CADASIL
Klassifikation nach ICD-10 ⓘ | |
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I67.8 | Sonstige näher bezeichnete zerebrovaskuläre Krankheiten |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
CADASIL (Cerebral Autosomal Dominant Arteriopathy with Subcortical Infarcts and Leukoencephalopathy; deutsch zerebrale autosomal-dominante Arteriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie) ist eine genetische Erkrankung, die zu familiär gehäuften Schlaganfällen im mittleren Lebensalter führen kann. Im Gegensatz zum klassischen Hirninfarkt, der häufig durch eine Arteriosklerose oder andere stenosierende Prozesse verursacht wird, liegt hier eine Mutation im NOTCH3-Gen auf dem kurzen Arm des Chromosom 19 vor, die zu einer Mikroangiopathie der hirnversorgenden Blutgefäße führt. Wichtiges Frühsymptom von CADASIL sind migräneartige Kopfschmerzen, die durch die charakteristischen Gefäßveränderungen ausgelöst werden. In der radiologischen Bildgebung beobachtet man einen nachweisbaren subcorticalen Befall mit frontaler Betonung. CADASIL zählt zu den seltenen Krankheiten, ist aber mit etwa fünf Erkrankungen pro 100.000 Menschen die häufigste monogen vererbte Schlaganfallerkrankung. ⓘ
CADASIL ⓘ | |
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Andere Namen | CADASIL-Syndrom |
MRT des Gehirns von Patienten mit CADASIL zeigt multiple Läsionen. |
Die Krankheit wurde in den 1990er Jahren von den französischen Forscherinnen Marie-Germaine Bousser und Elisabeth Tournier-Lasserve entdeckt und benannt. Zusammen mit zwei weiteren Forschern, Hugues Chabriat und Anne Joutel, erhielten sie den Gehirnpreis 2019 für ihre Forschungen zu dieser Krankheit. ⓘ
Diagnostik
Trotz der Kopfschmerzen (oft mit neurologischen Symptomen im Sinne einer Aura) wird die Diagnose zuerst meist infolge eines Schlaganfalls gestellt. Dies liegt auch daran, dass bis zu 20 % der Bevölkerung migräneartige Kopfschmerzen haben, während die CADASIL eine sehr seltene Erkrankung ist. Wegen des autosomal-dominanten Erbganges könnten die Kinder dann entsprechend früher untersucht werden. Bei entsprechendem Verdacht kann der Gendefekt molekulargenetisch nachgewiesen werden. Schließlich ergeben sich bei elektronenmikroskopischer Untersuchung einer Hautbiopsie wegweisende Befunde an den Muskelzellen der Gefäßwände. ⓘ
Bildgebende Verfahren
In der Magnetresonanztomographie des Gehirns finden sich in T2-gewichteten Aufnahmen Signalverstärkungen in der weißen Substanz, typischerweise insbesondere auch temporal. ⓘ
Pathologie
Bei der feingeweblichen Untersuchung findet sich eine Einlagerung transparenter Substanzen (Hyalinose) in den Wänden kleiner und mittelgroßer Arterien, Arteriolen und Kapillaren. Es kommt zur Fragmentierung (Zerstückelung) und Degeneration der glatten Gefäßmuskelzellen. Bei der elektronenmikroskopischen Untersuchung finden sich in der Nachbarschaft der betroffenen Gefäßmuskelzellen körnelige (granuläre) Ablagerungen, die mit Osmiumtetroxid angefärbt werden können (osmiophiles Material). Durch immunhistochemische Untersuchung sind in den osmiophilen Ablagerungen Komponenten des NOTCH3-Proteins nachweisbar. ⓘ
Genetische Untersuchung
Die Erkrankung wird durch eine missense-Mutation des NOTCH3-Gens hervorgerufen. Das NOTCH3-Protein ist ein aus zwei unterschiedlichen Untereinheiten bestehender (=heterodimerer) Membranrezeptor, der ausschließlich von glatten Gefäßmuskelzellen exprimiert wird. NOTCH3 gehört zur NOTCH-Genfamilie. Die NOTCH-Gene kodieren für hochgradig konservierte Membranrezeptoren, die an der Kontrolle des Zellschicksals, insbesondere bei der Entwicklung des Blutgefäßsystems, beteiligt sind. NOTCH3 ist an der Zell-Zell-Interaktion, Kontrolle von Zellwachstum und -differenzierung sowie am programmierten Zelltod (Apoptose) beteiligt. Bei Patienten mit CADASIL findet sich eine Addition oder ein Verlust von Cystein im Bereich der extrazellulären Domäne des NOTCH3-Proteins. ⓘ
Verlauf
