pro Oktave, im Gegensatz zur heptatonischen Skala, die sieben Töne pro Oktave hat (wie die Dur- und Molltonleiter). ⓘ
Pentatonische Skalen wurden unabhängig voneinander von vielen alten Kulturen entwickelt und werden bis heute in verschiedenen Musikstilen verwendet. Es gibt zwei Arten von pentatonischen Skalen: solche mit Halbtönen (hemitonisch) und solche ohne (anhemitonisch). ⓘ
Als Pentatonik (griechisch πεντα- penta-, deutsch ‚Fünf-‘) oder Fünfton-Musik bezeichnet man Tonleitern und Tonsysteme, die aus fünf verschiedenen Tönen bestehen. ⓘ
Man unterscheidet:
- hemitonische Fünftonskalen mit Halbton-Schritten
- anhemitonische Fünftonskalen ohne Halbtonschritte. ⓘ
Skalen aus fünf Tönen kennzeichnen seit etwa 3000 v. Chr. – vermutlich ausgehend von Mesopotamien – die Musik vieler indigener Völker Asiens, Afrikas, Amerikas und des frühen Europas. Sie gelten auch als Vorläufer der aus Griechenland stammenden europäischen Heptatonik. ⓘ
Arten
Halbtonleiter und anhemitonische Tonleiter
In der Musikwissenschaft werden pentatonische Skalen üblicherweise als hemitonisch oder anhemitonisch klassifiziert. Heemitonische Skalen enthalten einen oder mehrere Halbtöne, anhemitonische Skalen enthalten keine Halbtöne. (In der japanischen Musik wird zum Beispiel die anhemitonische yo-Tonleiter der hemitonischen in-Tonleiter gegenübergestellt). Halbtonale pentatonische Skalen werden auch "ditonische Skalen" genannt, weil das größte Intervall in ihnen der Diton ist (z. B. in der Skala C-E-F-G-B-C das Intervall zwischen C-E und G-B). (Nicht zu verwechseln mit dem gleichen Begriff, der von Musikwissenschaftlern auch für eine Tonleiter mit nur zwei Tönen verwendet wird). ⓘ
Pentatonische Dur-Tonleiter
Anhemitonische pentatonische Skalen können auf viele Arten konstruiert werden. Die pentatonische Durtonleiter kann als eine lückenhafte oder unvollständige Durtonleiter betrachtet werden. Die pentatonische Skala hat jedoch einen einzigartigen Charakter und ist in Bezug auf die Tonalität vollständig. Eine Konstruktion nimmt fünf aufeinanderfolgende Tonhöhen aus dem Quintenzirkel; beginnend mit C sind dies C, G, D, A und E. Transponiert man die Tonhöhen so, dass sie in eine Oktave passen, so werden sie zur pentatonischen Durtonleiter umgeordnet: C, D, E, G, A. ⓘ
- <score sound="1"> {
\override Score.TimeSignature #'stencil = ##f \relative c' {
\Zeit 5/4 c d e g a c
} } </score> Eine andere Konstruktion arbeitet rückwärts: Sie lässt zwei Tonhöhen einer diatonischen Tonleiter aus. Wenn man zum Beispiel mit einer C-Dur-Tonleiter beginnt, könnte man die vierte und die siebte Stufe, F und B, weglassen. Die verbleibenden Noten bilden dann die pentatonische Durtonleiter: C, D, E, G und A. ⓘ
Wenn man die dritte und siebte Stufe der C-Dur-Tonleiter weglässt, erhält man die Noten für eine andere, transpositionell äquivalente anhemitonische pentatonische Tonleiter: F, G, A, C, D. Wenn man die erste und vierte Stufe der C-Dur-Tonleiter weglässt, erhält man eine dritte anhemitonische pentatonische Tonleiter: G, A, B, D, E. ⓘ
Die schwarzen Tasten auf der Klaviertastatur bilden eine pentatonische G-Dur-Tonleiter (oder entsprechend eine Fis-Tonleiter): G, A, B, D und Es, die in Chopins Etüde mit den schwarzen Tasten verwendet wird. ⓘ
- <score sound="1"> {
\override Score.TimeSignature #'stencil = ##f \relative c {
