Bindungstheorie

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An Inuit family is sitting on a log outside their tent. The parents, wearing warm clothing made of animal skins, are engaged in domestic tasks. Between them sits a toddler, also in skin clothes, staring at the camera. On the mother's back is a baby in a papoose.
Bei Säuglingen und Kleinkindern besteht das "Ziel" des Verhaltenssystems darin, die Nähe zu den Bindungspersonen, in der Regel den Eltern, aufrechtzuerhalten oder herzustellen.

Die Bindungstheorie ist eine psychologische, evolutionäre und ethologische Theorie über die Beziehungen zwischen Menschen. Der wichtigste Grundsatz lautet, dass kleine Kinder für eine normale soziale und emotionale Entwicklung eine Beziehung zu mindestens einer primären Bezugsperson aufbauen müssen. Die Theorie wurde von dem Psychiater und Psychoanalytiker John Bowlby formuliert.

Im Rahmen der Bindungstheorie ist das Verhalten von Säuglingen, das mit Bindung in Verbindung gebracht wird, vor allem die Suche nach Nähe zu einer Bezugsperson in Stresssituationen. Säuglinge binden sich an Erwachsene, die in sozialen Interaktionen mit ihnen einfühlsam und reaktionsschnell sind und die in der Zeit von etwa sechs Monaten bis zum Alter von zwei Jahren für einige Monate als feste Bezugspersonen bleiben. In der zweiten Hälfte dieses Zeitraums beginnen Kinder, Bezugspersonen (vertraute Personen) als sichere Basis zu nutzen, von der aus sie erkunden und zu der sie zurückkehren können. Die Reaktionen der Eltern führen zur Entwicklung von Bindungsmustern, die wiederum zu internen Arbeitsmodellen führen, die die Gefühle, Gedanken und Erwartungen des Individuums in späteren Beziehungen leiten werden. Trennungsangst oder Trauer nach dem Verlust einer Bezugsperson wird als normale und adaptive Reaktion eines Säuglings betrachtet. Diese Verhaltensweisen haben sich möglicherweise entwickelt, weil sie die Überlebenswahrscheinlichkeit des Kindes erhöhen.

Die Forschungen der Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth in den 1960er und 70er Jahren untermauerten die grundlegenden Konzepte, führten das Konzept der "sicheren Basis" ein und entwickelten eine Theorie für eine Reihe von Bindungsmustern bei Säuglingen: sichere Bindung, vermeidende Bindung und ängstliche Bindung. Ein viertes Muster, die desorganisierte Bindung, wurde später identifiziert. In den 1980er Jahren wurde die Theorie auf die Bindung von Erwachsenen ausgeweitet. Man kann davon ausgehen, dass auch andere Interaktionen Komponenten des Bindungsverhaltens enthalten; dazu gehören Beziehungen zu Gleichaltrigen in jedem Alter, romantische und sexuelle Anziehung und Reaktionen auf die Pflegebedürfnisse von Kleinkindern oder kranken und älteren Menschen.

Um eine umfassende Theorie über das Wesen der frühen Bindungen zu formulieren, untersuchte Bowlby eine Reihe von Bereichen, darunter die Evolutionsbiologie, die Objektbeziehungstheorie (eine Schule der Psychoanalyse), die Theorie der Kontrollsysteme sowie die Bereiche der Ethologie und der kognitiven Psychologie. Nach ersten Arbeiten ab 1958 veröffentlichte Bowlby die vollständige Theorie in der Trilogie Attachment and Loss (1969-82). In den Anfängen der Theorie wurde Bowlby von akademischen Psychologen kritisiert und von der psychoanalytischen Gemeinschaft wegen seiner Abkehr von psychoanalytischen Lehren geächtet. Inzwischen ist die Bindungstheorie jedoch zum vorherrschenden Ansatz für das Verständnis der frühen sozialen Entwicklung geworden und hat zu einer großen Welle empirischer Forschung über die Entstehung enger Beziehungen von Kindern geführt. Spätere Kritik an der Bindungstheorie bezieht sich auf das Temperament, die Komplexität sozialer Beziehungen und die Grenzen diskreter Muster für Klassifizierungen. Die Bindungstheorie wurde infolge der empirischen Forschung erheblich modifiziert, aber die Konzepte haben sich allgemein durchgesetzt. Die Bindungstheorie bildete die Grundlage für neue Therapien und lieferte Informationen für bestehende Therapien, und ihre Konzepte wurden bei der Formulierung von Sozial- und Kinderbetreuungsmaßnahmen zur Förderung der frühen Bindungsbeziehungen von Kindern verwendet.

Die Bindungstheorie (englisch theory of attachment) fasst Erkenntnisse aus Entwicklungspsychologie und Bindungsforschung (englisch attachment research) zusammen, die unter anderem belegen, dass Menschen ein angeborenes Bedürfnis haben, enge und von intensiven Gefühlen geprägte Beziehungen zu Mitmenschen aufzubauen. Diese Konzeption wurde von dem britischen Psychoanalytiker und Kinderpsychiater John Bowlby, dem schottischen Psychoanalytiker James Robertson und der US-amerikanisch-kanadischen Psychologin Mary Ainsworth entwickelt.

Bindung

A young mother smiles up at the camera. On her back is her baby gazing at the camera with an expression of lively interest.
Obwohl die Mutter in der Regel die primäre Bezugsperson ist, binden sich Säuglinge an jede Betreuungsperson, die in sozialen Interaktionen mit ihnen einfühlsam und ansprechbar ist.

Im Rahmen der Bindungstheorie bedeutet Bindung eine emotionale Bindung oder ein Band zwischen einem Individuum und einer Bindungsperson (in der Regel einer Betreuungsperson). Solche Bindungen können zwischen zwei Erwachsenen wechselseitig sein, aber zwischen einem Kind und einer Betreuungsperson beruhen diese Bindungen auf dem Bedürfnis des Kindes nach Sicherheit, Geborgenheit und Schutz - was im Säuglings- und Kindesalter am wichtigsten ist. Die Theorie besagt, dass Kinder sich instinktiv an Bezugspersonen binden, um zu überleben und sich letztlich genetisch zu vermehren. Das biologische Ziel ist das Überleben und das psychologische Ziel die Sicherheit. Die Bindungstheorie ist keine erschöpfende Beschreibung menschlicher Beziehungen, und sie ist auch nicht gleichbedeutend mit Liebe und Zuneigung, obwohl diese auf das Bestehen von Bindungen hinweisen können. In den Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen wird die Bindung des Kindes als "Attachment" bezeichnet und die Entsprechung der Betreuungsperson als "care-giving bond". Darüber hinaus ist die Beziehung, die ein Kind zu seiner Bezugsperson hat, besonders in bedrohlichen Situationen wichtig. Der Zugang zu einer sicheren Bezugsperson verringert bei Kindern die Angst, wenn sie mit bedrohlichen Situationen konfrontiert werden. Ein geringeres Maß an Angst ist nicht nur für die allgemeine psychische Stabilität wichtig, sondern hat auch Auswirkungen darauf, wie Kinder auf bedrohliche Situationen reagieren können. Das Vorhandensein einer unterstützenden Bezugsperson ist in den ersten Entwicklungsjahren eines Kindes besonders wichtig.

Säuglinge binden sich an jede feste Bezugsperson, die einfühlsam ist und auf soziale Interaktionen mit ihnen eingeht. Die Qualität des sozialen Engagements ist einflussreicher als die Zeit, die damit verbracht wird. Die biologische Mutter ist in der Regel die Hauptbindungsperson, aber diese Rolle kann von jeder Person eingenommen werden, die sich über einen gewissen Zeitraum hinweg konsequent "mütterlich" verhält. Im Rahmen der Bindungstheorie bedeutet dies eine Reihe von Verhaltensweisen, die eine lebhafte soziale Interaktion mit dem Säugling und eine schnelle Reaktion auf Signale und Annäherungen beinhalten. Nichts in der Theorie deutet darauf hin, dass Väter nicht ebenso wahrscheinlich zu Hauptbezugspersonen werden, wenn sie den größten Teil der Kinderbetreuung und der damit verbundenen sozialen Interaktion übernehmen. Väter werden ebenfalls als Bezugspersonen betrachtet. Sie sind vielleicht nicht in der gleichen Weise beteiligt, aber sie bieten ihrem Kind eine andere Unterstützung, insbesondere beim Spielen. Obwohl Väter ursprünglich nicht als starke Bezugspersonen angesehen wurden, kann eine sichere Bindung zu einer anderen Person als der leiblichen Mutter (die in der Regel als Hauptbezugsperson gilt) einem unbefriedigenden Bindungsverhalten des Vaters zu seinem Kind oder des Kindes zu seinem Vater entgegenwirken. Es ist wichtig, sich der positiven Wirkung bewusst zu sein, die Väter oder sekundäre Bezugspersonen auf das Bindungsverhalten von Säuglingen haben.

Einige Säuglinge richten ihr Bindungsverhalten (Suche nach Nähe) auf mehr als eine Bindungsperson, sobald sie beginnen, zwischen den Bezugspersonen zu unterscheiden; die meisten tun dies im zweiten Lebensjahr. Diese Figuren sind hierarchisch angeordnet, wobei die Hauptbindungsperson an der Spitze steht. Das Ziel des Bindungsverhaltenssystems besteht darin, eine Bindung zu einer erreichbaren und verfügbaren Bezugsperson aufrechtzuerhalten. "Alarm" ist die Bezeichnung für die Aktivierung des Bindungsverhaltenssystems, die durch Angst vor einer Gefahr ausgelöst wird. "Angst" ist die Erwartung oder Furcht, von der Bezugsperson getrennt zu werden. Wenn die Bezugsperson nicht verfügbar oder nicht ansprechbar ist, entsteht Trennungsangst. Bei Säuglingen kann eine physische Trennung Angst und Wut auslösen, gefolgt von Traurigkeit und Verzweiflung. Im Alter von drei oder vier Jahren stellt die physische Trennung keine solche Bedrohung mehr für die Bindung des Kindes an die Bezugsperson dar. Bei älteren Kindern und Erwachsenen wird die Sicherheit durch längere Abwesenheit, Unterbrechungen der Kommunikation, emotionale Unerreichbarkeit oder Anzeichen von Ablehnung oder Verlassenheit bedroht.

Kinder vom Typ A-Bindung reagieren scheinbar unbeeindruckt, wenn ihre Bindungsperson hinausgeht. Sie spielen, erkunden den Raum und sind auf den ersten Blick weder ängstlich noch ärgerlich über das Fortgehen der Bindungsperson. Durch zusätzliche Untersuchung der physiologischen Reaktionen der Kinder während der Situation wurde jedoch festgestellt, dass ihr Cortisolspiegel im Speichel beim Fortgehen der Bindungsperson höher ansteigt als der sicher gebundener Kinder, welche ihrem Kummer Ausdruck verleihen – was auf Stress schließen lässt. Auch ihr Herzschlag beschleunigt sich. Kommt die Bindungsperson zurück, wird sie ignoriert. Die Kinder suchen eher die Nähe der fremden Person und meiden ihre eigentliche Bindungsperson.

Unsicher-vermeidenden Kindern fehlt die Zuversicht bezüglich der Verfügbarkeit ihrer Bindungsperson. Sie entwickeln die Erwartungshaltung, dass ihre Wünsche grundsätzlich auf Ablehnung stoßen und ihnen kein Anspruch auf Liebe und Unterstützung zusteht. Ein solches Bindungsmuster ist bei Kindern zu beobachten, die häufig Zurückweisung erfahren haben. Die Kinder finden einen Ausweg aus der belastenden bedrohlichen Situation des immer wieder Zurückgewiesen-Seins nur durch Beziehungsvermeidung.

In Deutschland sind im Gegensatz zu anderen westlichen Ländern besonders viele Erwachsene positiv beeindruckt, wenn Kinder auf das Verschwinden der Bezugsperson gleichgültig reagieren. Die Eltern nehmen das als „unabhängig“ wahr.

Verhaltensweisen

A baby leans at a table staring at a picture book with intense concentration.
Unsichere Bindungsmuster können die Erkundung und das Erlangen von Selbstvertrauen beeinträchtigen. Ein sicher gebundenes Baby kann sich frei auf seine Umgebung konzentrieren.

Das Bindungsverhaltenssystem dient dazu, die Nähe zur Bezugsperson herzustellen oder aufrechtzuerhalten.

Bindungsvorbereitende Verhaltensweisen treten in den ersten sechs Lebensmonaten auf. In der ersten Phase (in den ersten acht Wochen) lächeln, brabbeln und weinen Säuglinge, um die Aufmerksamkeit potenzieller Bezugspersonen zu erregen. Obwohl Säuglinge in diesem Alter lernen, zwischen verschiedenen Bezugspersonen zu unterscheiden, richten sich diese Verhaltensweisen an alle Personen in der Nähe.

In der zweiten Phase (zwei bis sechs Monate) unterscheidet der Säugling zwischen vertrauten und unbekannten Erwachsenen und reagiert stärker auf die Betreuungsperson; die Palette der Verhaltensweisen wird durch Folgen und Anklammern erweitert. Das Verhalten des Säuglings gegenüber der Bezugsperson wird zielgerichtet organisiert, um die Bedingungen zu erreichen, die ihm Sicherheit geben.

Am Ende des ersten Lebensjahres ist der Säugling in der Lage, eine Reihe von Bindungsverhaltensweisen zu zeigen, die darauf abzielen, Nähe zu erhalten. Es protestiert, wenn die Bezugsperson weggeht, begrüßt die Rückkehr der Bezugsperson, klammert sich an, wenn es Angst hat, und folgt, wenn es kann.

Mit der Entwicklung der Fortbewegung beginnt der Säugling, die Bezugsperson oder die Bezugspersonen als "sichere Basis" zu nutzen, von der aus er sich fortbewegen kann. Die Erkundungstätigkeit des Säuglings ist größer, wenn die Betreuungsperson anwesend ist, weil das Bindungssystem des Säuglings entspannt ist und er sich frei erkunden kann. Ist die Bezugsperson nicht erreichbar oder nicht ansprechbar, wird das Bindungsverhalten stärker ausgeprägt. Angst, Furcht, Krankheit und Müdigkeit führen dazu, dass ein Kind verstärkt Bindungsverhalten zeigt.

Nach dem zweiten Lebensjahr, wenn das Kind beginnt, die Betreuungsperson als eigenständige Person zu sehen, bildet sich eine komplexere und zielgerichtete Partnerschaft. Kinder beginnen, die Ziele und Gefühle anderer wahrzunehmen und ihre Handlungen entsprechend zu planen.

Lehren

Die moderne Bindungstheorie basiert auf drei Grundsätzen:

  1. Bindung ist ein intrinsisches menschliches Bedürfnis.
  2. Regulierung von Emotionen und Ängsten zur Stärkung der Lebenskraft.
  3. Förderung von Anpassungsfähigkeit und Wachstum.

Gemeinsame Bindungsverhaltensweisen und Emotionen, die bei den meisten sozialen Primaten einschließlich des Menschen auftreten, sind adaptiv. Die langfristige Evolution dieser Arten hat eine Selektion auf soziale Verhaltensweisen bewirkt, die das Überleben des Einzelnen oder der Gruppe wahrscheinlicher machen. Das häufig beobachtete Bindungsverhalten von Kleinkindern, die sich in der Nähe vertrauter Personen aufhalten, hätte in der Umgebung der frühen Anpassung Sicherheitsvorteile gehabt und hat auch heute noch ähnliche Vorteile. Bowlby sah das Umfeld der frühen Anpassung als ähnlich wie die heutigen Jäger- und Sammlergesellschaften. Ein Überlebensvorteil besteht in der Fähigkeit, möglicherweise gefährliche Bedingungen wie Unbekanntheit, Alleinsein oder schnelle Annäherung zu erkennen. Nach Bowlby ist die Suche nach Nähe zur Bindungsperson im Angesicht der Bedrohung das "Soll-Ziel" des Bindungsverhaltenssystems.

Bowlbys ursprüngliche Darstellung einer Sensibilitätsperiode, in der sich Bindungen bilden können, die zwischen sechs Monaten und zwei bis drei Jahren liegt, wurde von späteren Forschern modifiziert. Diese Forscher haben gezeigt, dass es in der Tat eine sensible Periode gibt, in der sich Bindungen, wenn möglich, ausbilden, aber der Zeitrahmen ist breiter und der Effekt weniger fix und unumkehrbar als ursprünglich angenommen.

Im Laufe der weiteren Forschung haben die Autoren, die sich mit der Bindungstheorie befassen, erkannt, dass die soziale Entwicklung sowohl von späteren als auch von früheren Beziehungen beeinflusst wird. Frühe Schritte in der Bindung vollziehen sich am leichtesten, wenn das Kind eine einzige Bezugsperson oder die gelegentliche Betreuung durch eine kleine Anzahl anderer Personen hat. Nach Bowlby haben viele Kinder fast von Anfang an mehr als eine Person, an die sie ihr Bindungsverhalten richten. Diese Personen werden nicht gleich behandelt; es besteht eine starke Tendenz, dass ein Kind sein Bindungsverhalten hauptsächlich auf eine bestimmte Person ausrichtet. Bowlby verwendete den Begriff "Monotropie", um diese Tendenz zu beschreiben. Forscher und Theoretiker haben dieses Konzept aufgegeben, da es bedeuten könnte, dass sich die Beziehung zu einer bestimmten Person qualitativ von der zu anderen Personen unterscheidet. Vielmehr wird heute von einer bestimmten Hierarchie der Beziehungen ausgegangen.

Frühe Erfahrungen mit Bezugspersonen führen allmählich zu einem System von Gedanken, Erinnerungen, Überzeugungen, Erwartungen, Emotionen und Verhaltensweisen in Bezug auf das Selbst und andere. Dieses System, das als "internes Arbeitsmodell sozialer Beziehungen" bezeichnet wird, entwickelt sich mit der Zeit und der Erfahrung weiter.

Interne Modelle regulieren, interpretieren und prognostizieren bindungsbezogenes Verhalten bei sich selbst und der Bindungsperson. Da sie sich im Einklang mit Umwelt- und Entwicklungsveränderungen entwickeln, schließen sie die Fähigkeit ein, über vergangene und zukünftige Bindungsbeziehungen zu reflektieren und zu kommunizieren. Sie versetzen das Kind in die Lage, mit neuen Arten sozialer Interaktionen umzugehen; es weiß zum Beispiel, dass ein Säugling anders behandelt werden sollte als ein älteres Kind oder dass Interaktionen mit Lehrern und Eltern ähnliche Merkmale aufweisen. Auch die Interaktion mit Trainern weist ähnliche Merkmale auf, da Sportler, die nicht nur zu ihren Eltern, sondern auch zu ihren Trainern eine sichere Bindungsbeziehung aufbauen, eine Rolle bei der Entwicklung von Sportlern in ihrer künftigen Sportart spielen. Dieses interne Arbeitsmodell entwickelt sich im Erwachsenenalter weiter und hilft bei der Bewältigung von Freundschaften, Ehe und Elternschaft, die alle mit unterschiedlichen Verhaltensweisen und Gefühlen einhergehen.

Die Entwicklung der Bindung ist ein transaktionaler Prozess. Spezifische Bindungsverhaltensweisen beginnen mit vorhersehbaren, scheinbar angeborenen Verhaltensweisen im Säuglingsalter. Sie verändern sich mit zunehmendem Alter in einer Weise, die zum Teil durch Erfahrungen und zum Teil durch situative Faktoren bestimmt wird. Wenn sich das Bindungsverhalten mit dem Alter ändert, geschieht dies auf eine Art und Weise, die durch Beziehungen geprägt ist. Das Verhalten eines Kindes bei der Wiedervereinigung mit einer Bezugsperson wird nicht nur dadurch bestimmt, wie die Bezugsperson das Kind zuvor behandelt hat, sondern auch durch die Auswirkungen, die das Kind in der Vergangenheit auf die Bezugsperson gehabt hat.