Über zumeist Jahre kommt es zu wiederholten kleinen Schlaganfällen, die die weiße Substanz (Marklager) des Großhirns betreffen. Dies führt letztlich zu einer Demenz, also einem Verfall der geistigen Leistung. Das klinische Bild erinnert an eine subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (Binswangersche Erkrankung), allerdings fehlt bei der CADASIL der Bluthochdruck. Ansonsten sind alle Symptome kleinerer Schlaganfälle (sogenannte lakunäre Syndrome) anzutreffen. Der Verlauf ist dabei sehr variabel und auch innerhalb einer Familie finden sich sehr unterschiedliche Verläufe. Hinsichtlich der Lebenserwartung besteht, zumindest für Frauen, keine signifikante Einschränkung gegenüber Gesunden. Manche Mutationsträger sind sogar symptomfrei bis ins hohe Lebensalter. ⓘ
Die folgende, von Verin et al. postulierte Einteilung in Stadien (die in der klinischen Praxis keine Anwendung findet) ist daher nur als ein möglicher Ablauf der Erkrankung zu verstehen:
- I. Stadium (20.–40. Lebensjahr)
- * häufige migräneartige Episoden
- * Auffälligkeiten im MRT
- II. Stadium (40.–60. Lebensjahr)
- * wiederkehrende schlaganfallartige Episoden
- * psychiatrische Auffälligkeiten
- * zunehmende Schädigungen von Marklager und Basalganglien
- III. Stadium (60.–80. Lebensjahr)
- * Demenz
- * Bewegungsstörung Spastik,
- * Pseudobulbärparalyse
- IV. Endstadium:
- * Wachkoma mit Erfordernis einer künstlichen Ernährung (PEG) ⓘ
- I. Stadium (20.–40. Lebensjahr)
Weitere Organmanifestationen
Da Arteriolen in allen Organen betroffen sein können, finden sich weitere Organmanifestationen:
- Im Bereich der Augen finden sich häufig asymptomatische Veränderungen der Netzhaut: Verengungen von Arterien und Venen, vermehrte Gefäßreflexe, gestreckter Verlauf der Arteriolen.
- Im Bereich der Hautgefäße finden sich ebenfalls Veränderungen, die eine Diagnose mittels Hautbiopsie ermöglichen.
- Selten ist eine Beteiligung der Nieren mit chronischer Nierenfunktionseinschränkung, milder Proteinurie und Mikrohämaturie. Bei der feingeweblichen Untersuchung finden sich auch in der Niere die typischen Gefäßveränderungen mit granulären osmiophilen Ablagerungen. ⓘ
Differentialdiagnose
Andere Erkrankungen der weißen Gehirnsubstanz (Leukenzephalopathien) sind wichtige Differentialdiagnosen zu CADASIL. Hierzu zählen beispielsweise entzündliche (z. B. Multiple Sklerose, ZNS-Vaskulitis) und metabolische (z. B. Morbus Fabry) Erkrankungen des Erwachsenenalters. Die häufigen Leukodystrophien (z. B. metachromatische Leukodystrophie) treten eher im Kindesalter auf und stellen daher meist keine relevante Differentialdiagnose dar. CARASIL unterscheidet sich hauptsächlich durch schwereren Verlauf und die rezessive Vererbung. ⓘ
Therapie
Eine wirksame Behandlung ist nicht bekannt. Zur Vorbeugung gegen Schlaganfälle wird neben ASS eine Minimierung des sonstigen Risikoprofiles (etwa Blutdruck, Blutzucker, Blutfette) angeraten. Letztlich kann dies die Krankheit aber nicht aufhalten. Dies relativiert auch den Bedarf an einer frühen Feststellung der Diagnose. Eine frühzeitige Patientenverfügung ist für den Fall des Stadiums IV zu empfehlen. ⓘ
Bekanntheit
In dem Film „Das Meer in mir“ leidet die Rechtsanwältin Julia an der Erkrankung. In der Serie „In aller Freundschaft“ Folge 627 vom 10. Dezember 2013 „Süßer die Glocken nie klingen“ leidet die Patientin Petra Klett, gespielt von Marion Kracht, an dieser seltenen Krankheit. Auch der berühmte Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy und seine Schwester waren höchstwahrscheinlich an CADASIL erkrankt, und beide starben im selben Jahr an einem Schlaganfall. ⓘ
Christoff Kessler, anerkannter Spezialist für Hirnerkrankungen, veröffentlichte 2013 mit dem Buch "Wahn" eine fiktive, jedoch auf Fakten basierende Kurzgeschichte namens "Cadasil", die von einem jungen Mann und dessen Umgang mit dieser Diagnose handelt. ⓘ
Anzeichen und Symptome
CADASIL kann mit Migräneanfällen mit Aura oder subkortikalen transitorischen ischämischen Attacken oder Schlaganfällen oder Stimmungsstörungen im Alter zwischen 35 und 55 Jahren beginnen. Die Krankheit schreitet zu einer subkortikalen Demenz fort, die mit einer pseudobulbären Lähmung und Harninkontinenz einhergeht. ⓘ
Ischämische Schlaganfälle sind die häufigste Erscheinungsform von CADASIL, wobei etwa 85 % der symptomatischen Personen transitorische ischämische Attacken oder Schlaganfälle entwickeln. Das mittlere Alter beim Auftreten der ischämischen Episoden liegt bei etwa 46 Jahren (Spanne 30-70 Jahre). Ein klassisches lakunäres Syndrom tritt bei mindestens zwei Dritteln der betroffenen Patienten auf, während hemisphärische Schlaganfälle viel seltener sind. Es ist erwähnenswert, dass ischämische Schlaganfälle in der Regel bei Fehlen herkömmlicher kardiovaskulärer Risikofaktoren auftreten. Wiederkehrende stille Schlaganfälle, mit oder ohne klinischen Schlaganfall, führen häufig zu kognitivem Verfall und offener subkortikaler Demenz. Es wurde über einen Fall von CADASIL berichtet, der sich als schizophreniforme organische Psychose darstellte. ⓘ