\Zeit 5/4 ges aes bes des ees ges
} } ⓘ
</score> ⓘ
Moll-Pentatonische Skala
Obwohl verschiedene hemitonische pentatonische Skalen als Moll bezeichnet werden können, wird der Begriff meist auf die relative Moll-Pentatonik angewandt, die von der Dur-Pentatonik abgeleitet ist und die Töne 1, 3, 4, 5 und 7 der natürlichen Molltonleiter verwendet. (Die c-Moll-Pentatonik, die relative Moll-Tonleiter der Es-Pentatonik, besteht aus C, Es, F, G, B. Die a-Moll-Pentatonik, die relative Moll-Tonleiter der C-Pentatonik, besteht aus denselben Tönen wie die C-Dur-Pentatonik, beginnend auf A, also A, C, D, E, G. Diese Moll-Pentatonik enthält alle drei Töne eines a-Moll-Dreiklangs. ⓘ
- <score sound="1"> {
\override Score.TimeSignature #'stencil = ##f \relative c {
\Zeit 5/4 a4 c d e g | a
} } ⓘ
</score> ⓘ
Die Standardstimmung einer Gitarre verwendet die Noten einer pentatonischen Skala in e-Moll: E-A-D-G-B-E, was zu ihrer Häufigkeit in der populären Musik beiträgt. ⓘ
Japanische Tonleiter
Der japanische Modus basiert auf dem phrygischen Modus, verwendet aber die Töne 1, 2, 4, 5 und 6 anstelle der Töne 1, 3, 4, 5 und 7. ⓘ
- <score sound="1"> {
\override Score.TimeSignature #'stencil = ##f \relative c' {
\Zeit 5/4 e f a b c | e
} } ⓘ
</score> ⓘ
Pentatonische Tonleitern, die durch Aufwärtslaufen der Tasten C, D, E, G und A gefunden werden
Die fünf pentatonischen Tonleitern, die sich durch Aufwärtslaufen der Tasten C, D, E, G und A ergeben, sind:
Tonika | Name(n) | Chinesische pentatonische Tonleiter | Indische pentatonische Skala | Auf C | Tasten der pentatonischen C-Dur-Tonleiter | Schwarze Tasten (die Tasten der pentatonischen G♭-Dur-Tonleiter) | Verhältnisse (nur) | Transpositionen in weißen Tasten (die Tasten der pentatonischen Skala C-Dur, F-Dur und G-Dur) ⓘ |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1 (C) | Dur-Pentatonik | 宮 (Gong, C) Modus | Hindustani - Raag Bhupali Karnatisch - Raga Mohanam |
C D E G A C | C D E G A C | G♭-A♭-B♭-D♭-E♭-G♭ | 24:27:30:36:40:48 | C D E G A C F G A C D F oder G A B D E G |
2 (D) | Ägyptisch, hängend | 商 (shang, D) Modus | Hindustani - Raag Megh Karnatisch - Raga Madhyamavati |
C D F G B♭ C | D E G A C D | A♭-B♭-D♭-E♭-G♭-A♭ | 24:27:32:36:42:48 | D E G A C D G A C D F G oder A B D E G A |
3 (E) | Blues-Moll, Man Gong (Guqin-Stimmungen) | 角 (jue, E) Modus | Hindustani - Raag Malkauns Karnatisch - Raga Hindolam |
C E♭ F A♭ B♭ C | E G A C D E | B♭-D♭-E♭-G♭-A♭-B♭ | 15:18:20:24:27:30 | E G A C D E A C D F G A oder B D E G A B |
5 (G) | Blues-Dur, Ritsusen [ja], Yo-Tonleiter | 徵 (zhi, G) Modus | Hindustani - Raag Durga Karnatisch - Raga Shuddha Saveri |
C D F G A C | G A C D E G | D♭-E♭-G♭-A♭-B♭-D♭ | 24:27:32:36:40:48 | G A C D E G C D F G A C oder D E G A B D |
6 (A) | Moll-Pentatonik | 羽 (yu, A) Modus | Hindustani - Raag Dhani Karnatisch - Raga Udayaravichandrika |
C E♭ F G B♭ C | A C D E G A | E♭-G♭-A♭-B♭-D♭-E♭ | 30:36:40:45:54:60 | A C D E G A D F G A C D oder E G A B D E |
(Eine kleine Septime kann 7:4, 16:9 oder 9:5 sein; eine große Sexte kann 27:16 oder 5:3 sein. Beide wurden gewählt, um die Verhältnisanteile zu minimieren.) ⓘ
Ricker ordnete die pentatonische Dur-Tonleiter dem Modus I zu, während Gilchrist sie dem Modus III zuordnete. ⓘ
Ableitung aus diatonischen Modi