Kulturelle Unterschiede

In der westlichen Kultur liegt der Schwerpunkt der Kindererziehung auf der alleinigen Bindung an die Mutter. Dieses dyadische Modell ist nicht die einzige Bindungsstrategie, die ein sicheres und emotional kompetentes Kind hervorbringt. Eine einzige, verlässlich ansprechbare und einfühlsame Bezugsperson (nämlich die Mutter) ist keine Garantie für den letztendlichen Erfolg des Kindes. Die Ergebnisse israelischer, niederländischer und ostafrikanischer Studien zeigen, dass Kinder mit mehreren Bezugspersonen nicht nur mit einem Gefühl der Sicherheit aufwachsen, sondern auch "bessere Fähigkeiten entwickeln, die Welt aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten". Dieser Nachweis lässt sich in Jäger- und Sammlergemeinschaften, wie sie im ländlichen Tansania existieren, leichter erbringen.

In Jäger- und Sammlergemeinschaften waren und sind die Mütter die Hauptbezugspersonen, teilen sich aber die mütterliche Verantwortung für das Überleben des Kindes mit einer Vielzahl von anderen Müttern. Die Mutter ist zwar wichtig, aber sie ist nicht die einzige Möglichkeit für ein Kind, eine Beziehung einzugehen. Mehrere Gruppenmitglieder (mit oder ohne Blutsverwandtschaft) tragen zur Aufgabe der Kindererziehung bei, teilen sich die elterliche Rolle und können daher Quellen einer multiplen Bindung sein. Es gibt Belege für diese gemeinschaftliche Elternschaft im Laufe der Geschichte, die "signifikante Auswirkungen auf die Entwicklung der multiplen Bindung" haben könnten.

In Indien, das nicht zu den Metropolen gehört (wo "Doppelverdiener-Kernfamilien" eher die Norm sind und eine dyadische Mutterbeziehung besteht), wo eine Familie normalerweise aus drei Generationen besteht (und wenn man Glück hat, aus vier: Urgroßeltern, Großeltern, Eltern und Kind(er)), haben das Kind oder die Kinder standardmäßig vier bis sechs Bezugspersonen, aus denen sie ihre "Bezugsperson" auswählen können. Und auch die "Onkel und Tanten" (die Geschwister des Vaters und deren Ehepartner) tragen zur psychosozialen Bereicherung des Kindes bei.

Obwohl seit Jahren darüber diskutiert wird und es Unterschiede zwischen den Kulturen gibt, hat die Forschung gezeigt, dass die drei grundlegenden Aspekte der Bindungstheorie bis zu einem gewissen Grad universell sind. Studien in Israel und Japan kamen zu Ergebnissen, die sich von einer Reihe von Studien in Westeuropa und den Vereinigten Staaten unterscheiden. Die vorherrschenden Hypothesen sind: 1) dass eine sichere Bindung der wünschenswerteste und am weitesten verbreitete Zustand ist; 2) dass die mütterliche Sensibilität die Bindungsmuster des Säuglings beeinflusst; und 3) dass spezifische Bindungen des Säuglings spätere soziale und kognitive Kompetenzen vorhersagen.

Bindungsmuster

Die Stärke des Bindungsverhaltens eines Kindes in einer bestimmten Situation sagt nichts über die "Stärke" der Bindung aus. Einige unsichere Kinder zeigen routinemäßig ein sehr ausgeprägtes Bindungsverhalten, während viele sichere Kinder keinen großen Bedarf an intensiven oder häufigen Bindungsverhaltensweisen haben." "Personen mit unterschiedlichen Bindungsstilen haben unterschiedliche Vorstellungen über die Dauer der romantischen Liebe, die Verfügbarkeit, die Vertrauensfähigkeit des Liebespartners und die Bereitschaft zur Liebe."

Sichere Bindung

Ein Kleinkind, das eine sichere Bindung zu seinen Eltern (oder einer anderen vertrauten Betreuungsperson) hat, erkundet diese frei, solange die Betreuungsperson anwesend ist, beschäftigt sich normalerweise mit Fremden, ist oft sichtlich aufgeregt, wenn die Betreuungsperson weggeht, und freut sich im Allgemeinen, wenn die Betreuungsperson zurückkommt. Das Ausmaß der Erkundung und des Kummers wird jedoch durch das Temperament des Kindes, durch situative Faktoren und durch den Bindungsstatus beeinflusst. Die Bindung eines Kindes wird weitgehend von der Sensibilität der primären Bezugsperson für seine Bedürfnisse beeinflusst. Eltern, die konsequent (oder fast immer) auf die Bedürfnisse ihres Kindes eingehen, schaffen Kinder mit einer sicheren Bindung. Solche Kinder haben die Gewissheit, dass ihre Eltern auf ihre Bedürfnisse und ihre Kommunikation eingehen werden.

In der traditionellen Kodierung der Seltsamen Situation von Ainsworth et al. (1978) werden sichere Säuglinge als Säuglinge der "Gruppe B" bezeichnet und weiter unterteilt in B1, B2, B3 und B4. Obwohl sich diese Untergruppen auf unterschiedliche stilistische Reaktionen auf das Kommen und Gehen der Betreuungsperson beziehen, wurden sie von Ainsworth und Kollegen nicht mit spezifischen Bezeichnungen versehen, obwohl ihre beschreibenden Verhaltensweisen andere (einschließlich Studenten von Ainsworth) dazu veranlassten, eine relativ "lose" Terminologie für diese Untergruppen zu entwickeln. B1 wurde als "sicher-zurückhaltend", B2 als "sicher-gehemmt", B3 als "sicher-ausgeglichen" und B4 als "sicher-reaktiv" bezeichnet. In akademischen Veröffentlichungen wird die Klassifizierung von Säuglingen (wenn Untergruppen angegeben werden) jedoch in der Regel einfach als "B1" oder "B2" bezeichnet, auch wenn in eher theoretischen und überblicksorientierten Arbeiten zur Bindungstheorie die oben genannte Terminologie verwendet wird. Sichere Bindung ist die häufigste Form der Bindungsbeziehung, die in allen Gesellschaften anzutreffen ist.

Sicher gebundene Kinder sind am besten in der Lage, sich zu entfalten, wenn sie wissen, dass sie eine sichere Basis (ihre Bezugsperson) haben, zu der sie in Zeiten der Not zurückkehren können. Wenn Hilfe geleistet wird, stärkt dies das Gefühl der Sicherheit, und wenn die Hilfe der Eltern hilfreich ist, lernt das Kind auch, wie es in Zukunft mit demselben Problem umgehen kann. Daher kann die sichere Bindung als der adaptivste Bindungsstil angesehen werden. Einigen psychologischen Forschern zufolge entwickelt ein Kind eine sichere Bindung, wenn die Eltern verfügbar und in der Lage sind, die Bedürfnisse des Kindes in einer ansprechenden und angemessenen Weise zu erfüllen. Wenn Eltern im Säuglingsalter und in der frühen Kindheit fürsorglich und aufmerksam gegenüber ihren Kindern sind, neigen diese Kinder eher zu einer sicheren Bindung.

Ängstlich-ambivalente Bindung

Ängstlich-ambivalente Bindung wird fälschlicherweise auch als "resistente Bindung" bezeichnet. Im Allgemeinen erkundet ein Kind mit einem ängstlich-ambivalenten Bindungsmuster wenig (in der fremden Situation) und ist oft misstrauisch gegenüber Fremden, selbst wenn die Eltern anwesend sind. Wenn sich die Bezugsperson entfernt, ist das Kind oft sehr verzweifelt und zeigt Verhaltensweisen wie Weinen oder Schreien. Das Kind ist im Allgemeinen ambivalent, wenn die Bezugsperson zurückkehrt. Die ängstlich-ambivalente Strategie ist eine Reaktion auf eine unvorhersehbar reagierende Betreuungsperson, und die Äußerungen von Wut (ambivalent-resistent, C1) oder Hilflosigkeit (ambivalent-passiv, C2) gegenüber der Betreuungsperson beim Wiedersehen können als bedingte Strategie zur Aufrechterhaltung der Verfügbarkeit der Betreuungsperson betrachtet werden, indem sie präventiv die Kontrolle über die Interaktion übernehmen.

Der Subtyp C1 (ambivalent widerständig) wird kodiert, wenn "widerständiges Verhalten besonders auffällig ist. Die Mischung aus dem Wunsch nach Kontakt und Interaktion und dem gleichzeitigen Widerstand dagegen hat eine unverkennbar wütende Qualität, und in der Tat kann ein wütender Ton das Verhalten in den Episoden vor der Trennung kennzeichnen".

Zum Subtyp C2 (ambivalent passiv) schreiben Ainsworth et al:

Das vielleicht auffälligste Merkmal von C2-Kindern ist ihre Passivität. Ihr Erkundungsverhalten ist während der gesamten SS begrenzt, und ihrem interaktiven Verhalten mangelt es relativ stark an aktiver Anregung. Dennoch wollen sie in den Wiedervereinigungsepisoden offensichtlich die Nähe und den Kontakt zu ihren Müttern, auch wenn sie sich eher durch Signale als durch aktive Annäherung bemerkbar machen und eher dagegen protestieren, abgesetzt zu werden, als sich aktiv gegen das Loslassen zu wehren ... Im Allgemeinen ist das C2-Baby nicht so auffallend wütend wie das C1-Baby.

Untersuchungen von McCarthy und Taylor (1999) ergaben, dass Kinder mit Missbrauchserfahrungen in der Kindheit mit größerer Wahrscheinlichkeit ambivalente Bindungen entwickeln. Die Studie ergab auch, dass Kinder mit ambivalenten Bindungen als Erwachsene eher Schwierigkeiten haben, intime Beziehungen aufrechtzuerhalten.

Ängstlich-vermeidende und abweisend-vermeidende Bindung

Ein Säugling mit einem ängstlich-vermeidenden Bindungsmuster meidet oder ignoriert die Bezugsperson und zeigt wenig Emotionen, wenn die Bezugsperson weggeht oder zurückkommt. Der Säugling erkundet die Umgebung nur wenig, unabhängig davon, wer anwesend ist. Säuglinge, die als ängstlich-vermeidend (A) eingestuft wurden, stellten in den frühen 1970er Jahren ein Rätsel dar. Sie zeigten bei der Trennung keinen Kummer und ignorierten die Betreuungsperson bei ihrer Rückkehr (Subtyp A1) oder zeigten eine gewisse Tendenz zur Annäherung und eine gewisse Tendenz, die Betreuungsperson zu ignorieren oder sich von ihr abzuwenden (Subtyp A2). Ainsworth und Bell stellten die Theorie auf, dass das scheinbar unaufgeregte Verhalten der vermeidenden Säuglinge in Wirklichkeit eine Maske für ihre Ängste ist, eine Hypothese, die später durch Untersuchungen der Herzfrequenz von vermeidenden Säuglingen belegt wurde.

Säuglinge werden als ängstlich-vermeidend beschrieben, wenn sie:

... auffälliges Vermeiden der Mutter in den Wiedersehensepisoden, was wahrscheinlich darin besteht, dass sie ganz ignoriert wird, obwohl es zu einem gezielten Wegschauen, Abwenden oder Wegbewegen kommen kann ... Wenn es eine Begrüßung gibt, wenn die Mutter eintritt, ist es meist nur ein Blick oder ein Lächeln ... Entweder nähert sich das Baby seiner Mutter bei der Wiedervereinigung nicht, oder sie nähern sich auf "misslungene" Art und Weise, wobei das Baby an der Mutter vorbeigeht, oder es geschieht nur nach langem Zureden ... Wenn das Baby in die Hand genommen wird, zeigt es wenig oder gar kein Verhalten zur Aufrechterhaltung des Kontakts; es neigt dazu, sich nicht an die Mutter zu kuscheln; es schaut weg und kann sich winden, um herunterzukommen.

Die Aufzeichnungen von Ainsworth zeigten, dass Säuglinge in der stressigen Strange Situation Procedure die Betreuungsperson mieden, wenn sie in der Vergangenheit eine Ablehnung des Bindungsverhaltens erfahren hatten. Die Bedürfnisse des Säuglings wurden häufig nicht erfüllt, und der Säugling war zu der Überzeugung gelangt, dass die Mitteilung seiner emotionalen Bedürfnisse keinen Einfluss auf die Betreuungsperson hatte.

Ainsworths Schülerin Mary Main stellte die Theorie auf, dass das Vermeidungsverhalten in der Strange Situation Procedure als "eine konditionale Strategie zu betrachten ist, die paradoxerweise jede Art von Nähe zulässt, die unter den Bedingungen der mütterlichen Ablehnung möglich ist", indem sie die Bindungsbedürfnisse herunterspielt.

Main schlug vor, dass Vermeidungsverhalten zwei Funktionen für einen Säugling hat, dessen Bezugsperson konsequent nicht auf seine Bedürfnisse eingeht. Erstens ermöglicht das Vermeidungsverhalten dem Säugling, eine bedingte Nähe zur Bezugsperson aufrechtzuerhalten: nah genug, um Schutz zu erhalten, aber weit genug entfernt, um Ablehnung zu vermeiden. Zweitens könnten die kognitiven Prozesse, die das Vermeidungsverhalten organisieren, dazu beitragen, die Aufmerksamkeit von dem unerfüllten Wunsch nach Nähe zur Bezugsperson abzulenken - und so eine Situation zu vermeiden, in der das Kind von Emotionen überwältigt ist ("desorganisierter Distress") und daher nicht in der Lage ist, die Kontrolle über sich selbst zu behalten und selbst bedingte Nähe zu erreichen.

Desorganisierte/desorientierte Bindung

Ab 1983 bot Crittenden A/C und andere neue organisierte Klassifizierungen an (siehe unten). Auf der Grundlage von Aufzeichnungen über Verhaltensweisen, die nicht mit den Klassifikationen A, B und C übereinstimmten, fügte Ainsworths Kollegin Mary Main eine vierte Klassifikation hinzu. In der Fremden Situation wird erwartet, dass das Bindungssystem durch das Weggehen und die Rückkehr der Bezugsperson aktiviert wird. Wenn das Verhalten des Säuglings dem Beobachter nicht so erscheint, als sei es über Episoden hinweg reibungslos koordiniert, um entweder Nähe oder eine gewisse relative Nähe zur Bezugsperson zu erreichen, wird es als "desorganisiert" betrachtet, da es auf eine Unterbrechung oder Überflutung des Bindungssystems (z. B. durch Angst) hinweist. Zu den Verhaltensweisen von Säuglingen, die im Strange Situation Protocol als desorganisiert/desorientiert kodiert wurden, gehören offenkundige Anzeichen von Angst, widersprüchliche Verhaltensweisen oder Affekte, die gleichzeitig oder nacheinander auftreten, stereotype, asymmetrische, fehlgeleitete oder ruckartige Bewegungen oder Einfrieren und offensichtliche Dissoziation. Lyons-Ruth hat jedoch darauf gedrängt, dass mehr anerkannt werden sollte, "dass 52 % der desorganisierten Säuglinge sich weiterhin der Betreuungsperson nähern, Trost suchen und ihre Notlage beenden, ohne ein eindeutiges ambivalentes oder vermeidendes Verhalten zu zeigen".

Der Nutzen dieser Kategorie wurde bereits in Ainsworths eigener Erfahrung angedeutet, als sie feststellte, dass es schwierig war, alle Verhaltensweisen von Säuglingen in die drei Klassifizierungen einzuordnen, die sie in ihrer Baltimore-Studie verwendete. Ainsworth und ihre Kollegen beobachteten manchmal "angespannte Bewegungen, wie das Zusammenziehen der Schultern, das Verschränken der Hände hinter dem Nacken und das angespannte Neigen des Kopfes und so weiter. Wir hatten den eindeutigen Eindruck, dass solche Anspannungsbewegungen Stress bedeuten, weil sie vor allem in den Trennungsepisoden auftraten und weil sie in der Regel dem Weinen vorausgingen. Unsere Hypothese ist sogar, dass sie auftreten, wenn ein Kind versucht, das Weinen zu kontrollieren, denn sie verschwinden, wenn das Weinen durchbricht. Solche Beobachtungen tauchten auch in den Doktorarbeiten von Ainsworths Studenten auf. Crittenden stellte zum Beispiel fest, dass ein misshandeltes Kind in ihrer Doktorandenstichprobe von ihren Studenten als sicher (B) eingestuft wurde, weil ihr Verhalten in der fremden Situation "weder Vermeidungsverhalten noch Ambivalenz zeigte, sie zeigte jedoch während der gesamten fremden Situation stressbedingtes stereotypes Kopfschütteln. Dieses allgegenwärtige Verhalten war jedoch der einzige Hinweis auf das Ausmaß ihres Stresses".

Das Interesse an desorganisierter Bindung wächst sowohl bei Klinikern und politischen Entscheidungsträgern als auch bei Forschern rapide. Die Klassifizierung desorganisierte/desorientierte Bindung (D) wurde jedoch von einigen als zu umfassend kritisiert, darunter auch von Ainsworth selbst. 1990 gab Ainsworth ihren Segen für die neue "D"-Klassifikation, obwohl sie darauf drängte, den Zusatz als "offen in dem Sinne zu betrachten, dass Unterkategorien unterschieden werden können", da sie befürchtete, dass zu viele verschiedene Verhaltensweisen so behandelt werden könnten, als wären sie ein und dasselbe. In der Tat fasst die D-Klassifikation Säuglinge, die eine etwas gestörte sichere Strategie (B) anwenden, mit solchen zusammen, die hoffnungslos erscheinen und wenig Bindungsverhalten zeigen; sie fasst auch Säuglinge, die sich verstecken, wenn sie ihre Bezugsperson sehen, in derselben Klassifikation zusammen wie solche, die beim ersten Wiedersehen eine vermeidende Strategie (A) und beim zweiten Wiedersehen eine ambivalent-resistente Strategie (C) zeigen. Möglicherweise als Reaktion auf solche Bedenken haben George und Solomon die Indizes für desorganisierte/desorientierte Bindung (D) in der Fremden Situation unterteilt, wobei sie einige der Verhaltensweisen als "Strategie der Verzweiflung" und andere als Beweis dafür ansehen, dass das Bindungssystem überflutet wurde (z. B. durch Angst oder Wut).

Crittenden argumentiert auch, dass einige als desorganisiert/desorientiert eingestufte Verhaltensweisen als eher "Notfall"-Versionen der vermeidenden und/oder ambivalenten/resistenten Strategien betrachtet werden können und dazu dienen, die schützende Verfügbarkeit der Betreuungsperson bis zu einem gewissen Grad aufrechtzuerhalten. Sroufe et al. sind sich einig, dass "sogar desorganisiertes Bindungsverhalten (gleichzeitige Annäherung-Vermeidung; Einfrieren usw.) ein gewisses Maß an Nähe angesichts eines beängstigenden oder unergründlichen Elternteils ermöglicht". Allerdings "schließt die Annahme, dass viele Indizien für 'Desorganisation' Aspekte organisierter Muster sind, nicht aus, dass der Begriff der Desorganisation akzeptiert wird, insbesondere in Fällen, in denen die Komplexität und Gefährlichkeit der Bedrohung die Reaktionsfähigkeit der Kinder übersteigt." Zum Beispiel: "Kinder, die in Pflegefamilien untergebracht sind, insbesondere wenn sie mehr als einmal untergebracht werden, haben oft Störungen. In den Videos der Strange Situation Procedure treten sie in der Regel auf, wenn ein zurückgewiesenes/vernachlässigtes Kind sich dem Fremden nähert, um Trost zu finden, dann die Kontrolle über seine Muskeln verliert und zu Boden fällt, überwältigt von der eindringenden Angst vor der unbekannten, potenziell gefährlichen, fremden Person."