Pathophysiologie
Die zugrunde liegende Pathologie von CADASIL ist eine fortschreitende Hypertrophie der glatten Muskelzellen in den Blutgefäßen. Autosomal-dominante Mutationen im Notch-3-Gen (auf dem langen Arm von Chromosom 19) führen zu einer abnormalen Anhäufung von Notch 3 an der Zytoplasmamembran vaskulärer glatter Muskelzellen sowohl in den zerebralen als auch in den extrazerebralen Gefäßen, die in der Elektronenmikroskopie als körnige osmiophile Ablagerungen sichtbar sind. Es folgt eine Leukoenzephalopathie. Je nach Art und Position der einzelnen Mutationen wurde mit Hilfe von In-silico-Analysen im Konsens ein signifikanter Verlust der Betasheet-Struktur des Notch3-Proteins vorhergesagt. ⓘ
Behandlung
Es gibt keine spezifische Behandlung für CADASIL. Die meisten Behandlungen für die Symptome von CADASIL-Patienten - einschließlich Migräne und Schlaganfall - ähneln denen von Patienten ohne CADASIL, doch sind diese Behandlungen fast ausschließlich empirisch, da es nur wenige Daten über ihren Nutzen für CADASIL-Patienten gibt. Thrombozytenaggregationshemmer wie Aspirin, Dipyridamol oder Clopidogrel können helfen, Schlaganfälle zu verhindern; eine Antikoagulation ist jedoch angesichts der Neigung zu Mikroblutungen möglicherweise nicht ratsam. Die Kontrolle des Bluthochdrucks ist bei CADASIL-Patienten besonders wichtig. Die kurzfristige Einnahme von Atorvastatin, einem cholesterinsenkenden Medikament vom Typ Statin, hat sich nicht als vorteilhaft für die zerebralen hämodynamischen Parameter von CADASIL-Patienten erwiesen, obwohl die Behandlung von Begleiterkrankungen wie hohem Cholesterin empfohlen wird. Das Absetzen der oralen Verhütungspillen kann empfohlen werden. Einige Autoren raten aufgrund ihrer vasokonstriktiven Wirkung von der Verwendung von Triptanen zur Migränebehandlung ab, obwohl diese Meinung nicht allgemein verbreitet ist. In dieser Hinsicht sind die neuen "Ditane" wie Lasmiditan, die keine gefäßverengende Wirkung haben, und die "Gepanten" wie Ubrogepant und Rimegepant attraktive Alternativen, auch wenn sie bei dieser Erkrankung noch nicht erprobt sind. Wie bei anderen Menschen auch, sollten Menschen mit CADASIL ermutigt werden, das Rauchen aufzugeben. ⓘ
In einer kleinen Studie wurde festgestellt, dass etwa 1/3 der Patienten mit CADASIL im MRT zerebrale Mikroblutungen (winzige Bereiche mit altem Blut) aufweisen. ⓘ
L-Arginin, eine natürlich vorkommende Aminosäure, wurde als potenzielle Therapie für CADASIL vorgeschlagen, aber 2017 gab es noch keine klinischen Studien, die ihren Einsatz unterstützten. Donepezil, das normalerweise zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit eingesetzt wird, verbesserte die exekutiven Funktionen von CADASIL-Patienten nachweislich nicht. ⓘ
Kultur
Es wird vermutet, dass John Ruskin an CADASIL erkrankt war. Ruskin berichtete in seinen Tagebüchern von Sehstörungen, die mit der Krankheit in Einklang stehen, und es wurde auch vermutet, dass dies ein Faktor war, der ihn dazu veranlasste, James Whistlers Nocturne in Black and Gold - The Falling Rocket als "ask[ing] two hundred guineas for throwing a pot of paint in the public's face" zu beschreiben. Dies führte zu dem berühmten Verleumdungsprozess, in dem die Geschworenen Whistler einen Farthing Schadenersatz zusprachen. ⓘ
Neuere Forschungen über die Krankheit des Philosophen Friedrich Nietzsche haben ergeben, dass seine Geisteskrankheit und sein Tod möglicherweise durch CADASIL und nicht durch tertiäre Syphilis verursacht wurden. Auch der frühe Tod des Komponisten Felix Mendelssohn im Alter von 37 Jahren an einem Schlaganfall wurde möglicherweise mit CADASIL in Verbindung gebracht. Seine Schwester, Fanny Mendelssohn, war in ähnlicher Weise betroffen. Und James Dewar, der als Sänger von Robin Trower bekannt wurde, starb im Alter von 59 Jahren an den Komplikationen von CADASIL. ⓘ
In dem Film The Sea Inside ist eine der Figuren an CADASIL erkrankt. ⓘ