Jede pentatonische Tonleiter, die sich aus den Tasten C, D, E, G und A ergibt, kann als die fünf Skalenstufen betrachtet werden, die sich drei verschiedene diatonische Modi teilen, wobei die beiden verbleibenden Skalenstufen entfernt wurden:
Pentatonische Skala |
Tonika Note |
Basierend auf Modi (Diatonische Skala) | Basisskala Grad |
Modifikationen | Intervallfolge ⓘ |
---|---|---|---|---|---|
Dur | C |
|
I-II-III-V-VI | 4 auslassen 7 | W-W-3/2-W-3/2 |
Blues-Dur | G |
|
I-II-IV-V-VI | 3 auslassen 7 | W-3/2-W-W-3/2 |
Schwebend | D |
|
I-II-IV-V-VII | 3 auslassen 6 | W-3/2-W-3/2-W |
Moll | A |
|
I-III-IV-V-VII | 2 6 auslassen | 3/2-W-W-3/2-W |
Blues Moll | E |
|
I-III-IV-VI-VII | 2 auslassen 5 | 3/2-W-3/2-W-W |
Intervalle von der Tonika
Jede pentatonische Tonleiter, die sich aus den Tonarten C, D, E, G und A ergibt, weist gemäß der nachstehenden Tabelle unterschiedliche Tonabstände zur Tonika auf. Man beachte das Weglassen der Halbtöne über (m2) und unter (M7) der Tonika sowie des Tritonus (TT). ⓘ
Pentatonische Skala |
Tonika Note |
Intervalle in Bezug auf die Tonika ⓘ | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
Unisono | Sekunde Note |
Terz Note |
Quarte Note |
Quinte Note |
Oktave | ||
Dur | C | P1 | M2 | M3 | P5 | M6 | P8 |
Blues-Dur | G | P4 | |||||
Schwebend | D | m7 | |||||
Moll | A | m3 | |||||
Blues Moll | E | m6 |
Natürlich entstehende Akkorde
Die üblichen diatonischen Dur- und Moll-Akkorde werden zwar häufig über der pentatonischen Skala gespielt, ergeben sich aber nicht auf natürliche Weise aus der pentatonischen Skala, da sie das Spielen der beiden zusätzlichen Noten erfordern, die in der Pentatonik weggelassen werden. Stattdessen können pentatonische Akkorde konstruiert werden, indem man den Grundton, die dritte Note und die fünfte Note der pentatonischen Skala nimmt, ähnlich wie bei der üblichen Konstruktion von Akkorden in der diatonischen Skala, die dann über alle Noten gespielt werden können, ohne zusätzliche Noten einzubeziehen. ⓘ
Die drei Akkorde, die sich auf natürliche Weise aus der diatonischen Tonleiter ergeben, sind zum Beispiel der Dur-, der Moll- und der verminderte Akkord. Die drei Akkorde, die sich auf natürliche Weise aus der pentatonischen Tonleiter ergeben, sind Umkehrungen der diatonischen Moll-, Dur- und Schwebeakkorde, wie in der folgenden Tabelle dargestellt. Im Gegensatz zu diatonischen Akkorden, die kleine und große Terzen stapeln, stapeln pentatonische Akkorde große Terzen und perfekte Quarten. ⓘ
Stapeln von Intervallen | Akkordtöne | Intervalle in Bezug auf den Grundton | Diatonische Akkordumkehrung ⓘ | ||
---|---|---|---|---|---|
Grundton | dritte Note | Quinte | |||
M3-P4 | C-E-A (Am/C) | P1 | M3 | M6 | Moll |
P4-M3 | G-C-E (C/G) | P4 | Dur | ||
P4-P4 | D-G-C (Gsus4/D) A-D-G (Dsus4/A) E-A-D (Asus4/E) |
m7 | Schwebend |
Pythagoräische Stimmung
Ben Johnston gibt die folgende pythagoräische Stimmung für die pentatonische Molltonleiter an:
Note | Solfege | A | C | D | E | G | A ⓘ | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Verhältnis | 1⁄1 | 32⁄27 | 4⁄3 | 3⁄2 | 16⁄9 | 2⁄1 | |||||||
Natürlich | 54 | 64 | 72 | 81 | 96 | 108 | |||||||
Audio | 1 |
3 | 4 | 5 | 7 | 8 | |||||||
Schritt | Name | m3 | T | T | m3 | T | |||||||
Verhältnis | 32⁄27 | 9⁄8 | 9⁄8 | 32⁄27 | 9⁄8 |