Main und Hesse fanden heraus, dass die meisten Mütter dieser Kinder kurz vor oder nach der Geburt des Kindes große Verluste oder andere Traumata erlitten hatten und darauf mit schweren Depressionen reagierten. Tatsächlich hatten sechsundfünfzig Prozent der Mütter, die einen Elternteil durch Tod verloren hatten, bevor sie die High School abgeschlossen hatten, Kinder mit desorganisierten Bindungen. Spätere Studien haben zwar die potenzielle Bedeutung eines unbewältigten Verlustes hervorgehoben, diese Ergebnisse jedoch relativiert. So stellten Solomon und George fest, dass ein unbewältigter Verlust bei der Mutter vor allem dann mit einer desorganisierten Bindung bei ihrem Kind einherging, wenn dieses in seinem Leben vor dem Verlust ebenfalls ein unbewältigtes Trauma erlebt hatte.

Kategorisierungsunterschiede zwischen den Kulturen

In verschiedenen Kulturen sind Abweichungen vom Strange Situation Protocol beobachtet worden. Eine japanische Studie aus dem Jahr 1986 (Takahashi) untersuchte 60 japanische Mutter-Kind-Paare und verglich sie mit dem Verteilungsmuster von Ainsworth. Obwohl die Bereiche für sicher gebundene und unsicher gebundene Kinder keine signifikanten Unterschiede in den Anteilen aufwiesen, bestand die japanische unsichere Gruppe nur aus widerständigen Kindern, während keine Kinder als vermeidend eingestuft wurden. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass die japanische Erziehungsphilosophie die enge Mutter-Kind-Bindung stärker betont als in westlichen Kulturen. In Norddeutschland wiederholten Grossmann et al. (Grossmann, Huber, & Wartner, 1981; Grossmann, Spangler, Suess, & Unzner, 1985) die Ainsworth Strange Situation mit 46 Mutter-Kind-Paaren und fanden eine andere Verteilung der Bindungseinstufungen mit einer hohen Anzahl von vermeidenden Säuglingen: 52% vermeidende, 34% sichere und 13% resistente Kinder (Grossmann et al., 1985). In einer anderen Studie in Israel wurde eine hohe Häufigkeit eines ambivalenten Musters festgestellt, was nach Grossman et al. (1985) auf ein stärkeres elterliches Drängen auf die Unabhängigkeit der Kinder zurückgeführt werden könnte.

Spätere Muster und das dynamisch-maturationale Modell

Es wurden Techniken entwickelt, die es ermöglichen, den Gemütszustand des Kindes in Bezug auf die Bindung verbal zu erfassen. Ein Beispiel ist die "Stamm-Geschichte", bei der ein Kind den Anfang einer Geschichte, die Bindungsfragen aufwirft, erhält und gebeten wird, sie zu Ende zu erzählen. Bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen werden halbstrukturierte Interviews verwendet, bei denen die Art und Weise, wie der Inhalt wiedergegeben wird, ebenso wichtig sein kann wie der Inhalt selbst. Für die mittlere Kindheit und das frühe Jugendalter (ca. 7 bis 13 Jahre) gibt es jedoch keine grundlegend validierten Bindungsmaße.

In einigen Studien mit älteren Kindern wurden weitere Bindungsklassifizierungen ermittelt. Main und Cassidy beobachteten, dass sich desorganisiertes Verhalten im Säuglingsalter zu einem Kind entwickeln kann, das ein kontrollierendes oder bestrafendes Verhalten an den Tag legt, um eine hilflose oder gefährlich unberechenbare Bezugsperson zu kontrollieren. In diesen Fällen ist das Verhalten des Kindes organisiert, wird aber von den Forschern als eine Form von "Desorganisation" (D) behandelt, da die Hierarchie in der Familie nicht mehr nach der elterlichen Autorität geordnet ist.

Die amerikanische Psychologin Patricia McKinsey Crittenden hat in ihrem dynamisch-maturationalen Modell der Bindung und Anpassung (DMM) weitere Formen von vermeidendem und ambivalentem Bindungsverhalten klassifiziert. Dazu gehören die auch von Main und Cassidy identifizierten fürsorgerischen und strafenden Verhaltensweisen (bezeichnet als A3 bzw. C3), aber auch andere Muster wie die zwanghafte Befolgung der Wünsche eines bedrohlichen Elternteils (A4).

Crittendens Ideen entwickelten sich aus Bowlbys Vorschlag, dass "angesichts bestimmter widriger Umstände in der Kindheit der selektive Ausschluss bestimmter Informationen adaptiv sein kann. Wenn sich jedoch im Jugend- und Erwachsenenalter die Situation ändert, kann der anhaltende Ausschluss derselben Arten von Informationen maladaptiv werden".

Crittenden schlug vor, dass die grundlegenden Komponenten der menschlichen Erfahrung von Gefahr zwei Arten von Informationen sind:

  1. Affektive Informationen" - die Emotionen, die durch die potenzielle Gefahr ausgelöst werden, wie Wut oder Angst. Crittenden bezeichnet dies als "affektive Information". In der Kindheit würden diese Informationen Emotionen umfassen, die durch das unerklärliche Fehlen einer Bezugsperson ausgelöst werden. Wenn ein Säugling mit unsensiblen oder ablehnenden Eltern konfrontiert ist, besteht eine Strategie zur Aufrechterhaltung der Verfügbarkeit seiner Bezugsperson darin, dass er versucht, emotionale Informationen, die zu einer Ablehnung führen könnten, aus dem Bewusstsein oder aus dem geäußerten Verhalten auszuschließen.
  2. Kausales oder anderes sequentiell geordnetes Wissen über das Potenzial für Sicherheit oder Gefahr. In der Kindheit würde dies das Wissen über die Verhaltensweisen einschließen, die auf die Verfügbarkeit einer Bezugsperson als sicherer Hafen hinweisen. Wenn das Wissen über die Verhaltensweisen, die auf die Verfügbarkeit einer Bezugsperson als sicherer Hafen hinweisen, einer Trennung unterliegt, kann der Säugling versuchen, die Aufmerksamkeit seiner Bezugsperson durch anhängliches oder aggressives Verhalten oder wechselnde Kombinationen aus beidem zu erhalten. Ein solches Verhalten kann die Verfügbarkeit einer Bezugsperson erhöhen, die ansonsten inkonsistente oder irreführende Reaktionen auf das Bindungsverhalten des Säuglings zeigt, was auf die Unzuverlässigkeit von Schutz und Sicherheit hindeutet.

Crittenden schlägt vor, dass beide Arten von Informationen vom Bewusstsein oder vom Verhaltensausdruck als "Strategie" abgespalten werden können, um die Verfügbarkeit einer Bindungsperson aufrechtzuerhalten (zur Unterscheidung der "Typen" siehe den obigen Abschnitt über desorganisierte/desorientierte Bindung): "Es wurde angenommen, dass die Strategien des Typs A auf der Verringerung der Bedrohungswahrnehmung beruhen, um die Reaktionsbereitschaft zu verringern. Bei Typ C wurde angenommen, dass die Bedrohungswahrnehmung erhöht wird, um die Reaktionsbereitschaft zu steigern." Strategien des Typs A spalten emotionale Informationen darüber ab, dass man sich bedroht fühlt, und Strategien des Typs C spalten zeitlich aufeinander aufbauendes Wissen darüber ab, wie und warum die Bezugsperson verfügbar ist. Im Gegensatz dazu nutzen Strategien vom Typ B beide Arten von Informationen effektiv und ohne große Verzerrungen. Ein Beispiel: Ein Kleinkind kann sich auf eine Wutanfall-Strategie vom Typ C verlassen, um die Verfügbarkeit einer Bezugsperson aufrechtzuerhalten, deren unbeständige Verfügbarkeit das Kind dazu gebracht hat, kausalen Informationen über ihr offensichtliches Verhalten zu misstrauen oder sie zu verzerren. Dies kann dazu führen, dass die Bezugsperson ein klareres Bild von den Bedürfnissen des Kindes und der angemessenen Reaktion auf sein Bindungsverhalten erhält. Wenn das Kleinkind zuverlässigere und vorhersehbarere Informationen über die Verfügbarkeit seiner Bezugsperson erfährt, muss es keine Zwangsmaßnahmen mehr ergreifen, um die Verfügbarkeit seiner Bezugsperson aufrechtzuerhalten, und kann eine sichere Bindung zu seiner Bezugsperson entwickeln, da es darauf vertraut, dass seine Bedürfnisse und Mitteilungen beachtet werden.

Bedeutung der Muster

Forschungen auf der Grundlage von Daten aus Längsschnittstudien wie der National Institute of Child Health and Human Development Study of Early Child Care und der Minnesota Study of Risk and Adaption from Birth to Adulthood sowie aus Querschnittsstudien zeigen durchweg Zusammenhänge zwischen frühen Bindungseinstufungen und Peer-Beziehungen, sowohl was die Quantität als auch die Qualität betrifft. Lyons-Ruth fand beispielsweise heraus, dass "für jedes zusätzliche Rückzugsverhalten, das Mütter im Zusammenhang mit den Bindungshinweisen ihres Säuglings in der Strange Situation Procedure zeigten, die Wahrscheinlichkeit einer klinischen Überweisung durch Dienstleistungsanbieter um 50 % erhöht war".

Es gibt eine Vielzahl von Forschungsergebnissen, die einen signifikanten Zusammenhang zwischen Bindungsorganisationen und dem Funktionieren der Kinder in verschiedenen Bereichen belegen. Eine frühe unsichere Bindung sagt nicht notwendigerweise Schwierigkeiten voraus, aber sie ist eine Belastung für das Kind, insbesondere wenn ähnliche elterliche Verhaltensweisen während der gesamten Kindheit fortbestehen. Im Vergleich zu sicher gebundenen Kindern ist die Anpassung unsicherer Kinder in vielen Lebensbereichen nicht so solide, so dass ihre künftigen Beziehungen gefährdet sind. Obwohl der Zusammenhang in der Forschung nicht vollständig nachgewiesen ist und es neben der Bindung noch andere Einflüsse gibt, ist es wahrscheinlicher, dass sichere Kinder sozial kompetent werden als ihre unsicheren Altersgenossen. Die Beziehungen, die zu Gleichaltrigen aufgebaut werden, beeinflussen den Erwerb sozialer Fähigkeiten, die intellektuelle Entwicklung und die Bildung der sozialen Identität. Es hat sich gezeigt, dass die Einstufung des Status des Kindes unter Gleichaltrigen (beliebt, vernachlässigt oder abgelehnt) die spätere Anpassung vorhersagt. Unsichere Kinder, insbesondere vermeidende Kinder, sind besonders anfällig für familiäre Risiken. Ihre sozialen und Verhaltensprobleme nehmen mit der Verschlechterung oder Verbesserung der elterlichen Erziehung zu oder ab. Eine frühe sichere Bindung scheint jedoch eine dauerhafte Schutzfunktion zu haben. Wie bei der Bindung an die elterlichen Bezugspersonen können spätere Erfahrungen den Verlauf der Entwicklung verändern.

Studien deuten darauf hin, dass Säuglinge mit einem hohen Risiko für Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) Bindungssicherheit anders ausdrücken können als Säuglinge mit einem geringen Risiko für ASD. Verhaltensprobleme und soziale Kompetenz bei unsicheren Kindern nehmen zu oder ab, je nachdem, ob sich die Qualität der elterlichen Erziehung und der Grad des Risikos im familiären Umfeld verschlechtert oder verbessert.

Einige Autoren haben die Idee in Frage gestellt, dass eine Taxonomie von Kategorien entwickelt werden kann, die einen qualitativen Unterschied in Bindungsbeziehungen darstellen. Die Untersuchung der Daten von 1 139 15 Monate alten Kindern zeigte, dass die Variation der Bindungsmuster eher kontinuierlich als gruppiert war. Diese Kritik wirft wichtige Fragen zu den Bindungstypologien und den Mechanismen hinter den offensichtlichen Typen auf. Für die Bindungstheorie selbst hat sie jedoch relativ wenig Bedeutung, da sie "diskrete Bindungsmuster weder voraussetzt noch vorhersagt".

Es gibt einige Hinweise darauf, dass sich geschlechtsspezifische Unterschiede in den Bindungsmustern, die von adaptiver Bedeutung sind, bereits in der mittleren Kindheit herausbilden. Forscher haben beobachtet, dass Männer eher zu kriminellem Verhalten neigen, was vermutlich damit zusammenhängt, dass Männer eher eine unzureichende frühe Bindung zu ihren primären Bezugspersonen haben. Unsichere Bindung und früher psychosozialer Stress deuten auf das Vorhandensein von Umweltrisiken hin (z. B. Armut, psychische Erkrankungen, Instabilität, Minderheitenstatus, Gewalt). Umweltrisiken können eine unsichere Bindung verursachen und gleichzeitig die Entwicklung von Strategien für eine frühere Reproduktion begünstigen. Verschiedene Fortpflanzungsstrategien haben unterschiedliche Anpassungswerte für Männchen und Weibchen: Unsichere Männer neigen zu Vermeidungsstrategien, während unsichere Frauen eher zu ängstlichen/ambivalenten Strategien neigen, es sei denn, sie befinden sich in einem Umfeld mit sehr hohem Risiko. Die Adrenarche wird als endokriner Mechanismus vorgeschlagen, der der Umstrukturierung der unsicheren Bindung in der mittleren Kindheit zugrunde liegt.

Veränderungen in der Bindung während der Kindheit und Adoleszenz

Kindheit und Jugend ermöglichen die Entwicklung eines internen Arbeitsmodells, das für die Bildung von Bindungen nützlich ist. Dieses interne Arbeitsmodell bezieht sich auf den Geisteszustand des Individuums, der sich in Bezug auf Bindung im Allgemeinen entwickelt, und erforscht, wie Bindung in der Beziehungsdynamik auf der Grundlage von Erfahrungen in der Kindheit und Jugend funktioniert. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass die Organisation eines internen Arbeitsmodells bei denjenigen, die ein solches Modell entwickeln, zu stabileren Bindungen führt als bei denjenigen, die sich bei der Bildung neuer Bindungen mehr auf den Gemütszustand der Person allein verlassen.

Alter, kognitives Wachstum und kontinuierliche soziale Erfahrung fördern die Entwicklung und Komplexität des internen Arbeitsmodells. Bindungsbezogene Verhaltensweisen verlieren einige für die Säuglings- und Kleinkindzeit typische Merkmale und nehmen altersbedingte Tendenzen an. In der Vorschulzeit wird verhandelt und ausgehandelt. Vierjährige Kinder sind beispielsweise nicht beunruhigt, wenn sie von ihrer Bezugsperson getrennt werden, weil sie bereits einen gemeinsamen Plan für die Trennung und das Wiedersehen ausgehandelt haben.

Im Idealfall werden diese sozialen Fertigkeiten in das interne Arbeitsmodell integriert, das mit anderen Kindern und später mit erwachsenen Gleichaltrigen angewendet wird. Mit dem Eintritt in die Schulzeit im Alter von etwa sechs Jahren entwickeln die meisten Kinder eine zielgerichtete Partnerschaft mit den Eltern, in der beide Partner zu Kompromissen bereit sind, um eine befriedigende Beziehung aufrechtzuerhalten. In der mittleren Kindheit hat sich das Ziel des Bindungsverhaltenssystems von der Nähe zur Bezugsperson zur Verfügbarkeit verändert. Im Allgemeinen gibt sich ein Kind mit längeren Trennungen zufrieden, sofern der Kontakt - oder die Möglichkeit, sich bei Bedarf physisch wieder zu treffen - gegeben ist. Bindungsverhalten wie Anklammern und Folgen nimmt ab und die Selbstständigkeit nimmt zu. In der mittleren Kindheit (im Alter von 7 bis 11 Jahren) kann es zu einer Verschiebung hin zu einer gegenseitigen Koregulierung des Kontakts auf sicherer Basis kommen, bei der die Betreuungsperson und das Kind Methoden zur Aufrechterhaltung der Kommunikation und Überwachung aushandeln, während das Kind ein größeres Maß an Unabhängigkeit erlangt.

Das von Jugendlichen verwendete Bindungssystem wird als "Sicherheitsregulierungssystem" betrachtet, dessen Hauptfunktion darin besteht, die physische und psychische Sicherheit zu fördern. Es gibt 2 verschiedene Ereignisse, die das Bindungssystem auslösen können. Zu diesen Auslösern gehören das Vorhandensein einer potenziellen Gefahr oder von Stress, sowohl von innen als auch von außen, und die Bedrohung durch die Erreichbarkeit und/oder Verfügbarkeit einer Bezugsperson. Das ultimative Ziel des Bindungssystems ist Sicherheit, so dass das Verhaltenssystem in einer Zeit der Gefahr oder Unzugänglichkeit gefühlte Sicherheit im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit von Schutz akzeptiert. In der Adoleszenz sind wir in der Lage, Sicherheit durch eine Vielzahl von Dingen zu finden, z. B. durch Essen, Bewegung und soziale Medien. Die gefühlte Sicherheit kann auf verschiedene Weise erreicht werden, oft auch ohne die physische Anwesenheit der Bezugsperson. Mit zunehmender Reife sind Jugendliche in der Lage, eigenständig mit ihrer Umwelt zu interagieren, da diese als weniger bedrohlich wahrgenommen wird. Mit zunehmender kognitiver, emotionaler und verhaltensmäßiger Reife nimmt auch die Wahrscheinlichkeit ab, dass Jugendliche in Situationen geraten, die ihr Bedürfnis nach einer Bezugsperson wecken. Wenn Jugendliche zum Beispiel krank werden und von der Schule fernbleiben, möchten sie sicherlich, dass ihre Eltern zu Hause sind, damit sie sich um sie kümmern können, aber sie sind auch in der Lage, allein zu Hause zu bleiben, ohne ernsthafte Probleme zu bekommen. Darüber hinaus wirkt sich das soziale Umfeld einer Schule auf das Bindungsverhalten von Jugendlichen aus, selbst wenn diese Jugendlichen zuvor keine Probleme mit dem Bindungsverhalten hatten. Gymnasien mit einem freizügigen Umfeld fördern im Vergleich zu einem autoritären Umfeld ein positives Bindungsverhalten. Fühlen sich die Schüler beispielsweise aufgrund des freizügigen schulischen Umfelds mit ihren Lehrern und Mitschülern verbunden, schwänzen sie weniger häufig die Schule. Positives Bindungsverhalten in der Schule hat wichtige Auswirkungen darauf, wie das schulische Umfeld gestaltet werden sollte.

Hier sind die Unterschiede im Bindungsstil während der Adoleszenz:

  • Von sicheren Jugendlichen wird erwartet, dass sie sich stärker an ihre Mutter binden als an alle anderen Bezugspersonen, einschließlich des Vaters, anderer wichtiger Personen und bester Freunde.
  • Unsichere Heranwachsende identifizieren sich stärker mit Gleichaltrigen als mit ihren Eltern als primäre Bezugspersonen. Ihre Freunde werden als eine signifikant starke Quelle der Bindungsunterstützung angesehen.
  • Ablehnende Jugendliche schätzen ihre Eltern als weniger bedeutende Quelle der Bindungsunterstützung ein und würden sich selbst als ihre primäre Bezugsperson betrachten.
  • Besorgte Jugendliche schätzen ihre Eltern als primäre Quelle der Bindungsunterstützung ein und betrachten sich selbst als deutlich weniger bedeutende Quelle der Bindungsunterstützung.

Bindungsstile bei Erwachsenen

Die Bindungstheorie wurde in den späten 1980er Jahren von Cindy Hazan und Phillip Shaver auf romantische Beziehungen von Erwachsenen ausgeweitet. Bei Erwachsenen wurden vier Bindungsstile unterschieden: sicher, ängstlich-besorgt, ablehnend-vermeidend und ängstlich-vermeidend. Diese entsprechen in etwa der Klassifizierung von Säuglingen: sicher, unsicher-ambivalent, unsicher-vermeidend und desorganisiert-desorientiert.

Sicher gebunden

Sicher gebundene Erwachsene sind "mit einem hohen Bedürfnis nach Leistung und einer geringen Angst vor Misserfolg verbunden (Elliot & Reis, 2003)". Sie gehen positiv an eine Aufgabe heran, mit dem Ziel, sie zu meistern, und haben einen Appetit auf Erkundung in Leistungssituationen (Elliot & Reis, 2003). Die Forschung zeigt, dass sicher gebundene Erwachsene ein "geringes Maß an persönlichem Kummer und ein hohes Maß an Sorge um andere" haben. Aufgrund ihres hohen Maßes an Selbstwirksamkeit zögern sicher gebundene Erwachsene in der Regel nicht, eine Person, die sich negativ auswirkt, aus problematischen Situationen, mit denen sie konfrontiert sind, zu entfernen. Diese ruhige Reaktion ist repräsentativ für die emotional regulierte Reaktion des sicher gebundenen Erwachsenen auf Bedrohungen, die in vielen Studien angesichts verschiedener Situationen belegt wurde. Die sichere Bindung Erwachsener ergibt sich aus der frühen Bindung einer Person an ihre Bezugsperson(en), aus ihren Genen und aus ihren romantischen Erfahrungen.

In romantischen Beziehungen zeigt sich ein sicher gebundener Erwachsener durch folgende Eigenschaften: hervorragende Konfliktlösung, geistige Flexibilität, effektive Kommunikation, Vermeidung von Manipulation, Nähe ohne Angst vor Verstrickung, schnelles Verzeihen, Betrachtung von Sex und emotionaler Intimität als Einheit, Überzeugung, dass sie ihre Beziehung positiv beeinflussen können, und Fürsorge für den Partner, so wie sie selbst umsorgt werden möchten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sie großartige Partner sind, die ihre Ehepartner sehr gut behandeln, da sie sich nicht scheuen, positiv zu reagieren und darum zu bitten, dass ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Sicher gebundene Erwachsene glauben, dass es "viele potenzielle Partner gibt, die auf ihre Bedürfnisse eingehen würden", und wenn sie auf eine Person stoßen, die ihre Bedürfnisse nicht erfüllt, verlieren sie in der Regel sehr schnell das Interesse. In einer Studie, in der Beziehungen zwischen sicher-unsicheren und sicher-variablen Bindungsstilen verglichen wurden, gab es keine Schwankungen in der positiven Beziehungsfunktion. Bei jeder Kombination von zwei Partnern mit einem anderen als dem sicheren Bindungsstil zeigten die Beziehungen jedoch ein hohes Maß an negativer Beziehungsfunktionalität. Diese Untersuchung zeigt, dass es nur einen sicher gebundenen Partner in einer romantischen Beziehung braucht, um eine gesunde, emotionale Beziehungsfunktion aufrechtzuerhalten.

Ängstlich-besorgte

Ängstlich-besorgte Erwachsene suchen ein hohes Maß an Intimität, Anerkennung und Reaktionsfähigkeit von ihren Partnern und werden übermäßig abhängig. Sie neigen dazu, weniger Vertrauen zu haben, haben weniger positive Ansichten über sich selbst und ihre Partner und können in ihren Beziehungen ein hohes Maß an emotionaler Ausdrucksfähigkeit, Sorgen und Impulsivität zeigen. Die Angst, die Erwachsene empfinden, verhindert den Aufbau einer befriedigenden Abwehrhaltung. So ist es möglich, dass Personen, die ängstlich an ihre Bezugsperson oder -figuren gebunden waren, keine ausreichenden Abwehrmechanismen gegen Trennungsangst entwickeln konnten. Aufgrund ihrer mangelnden Vorbereitung reagieren diese Personen dann übermäßig auf die Erwartung einer Trennung oder die tatsächliche Trennung von ihrer Bezugsperson. Die Angst entsteht durch eine intensive und/oder instabile Beziehung, die die ängstliche oder besorgte Person relativ schutzlos zurücklässt. Erwachsene mit diesem Bindungsstil projizieren ihre Ängste oft auf ansonsten harmlose soziale Interaktionen, unabhängig davon, ob die Interaktion von Angesicht zu Angesicht oder über ein textbasiertes Medium wie Instant Messaging oder E-Mail erfolgt. Ihre Gedanken und Handlungen können zu einem schmerzhaften Kreislauf von sich selbst erfüllenden Prophezeiungen führen, der möglicherweise zur Selbstsabotage führt.

Abweisend-vermeidend

Desissiv-vermeidende Erwachsene streben nach einem hohen Maß an Unabhängigkeit und scheinen Bindungen oft gänzlich zu vermeiden. Sie betrachten sich selbst als autark, unverwundbar gegenüber Bindungsgefühlen und brauchen keine engen Beziehungen. Sie neigen dazu, ihre Gefühle zu unterdrücken, und bewältigen Konflikte, indem sie sich von Partnern distanzieren, von denen sie oft eine schlechte Meinung haben. Erwachsene haben kein Interesse daran, enge Beziehungen zu knüpfen und emotionale Nähe zu ihren Mitmenschen aufrechtzuerhalten. Sie haben ein großes Misstrauen gegenüber anderen, besitzen aber gleichzeitig ein positives Selbstmodell, das sie lieber in ihre eigenen Ich-Fähigkeiten investieren würden. Aufgrund ihres Misstrauens können sie nicht davon überzeugt werden, dass andere Menschen die Fähigkeit haben, emotionale Unterstützung zu leisten. Sie versuchen, ein hohes Maß an Selbstwertgefühl aufzubauen, indem sie unverhältnismäßig viel in ihre Fähigkeiten oder Leistungen investieren. Diese Erwachsenen halten ihr positives Selbstbild aufrecht, das sich auf ihre persönlichen Leistungen und Kompetenzen stützt, anstatt nach Akzeptanz durch andere zu suchen und diese zu spüren. Diese Erwachsenen lehnen die Bedeutung von emotionaler Bindung ausdrücklich ab oder minimieren sie und vermeiden passiv Beziehungen, wenn sie das Gefühl haben, dass sie ihnen zu nahe kommen. Sie streben nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Wenn es um die Meinung anderer über sich selbst geht, sind sie sehr gleichgültig und reagieren relativ zögerlich auf positives Feedback von Gleichaltrigen. Dismissive Vermeidung kann auch als Ergebnis einer defensiven Deaktivierung des Bindungssystems erklärt werden, um potenzielle Ablehnung zu vermeiden, oder als echte Missachtung zwischenmenschlicher Nähe.

Ängstlich-vermeidend

Ängstlich-vermeidende Erwachsene haben gemischte Gefühle in Bezug auf enge Beziehungen, sie wünschen sich emotionale Nähe und fühlen sich gleichzeitig unwohl dabei. Das Gefährliche an diesem Gegensatz zwischen dem Wunsch, soziale Beziehungen einzugehen, und der gleichzeitigen Angst vor der Beziehung ist, dass er zu psychischer Instabilität führt. Diese psychische Instabilität führt dann dazu, dass die Betroffenen den Beziehungen, die sie eingehen, misstrauen und sich selbst als unwürdig betrachten. Darüber hinaus haben ängstlich-vermeidende Erwachsene im Vergleich zu ängstlich-besorgten und ablehnend-vermeidenden Gruppen auch eine weniger angenehme Lebenseinstellung. Wie abweisend-vermeidende Erwachsene neigen auch ängstlich-vermeidende Erwachsene dazu, weniger Intimität zu suchen und ihre Gefühle zu unterdrücken.

Beziehungen zwischen Menschen mit unterschiedlichen Bindungsstilen

In Beziehungen neigen unsichere Personen dazu, sich mit unsicheren Personen zusammenzutun, und sichere Personen mit sicheren Personen. Unsichere Beziehungen sind in der Regel beständig, aber emotional weniger befriedigend als die Beziehung(en) zweier sicher gebundener Personen.

Bindungsstile werden vom ersten Date an aktiviert und beeinflussen die Beziehungsdynamik und das Ende einer Beziehung. Es hat sich gezeigt, dass eine sichere Bindung im Vergleich zu anderen Bindungsstilen eine bessere Konfliktlösung in einer Beziehung ermöglicht und die Fähigkeit, eine unbefriedigende Beziehung zu beenden. Das authentisch hohe Selbstwertgefühl und die positive Sichtweise auf andere Personen ermöglichen dies, da sie zuversichtlich sind, eine andere Beziehung zu finden. Es hat sich gezeigt, dass sichere Bindung auch die erfolgreiche Verarbeitung von Beziehungsverlusten (z. B. Tod, Zurückweisung, Untreue, Verlassenwerden usw.) ermöglicht. Es hat sich auch gezeigt, dass Bindung das Betreuungsverhalten in Beziehungen beeinflusst (Shaver & Cassidy, 2018).

Bewertung und Messung von Bindung

Zwei Hauptaspekte der Bindung von Erwachsenen sind untersucht worden. Die Organisation und Stabilität der mentalen Arbeitsmodelle, die den Bindungsstilen zugrunde liegen, werden von Sozialpsychologen erforscht, die sich für romantische Bindung interessieren. Entwicklungspsychologen, die sich für den Geisteszustand des Einzelnen in Bezug auf Bindung interessieren, untersuchen im Allgemeinen, wie Bindung in der Beziehungsdynamik funktioniert und sich auf die Beziehungsergebnisse auswirkt. Die Organisation der mentalen Arbeitsmodelle ist stabiler, während der Geisteszustand des Individuums in Bezug auf die Bindung stärker schwankt. Einige Autoren sind der Meinung, dass Erwachsene nicht über ein einziges Arbeitsmodell verfügen. Stattdessen verfügen sie auf einer Ebene über eine Reihe von Regeln und Annahmen über Bindungsbeziehungen im Allgemeinen. Auf einer anderen Ebene verfügen sie über Informationen über spezifische Beziehungen oder Beziehungsereignisse. Die Informationen auf den verschiedenen Ebenen müssen nicht konsistent sein. Individuen können daher unterschiedliche interne Arbeitsmodelle für verschiedene Beziehungen haben.

Es gibt eine Reihe verschiedener Messmethoden für die Bindung Erwachsener, wobei die gebräuchlichsten Selbstauskunftsfragebögen und kodierte Interviews auf der Grundlage des Adult Attachment Interview sind. Die verschiedenen Maße wurden in erster Linie als Forschungsinstrumente für unterschiedliche Zwecke und Bereiche entwickelt, z. B. für romantische Beziehungen, platonische Beziehungen, elterliche Beziehungen oder Beziehungen zu Gleichaltrigen. Einige klassifizieren den Gemütszustand eines Erwachsenen in Bezug auf Bindung und Bindungsmuster unter Bezugnahme auf Kindheitserfahrungen, während andere das Beziehungsverhalten und die Sicherheit in Bezug auf Eltern und Gleichaltrige bewerten.

Assoziationen zwischen erwachsener Bindung und anderen Merkmalen

Die Bindungsstile Erwachsener stehen in Zusammenhang mit individuellen Unterschieden in der Art und Weise, wie Erwachsene ihre Emotionen erleben und bewältigen. Jüngste Meta-Analysen bringen unsichere Bindungsstile mit geringerer emotionaler Intelligenz und geringerer Achtsamkeit in Verbindung.

Geschichte

Mütterliche Deprivation

Bowlby wurde von den frühen Überlegungen der objektbezogenen Psychoanalyse, insbesondere von Melanie Klein, beeinflusst. Er widersprach jedoch der vorherrschenden psychoanalytischen Auffassung, dass sich die Reaktionen von Säuglingen auf ihr inneres Fantasieleben und nicht auf Ereignisse im wirklichen Leben beziehen. Als Bowlby seine Konzepte formulierte, wurde er von Fallstudien über gestörte und straffällige Kinder beeinflusst, wie z. B. den 1943 und 1945 veröffentlichten Studien von William Goldfarb.

Two rows of little boys, about 20 in total, kneel before their beds in the dormitory of a residential nursery. Their eyes are shut and they are in an attitude of prayer. They wear long white night gowns and behind them are their iron-framed beds.
Gebetszeit in der Kindertagesstätte des Five Points House of Industry, 1888. Die 1951 veröffentlichte Hypothese der mütterlichen Deprivation führte zu einer Abkehr von der Verwendung von Kinderheimen zugunsten von Pflegefamilien.

René Spitz, ein Zeitgenosse Bowlbys, beobachtete den Kummer von Trennungskindern und schlug vor, dass die unangemessenen Erfahrungen in der frühen Betreuung "psychotoxische" Folgen nach sich ziehen. Einen starken Einfluss hatte auch die Arbeit des Sozialarbeiters und Psychoanalytikers James Robertson, der die Auswirkungen von Trennungen auf Kinder im Krankenhaus filmte. Gemeinsam mit Bowlby drehte er 1952 den Dokumentarfilm A Two-Year Old Goes to the Hospital (Ein Zweijähriger geht ins Krankenhaus), der maßgeblich zu einer Kampagne beitrug, die darauf abzielte, die Besuchsbeschränkungen für Eltern im Krankenhaus zu ändern.

In seiner 1951 für die Weltgesundheitsorganisation verfassten Monographie Maternal Care and Mental Health (Mütterliche Pflege und psychische Gesundheit) stellte Bowlby die Hypothese auf, dass "der Säugling und das Kleinkind eine warme, intime und kontinuierliche Beziehung zu seiner Mutter erleben sollten, in der beide Zufriedenheit und Freude finden", da das Fehlen einer solchen Beziehung erhebliche und irreversible Folgen für die psychische Gesundheit haben kann. Dies wurde auch unter dem Titel Child Care and the Growth of Love für die Öffentlichkeit veröffentlicht. Die zentrale These war einflussreich, aber höchst umstritten. Zu dieser Zeit gab es nur wenige empirische Daten und keine umfassende Theorie, die eine solche Schlussfolgerung begründen konnte. Nichtsdestotrotz weckte Bowlbys Theorie erhebliches Interesse an der Natur der frühen Beziehungen und gab einen starken Impuls für (in den Worten von Mary Ainsworth) eine "große Menge an Forschung" in einem äußerst schwierigen, komplexen Bereich.

Bowlbys Arbeit (und Robertsons Filme) lösten eine regelrechte Revolution in Bezug auf die Besuche der Eltern im Krankenhaus, die Bereitstellung von Spiel-, Bildungs- und Sozialangeboten für Kinder sowie die Nutzung von Kinderheimen aus. Im Laufe der Zeit wurden Waisenhäuser in den meisten Industrieländern zugunsten von Pflegefamilien oder familienähnlichen Heimen aufgegeben.

Bowlbys Arbeit über die elterliche Fürsorge nach der Geburt eines Kindes zeigt, dass mütterliche Deprivation das Bindungsverhalten des Kindes negativ beeinflusst. Wenn eine Mutter nach der Geburt Angst, Stress oder Depressionen erlebt, kann die Bindung zu ihrem Kind gestört werden. Es ist wichtig, dass schwangere Frauen vor und nach der Geburt psychosoziale Unterstützung erhalten, da psychische Erkrankungen häufig zu einer geringen Bindung an ihr Kind führen.

Formulierung der Theorie

Nach der Veröffentlichung von Maternal Care and Mental Health bemühte sich Bowlby um neue Erkenntnisse aus den Bereichen Evolutionsbiologie, Ethologie, Entwicklungspsychologie, Kognitionswissenschaft und Kontrollsystemtheorie. Er formulierte die innovative These, dass die Mechanismen, die der emotionalen Bindung eines Säuglings an seine Bezugsperson(en) zugrunde liegen, durch evolutionären Druck entstanden sind. Er machte sich daran, eine Theorie der Motivation und Verhaltenskontrolle zu entwickeln, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht und nicht auf Freuds Modell der psychischen Energie. Bowlby argumentierte, dass er mit der Bindungstheorie die "Unzulänglichkeiten der Daten und das Fehlen einer Theorie zur Verknüpfung von angeblicher Ursache und Wirkung" von Mütterfürsorge und psychischer Gesundheit behoben habe.

Ethologie

Bowlby wurde Anfang der 1950er Jahre auf die Ethologie aufmerksam, als er die Arbeiten von Konrad Lorenz las. Weitere wichtige Einflüsse waren die Ethologen Nikolaas Tinbergen und Robert Hinde. Bowlby arbeitete später mit Hinde zusammen. 1953 erklärte Bowlby: "Die Zeit ist reif für eine Vereinigung der psychoanalytischen Konzepte mit denen der Ethologie und für die Verfolgung der reichhaltigen Forschungsmöglichkeiten, die diese Vereinigung bietet." Konrad Lorenz hatte das Phänomen der "Prägung" untersucht, ein für einige Vögel und Säugetiere charakteristisches Verhalten, bei dem die Jungtiere schnell lernen, einen Artgenossen oder ein vergleichbares Objekt zu erkennen. Nach dem Wiedererkennen folgt die Tendenz, ihm zu folgen.

A young woman in rubber boots is walking with arms crossed through a muddy clearing in a birch wood, followed by a young moose calf running through a puddle
Dieser mit der Flasche gefütterte junge Elch hat eine Bindung zu seiner Bezugsperson (in der Kostroma Elchfarm) entwickelt.

Bestimmte Arten des Lernens sind nur innerhalb einer begrenzten Altersspanne, der so genannten kritischen Periode, möglich, und zwar in Abhängigkeit von der jeweiligen Art des Lernens. Zu Bowlbys Konzepten gehörte die Vorstellung, dass Bindung das Lernen aus Erfahrungen während einer begrenzten Altersperiode beinhaltet, die vom Verhalten der Erwachsenen beeinflusst wird. Er wandte das Konzept der Prägung nicht in seiner Gesamtheit auf die menschliche Bindung an. Er vertrat jedoch die Auffassung, dass sich das Bindungsverhalten am besten durch Instinktverhalten in Verbindung mit der Wirkung von Erfahrung erklären lässt, wobei er die Bereitschaft des Kindes zu sozialen Interaktionen betonte. Im Laufe der Zeit wurde deutlich, dass es mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten zwischen der Bindungstheorie und der Prägung gab, so dass die Analogie fallen gelassen wurde.

Ethologen äußerten Bedenken hinsichtlich der Angemessenheit einiger Forschungsergebnisse, auf denen die Bindungstheorie beruhte, insbesondere hinsichtlich der Verallgemeinerung von Tierstudien auf den Menschen. Schur, der Bowlbys Verwendung ethologischer Konzepte (vor 1960) erörterte, bemerkte, dass die in der Bindungstheorie verwendeten Konzepte nicht mit den Veränderungen in der Ethologie selbst Schritt gehalten hatten. Ethologen und andere, die in den 1960er und 1970er Jahren schrieben, hinterfragten und erweiterten die Verhaltensweisen, die als Anzeichen für Bindung gelten. Beobachtungsstudien an Kleinkindern in natürlicher Umgebung lieferten weitere Verhaltensweisen, die auf Bindung hindeuten könnten, z. B. das Verbleiben in einem vorhersehbaren Abstand zur Mutter, ohne dass diese sich anstrengt, und das Aufheben kleiner Gegenstände, die der Mutter, nicht aber anderen Personen gebracht werden. Obwohl die Ethologen tendenziell mit Bowlby übereinstimmten, drängten sie auf mehr Daten und wandten sich dagegen, dass die Psychologen so schrieben, als gäbe es eine "Entität, die 'Bindung' ist und über die beobachtbaren Maßnahmen hinaus existiert". Robert Hinde hielt "Bindungsverhaltenssystem" für einen angemessenen Begriff, der nicht die gleichen Probleme aufwirft, "weil er sich auf postulierte Kontrollsysteme bezieht, die die Beziehungen zwischen verschiedenen Verhaltensweisen bestimmen."