Die Naturtöne in dieser Tabelle sind nicht die alphabetische Reihe A bis G ohne Bässe und Kreuze: Naturtöne sind Kehrwerte von Termen in der Harmonischen Reihe (Mathematik), die in der Praxis Vielfache einer Grundfrequenz sind. Dies lässt sich ableiten, indem man von dem Prinzip ausgeht, das historisch gesehen die pythagoräische diatonische und chromatische Tonleiter ergibt, indem man perfekte Quinten mit Frequenzverhältnissen von 3:2 (C-G-D-A-E) übereinander legt. Betrachtet man die anhemitonische Skala als Teilmenge einer einfachen diatonischen Skala, so ist sie folgendermaßen gestimmt: 20:24:27:30:36 (A-C-D-E-G = 5⁄6-1⁄1-9⁄8-5⁄4-3⁄2). Die genaue Zuordnung von Frequenzanteilen zu den pentatonischen Skalen der meisten Kulturen ist problematisch, da die Stimmung variabel sein kann. ⓘ
Die anhemitische Slendro-Skala und ihre Modi auf Java und Bali sollen sich beispielsweise ganz grob einer gleichschwebenden Fünf-Ton-Skala annähern, aber ihre Stimmungen variieren von Gamelan zu Gamelan dramatisch. ⓘ
Der Komponist Lou Harrison ist einer der jüngsten Befürworter und Entwickler neuer pentatonischer Skalen auf der Grundlage historischer Vorbilder. Harrison und William Colvig stimmten die Slendro-Skala des Gamelan Si Betty auf die Obertöne 16:19:21:24:28 (1⁄1-19⁄16-21⁄16-3⁄2-7⁄4). Sie stimmten das Mills-Gamelan so, dass die Intervalle zwischen den Skalenschritten 8:7-7:6-9:8-8:7-7:6 betragen (1⁄1-8⁄7-4⁄3-3⁄2-12⁄7-2⁄1 = 42:48:56:63:72) ⓘ
Verwendung von pentatonischen Skalen
Pentatonische Skalen kommen in vielen Musiktraditionen vor:
- Klassische indische Musik, sowohl Hindustani- als auch karnatische Traditionen
- die peruanische Chicha Cumbia
- Indigene ethnische Volksmusik von Assam
- Arabische Musik aus dem Sudan
- Keltische Volksmusik
- Englische Volksmusik
- Deutsche Volksmusik
- Nordische Volksmusik
- Ungarische Volksmusik
- Kroatische Volksmusik
- Berberische Musik
- Westafrikanische Musik
- Afrikanisch-amerikanische Spirituals
- Gospel-Musik
- Bluegrass-Musik
- Amerikanische Volksmusik
- Musik aus Äthiopien
- Jazz
- Blues
- Rockmusik
- Samischer Joik-Gesang
- Kinderlied
- Die Musik des alten Griechenlands
- Griechische traditionelle Musik und mehrstimmige Lieder aus Epirus im Nordwesten Griechenlands
- Musik aus Südalbanien
- Volkslieder der Völker der mittleren Wolgaregion (z. B. der Mari, der Tschuwaschen und der Tataren)
- Die Stimmung der äthiopischen Krar und des indonesischen Gamelan
- Philippinischer Kulintang
- die Musik der amerikanischen Ureinwohner, insbesondere im südamerikanischen Hochland (Quechua und Aymara), sowie der nordamerikanischen Indianer im pazifischen Nordwesten
- Die meiste türkische, mongolische und tungusische Musik Sibiriens und der asiatischen Steppe ist in der pentatonischen Tonleiter geschrieben.
- Melodien aus China, Korea, Laos, Thailand, Kambodscha, Malaysia, Japan und Vietnam (einschließlich der Volksmusik in diesen Ländern)
- Traditionelle japanische Hofmusik
- Shōmyō-Gesang
- Andenmusik
- Afro-karibische Musik
- Polnische Hochlandmusik aus dem Tatra-Gebirge
- westlich-impressionistische Komponisten wie der französische Komponist Claude Debussy. ⓘ
Pentatonik ist in Gesang, Liedgut und Intonation von Musikinstrumenten vieler Völker Afrikas, Amerikas, Asiens und Europas anzutreffen, darunter:
- westafrikanische Stämme,
- nordamerikanische Indianer, z. B. die der Appalachen, Blackfoots u. a.
- Albanien und Balkan,
- Äthiopien
- Bali,
- Bretagne,
- China,
- Epirus in Griechenland,
- Völker der Hohen Tatra,
- Indien,
- Indonesien,
- Japan,
- Java (Slendro, s. o.),
- Karibische Inseln,
- Kelten,
- Korea,
- Magyaren,
- Mongolei,
- Pyrenäen,
- Samen,
- Süd-Ägypten (Ägypten)
- Südmarokko
- Sudan
- Somalia
- Tansania (Gogo)
- Vietnam
und viele andere. ⓘ
Pentatonisch gestimmte Instrumente sind ebenfalls sehr verbreitet, etwa:
- äthiopische Krar
- finnische Kantele
- griechische Kithara
- indonesischer Gamelan
- japanische Shakuhachi
- philippinischer Kulintang
- schottischer Dudelsack ⓘ
In der klassischen Musik
In der europäischen Kunstmusik wurde Pentatonik lange Zeit nicht eigens thematisiert, sondern als integraler Bestandteil der traditionellen heptatonischen Kirchentonarten betrachtet und verwendet. Sie beeinflusste manche alte Choralmelodien, trat seit der Durchsetzung der Dur-Moll-Tonalität jedoch weitgehend zurück. ⓘ
Erst im Zuge des neu erwachten Interesses an Volksmusiken, außereuropäischer und archaischer Musik im Zeitalter der Romantik wurde Pentatonik als eigenes Tonmaterial mit besonderer Klangcharakteristik beachtet. Komponisten übernahmen oder imitierten pentatonische Themen aus der Volksmusik ihrer Nation oder fremder Völker. Beispiele sind:
- das Kopfmotiv der Morgenstimmung aus der Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg,
- das Thema des Largo-Satzes aus der Sinfonie Nr. 9 („Aus der Neuen Welt“) und das Streichquartett Nr. 12 von Antonín Dvořák.
Anderen diente die Pentatonik als Klangeffekt zur Ergänzung, Verfremdung oder Bereicherung einer ansonsten dur-moll-tonalen Harmonik, zum Beispiel in:
- Au bord d’une source von Franz Liszt,
- Etude op. 10 Nr. 5 in Ges-Dur von Frédéric Chopin, deren Melodik der rechten Hand ausschließlich auf schwarzen Klaviertasten gespielt wird,
- Madam Butterfly und Turandot von Giacomo Puccini. ⓘ
Im sogenannten Impressionismus und bei manchen Komponisten des 20. Jahrhunderts wird Pentatonik dann auch als eigene Form von Tonalität beachtet, die ganze Stücke oder Werkpassagen bestimmt. Beispiele:
- Arabesque Nr. 1 von Claude Debussy. Dieser hatte javanische und balinesische Gamelanmusik 1889 auf der Weltausstellung in Paris kennengelernt.
- Passacaille, dritter Satz des Pianotrios, Satz Laideronnette aus Ma Mère l’Oye von Maurice Ravel,
- Der wunderbare Mandarin und einige Stücke im Mikrokosmos von Béla Bartók,
- Economia de Tahuantinsuyu, zweites Werk des Lateinamerikazyklus von Susanne Hinkelbein,
- Die Nachtigall von Igor Strawinsky. ⓘ
Der zeitgenössische Komponist Lou Harrison verwendete in manchen seiner Werke neue pentatonische Skalen. ⓘ
Indische Ragas
In der klassischen indischen Musik gibt es Hunderte von Ragas, von denen viele pentatonisch sind. Beispiele sind Raag Abhogi Kanada (C, D, Es, F, A), Raag Bhupali (C, D, E, G, A), Raag Bairagi (C, D, F, G, B), Raag Chandrakauns (C, Es, F, A-flat, B), Raag Dhani (C, E-flat, F, G, B-flat), Raag Durga (C, D, F, G, A), Raag Gunakari (C, D-flat, F, G, A-flat), Raag Hamsadhwani (C, D, E, G, B), Raag Hindol (C, E, F#, A, B), Raag Kalavati (C, E, G, A, B-flat), Raag Katyayani (C, D, E-flat, G, A-flat), Raag Malkauns (C, E-flat, F, A-flat, B-flat), Raag Megh (C, D, F, G, B-flat), Raag Shivaranjani (C, D, Es, G, A), Raag Shuddha Sarang (C, D, F#, G, B), Raag Tilang (C, E, F, G, B), Raag Vibhas (C, D-Flat, E, G, A-flat),}} Raag Vrindavani Sarang (C, D, F, G, B), und andere. ⓘ
Weitere pentatonische Musiktraditionen