Psychoanalyse

Several lines of school children march diagonally from top right to bottom left. Each carries a bag or bundle and each raises their right arm in the air in a salute. Adults stand in a line across the bottom right hand corner making the same gesture.
Evakuierung von lächelnden japanischen Schulkindern im Zweiten Weltkrieg aus dem Buch Road to Catastrophe

Psychoanalytische Konzepte beeinflussten Bowlbys Auffassung von Bindung, insbesondere die Beobachtungen von Anna Freud und Dorothy Burlingham über kleine Kinder, die während des Zweiten Weltkriegs von ihren vertrauten Bezugspersonen getrennt wurden. Bowlby lehnte jedoch psychoanalytische Erklärungen für frühkindliche Bindungen ab, darunter die "Triebtheorie", nach der die Motivation für die Bindung aus der Befriedigung von Hunger und libidinösen Trieben resultiert. Er nannte dies die "Schrank-Liebe"-Theorie der Beziehungen. Seiner Ansicht nach wurde dabei versäumt, Bindung als eigenständiges psychologisches Band zu betrachten und nicht als Instinkt, der sich aus der Ernährung oder Sexualität ableitet. Ausgehend von den Ideen der primären Bindung und des Neodarwinismus stellte Bowlby fest, was er als grundlegende Fehler in der Psychoanalyse ansah: die Überbetonung innerer Gefahren statt äußerer Bedrohung und die Auffassung, dass die Persönlichkeitsentwicklung in linearen Phasen verläuft, wobei die Regression zu Fixpunkten für psychische Störungen verantwortlich ist. Bowlby vertrat stattdessen die Auffassung, dass mehrere Entwicklungslinien möglich sind, deren Ergebnis von der Interaktion zwischen dem Organismus und der Umwelt abhängt. Für die Bindungstheorie bedeutet dies, dass ein sich entwickelndes Kind zwar die Neigung hat, Bindungen einzugehen, die Art dieser Bindungen jedoch von der Umgebung abhängt, der das Kind ausgesetzt ist.

Schon früh in der Entwicklung der Bindungstheorie gab es Kritik an der mangelnden Übereinstimmung der Theorie mit verschiedenen Zweigen der Psychoanalyse. Bowlby sah sich durch seine Entscheidungen der Kritik etablierter Denker ausgesetzt, die an ähnlichen Problemen arbeiteten.

Internes Arbeitsmodell

Der Philosoph Kenneth Craik hatte die Fähigkeit des Denkens, Ereignisse vorherzusagen, erkannt. Er betonte den Überlebenswert der natürlichen Selektion für diese Fähigkeit. Eine Schlüsselkomponente der Bindungstheorie ist das System des Bindungsverhaltens, bei dem bestimmte Verhaltensweisen ein vorhersehbares Ergebnis haben (z. B. Nähe) und der Selbsterhaltung dienen (z. B. Schutz). Dieses interne Arbeitsmodell ermöglicht es einer Person, gedanklich Alternativen auszuprobieren und dabei das Wissen über die Vergangenheit zu nutzen, während sie auf die Gegenwart und die Zukunft reagiert. Bowlby wandte Craiks Ideen auf die Bindung an, während andere Psychologen diese Konzepte auf die Wahrnehmung und Kognition von Erwachsenen anwandten.

Säuglinge nehmen alle Arten von komplexen sozial-emotionalen Informationen aus den sozialen Interaktionen auf, die sie beobachten. Sie bemerken die hilfreichen und hinderlichen Verhaltensweisen einer Person gegenüber einer anderen. Aus diesen Beobachtungen entwickeln sie Erwartungen, wie sich zwei Personen verhalten sollten, ein so genanntes "sicheres Basisskript". Diese Skripte dienen als Schablone dafür, wie sich bindungsbezogene Ereignisse entfalten sollten, und sie sind die Bausteine der internen Arbeitsmodelle des Kindes. Das interne Arbeitsmodell des Kindes wird als Reaktion auf die erfahrungsbasierten internen Arbeitsmodelle des Kindes über sich selbst und seine Umwelt entwickelt, wobei der Schwerpunkt auf der Betreuungsumgebung und den Ergebnissen seines nach Nähe suchenden Verhaltens liegt. Theoretisch würde ein sicheres kindliches und erwachsenes Skript eine Bindungssituation ermöglichen, in der eine Person die andere erfolgreich als sichere Basis nutzt, von der aus sie erforschen kann, und als sicheren Hafen in Zeiten der Bedrängnis. Im Gegensatz dazu würden unsichere Personen Bindungssituationen mit mehr Komplikationen schaffen. Wenn zum Beispiel die Betreuungsperson dieses nach Nähe strebende Verhalten akzeptiert und Zugang gewährt, entwickelt das Kind eine sichere Organisation; wenn die Betreuungsperson dem Kind konsequent den Zugang verweigert, entwickelt sich eine vermeidende Organisation; und wenn die Betreuungsperson inkonsequent Zugang gewährt, entwickelt sich eine ambivalente Organisation. Im Nachhinein betrachtet sind die internen Arbeitsmodelle konstant und spiegeln die primäre Beziehung zu unseren Bezugspersonen wider. Die Bindung in der Kindheit hat einen direkten Einfluss auf unsere Beziehungen als Erwachsene.

Das interne Arbeitsmodell einer Mutter, das in der Bindungsbeziehung zu ihrem Säugling zum Tragen kommt, kann durch die Untersuchung der mentalen Repräsentationen der Mutter erschlossen werden. Neuere Forschungen haben gezeigt, dass die Qualität der mütterlichen Attributionen als Marker der mütterlichen mentalen Repräsentationen mit bestimmten Formen der mütterlichen Psychopathologie in Verbindung gebracht werden kann und sich durch gezielte psychotherapeutische Interventionen in relativ kurzer Zeit verändern lässt.

Kybernetik

Die Theorie der Kontrollsysteme (Kybernetik), die sich in den 1930er und 40er Jahren entwickelte, beeinflusste Bowlbys Denken. Das Bedürfnis des Kleinkindes nach Nähe zur Bezugsperson wurde als homöostatisches Gleichgewicht mit dem Bedürfnis nach Erkundung betrachtet. (Bowlby verglich diesen Prozess mit der physiologischen Homöostase, bei der z. B. der Blutdruck in Grenzen gehalten wird). Der tatsächliche Abstand, den das Kind einhält, variiert, wenn sich das Gleichgewicht der Bedürfnisse ändert. Beispielsweise würde die Annäherung eines Fremden oder eine Verletzung dazu führen, dass das Kind, das auf Distanz erforscht, die Nähe sucht. Das Ziel des Kindes ist nicht ein Objekt (die Betreuungsperson), sondern ein Zustand: die Aufrechterhaltung des gewünschten Abstands zur Betreuungsperson in Abhängigkeit von den Umständen.

Kognitive Entwicklung

Bowlbys Rückgriff auf Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung warf die Frage nach der Objektpermanenz (der Fähigkeit, sich an ein Objekt zu erinnern, das vorübergehend abwesend ist) bei frühen Bindungsverhaltensweisen auf. Die Fähigkeit des Säuglings, fremde Personen zu unterscheiden und auf die Abwesenheit der Mutter zu reagieren, schien Monate früher aufzutreten, als Piaget es für kognitiv möglich hielt. In jüngerer Zeit wurde festgestellt, dass das Verständnis der mentalen Repräsentation seit Bowlbys Zeiten so weit fortgeschritten ist, dass die heutigen Ansichten spezifischer sein können als die zu Bowlbys Zeiten.

Behaviourismus

1969 erörterte Gerwitz, wie Mutter und Kind sich durch ihre gegenseitige Aufmerksamkeit positive Verstärkungserfahrungen verschaffen und dadurch lernen können, eng zusammenzubleiben. Diese Erklärung würde es überflüssig machen, angeborene menschliche Eigenschaften zu postulieren, die die Bindung fördern. Die Lerntheorie (Behaviorismus) sah die Bindung als ein Überbleibsel der Abhängigkeit, wobei die Qualität der Bindung lediglich eine Reaktion auf die Signale der Betreuungsperson ist. Die wichtigsten Prädiktoren für die Qualität der Bindung sind die Feinfühligkeit und das Eingehen auf die Kinder der Eltern. Wenn Eltern warmherzig und fürsorglich mit ihren Kindern umgehen, erhöht sich deren Bindungsqualität. Die Art und Weise, wie Eltern mit ihren Kindern im Alter von vier Monaten interagieren, hängt mit dem Bindungsverhalten im Alter von 12 Monaten zusammen, weshalb es wichtig ist, dass die Sensibilität und Reaktionsfähigkeit der Eltern stabil bleibt. Ein Mangel an Sensibilität und Reaktionsfähigkeit erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei Kindern Bindungsstörungen entwickeln. Behavioristen betrachteten Verhaltensweisen wie Weinen als eine zufällige Aktivität, die nichts bedeutet, solange sie nicht durch die Reaktion einer Bezugsperson verstärkt wird. Für Behavioristen würden häufige Reaktionen zu mehr Weinen führen. Für die Bindungstheoretiker ist Weinen ein angeborenes Bindungsverhalten, auf das die Betreuungsperson reagieren muss, wenn der Säugling emotionale Sicherheit entwickeln soll. Gewissenhafte Reaktionen erzeugen Sicherheit, was die Autonomie stärkt und zu weniger Weinen führt. Die Forschungen von Ainsworth in Baltimore unterstützten die Ansicht der Bindungstheoretiker.

In den letzten zehn Jahren haben Verhaltensanalytiker Modelle der Bindung entwickelt, die auf der Bedeutung kontingenter Beziehungen basieren. Diese verhaltensanalytischen Modelle haben in der Forschung und in meta-analytischen Übersichten eine gewisse Unterstützung erfahren.

Entwicklungen seit den 1970er Jahren

In den 1970er Jahren führten die Probleme bei der Betrachtung von Bindung als Eigenschaft (stabiles Merkmal eines Individuums) und nicht als Verhaltenstyp mit organisierenden Funktionen und Ergebnissen einige Autoren zu dem Schluss, dass Bindungsverhalten am besten im Hinblick auf seine Funktionen im Leben des Kindes zu verstehen sei. Diese Denkweise betrachtete das Konzept der sicheren Basis als zentral für die Logik, die Kohärenz und den Status der Bindungstheorie als Organisationskonstrukt. Diesem Argument folgend wurde die Annahme untersucht, dass Bindung bei allen Menschen kulturübergreifend identisch ausgeprägt ist. Dabei zeigte sich, dass trotz kultureller Unterschiede die drei Grundmuster - sicher, vermeidend und ambivalent - in allen untersuchten Kulturen anzutreffen sind, selbst dort, wo gemeinschaftliche Schlafmöglichkeiten die Norm sind. Die Wahl des sicheren Musters findet sich bei der Mehrheit der Kinder in allen untersuchten Kulturen. Dies ergibt sich logischerweise aus der Tatsache, dass die Bindungstheorie vorsieht, dass sich Säuglinge an Veränderungen in ihrer Umgebung anpassen und optimale Verhaltensstrategien wählen. Die Art und Weise, wie Bindung ausgedrückt wird, weist kulturelle Unterschiede auf, die vor der Durchführung von Studien ermittelt werden müssen; so werden Gusii-Säuglinge zum Beispiel eher mit einem Händedruck als mit einer Umarmung begrüßt. Sicher gebundene Gusii-Säuglinge erwarten und suchen diesen Kontakt. Es gibt auch Unterschiede in der Verteilung der unsicheren Muster, die auf kulturellen Unterschieden in der Kindererziehung beruhen. Der Wissenschaftler Michael Rutter untersuchte 1974, wie wichtig es ist, zwischen den Folgen von Bindungsentzug für die intellektuelle Retardierung von Kindern und der mangelnden Entwicklung des emotionalen Wachstums von Kindern zu unterscheiden. Rutter kam zu dem Schluss, dass eine sorgfältige Abgrenzung der mütterlichen Eigenschaften erforderlich ist, um weitere Fortschritte auf diesem Gebiet zu erzielen.

Die größte Herausforderung für die Vorstellung von der Universalität der Bindungstheorie ging von Studien aus, die in Japan durchgeführt wurden, wo das Konzept der amae eine herausragende Rolle bei der Beschreibung von Familienbeziehungen spielt. Die Argumente drehten sich um die Angemessenheit der Anwendung des Verfahrens der seltsamen Situation, in der amae praktiziert wird. Letztlich tendierten die Forschungsergebnisse dazu, die Universalitätshypothese der Bindungstheorie zu bestätigen. Zuletzt wurde in einer 2007 in Sapporo in Japan durchgeführten Studie festgestellt, dass die Bindungsverteilung mit den globalen Normen übereinstimmt, wenn man das sechsjährige Main- und Cassidy-Scoring-System zur Klassifizierung der Bindung verwendet.

Kritiker in den 1990er Jahren wie J. R. Harris, Steven Pinker und Jerome Kagan befassten sich im Allgemeinen mit dem Konzept des kindlichen Determinismus (Natur gegen Umwelt) und betonten die Auswirkungen späterer Erfahrungen auf die Persönlichkeit. Aufbauend auf den Arbeiten von Stella Chess zum Temperament lehnte Kagan fast alle Annahmen ab, auf denen die Bindungstheorie beruhte. Kagan argumentierte, dass die Vererbung weitaus wichtiger sei als die vorübergehenden Entwicklungseffekte der frühen Umwelt. So würde beispielsweise ein Kind mit einem von Natur aus schwierigen Temperament keine einfühlsamen Verhaltensreaktionen bei einer Betreuungsperson hervorrufen. Die Debatte löste beträchtliche Forschungsarbeiten und Analysen von Daten aus einer wachsenden Zahl von Längsschnittstudien aus. Spätere Forschungen haben Kagans Argument nicht bestätigt, was möglicherweise darauf hindeutet, dass das Verhalten der Betreuungsperson den Bindungsstil des Kindes prägt, obwohl die Art und Weise, wie dieser Stil zum Ausdruck kommt, vom Temperament des Kindes abhängen kann. Harris und Pinker vertraten die Auffassung, dass der Einfluss der Eltern stark übertrieben worden sei, und argumentierten, dass die Sozialisierung vor allem in Gleichaltrigengruppen stattfinde. H. Rudolph Schaffer kam zu dem Schluss, dass Eltern und Gleichaltrige unterschiedliche Funktionen haben und unterschiedliche Rollen in der Entwicklung von Kindern erfüllen.

Die Psychoanalytiker/Psychologen Peter Fonagy und Mary Target haben versucht, die Bindungstheorie und die Psychoanalyse durch die kognitive Wissenschaft der Mentalisierung in eine engere Beziehung zu bringen. Mentalisierung oder Theory of Mind ist die Fähigkeit des Menschen, mit einiger Genauigkeit zu erraten, welche Gedanken, Gefühle und Absichten hinter so subtilen Verhaltensweisen wie dem Gesichtsausdruck stehen. Es wurde spekuliert, dass diese Verbindung zwischen der Theory of Mind und dem internen Arbeitsmodell neue Forschungsbereiche eröffnen und zu Veränderungen in der Bindungstheorie führen könnte. Seit Ende der 1980er Jahre hat sich eine Annäherung zwischen Bindungstheorie und Psychoanalyse entwickelt, die auf den von Bindungstheoretikern und -forschern herausgearbeiteten Gemeinsamkeiten und einer Veränderung dessen beruht, was Psychoanalytiker als zentral für die Psychoanalyse ansehen. Objektbeziehungsmodelle, die das autonome Bedürfnis nach einer Beziehung betonen, sind dominant geworden und stehen im Zusammenhang mit einer wachsenden Anerkennung der Bedeutung der kindlichen Entwicklung im Kontext von Beziehungen und verinnerlichten Repräsentationen in der Psychoanalyse. Die Psychoanalyse hat den prägenden Charakter der frühen Umgebung eines Kindes erkannt, einschließlich der Frage des Kindheitstraumas. Eine psychoanalytisch begründete Erforschung des Bindungssystems und ein begleitender klinischer Ansatz haben sich herausgebildet, zusammen mit der Anerkennung der Notwendigkeit, die Ergebnisse von Interventionen zu messen.

Ein Schwerpunkt der Bindungsforschung waren die Schwierigkeiten von Kindern mit einer schlechten Bindungsgeschichte, einschließlich derjenigen, die umfangreiche Erfahrungen mit nicht elterlicher Kinderbetreuung gemacht haben. Während der so genannten "day care wars" des späten 20. Jahrhunderts, in denen einige Autoren die schädlichen Auswirkungen der Kinderbetreuung betonten, war die Sorge um die Auswirkungen der Kinderbetreuung groß. Infolge dieser Kontroverse wurde in der Ausbildung von Kinderbetreuern der Schwerpunkt auf Bindungsfragen gelegt, einschließlich der Notwendigkeit, durch die Zuweisung eines Kindes zu einer bestimmten Betreuungsperson eine Beziehung aufzubauen. Obwohl dies nur in qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungseinrichtungen der Fall sein dürfte, erhalten mehr Kleinkinder in der Kinderbetreuung eine bindungsfreundliche Betreuung als in der Vergangenheit. Ein natürliches Experiment ermöglichte eine umfassende Untersuchung von Bindungsfragen, als Forscher Tausende von rumänischen Waisenkindern verfolgten, die nach dem Ende des Regimes von Nicolae Ceaușescu in westliche Familien adoptiert wurden. Das englische und rumänische Adoptivkinder-Studienteam unter der Leitung von Michael Rutter verfolgte einige der Kinder bis ins Teenageralter und versuchte, die Auswirkungen von Bindungsstörungen, Adoption, neuen Beziehungen, körperlichen Problemen und medizinischen Problemen im Zusammenhang mit ihrem frühen Leben zu ergründen. Die Untersuchungen dieser Adoptivkinder, deren Ausgangsbedingungen schockierend waren, gaben Anlass zu Optimismus, da sich viele der Kinder recht gut entwickelten. Die Forscher stellten fest, dass die Trennung von vertrauten Menschen nur einer von vielen Faktoren ist, die die Qualität der Entwicklung mitbestimmen. Obwohl im Vergleich zu gebürtigen oder früh adoptierten Kindern höhere Raten atypischer unsicherer Bindungsmuster festgestellt wurden, wiesen 70 % der später adoptierten Kinder keine ausgeprägten oder schweren Bindungsstörungen auf.

Autoren, die sich mit Bindung in nicht-westlichen Kulturen beschäftigen, haben die Verbindung der Bindungstheorie mit westlichen Familien- und Kinderbetreuungsmustern, die für Bowlbys Zeit charakteristisch waren, festgestellt. In dem Maße, in dem sich die Betreuungserfahrungen von Kindern ändern, können sich auch bindungsbezogene Erfahrungen verändern. So hat beispielsweise die veränderte Einstellung zur weiblichen Sexualität dazu geführt, dass die Zahl der Kinder, die bei ihren unverheirateten Müttern leben oder außerhalb des Hauses betreut werden, während die Mütter arbeiten, stark zugenommen hat. Dieser gesellschaftliche Wandel hat es kinderlosen Menschen erschwert, in ihren Heimatländern Kinder zu adoptieren. Die Zahl der Adoptionen älterer Kinder und der Adoptionen aus Ländern der Dritten Welt in Ländern der Ersten Welt hat zugenommen. Die Zahl der Adoptionen und Geburten durch gleichgeschlechtliche Paare hat zugenommen, und sie sind heute rechtlich besser geschützt als zu Bowlbys Zeiten. Unabhängig davon, ob die Eltern genetisch miteinander verwandt sind, werden Adoptiveltern mit ihrer Bindungsrolle das Bindungsverhalten ihres Kindes ein Leben lang beeinflussen und beeinflussen. Es wurden Fragen dahingehend aufgeworfen, dass das für die Bindungstheorie charakteristische dyadische Modell der Komplexität sozialer Erfahrungen im wirklichen Leben nicht gerecht werden kann, da Kleinkinder oft mehrere Beziehungen innerhalb der Familie und in Kinderbetreuungseinrichtungen haben. Es wird angenommen, dass diese vielfältigen Beziehungen sich gegenseitig beeinflussen, zumindest innerhalb einer Familie.