Die pentatonische Dur-Tonleiter ist die Grundtonleiter der Musik Chinas und der Mongolei sowie vieler südostasiatischer Musiktraditionen wie der Karen und der einheimischen assamesischen Ethnien. In den meisten östlichen Ländern herrscht die pentatonische Skala vor, während in den westlichen Ländern eher die heptatonische Skala verwendet wird. Die Grundtöne (ohne Meri- oder Kari-Techniken), die von den fünf Löchern der japanischen Shakuhachi-Flöte wiedergegeben werden, spielen eine pentatonische Molltonleiter. Die in japanischen buddhistischen Shomyo-Gesängen und in der kaiserlichen Hofmusik Gagaku verwendete Yo-Skala ist eine anhemitonische pentatonische Skala (siehe unten), die der vierte Modus der pentatonischen Dur-Tonleiter ist. ⓘ
Javanisch
In der javanischen Gamelanmusik hat die Slendro-Skala fünf Töne, von denen vier in der klassischen Musik betont werden. Eine andere Skala, Pelog, hat sieben Töne und wird im Allgemeinen unter Verwendung einer der drei als Pathet bezeichneten Untergruppen von fünf Tönen gespielt, bei denen bestimmte Töne vermieden und andere betont werden. ⓘ
Somali
Die somalische Musik verwendet ein ausgeprägtes modales System, das pentatonisch ist, mit charakteristisch langen Intervallen zwischen einigen Noten. Wie bei vielen anderen Aspekten der somalischen Kultur und Tradition ist der Musikgeschmack und die Lyrik stark mit denen der Nachbarländer Äthiopien, Eritrea, Dschibuti und Sudan verbunden. ⓘ
Schottisch
In der schottischen Musik ist die pentatonische Skala sehr verbreitet. Seumas MacNeill vermutet, dass die Skala des Great Highland Bagpipe mit ihrer überhöhten Quarte und verminderten Septime "ein Mittel ist, um aus ihren neun Tönen so viele pentatonische Skalen wie möglich zu erzeugen" (obwohl diese beiden Merkmale nicht in derselben Skala enthalten sind). Roderick Cannon erklärt diese pentatonischen Skalen und ihre Verwendung in der Piobaireachd und der Unterhaltungsmusik genauer. Sie kommt auch in der traditionellen irischen Musik vor, entweder ganz oder fast. Die Moll-Pentatonik wird in der Volksmusik der Appalachen verwendet. Die Blackfoot-Musik verwendet am häufigsten anhemitonische, tetratonische oder pentatonische Skalen. ⓘ
Anden
In der Musik der Anden wird die pentatonische Skala im Wesentlichen in Moll, manchmal in Dur und nur selten in einer Tonleiter verwendet. In den ältesten Gattungen der Andenmusik, die ohne Streichinstrumente (nur mit Bläsern und Perkussion) aufgeführt werden, wird die pentatonische Melodie oft mit parallelen Quinten und Quarten geführt, so dass diese Musik formal hexatonisch ist. ⓘ
Jazz
In der Jazzmusik werden häufig sowohl die pentatonische Dur- als auch die Moll-Tonleiter verwendet. Pentatonische Skalen sind für Improvisatoren in modernen Jazz-, Pop- und Rockkontexten nützlich, weil sie gut über mehrere Akkorde funktionieren, die diatonisch zur gleichen Tonart sind, oft besser als die übergeordnete Skala. Die Bluesskala beispielsweise ist überwiegend von der pentatonischen Molltonleiter abgeleitet, einer sehr beliebten Skala für die Improvisation im Blues- und Rockbereich. Bei einem C-Dur-Dreiklang (C, E, G) in der Tonart C-Dur beispielsweise kann die Note F als dissonant empfunden werden, da sie einen Halbtonschritt über der großen Terz (E) des Akkords liegt. Aus diesem Grund wird sie in der Regel vermieden. Die Verwendung der pentatonischen Durtonleiter ist ein einfacher Ausweg aus diesem Problem. Die Skalentöne 1, 2, 3, 5, 6 (aus der Dur-Pentatonik) sind entweder Dur-Dreiklangstöne (1, 3, 5) oder gemeinsame konsonante Erweiterungen (2, 6) von Dur-Dreiklängen. Bei der entsprechenden relativen Moll-Pentatonik funktionieren die Skalentöne 1, ♭3, 4, 5, ♭7 auf die gleiche Weise, entweder als Moll-Dreiklangstöne (1, ♭3, 5) oder als gemeinsame Erweiterungen (4, ♭7), da sie alle vermeiden, einen Halbtonschritt von einem Akkordton entfernt zu sein. ⓘ
Andere
Die Kadenzen oder Melodien des US-Militärs, die die Soldaten beim Marschieren oder Laufen im Takt halten, verwenden in der Regel ebenfalls pentatonische Skalen. ⓘ
In Hymnen und anderer religiöser Musik wird manchmal die pentatonische Tonleiter verwendet, zum Beispiel in der Melodie der Hymne "Amazing Grace", einem der berühmtesten Stücke der religiösen Musik. ⓘ
Die gebräuchlichen pentatonischen Dur- und Moll-Tonleitern (C-D-E-G-A bzw. C-E♭-F-G-B♭) sind beim modalen Komponieren nützlich, da beide Tonleitern es ermöglichen, eine Melodie modal mehrdeutig zwischen ihren jeweiligen Dur- (Ionisch, Lydisch, Mixolydisch) und Moll-Tonleitern (Äolisch, Phrygisch, Dorisch) zu gestalten (Locrisch ausgeschlossen). Die Harmonisierung einer pentatonischen Melodie muss jedoch weder bei modaler noch bei nicht-modaler Schreibweise zwangsläufig nur aus den pentatonischen Tonhöhen abgeleitet werden. ⓘ
Die meisten Tuareg-Lieder sind pentatonisch, wie auch die meiste andere Musik aus der Sahelzone und dem Sudan. ⓘ
Rolle in der Erziehung
Die pentatonische Tonleiter spielt eine wichtige Rolle in der Musikerziehung, insbesondere in den Orff-, Kodály- und Waldorf-Methoden der Primar- und Grundschulstufe. ⓘ
Das Orff-System legt großen Wert auf die Entwicklung von Kreativität durch Improvisation bei Kindern, vor allem durch die Verwendung der pentatonischen Tonleiter. Orff-Instrumente wie Xylophone, Glocken und andere Metallophone verwenden Holzstäbe, Metallstäbe oder Glocken, die vom Lehrer entfernt werden können, so dass nur diejenigen übrig bleiben, die der pentatonischen Tonleiter entsprechen, von der Carl Orff selbst glaubte, dass sie die ursprüngliche Tonalität der Kinder sei. ⓘ
Die Kinder beginnen zu improvisieren, indem sie nur diese Stäbe verwenden, und mit der Zeit werden nach dem Ermessen des Lehrers weitere Stäbe hinzugefügt, bis die gesamte diatonische Tonleiter verwendet wird. Orff war der Meinung, dass die Verwendung der pentatonischen Tonleiter in einem so jungen Alter der Entwicklung eines jeden Kindes angemessen sei, da die Natur der Tonleiter bedeute, dass es für das Kind unmöglich sei, echte harmonische Fehler zu machen. ⓘ
In der Waldorfpädagogik wird die pentatonische Musik wegen ihrer Einfachheit und unbefangenen Offenheit des Ausdrucks als geeignet für kleine Kinder angesehen. In der frühen Kindheit wird oft pentatonische Musik gesungen und gespielt, die sich auf die Intervalle der Quinte konzentriert; im Laufe der ersten Schuljahre werden immer kleinere Intervalle innerhalb der Pentatonik betont. Im Alter von etwa neun Jahren beginnt die Musik, sich zunächst auf Volksmusik mit einer sechstönigen Tonleiter und dann auf moderne diatonische Tonleitern zu konzentrieren, um den Entwicklungsfortschritt der Kinder in ihrer musikalischen Erfahrung widerzuspiegeln. Zu den verwendeten pentatonischen Instrumenten gehören Leiern, pentatonische Flöten und Klangstäbe; spezielle Instrumente wurden für den Waldorflehrplan entworfen und gebaut. ⓘ
Auf der Einfachheit und Kindgemäßheit pentatonischer Musik fußen verschiedene Entwürfe und Methoden der Musikpädagogik. ⓘ
In der seit 1919 entstandenen anthroposophischen Waldorfpädagogik spielt eigenes pentatonisches Liedgut und Instrumentarium (etwa Choroiflöten und Kinderharfen) in Kindergarten und Schule eine Rolle. Charakteristisch ist dabei eine die Oktave transzendierende pentatonische Skala d‘-e‘-g‘-a‘-h‘-d‘‘-e‘‘, als doppelter Quintraum um einen Zentralton a‘, weshalb in der Waldorf-Musikpädagogik häufig der Begriff „Quintenstimmung“ verwendet wird. ⓘ