Die Prinzipien der Bindungstheorie wurden zur Erklärung des Sozialverhaltens Erwachsener herangezogen, darunter Paarung, soziale Dominanz und hierarchische Machtstrukturen, Identifikation mit der eigenen Gruppe, Gruppenkoalitionen, Mitgliedschaft in Sekten und totalitären Systemen sowie Aushandlung von Gegenseitigkeit und Gerechtigkeit. Diese Erklärungen wurden für die Gestaltung von Schulungen zur elterlichen Fürsorge herangezogen und haben sich bei der Konzeption von Programmen zur Prävention von Kindesmissbrauch als besonders erfolgreich erwiesen.

Während eine Vielzahl von Studien die grundlegenden Lehren der Bindungstheorie bestätigt haben, ist die Forschung nicht schlüssig, ob selbstberichtete frühe Bindung und spätere Depression nachweislich zusammenhängen.

Neurobiologie der Bindung

Neben den Längsschnittstudien gibt es auch psychophysiologische Untersuchungen zur Neurobiologie der Bindung. Die Forschung hat begonnen, die neuronale Entwicklung, die Verhaltensgenetik und Temperamentskonzepte einzubeziehen. Im Allgemeinen stellen Temperament und Bindung getrennte Entwicklungsbereiche dar, aber Aspekte beider tragen zu einer Reihe von inter- und intrapersonellen Entwicklungsergebnissen bei. Einige Temperamentstypen machen manche Menschen anfällig für den Stress unvorhersehbarer oder feindseliger Beziehungen zu Betreuungspersonen in den ersten Lebensjahren. Wenn keine verfügbaren und ansprechbaren Bezugspersonen zur Verfügung stehen, scheinen einige Kinder besonders anfällig für die Entwicklung von Bindungsstörungen zu sein.

Die Qualität der Betreuung im Säuglings- und Kindesalter wirkt sich direkt auf die neurologischen Systeme eines Menschen aus, die die Stressregulation steuern. In der psychophysiologischen Bindungsforschung wurden vor allem zwei Bereiche untersucht: autonome Reaktionen wie Herzfrequenz oder Atmung und die Aktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse, die für die Reaktion des Körpers auf Stress verantwortlich ist. Die physiologischen Reaktionen von Säuglingen wurden während der Strange-Situation-Prozedur gemessen, um individuelle Unterschiede im kindlichen Temperament und das Ausmaß, in dem die Bindung als Moderator wirkt, zu untersuchen. Jüngste Studien belegen, dass frühe Bindungsbeziehungen auf molekularer Ebene in das Wesen eingepflanzt werden und so die spätere Funktion des Immunsystems beeinflussen. Empirische Belege zeigen, dass frühe negative Erfahrungen pro-entzündliche Phänotypzellen im Immunsystem hervorrufen, die in direktem Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen und bestimmten Krebsarten stehen.

Jüngste Verbesserungen bei den Forschungsmethoden haben es den Forschern ermöglicht, die neuronalen Korrelate der Bindung beim Menschen weiter zu untersuchen. Zu diesen Fortschritten gehört die Identifizierung von Schlüsselstrukturen des Gehirns, neuronalen Schaltkreisen, Neurotransmittersystemen und Neuropeptiden und die Frage, wie sie an der Funktion des Bindungssystems beteiligt sind und mehr über ein bestimmtes Individuum aussagen, ja sogar sein Verhalten vorhersagen können. Es gibt erste Anhaltspunkte dafür, dass an Pflege und Bindung sowohl einzigartige als auch sich überschneidende Hirnregionen beteiligt sind. Ein weiteres Thema ist die Rolle vererbter genetischer Faktoren bei der Gestaltung von Bindungen: So wurde beispielsweise eine Art von Polymorphismus des Gens, das für den D2-Dopaminrezeptor kodiert, mit ängstlicher Bindung in Verbindung gebracht und eine andere im Gen für den 5-HT2A-Serotoninrezeptor mit vermeidender Bindung.

Studien zeigen, dass Bindung im Erwachsenenalter gleichzeitig mit Biomarkern der Immunität zusammenhängt. So produzieren beispielsweise Personen mit einem vermeidenden Bindungsstil höhere Werte des proinflammatorischen Zytokins Interleukin-6 (IL-6), wenn sie auf einen zwischenmenschlichen Stressor reagieren, während Personen mit einem ängstlichen Bindungsstil tendenziell eine erhöhte Cortisolproduktion und eine geringere Anzahl von T-Zellen aufweisen. Obwohl Kinder genetisch unterschiedlich sind und jedes Individuum andere Bindungsbeziehungen benötigt, gibt es übereinstimmende Belege dafür, dass mütterliche Wärme im Säuglings- und Kindesalter einen sicheren Hafen für den Einzelnen schafft, der zu einer besseren Funktion des Immunsystems führt. Eine theoretische Grundlage hierfür ist, dass es biologisch sinnvoll ist, dass Kinder in ihrer Empfänglichkeit für Erziehungseinflüsse variieren.

Eine erste übergreifende theoretische Darstellung der Neurobiologie der Bindung, die auf den Erkenntnissen der sozial-kognitiven, affektiven Neurowissenschaften beruht, wurde kürzlich mit Hilfe eines neuroanatomischen Modells der menschlichen Bindung (NAMA) vorgeschlagen. NAMA geht davon aus, dass das Bindungsverhalten eine Reihe von Kernkomponenten umfasst, die Teil eines prototypischen ersten Bindungspfads sind, und dass individuelle Unterschiede zwischen sicherer und unsicherer (vermeidender und ängstlicher) Bindung mit Modifikationen dieses ersten Pfads verbunden sind. NAMA legt außerdem nahe, dass die neuronalen Berechnungen, die mit den Kernkomponenten als Teil der Bindungswege verbunden sind, in emotionale (Annäherung und Abneigung) und kognitive (Emotionsregulation und mentale Zustandsdarstellung) NAMA-Module unterteilt werden können. Es gibt immer mehr Belege dafür, dass individuelle Unterschiede zwischen sicherer und unsicherer (vermeidender und ängstlicher) Bindung auf unterschiedliche Muster der Gehirnaktivität, -struktur und -konnektivität innerhalb der oben genannten vier NAMA-Module zurückgeführt werden können. NAMA ist die Grundlage für ein kürzlich von der britischen Wohltätigkeitsorganisation Babygro veröffentlichtes und völlig kostenloses Buch für Eltern. Das Babygro-Buch veranschaulicht - in Bildern und mit wenigen Worten - wie sich die Gehirne unserer Babys entwickeln und wie eine aufmerksame Kommunikation zwischen Eltern und Baby zu (geistiger) Gesundheit und Wohlbefinden im späteren Leben führt. Schließlich wurde als Erweiterung von NAMA ein erstes neuroanatomisches Modell der gestörten / desorganisierten Bindung - NAMDA - vorgeschlagen. Insgesamt zielt diese Untersuchungslinie darauf ab, einen neuen Forschungsbereich zu fördern: die soziale Neurowissenschaft der menschlichen Bindung (SoNeAt). Die Hauptträger von SoNeAt sind das Social Neuroscience of Human Attachment oder SoNeAt Lab (PI: Pascal Vrticka) an der University of Essex (Colchester, UK) sowie die Special Interest Research Group Social Neuroscience of Human Attachment (SIRG SoNeAt) als Teil der Society for Emotion and Attachment Studies (SEAS).

Kriminalität

Die Bindungstheorie ist häufig in der Kriminologie angewandt worden. Mit ihrer Hilfe wurde versucht, kausale Mechanismen im kriminellen Verhalten zu identifizieren - mit Anwendungen, die von der Erstellung von Täterprofilen über ein besseres Verständnis der Arten von Straftaten bis hin zur Verfolgung von Präventionsmaßnahmen reichen. Es wurde festgestellt, dass frühe Störungen in der Beziehung zwischen Kind und Betreuer ein Risikofaktor für Kriminalität sind. Die Bindungstheorie wurde in diesem Zusammenhang als "die vielleicht einflussreichste der zeitgenössischen psychoanalytisch orientierten Theorien über Kriminalität" bezeichnet.

Geschichte

In den 1870er Jahren hatte die Theorie des "geborenen Verbrechers" von Cesare Lombroso, die davon ausging, dass Kriminalität angeboren und vererbt ist, das Denken in der Kriminologie dominiert. Die Einführung der Bindungstheorie in die Kriminaltheorie führte zu einer Verschiebung weg von der Annahme, dass ein Individuum "genetisch zur Kriminalität verdammt" sei, hin zur Untersuchung kriminellen Verhaltens aus einer Entwicklungsperspektive.

Die Ursprünge der Bindungstheorie in der Kriminologie gehen auf die Arbeit von August Aichhorn zurück. Indem er die Psychoanalyse auf die Pädagogik anwandte, vertrat er die Ansicht, dass vielen Fällen von Kriminalität eine abnorme kindliche Entwicklung zugrunde liegt, die auf Beziehungsprobleme zurückzuführen ist. Er war der Ansicht, dass in unsicheren Eltern-Kind-Beziehungen die Sozialisierung schief laufen kann, was zu einem Entwicklungsstillstand des Kindes führt, so dass latente Kriminalität vorherrschend werden kann.

Die Überschneidung von Kriminalität und Bindungstheorie wurde von John Bowlby weiter erforscht. In seinem ersten veröffentlichten Werk "Forty-four Juvenile Thieves" (44 jugendliche Diebe) untersuchte er eine Stichprobe von 88 Kindern (44 jugendliche Diebe und 44 nicht straffällige Kontrollkinder), um die häuslichen Lebenserfahrungen dieser beiden Gruppen zu untersuchen. Es wurde festgestellt, dass die Trennung von Kind und Mutter ein ursächlicher Faktor für die Bildung eines delinquenten Charakters ist, insbesondere für die Entwicklung eines "lieblosen Charakters", der häufig bei hartnäckigen Straftätern zu beobachten ist. 17 der jugendlichen Diebe waren in ihren ersten fünf Lebensjahren länger als sechs Monate von ihren Müttern getrennt, während nur 2 Kinder aus der Kontrollgruppe eine solche Trennung durchgemacht hatten. Außerdem stellte er fest, dass 14 der Diebe "lieblose Charaktere" waren, die sich von anderen dadurch unterschieden, dass sie keine Zuneigung, keine emotionalen Bindungen, keine echten Freundschaften und "keine Wurzeln in ihren Beziehungen" hatten. Er schrieb:

Sie haben eine bemerkenswert ausgeprägte frühe Geschichte - lange Trennungen von ihren Müttern oder Pflegemüttern -, so dass sich die Schlussfolgerung aufdrängt, dass wir es hier nicht nur mit einem ausgeprägten klinischen Syndrom zu tun haben, dem des "affectionless thief", sondern auch mit einem ungewöhnlich klaren Beispiel für den verzerrenden Einfluss einer schlechten frühen Umgebung auf die Entwicklung der Persönlichkeit.

Bei diesen "lieblosen" Straftätern handelte es sich um Kinder, die in den ersten 12 Lebensmonaten entweder eine Bindung zu ihrer Mutter aufgebaut hatten, die später gestört wurde, oder die überhaupt keine Bindung aufbauen konnten. 14 der 17 lieblosen Delinquenten hatten mehrere Wechsel der Bezugspersonen erlebt. In der Kontrollgruppe gab es keine lieblosen Personen. Er stellte auch fest, dass Delinquenten mit einem 'Affectionless Character' weitaus häufiger als Delinquenten anderer Typen anhaltend und schwerwiegend stehlen.

Altersverteilung der Kriminalität

Die Beziehung zwischen Alter und Kriminalität ist eine der am häufigsten wiederholten Erkenntnisse in der Kriminologie. Sie wurde als "eine der nackten Tatsachen der Kriminologie" bezeichnet und behauptet, dass "keine Tatsache über Kriminalität mehr akzeptiert wird". Es hat sich gezeigt, dass die Prävalenz von Straftaten während der Adoleszenz ansteigt, in den späten Teenagerjahren und Anfang der Zwanziger ihren Höhepunkt erreicht und danach stark abnimmt. Während die Alterskriminalitätskurve als Tatsache angesehen wird, sind die Mechanismen, die ihr zugrunde liegen, weitgehend umstritten.

Die beiden wichtigsten Theorien, die Entwicklungstheorie und die Lebenslauftheorie, haben ihren Ursprung in der Bindungstheorie. Die Entwicklungstheorie betont die Bedeutung von Kindheitserfahrungen und argumentiert, dass diese für spätere kriminelle Verhaltensweisen ausschlaggebend sein können, d. h. Personen, deren Bindungen in der Kindheit gestört sind, werden neben anderen Faktoren eine kriminelle Laufbahn einschlagen, die bis ins Erwachsenenalter andauert. Die Lebensverlaufsperspektive leugnet die Bedeutung von Kindheitserfahrungen nicht völlig, argumentiert aber, dass die Entwicklungstheorie zu deterministisch ist. Stattdessen argumentieren sie, dass jede Phase des Lebensverlaufs von Bedeutung ist, da der Mensch über Handlungsmöglichkeiten verfügt. Frühkindliche Erfahrungen sind nach wie vor wichtig, wenn auch im Rahmen einer kumulativen Benachteiligung, und Bindungen im späteren Leben können darüber entscheiden, ob eine Person zu Straftaten neigt oder nicht.

Entwicklungspolitische Perspektiven

Die Entwicklungsperspektive zielt darauf ab, die Alters-Kriminalitäts-Kurve durch zwei qualitativ unterschiedliche Typen von Menschen und ihre Verhaltensweisen zu erklären: Personen, deren kriminelle Karriere in der Adoleszenz beginnt und die vor dem Erwachsenenalter nicht mehr kriminell werden, und Personen, deren kriminelles Verhalten in der Adoleszenz beginnt und bis ins Erwachsenenalter andauert.

Die Bindungstheorie wurde herangezogen, um Unterschiede zwischen diesen beiden Verlaufsformen zu ermitteln. Persistente Straftäter beginnen mit gestörten Bindungsbeziehungen in ihrer Kindheit, was zu einer gestörten Persönlichkeit und langfristigen antisozialen Verhaltensweisen und kriminellen Karrieren führt. Im Gegensatz dazu haben Straftäter mit eingeschränkter Adoleszenz keine gestörten familiären Bindungen und werden mit einer gesunden Entwicklung vor der Straffälligkeit beschrieben.

Lebensverlaufsperspektive

Die Lebensverlaufsperspektive geht davon aus, dass Individuen nicht automatisch einer Kategorie in einer dualen Taxonomie zugewiesen werden. Stattdessen gibt es innerindividuelle Veränderungen der Kriminalität, die auf menschliches Handeln zurückzuführen sind. Personen, die in der Kindheit einen unsicheren Bindungsstil haben, können daher später sinnvolle soziale Bindungen aufbauen und dadurch von der Kriminalität ablassen, was Veränderungen der Kriminalität in verschiedenen Phasen des Lebensverlaufs ermöglicht.

Arten von Straftaten

Da die Beziehungen in der frühen Kindheit die zwischenmenschlichen Beziehungen während des gesamten Lebens beeinflussen können, wurde die Bindungstheorie bei der Erforschung bestimmter Straftaten angewandt, insbesondere bei solchen, die in engen Beziehungen begangen werden.

Gestörte Bindungsmuster in der Kindheit haben sich als Risikofaktor für häusliche Gewalt erwiesen. Diese Störungen in der Kindheit können die Bildung einer sicheren Bindungsbeziehung verhindern und sich wiederum negativ auf eine gesunde Stressbewältigung auswirken. Im Erwachsenenalter kann ein Mangel an Bewältigungsmechanismen zu intensiven Konflikten führen, die sich in gewalttätigem Verhalten äußern. Bowlbys Theorie der funktionalen Wut besagt, dass Kinder ihrer Bezugsperson durch wütendes Verhalten signalisieren, dass ihre Bindungsbedürfnisse nicht erfüllt werden. Diese Theorie wurde erweitert, um zu erklären, warum es zu häuslicher Gewalt kommt; ein Erwachsener mit anhaltenden Erfahrungen unsicherer Bindung kann körperliche Gewalt anwenden, um seine Bindungsbedürfnisse auszudrücken, die von seinem Partner nicht erfüllt werden. Diese Wahrnehmung einer geringen Unterstützung durch den Partner wurde als ein starker Prädiktor für männliche Gewalt identifiziert.  Als weitere Prädiktoren wurden ein wahrgenommener Mangel an mütterlicher Liebe in der Kindheit und ein geringes Selbstwertgefühl genannt. Es wurde auch festgestellt, dass Personen mit einem abweisenden Bindungsstil, der häufig bei einem antisozialen/narzisstisch-narzisstischen Subtypus von Tätern zu beobachten ist, dazu neigen, sowohl emotional missbräuchlich als auch gewalttätig zu sein. Personen des Subtyps Borderline/emotional abhängig haben Züge, die auf unsichere Bindungen in der Kindheit zurückgehen, und neigen zu einem hohen Maß an Wut.

Es wurde festgestellt, dass Sexualstraftäter im Vergleich zu Nicht-Tätern deutlich weniger sichere mütterliche und väterliche Bindungen haben, was darauf hindeutet, dass unsichere Bindungen in der Kindheit bis ins Erwachsenenalter fortbestehen. In einer neueren Studie wurde bei 57 % der Sexualstraftäter ein besorgter Bindungsstil festgestellt. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Untertypen von Sexualstraftätern unterschiedliche Bindungsstile haben können. Dissidente Personen neigen dazu, anderen gegenüber feindselig zu sein, und begehen mit größerer Wahrscheinlichkeit Gewalttaten gegen erwachsene Frauen. Im Gegensatz dazu neigen Kinderschänder eher zu einem besorgniserregenden Bindungsstil, da die Tendenz, die Anerkennung anderer zu suchen, verzerrt wird und die Bindungsbeziehungen sexualisiert werden.

Praktische Anwendungen

Als Theorie der sozioemotionalen Entwicklung hat die Bindungstheorie Auswirkungen und praktische Anwendungen in der Sozialpolitik, bei Entscheidungen über die Betreuung und das Wohlergehen von Kindern und in der psychischen Gesundheit.

Kinderbetreuungspolitik

Sozialpolitische Maßnahmen in Bezug auf die Betreuung von Kindern waren die treibende Kraft bei Bowlbys Entwicklung der Bindungstheorie. Die Schwierigkeit liegt in der Anwendung von Bindungskonzepten auf Politik und Praxis. Im Jahr 2008 stellten C.H. Zeanah und Kollegen fest: "Die Unterstützung früher Eltern-Kind-Beziehungen ist ein zunehmend wichtiges Ziel von Fachleuten der psychischen Gesundheit, von Anbietern gemeindenaher Dienste und von politischen Entscheidungsträgern ... Bindungstheorie und -forschung haben wichtige Erkenntnisse über die frühe kindliche Entwicklung hervorgebracht und die Schaffung von Programmen zur Unterstützung der frühen Eltern-Kind-Beziehung angeregt." Darüber hinaus können Praktiker die Konzepte der Bindungstheorie, die auf tiefe Beziehungen und damit auf Bindungssicherheit abzielen, für Interventionen im Bereich der psychischen Gesundheit nutzen. Es hat sich gezeigt, dass Bindungssicherheit die Fähigkeit einer Person stärkt, Stress und Ängste zu bewältigen und aufrechtzuerhalten, was wiederum zum Wohlbefinden und zur psychischen Gesundheit der Person beitragen kann. So haben frühere Studien gezeigt, dass Personen, die einen vermeidenden Bindungsstil aufweisen, weniger Stress und Stress erleben, wenn sie mit Ausgrenzung konfrontiert werden. Allerdings ist es für viele Familien ein Problem, eine gute Kinderbetreuung zu finden, während sie arbeiten oder zur Schule gehen. Eine aktuelle Studie des NIHD zeigt, dass eine erstklassige Kinderbetreuung zu sicheren Bindungsbeziehungen bei Kindern beiträgt.

In den Kommentaren zu diesem Thema heißt es: "Gesetzgebungsinitiativen, die höhere Standards für die Anerkennung und Zulassung von Kinderbetreuern vorsehen, die eine Ausbildung in Kinderentwicklung und Bindungstheorie sowie einen mindestens zweijährigen Associate Degree-Kurs erfordern, sowie Gehaltserhöhungen und eine Aufwertung von Kinderbetreuungspositionen". Die Unternehmen sollten flexiblere Arbeitsregelungen einführen, die die Kinderbetreuung als wesentlich für alle Mitarbeiter anerkennen. Dazu gehört auch eine Überprüfung der Elternurlaubsregelungen. Zu viele Eltern sind aufgrund von Unternehmensrichtlinien oder aus finanziellen Gründen gezwungen, zu früh nach der Geburt eines Kindes an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Aus welchem Grund auch immer, dies verhindert eine frühe Eltern-Kind-Bindung. Darüber hinaus sollte der Ausbildung und Überprüfung von Kinderbetreuern mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. In seinem Artikel über die Bindungstheorie schlug Sweeney neben anderen politischen Implikationen "Gesetzesinitiativen vor, die höhere Standards für die Zulassung und Lizenzierung von Kinderbetreuern vorsehen, die eine Ausbildung in Kindesentwicklung und Bindungstheorie und mindestens einen zweijährigen Associate Degree-Kurs erfordern, sowie Gehaltserhöhungen und ein höheres Ansehen für Kinderbetreuungspositionen".

In der Vergangenheit hatte die Bindungstheorie erhebliche politische Auswirkungen auf Kinder, die in Krankenhäusern oder Heimen untergebracht waren, sowie auf Kinder, die in Kindertagesstätten schlechter Qualität betreut wurden. Es ist nach wie vor umstritten, ob nicht-mütterliche Betreuung, insbesondere in Gruppen, negative Auswirkungen auf die soziale Entwicklung hat. Aus der Forschung geht eindeutig hervor, dass eine schlechte Betreuungsqualität Risiken birgt, dass aber diejenigen, die eine gute alternative Betreuung erfahren, gut zurechtkommen, obwohl es schwierig ist, eine qualitativ hochwertige, individuelle Betreuung in Gruppensettings anzubieten.

Die Bindungstheorie hat Auswirkungen auf Aufenthalts- und Kontaktstreitigkeiten sowie auf Anträge von Pflegeeltern auf Adoption von Pflegekindern. In der Vergangenheit war, insbesondere in Nordamerika, die Psychoanalyse der wichtigste theoretische Rahmen. An ihre Stelle ist zunehmend die Bindungstheorie getreten, die sich auf die Qualität und Kontinuität der Beziehungen zwischen den Betreuungspersonen konzentriert und nicht auf das wirtschaftliche Wohlergehen oder den automatischen Vorrang einer Partei, z. B. der biologischen Mutter. Rutter stellte fest, dass sich die Familiengerichte im Vereinigten Königreich seit 1980 stark verändert haben, um die Komplikationen von Bindungsbeziehungen anzuerkennen. Kinder neigen dazu, Bindungsbeziehungen zu beiden Elternteilen und oft auch zu den Großeltern oder anderen Verwandten zu haben. Bei den Urteilen muss dies ebenso berücksichtigt werden wie die Auswirkungen von Stieffamilien. Die Bindungstheorie hat entscheidend dazu beigetragen, die Bedeutung sozialer Beziehungen als dynamisch und nicht als starr zu betrachten.

Die Bindungstheorie kann auch bei Entscheidungen in der Sozialarbeit, insbesondere in der humanistischen Sozialarbeit (Petru Stefaroi), und bei Gerichtsverfahren über die Unterbringung in einer Pflegefamilie oder bei anderen Unterbringungen eine Rolle spielen. Die Berücksichtigung der Bindungsbedürfnisse des Kindes kann dazu beitragen, den Grad des Risikos zu bestimmen, den die Unterbringungsoptionen darstellen. Im Bereich der Adoption wäre auf der Grundlage der Bindungstheorie der Wechsel von "geschlossenen" zu "offenen" Adoptionen und die Bedeutung der Suche nach den biologischen Eltern zu erwarten. Viele Forscher in diesem Bereich wurden stark von ihr beeinflusst.

Klinische Praxis bei Kindern

Obwohl sich die Bindungstheorie zu einer der wichtigsten wissenschaftlichen Theorien der sozio-emotionalen Entwicklung entwickelt hat und eine der umfangreichsten Forschungslinien der modernen Psychologie darstellt, wurde sie bis vor kurzem in der klinischen Praxis weniger genutzt. Die Bindungstheorie konzentrierte sich auf die Aufmerksamkeit des Kindes, wenn die Mutter da ist, und auf die Reaktionen des Kindes, wenn die Mutter weggeht, was auf die Bindung zwischen Mutter und Kind hinweist. Die Aufmerksamkeitstherapie wird durchgeführt, während das Kind von den Therapeuten zurückgehalten wird, und die gezeigten Reaktionen werden notiert. Die Tests wurden durchgeführt, um die Reaktionen des Kindes aufzuzeigen.

Dies mag zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass Bowlby selbst der klinischen Anwendung zu wenig Aufmerksamkeit schenkte, und zum Teil darauf, dass der Begriff "Bindung" unter Fachleuten eine breitere Bedeutung hat. Zum Teil mag es auch an der falschen Assoziation der Bindungstheorie mit den pseudowissenschaftlichen Interventionen liegen, die irreführenderweise als "Bindungstherapie" bezeichnet werden.

Prävention und Behandlung

1988 veröffentlichte Bowlby eine Reihe von Vorträgen, in denen er aufzeigte, wie Bindungstheorie und -forschung für das Verständnis und die Behandlung von Kinder- und Familienstörungen genutzt werden können. Er konzentrierte sich dabei auf die internen Arbeitsmodelle der Eltern, ihr Erziehungsverhalten und die Beziehung zwischen Eltern und Therapeuten, um Veränderungen herbeizuführen. Die laufende Forschung hat zu einer Reihe von Einzelbehandlungen sowie Präventions- und Interventionsprogrammen geführt. Im Hinblick auf die persönliche Entwicklung wurden Kinder aller Altersgruppen getestet, um die Wirksamkeit der von Bowlby aufgestellten Theorie zu belegen. Sie reichen von Einzeltherapien über öffentliche Gesundheitsprogramme bis hin zu Interventionen, die sich an Pflegepersonen richten. Bei Säuglingen und jüngeren Kindern liegt der Schwerpunkt darauf, die Reaktionsfähigkeit und Sensibilität der Betreuungsperson zu erhöhen oder, falls dies nicht möglich ist, das Kind bei einer anderen Betreuungsperson unterzubringen. Eine Bewertung des Bindungsstatus oder der Betreuungsreaktionen der Betreuungsperson ist immer eingeschlossen, da Bindung ein wechselseitiger Prozess ist, der das Bindungsverhalten und die Reaktion der Betreuungsperson einschließt. Einige Programme richten sich an Pflegepersonen, da das Bindungsverhalten von Säuglingen oder Kindern mit Bindungsschwierigkeiten oft keine angemessenen Reaktionen der Pflegeperson hervorruft. Moderne Präventions- und Interventionsprogramme haben sich als erfolgreich erwiesen.

Reaktive Bindungsstörung und Bindungsstörung

Ein atypisches Bindungsmuster wird als tatsächliche Störung betrachtet, die als reaktive Bindungsstörung oder RAD bekannt ist und eine anerkannte psychiatrische Diagnose darstellt (ICD-10 F94.1/2 und DSM-IV-TR 313.89). Entgegen einer weit verbreiteten Fehleinschätzung ist dies nicht dasselbe wie "desorganisierte Bindung". Das wesentliche Merkmal der reaktiven Bindungsstörung ist eine deutlich gestörte und entwicklungsbedingt unangemessene soziale Bindung in den meisten Kontexten, die vor dem fünften Lebensjahr beginnt und mit grob pathologischer Pflege einhergeht. Es gibt zwei Subtypen, von denen der eine ein enthemmtes Bindungsmuster und der andere ein gehemmtes Muster widerspiegelt. RAD ist keine Beschreibung eines unsicheren Bindungsstils, wie problematisch dieser auch sein mag, sondern bezeichnet einen Mangel an altersgemäßen Bindungsverhaltensweisen, der einer klinischen Störung zu ähneln scheint. Obwohl der Begriff "reaktive Bindungsstörung" heute häufig für wahrgenommene Verhaltensschwierigkeiten verwendet wird, die nicht unter die DSM- oder ICD-Kriterien fallen, insbesondere im Internet und im Zusammenhang mit der pseudowissenschaftlichen Bindungstherapie, gilt die "echte" RAD als selten.

"Bindungsstörung" ist ein zweideutiger Begriff, der sich auf die reaktive Bindungsstörung oder auf die problematischeren unsicheren Bindungsstile beziehen kann (obwohl es sich dabei nicht um klinische Störungen handelt). Er kann sich auch auf vorgeschlagene neue Klassifizierungssysteme beziehen, die von Theoretikern auf diesem Gebiet vorgeschlagen wurden, und wird in der Bindungstherapie als eine Form der nicht validierten Diagnose verwendet. Bei einer der vorgeschlagenen neuen Klassifizierungen, der "Verzerrung der sicheren Basis", hat sich gezeigt, dass sie mit der Traumatisierung von Bezugspersonen in Verbindung steht.

Klinische Praxis bei Erwachsenen und Familien

Schon John Bowlby stellte Überlegungen an, wie seine Theorien in der klinischen Praxis angewendet werden können. Sein therapeutischer Ansatz für Erwachsene, die den Verlust einer wichtigen Bindungsperson zu beklagen hatten, unterschied sich deutlich von der klassischen Psychoanalyse. Er bestand darin, den sich entwickelnden Trauerprozess mit den auftauchenden ambivalenten Gefühlen im Beisein eines verständnisvollen Psychotherapeuten zu durchleben. Bowlby sah auch den Therapeuten dabei als Bindungsperson. Bei Kindern sah er es als bedeutende präventive Maßnahme an, sie in der frühen bis mittleren Kindheit möglichst nicht lange von den Eltern zu trennen. Sollte eine solche Trennung unvermeidlich sein, sollte den Kindern ein möglichst stabiles Umfeld geboten werden. Allerdings wurde Bowlbys Ansatz bislang kaum in die Therapie umgesetzt; die Bindungstheorie stellt vor allem eine Grundlage für die Forschung in der Entwicklungspsychologie dar. Bowlby selbst vermutete u. a., dass seine Beobachtungen von Verhalten zu behavioristisch waren, als dass sie von psychotherapeutischem Interesse wären. Parallel zur Bindungstheorie entwickelte sich aber auch die psychoanalytische Therapie weiter, indem sie sich von einer Ein-Personen-Therapie hin zu einer Therapie entwickelte, die Gegenseitigkeitsbeziehungen nicht nur in der Entwicklung, sondern auch in der Therapie als bedeutsam ansah. Diese Sichtweise stützt sich auf die empirische Säuglings- und Kleinkindforschung sowie auf die Psychotherapieforschung, welche jeweils die Wechselseitigkeit in menschlichen Beziehungen untersuchen.

In einer Psychotherapie, welche die Erkenntnisse der Bindungstheorie einschließt, würde die therapeutische Beziehung eine neue Bindungserfahrung ermöglichen. Durch die Bearbeitung von Beziehung, Veränderung der Affekte, der Kognitionen und des Verhaltens können auch Objektbeziehungen verändert werden.

Da die Bindungstheorie eine breite, weitreichende Sicht der menschlichen Funktionsweise bietet, kann sie das Verständnis des Therapeuten für seine Patienten und die therapeutische Beziehung eher bereichern, als dass sie eine bestimmte Form der Behandlung vorschreibt. Einige Formen der psychoanalytischen Therapie für Erwachsene - im Rahmen der relationalen Psychoanalyse und anderer Ansätze - beziehen die Bindungstheorie und -muster mit ein.

Kritik

Damit die Bindungstheorie tragfähig ist, muss angenommen werden, dass das Bindungsverhalten vollständig von der Umwelt beeinflusst wird. Ein Artikel aus dem Psychological Bulletin aus dem Jahr 2016 legt nahe, dass das Bindungsverhalten eines Menschen größtenteils erblich bedingt ist. In einem Interview weist Dr. Jerome Kagan darauf hin, dass das Verhalten eines Kindes größtenteils auf das Temperament sowie auf die soziale Schicht und die Kultur zurückzuführen ist. Er führt weiter aus: "Bindung ist 2019 eine weit weniger populäre Erklärung als in den 1960er Jahren, und in 10 bis 15 Jahren wird man kaum noch jemanden finden, der diese Theorie verteidigt. Sie stirbt nur langsam aus... Ja, was in den ersten ein oder zwei Lebensjahren mit einem geschieht, hat einen Einfluss, aber der ist winzig. Wenn ich ein einjähriges Kind nehme, das eine sichere Bindung hat, und die Eltern sterben und das Kind von grausamen Pflegeeltern adoptiert wird, ist das Kind in Schwierigkeiten. Seine sichere Bindung ist nutzlos. Wenn man darüber nachdenkt, ist es albern, dass man nach dem ersten Jahr mit Sicherheit vorhersagen kann, wie dieser Mensch in 20 Jahren sein wird. Das ist eine lächerliche Vorstellung.

Die Bindungstheorie suggeriert die Idee eines allumfassenden Etiketts, um eine Person zu beschreiben, aber eine Studie von Utah State aus dem Jahr 2013 legt nahe, dass ein Individuum verschiedene Bindungsstile in Bezug auf verschiedene Personen haben kann. Die Studie kommt zu folgendem Schluss: "Die Beziehung zwischen Vater-Kind- und Mutter-Kind-Bindung war nicht signifikant. Ebenso war der Zusammenhang zwischen dem Temperament des Kindes und der Eltern-Kind-Bindung nicht signifikant. Auch die Zeit, die die Eltern von ihrem Kind getrennt waren, war kein signifikanter Prädiktor für die Bindung". Die Modelle der Bindungstheorie basieren auf Stresssituationen und konzentrieren sich stark auf die Bindung an die Mutter, während die Bindung an andere Familienmitglieder und Gleichaltrige nicht so stark gewichtet wird. Salvador Minuchin schlug vor, dass die Bindungstheorie, die sich auf die Mutter-Kind-Beziehung konzentriert, den Wert anderer familiärer Einflüsse ignoriert: "Die gesamte Familie - nicht nur die Mutter oder die Hauptbezugsperson - einschließlich des Vaters, der Geschwister, der Großeltern, oft auch der Cousins und Cousinen, der Tanten und Onkel, sind für die Erfahrung des Kindes von großer Bedeutung... Wenn ich jedoch Bindungstheoretiker reden höre, dann höre ich nichts über diese anderen wichtigen Figuren im Leben eines Kindes."

Bei der Untersuchung der Beziehung zwischen kindlicher Bindung und romantischen Beziehungen kam eine Studie aus dem Jahr 2013 zu folgendem Schluss: "Die erste Variable, die Bindung zu den Eltern, hatte im Vergleich zum romantischen Partner eine mittlere Effektgröße. Dies würde darauf hindeuten, dass die Bindung an ein Elternteil gelegentlich mit der Bindung an einen romantischen Partner verbunden ist, aber nicht stark korreliert." Weitere Variablen, die Beziehungsqualität/Zufriedenheit, Fürsorge/Vermeidung und Entfremdung/Angst vergleichen, weisen keine starken Korrelationen auf.

Die Bindungstheorie, so argumentieren einige, vertritt eine westliche Mittelschichtsperspektive und ignoriert die unterschiedlichen Werte und Praktiken der Kinderbetreuung in den meisten Teilen der Welt.

Entwicklung der Bindungstheorie

Charles Darwin, vor 1869

Eines der ursprünglichen Anliegen Bowlbys war es, eine wissenschaftliche Basis für den psychoanalytischen Ansatz der Objektbeziehungstheorien herzustellen und psychoanalytische Annahmen empirisch überprüfbar zu machen. Dabei entfernte er sich im Laufe seiner Forschungsarbeit von der Psychoanalyse. Ziel der Arbeiten John Bowlbys als Kinderpsychiater und Psychoanalytiker war es später, die tatsächlichen Wirkungen von Familieneinflüssen auf die kindliche Entwicklung, die verschiedenen Muster der Familieninteraktionen und die generationsübergreifende Weitergabe von Bindungsbeziehungen zu untersuchen. In den Grundzügen seiner Theorie bezog sich Bowlby besonders auf die von Charles Darwin begründete Ethologie (vergleichende Verhaltensforschung), auf die Psychoanalyse und die Pädiatrie.

Brennstoff erhielt die Entwicklung der Bindungstheorie aus der Skepsis ihrer Vertreter gegenüber den Standpunkten, die John B. Watson in den späten 1920er Jahren vertreten hatte; Watson hatte davor gewarnt, Müttern zu erlauben, ihre Kinder zu verhätscheln und zu verzärteln, und damit einen Einfluss auf die Säuglingserziehung genommen, der erst 1946 durch Benjamin Spocks Buch Säuglings- und Kinderpflege gebrochen wurde.

In den 1960er-Jahren

Nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 kam es in der DDR zu keinen weiteren Veröffentlichungen der Bindungstheorie und vergleichenden Untersuchungen mit familiengebundenen Kindern. Die bisherigen Forschungsergebnisse wurden nicht weiter publiziert und gerieten, so wie die Bindungstheorie, in den Folgejahren in der DDR in Vergessenheit. Etwa zeitgleich erlebte die Bindungstheorie heftige Anfeindungen von psychoanalytischer Seite. Anna Freud (1960) und René Spitz (1960) kritisierten Bowlby offen für seine von der Psychoanalyse Freuds abweichenden Meinungen. Seine theoretischen Ansätze wurden in dieser Zeit nur ungenügend weiter beachtet.

In dieser Zeit organisierte er immer wieder Treffen zwischen namhaften Wissenschaftlern aus der Säuglingsforschung (wie H. Papoušek, M. Ainsworth, G. Appell) und der Tierforschung (wie H. Harlow, C. Kaufmann). Erste Befunde aus dem „Ugandaprojekt“ wurden hier vorgestellt. Bindung konnte in Zusammenhang mit engem Körperkontakt mit der Mutter gesetzt werden. Die anschließenden lebhaften Diskussionen zwischen den Wissenschaftlern trugen ebenso zur Weiterentwicklung der Bindungstheorie bei.

Dabei griff Bowlby auch lerntheoretische Forschungen auf, die beispielsweise mit Rhesusaffenkindern stattfanden. Harry Harlow hatte herausgefunden: Affenjunge suchen die körperliche Nähe zu Mutterattrappen, die mit Fell bedeckt sind, sie aber nicht füttern – jedoch nicht zu Drahtattrappen, die sie zwar füttern, aber nicht mit Fell bedeckt sind. Damit waren für Bowlby die klassisch psychoanalytische und die lerntheoretische These widerlegt, dass die Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Kind hauptsächlich durch das Füttern bestimmt sei.

Im Weiteren bezog sich Bowlby in seinen Arbeiten auch auf Charles Darwin, wenn er sagte, dass jeder Mensch mit den Verhaltenssystemen ausgestattet ist, die das Überleben der Spezies sichern. Dazu gehört beim Kind das sogenannte Bindungsverhalten. In diesem Zusammenhang stellte er Überlegungen an, welche evolutionsbedingten Vor- oder Nachteile die körperliche Nähe zu oder die körperliche Trennung von einem Muttertier (oder einer Gruppe) für das Individuum haben könnten. Er kam zu dem Schluss, dass es sich bei dem Verhalten wahrscheinlich um einen evolutionsbedingten Schutz vor Raubtieren handelt. Auch Erwachsene fühlen sich in ungewohnten Situationen in der Nähe einer Bezugsperson oder in der Gruppe sicherer. Dies hat vor allem für Jungtiere und Kinder eine Bedeutung, da sie bei der Trennung von der Mutter besonders gefährdet wären.