Carl Orff entwickelte im 20. Jahrhundert ein eigenes Instrumentarium für Kinder zur pentatonischen Improvisation und entsprechendes Repertoire: darunter das Spielbuch für Xylophon. Daran anknüpfend entwickelte die Belgierin Lucy Gelber in den 1970er Jahren ein entsprechendes System. In einer groß angelegten Studie kam sie zu dem Schluss, dass sich Intervallverständnisse in Kindern „kristallisieren“. Sie könnten zuerst Grundtöne, dann Quinten, dann große Sekunden identifizieren und intonieren. Nach und nach entwickle sich das kindliche Melodieempfinden bis zur Dur-Pentatonik. ⓘ
Je eine Zweier- und Dreiergruppe der schwarzen Tasten einer Klaviatur bilden zusammen eine pentatonische Skala. Manche Klavierschulen, so die von Peter Heilbut, beginnen mit Improvisationsaufgaben nur auf schwarzen Tasten, um Anfängern leichten spielerischen Zugang dazu und ein einfaches Melodieverständnis zu vermitteln. ⓘ
Pentatonik wird auch in der Musiktherapie verwendet. ⓘ
Hemitonische Pentatonik
Die hemitonische Pentatonik enthält als wesentliches Merkmal Halbtonschritte. Beispiele:
ⓘ |-Fünftonsystem | Tonstufen entsprechen den Tönen ... [Halbtonschritte fett] |
---|---|
Isländische Zwiegesänge | E, F, A, H, C einer C-Dur-Skala |
Japanische Pentatonik | aufsteigend: C, Des, F, G, B absteigend: C, As, G, F, Des, jeweils einer auf C aufbauenden Skala |
Indische Pentatonik | C, E, F, G, B einer auf C aufbauenden Skala |
Javanischer Slendro | |
Indonesischer Pélog | ~ C, Des, Es, G, As |
Rolle in Musikbereichen
Kinderlieder
Viele Kinderlieder basieren auf der Pentatonik. Die einfachsten davon bestehen aus einer Zweiton-Formel, der sogenannten Kuckucks- oder Rufterz: zum Beispiel Kuckuck, Eierschluck (mit Tönen von C-Dur notiert: G-E-G-G-E). Dreiton-Formeln enthalten zusätzlich die Sekunde über der Rufterz, etwa der Anfang von Backe, backe, Kuchen (G-G-A-A-G-E) und Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne (A-G-E, A-G-E, G-G-A-A-G-E) sowie dessen Schluss ...aber meine liebe Laterne nicht (G-G-G-G-A-A-A-G-G-E). Beide Lieder enthalten zudem den Grundton der Dur-Pentatonik, mit dem sich Quintsprünge und Dreiklänge bilden lassen: Der Bäcker hat gerufen (C-G-G-A-A-G-E); bren-ne auf mein Licht... (C-E-G-G-E). Fünfton-Formeln enthalten alle fünf Töne einer Pentatonik, etwa Old Mac Donald had a farm, hea hea ho! (C-C-C-G-A-A-G, E-E-D-D-C). ⓘ
Die Werbung nutzt die Eingängigkeit und leichte Merkbarkeit pentatonischer Melodien, die Kinderliedern nachempfunden sind: etwa Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso (G-G-E-A-G-G-E, G-G-A-A-G-G-E). ⓘ
Auch ansonsten diatonische Kinder- und Volkslieder enthalten oft pentatonische Teile oder Phrasen, etwa der A-Teil von Oh Susanna (C-D-E-G-G-A-G-E-C-D-E-E-D-C-D). Darum nehmen manche Musikhistoriker an, dass Pentatonik die Keimzelle melodischer Musik überhaupt war. ⓘ
Gospel und Blues
Dur-Pentatonik bestimmt einige Gospels in Nordamerika, etwa das afroamerikanische Swing Low, Sweet Chariot und das schottische oder irische Amazing Grace. ⓘ
Die Sprachmelodik westafrikanischer Völker ähnelt der Moll-Pentatonik, auf der die Bluestonleiter beruht. Diese enthält zusätzlich eine flatted fifth (verminderte Quinte), die die identischen Hälften der Skala (von unten: kleine Terz, Ganztonschritt) mit einem chromatischen Halbtonschritt verbindet. Die Bluestonleiter kommt in fast allen Formen moderner Rock-, Pop- und Jazzmusik vor. ⓘ
Rock und Pop
Da pentatonische Melodien auf einer Gitarre leicht auffindbar und spielbar sind, werden sie von Anfängern oft als erstes gelernt. Da potentielle Spannungstöne fehlen, ist Pentatonik auch zur Improvisation gut geeignet. Berühmte Gitarrensoli, wie zum Beispiel aus der Guns-N’-Roses-Coverversion von Knockin’ on Heaven’s Door, verwenden pentatonisches Material. Das Titelthema des Songs Perfect Strangers (aus dem gleichnamigen Album "Perfect Strangers") von Deep Purple ist ein schönes Beispiel für reine Moll-Pentatonik. ⓘ