Mary Ainsworth setzte Anfang der 60er Jahre in der Baltimore-Studie ihre Arbeit über die Mutter-Kind-Bindung fort und untersuchte die Interaktionen von Müttern und Kindern in ihrer natürlichen Umgebung. Sie suchte regelmäßig Familien auf, um das Interaktionsverhalten zu beobachten. Dabei stellte sie Gemeinsamkeiten zwischen Bowlbys Ideen und William Blatz’ „Sicherheitstheorie“ fest.

Folgejahre bis Gegenwart

Eine ausführliche Fassung der Bindungstheorie formulierte Bowlby in den Folgejahren in seinen Werken Bindung (1969), Trennung (1973) und Verlust (1980). Spätere Forschungen bestätigten indirekt die Bindungstheorie. Ainsworth gelang mit Hilfe von Experimenten eine Bestätigung der Theorie. Sie entwickelte eine experimentelle Situation, in der sich unterschiedliche Qualitäten des Bindungsverhaltens bei Menschenkindern nachweisen ließen. Auf die unterschiedlichen Verhaltensmuster nach der Wiedervereinigung mit den Eltern wurde Ainsworth von Robertson aufmerksam gemacht. Durch dessen 1975 erschienenen Aufsatz über die Reaktionen kleiner Kinder auf kurzfristige Trennung von der Mutter im Lichte neuer Beobachtungen erwachte das Interesse an der Bindungstheorie seitens der Psychoanalyse auch in Deutschland (West) wieder.

Die Bindungstheorie gehört heute zu den etablierten Theorien innerhalb der Psychologie und wird seit den 1990er Jahren stetig weiterentwickelt. Im deutschsprachigen Raum sind hier die Eheleute Hanus und Mechthild Papoušek sowie Karl Heinz Brisch an der Universität München und Karin und Klaus Grossmann an der Universität Regensburg zu nennen. Letztere begleiteten in Langzeitstudien 102 Neugeborene bis zum Erreichen des 22. Lebensjahres. Viele Forscher untersuchen Bindung und Interaktion von Eltern und Kindern und ziehen daraus Rückschlüsse auf normale sowie pathologische Entwicklungen. Bindungstheoretische Grundlagen werden auch vermehrt in die Psychotherapie von Erwachsenen und Kindern einbezogen.

Neuere Forschungen beziehen sich unter anderem auf die Frage, inwieweit sich die Bindung eines Kindes auf das Lehrer-Schüler-Verhältnis überträgt. Des Weiteren wird die Rolle der Bindung in der Mensch-Tier-Beziehung erforscht. So untersucht die Gruppe um Kurt Kotrschal, wie sich eine unsichere oder desorganisierte Bindung eines Kindes auf die Interaktion mit einem Therapiehund auswirkt.

„Fremde Situation“

Siehe hierzu den Hauptartikel: Fremde Situation

Mary Ainsworth und ihre Kollegen entwickelten 1969 mit der sogenannten Fremden Situation ein Setting zur Erforschung kindlicher Bindungsmuster. Dabei stützten sie sich auf frühere experimentelle Arbeiten aus dem Umfeld des Gestalttheoretikers Kurt Lewin, nämlich die von F. Wiehe zum „Behavior of the child in strange fields“ (Ende der 1920er-Jahre) und die von Jean M. Arsenian (1943) zum Verhalten von „Young children in an insecure situation“. Daran anknüpfend gelang es Mary Ainsworth, individuelles kindliches Bindungsverhalten im Sinne von Bowlbys Theorie in einer qualitativen Testsituation beobachtbar zu machen. Hierbei finden 11 bis 18 Monate alte Kinder die typischen Gegebenheiten in einer annähernd natürlichen Situation vor, die nach Bowlbys Theorie sowohl Bindungs- als auch exploratives Verhalten aktivieren. Wesentlich für die Analyse des Bindungsmusters ist das Verhalten des Kindes bei An- bzw. Abwesenheit der Mutter sowie bei deren Rückkehr. Dieses wird mittels Videokamera aufgezeichnet und hinsichtlich der Verhaltens- bzw. Bewältigungsstrategien des Kindes bei Trennungsstress analysiert. Heute ist es möglich, die Bindung bis zu einem Alter von 5 Jahren durch das Testverfahren zu bestimmen.

Zunächst wurden lediglich drei Ausprägungen von Bindungstypen festgestellt, welche sich innerhalb der Interaktion mit der Bindungsperson entwickeln können: sicher (B), unsicher-vermeidend (A) und unsicher-ambivalent (C). Später kam im Zuge der Untersuchung schwer vernachlässigter Kinder die Kategorie desorganisiert (D) hinzu; das kindliche desorganisierte Verhalten konnte mit der Unmöglichkeit, Bindungsverhalten aufzubauen, in Verbindung gebracht werden.

Bindungstypen des Kindes

Häufigkeit und Stabilität

Die sichere Bindung liegt mit einer Häufigkeit von 60–70 % vor, gefolgt von der unsicher-vermeidenden Bindung und der unsicher-ambivalenten Bindung mit jeweils 10–15 %. Vergleichsweise selten tritt die desorganisiert-desorientierte Bindung mit einer Häufigkeit von 5–10 % auf (Berk 2005). In einer Studie von Waters, Merrick u. a. (2000) stellte sich heraus, dass 72 % der untersuchten Stichprobe eine Bindungsstabilität von mindestens 20 Jahren aufweisen. Es wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass in Fällen, in denen stärkere Beziehungsveränderungen erlebt werden, weniger stabile Bindungsmuster zu finden sind.

Hochrisikogruppen

In Hochrisikogruppen, also Gruppen psychisch kranker, stark traumatisierter oder vernachlässigter Kinder, konnten verschiedene Forscher noch weitere Bindungstypen identifizieren. Dazu gehören Mischungen aus unsicher-vermeidendem und ambivalentem Bindungsverhalten. Darüber hinaus fanden sich Kinder mit zwanghaftem Pflegeverhalten sowie Überangepasstheit bei den unsicher-vermeidenden sowie aggressives Drohverhalten und hilflose Verhaltensstrategien bei den unsicher-ambivalenten Bindungstypen.

Bindung Erwachsener und die Auswirkungen auf die Bindungsqualität ihrer Kinder

Bestimmte Klassifikationen von Bindungsrepräsentanzen oder Bindungsschemata, die bei der Durchführung des Adult Attachment Interviews gefunden wurden, konnten bestimmten Bindungstypen ihrer Kinder zugeordnet werden, die ebenfalls in der Fremden Situation untersucht wurden:

Autonome Bindungseinstellung

Diese Bindungseinstellung, auch engl. free-autonomous genannt, wird oft mit „F“ abgekürzt. Diese Bindungspersonen werden als solche mit Selbstvertrauen, Frustrationstoleranz, Respekt und Empathie beschrieben. Sie sind sich der negativen wie positiven Affekte und Einstellungen gegenüber ihren eigenen Bindungspersonen bewusst und reflektieren diese in angemessener Weise und Distanz. Eine unbewusste Identifikation mit ihren Eltern zeigt sich kaum – die eigene Eltern-Kind-Beziehung wird realistisch betrachtet und nicht idealisiert. Diese Elternteile hatten zumeist selbst Bezugspersonen mit einer autonomen Bindungseinstellung oder haben ihre sichere Bindung im Laufe ihrer Biographie durch die Möglichkeit zu alternativen Beziehungserfahrungen mit anderen, nicht primären Bindungspersonen, durch einen Partner oder zum Beispiel mit Hilfe einer psychotherapeutischen Unterstützung erhalten.

Diese Eltern reagieren vorhersehbar auf ihre Kinder und können angemessen auf das Bindungsverhalten ihrer Kinder eingehen.

Distanziert-beziehungsabweisende Bindungseinstellung

Diese Bindungseinstellung, auch engl. dismissing genannt, wird oft mit „Ds“ abgekürzt. Erwachsene mit dieser Bindungsrepräsentanz können sich kaum an ihre eigene Kindheit erinnern, was bedeutet, dass sie viel verdrängt haben. Tendenziell idealisieren sie ihre Eltern und deren Erziehungsmethoden, wenngleich keine konkreten Situationen aufgezählt werden können, welche diese Idealisierung rechtfertigen. Berichtet wird hingegen von mangelnder elterlicher Unterstützung sowie von Zurückweisung (offen oder verdeckt) der kindlichen Bedürfnisse. Die Erwachsenen mit einer distanziert-beziehungsabweisenden Bindungseinstellung verleugnen die Bedeutung ihrer eigenen Erfahrungen mit den Eltern und deren Folgen für die Färbung ihrer aktuellen Affekte. Sie zeigen ein sehr großes Unabhängigkeitsbestreben und verlassen sich lieber auf die eigene Stärke. Sie formulieren, die fehlende Hilfe nicht vermisst zu haben und diesbezüglich auch keine Wut oder Trauer zu verspüren. Kinder dieser Erwachsenen können eher mit affektiver Unterstützung und Einstellung auf ihre Bedürfnisse rechnen, wenn sie versuchen, eine Aufgabe zu bewältigen. Die Kinder werden früh unter Leistungsdruck gesetzt. Den Ergebnissen des Adult Attachment Interviews zufolge, gefällt es diesen Müttern, wenn die Kinder Anhänglichkeit zeigen. Allerdings neigen sie dann dazu, das Kind zu ignorieren, wenn es Beruhigung und Unterstützung braucht.

Präokkupierte, verstrickte Bindungseinstellung

Diese Bindungseinstellung, auch engl. entangled-enmeshed genannt, wird oft mit „E“ abgekürzt. Diese Einstellung haben häufig Menschen, welche von den Erinnerungen an die eigene Kindheit flutartig überschüttet und permanent belastet sind. Die Probleme und Schwierigkeiten innerhalb der Beziehung zur eigenen Bindungsperson konnten sie nicht verarbeiten; sie überbewerten sie und pendeln zwischen Gefühlen wie Wut und Idealisierung hin und her. Letztlich stehen sie noch immer in einer Abhängigkeitsbeziehung zu den eigenen Bindungspersonen und sehnen sich nach deren Zuwendung und Wiedergutmachung. Die Mütter von Menschen mit dieser Bindungsrepräsentanz waren in den häufigsten Fällen „schwach“ und „inkompetent“ und konnten dementsprechend in Bedrohungssituationen, in denen ihre Kinder das Bindungssystem aktivierten, weder Schutz noch Beruhigung bieten. Kann die Mutter (oder entsprechende Bindungsperson) die Angst ihres Kindes nicht beseitigen, kommt es zu vermehrtem Anklammern. Die Ablöseprozesse beim Kind werden auch deshalb als besonders erschwert gesehen, weil die „schwache“ Mutter das Kind häufig parentifiziert und es daher schließlich das Gefühl hat, die Mutter versorgen zu müssen. Kindern solcher Eltern wird durch Verwöhnung und/oder durch das Hervorrufen von Schuldgefühlen verwehrt, sich explorativ zu verhalten und Wut, Aggressionen, Trotz und Unabhängigkeitsbestreben zu zeigen. Dadurch ist die Identitätsentwicklung der Kinder erschwert.

Nicht klassifizierbarer Bindungstyp

Innerhalb der Untersuchungen zum AAI wird diskutiert, eine weitere Kategorie für nicht zuzuordnende Erwachsene zu schaffen. Diese wird zumeist als Cannot classify (CC) bezeichnet. Dieser Bindungstyp ist durch Folgendes gekennzeichnet:

  • Der Proband wechselte im AAI zwischen distanziertem und präokkupiertem Bindungstyp, ohne dass eine klare Strategie zu erkennen war.
  • Meist stellten die Untersuchten schwerwiegende traumatische Erfahrungen dar.
  • Sie zeigten häufig zutiefst negative Einstellung gegenüber Bindung.
  • Sie verfügten über unvereinbare Denk- und Verarbeitungsstrategien.

Die Entstehung der Bindungsbeziehung und Neurobiologie

Der Neurobiologe und Psychologe Allan N. Schore sieht die Entstehung der Bindung vor allem als Regulationsprozess zwischen der Mutter und ihrem Kleinkind an. Er sieht die Entwicklung der rechten Hirnhälfte, die in den ersten Lebensjahren dominant ist, als wichtigen Entwicklungsbereich, der von Qualität der Regulationsprozesse von der Mutter beeinflusst wird. Hier sieht er vor allem die Entwicklung des orbitofrontalen Kortex beeinflusst, der eine wichtige Steuerungsfunktion von Affekten und dem Verständnis von Interaktion, aber auch dem Verständnis von Affekten, die von einem Gegenüber gezeigt werden, einnimmt. Für die Reifung dieser Gehirnregionen ist die frühe Interaktion mit der Bezugsperson bedeutsam.

Die Responsivität, also die Reaktionen der Mutter auf ihr Kind, ist entscheidend für die Entwicklung einer sicheren oder unsicheren Bindung.

Rezeption

Die Bindungstheorie ist seit den späten 1970er Jahren eine etablierte Disziplin in der Psychologie. Sie findet ebenso in der Entwicklungspsychologie, der Psychoanalyse, der kognitiven Psychologie sowie in anderen psychologischen Richtungen Beachtung, wird heute allerdings vor allem in Bezug auf die innerpsychischen Vorgänge erweitert. Sie ist nicht nur Grundlage für unterschiedliche moderne psychoanalytische Theorien, sondern gilt als wichtige Grundlage der modernen Selbstpsychologie, der modernen Objektbeziehungstheorie, der Relationalen und Intersubjektiven Psychoanalyse sowie des Konzeptes der Mentalisierung.

Die Erkenntnisse aus der Bindungstheorie haben sowohl die Verhaltenstherapie als auch die psychoanalytischen Therapien beeinflusst. Auf der Grundlage der Bindungstheorie wurden aber auch eigene Therapieverfahren entwickelt, wie die Bindungstherapie nach Karl Heinz Brisch, die psychoanalytisches Denken mit der Bindungstheorie verbindet.

Die Kritik an ihr betrifft im Wesentlichen die unklare Rolle der Temperamentsfaktoren, die im Gegensatz zu dem Merkmal der mütterlichen Feinfühligkeit als Grundlage für die Entwicklung des Bindungsstils wenig beachtet wird. Martin Dornes sieht die unterschiedlichen Ergebnisse der Forschung, ob Feinfühligkeit oder Temperament die Ursachen des Bindungsstils darstellen, abhängig von der Qualität der Studien. Je genauer im Rahmen der Bindungsforschung die Feinfühligkeit der Bezugsperson in manchen Studien untersucht wurde, umso eher stellte sich heraus, dass sie im Vergleich zum Temperament dominiert. Auch scheint das Temperament durchaus zu einem überwiegenden Teil genetisch bestimmt zu sein, die Bindung hingegen nicht. Jüngere Studienergebnisse sprechen allerdings der auf das Temperament bezogene Passung zwischen Bezugsperson und Kind (goodness of fit) durchaus eine wesentliche Bedeutung für die Bindung zu.

Auf eklektische Weise und ohne wissenschaftlichen Anspruch hat William Sears, der Begründer des Attachment Parenting (The Baby Book, 1993), aus den Erkenntnissen der Bindungstheorie geschöpft.

Siehe auch

  • Bindungsfähigkeit
  • Adult Attachment Interview
  • Monotropie (Bindungstheorie)
  • Bindungstheorie in der DDR
  • Bonding (Psychotherapie)
  • Dauerheime für Säuglinge und Kleinstkinder in der DDR
  • Kontingenz (Psychologie)
  • Säuglings- und Kleinkindforschung
  • Säuglingsheim
  • Selbstbestimmungstheorie (SDT), Abgrenzung zur Bindungstheorie
  • Situation
  • Urvertrauen
  • Zdeněk Matějček, Langzeitstudien der Tschechischen Kinderpsychologischen Schule über die Auswirkungen von Kinderkrippen
  • Schizophrenogene Mutter

Literatur

Bindungstheorie

  • Lieselotte Ahnert (Hrsg.): Frühe Bindung. Entstehung und Entwicklung. Reinhardt, München 2004, ISBN 3-497-01723-X.
  • Jean-Pierre Bouchard: La théorie de l'attachement est aussi une théorie de la violence / Attachment theory is also a theory of violence. In: L’Evolution Psychiatrique. 78(4), 2003, S. 699–703.
  • Karl Heinz Brisch, Theodor Hellbrügge (Hrsg.): Bindung und Trauma. Risiken und Schutzfaktoren für die Entwicklung von Kindern. Klett-Cotta, Stuttgart 2003, ISBN 3-608-94061-8, S. 105–135.
  • Manfred Endres, Susanne Hauser (Hrsg.): Bindungstheorie in der Psychotherapie. Reinhardt, München 2002, ISBN 3-497-01543-1.
  • Peter Fonagy: Bindungstheorie und Psychoanalyse. Klett-Cotta, Stuttgart 2006, ISBN 3-608-95991-2.
  • Gabriele Gloger-Tippelt, Volker Hofmann: Das Adult Attachment Interview. Konzeption, Methode und Erfahrungen im deutschen Sprachraum. In: Kindheit und Entwicklung – Zeitschrift für Klinische Kinderpsychologie. Band 3, Hogrefe, 1997.
  • Klaus E. Grossmann, Karin Grossmann: Bindung und menschliche Entwicklung. John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie. Klett-Cotta, Stuttgart 2003, ISBN 3-608-94321-8 (nach Verlagsangaben ein umfangreicher, kommentierter Reader zentraler Texte von Bowlby und Ainsworth, zum Teil erstmals ins Deutsche übersetzt).
  • Eva Hédervári-Heller: Klinische Relevanz der Bindungstheorie in der therapeutischen Arbeit mit Kleinkindern und deren Eltern. In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie. Band 49, 2000, ISSN 0032-7034, S. 580–595.
  • Jeremy Holmes: John Bowlby und die Bindungstheorie. Reinhardt, München 2002, ISBN 3-497-01598-9.
  • Henri Julius, Barbara Gasteiger-Klicpera, Rüdiger Kißgen (Hrsg.): Bindung im Kindesalter. Diagnostik und Interventionen. Hofgrefe, Göttingen 2009, ISBN 978-3-8017-1613-4.
  • Heidi Keller: Mythos Bindungstheorie: Konzept, Methode, Bilanz. Das Netz, Weimar 2019, ISBN 978-3-86892-159-5.
  • Niels P. Rygaard: Schwerwiegende Bindungsstörung in der Kindheit. Anleitung zur praxisnahen Therapie. Springer, Wien 2006, ISBN 3-211-29706-5.
  • Daniel Stern: Mutter und Kind. Die erste Beziehung (= Das Kind und seine Entwicklung). 5. Auflage. Klett-Cotta, Stuttgart 2006, ISBN 978-3-608-91685-0 (english: The first relationship. Infant and mother. Übersetzt von Thomas M. Höpfner).
  • Bernhard Strauß, Anna Buchheim, Horst Kächele (Hrsg.): Klinische Bindungsforschung. Theorie, Methoden, Ergebnisse. Schattauer, Stuttgart 2002, ISBN 3-7945-2158-7.

Bindung und Familienrecht

  • Gerhard J. Suess, Hermann Scheuerer-Englisch, Klaus E. Grossmann: Das geteilte Kind – Anmerkungen zum gemeinsamen Sorgerecht aus Sicht der Bindungstheorie und -forschung. In: Familie Partnerschaft Recht. 1999, H. 3, S. 148–157.

Rundfunkberichte