Acetonitril

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Acetonitril
Skelettformel von Acetonitril
Skelettformel von Acetonitril mit allen expliziten Wasserstoffatomen
Kugel-Stab-Modell von Acetonitril
Raumfüllungsmodell von Acetonitril
Bezeichnungen
Bevorzugter IUPAC-Name
Acetonitril
Systematische IUPAC-Bezeichnung
Ethannitril
Andere Namen
  • Cyanomethan
  • Ethylnitril
  • Methancarbonitril
  • Methylcyanid
  • MeCN
  • ACN
Bezeichner
3D-Modell (JSmol)
Beilstein-Referenz
741857
ChEBI
ChEMBL
ChemSpider
EC-Nummer
  • 200-835-2
Gmelin-Referenz
895
MeSH Acetonitril
PubChem CID
RTECS-Nummer
  • AL7700000
UNII
UN-Nummer 1648
InChI
  • InChI=1S/C2H3N/c1-2-3/h1H3 check
    Schlüssel: WEVYAHXRMPXWCK-UHFFFAOYSA-N check
SMILES
  • CC#N
Eigenschaften
Chemische Formel
C2H3N
Molare Masse 41,053 g-mol-1
Erscheinungsbild Farblose Flüssigkeit
Geruch Schwach, deutlich, fruchtig
Dichte 0,786 g/cm3 bei 25°C
Schmelzpunkt -46 bis -44 °C; -51 bis -47 °F; 227 bis 229 K
Siedepunkt 81,3 bis 82,1 °C; 178,2 bis 179,7 °F; 354,4 bis 355,2 K
Löslichkeit in Wasser
mischbar
log P −0.334
Dampfdruck 9,71 kPa (bei 20,0 °C)
Henry'sches Gesetz
Konstante (kH)
530 μmol/(Pa-kg)
Säuregehalt (pKa) 25
UV-vismax) 195 nm
Absorption ≤0.10
Magnetische Suszeptibilität (χ)
-28,0×10-6 cm3/mol
1.344
Thermochemie
91,69 J/(K-mol)
Std. molare
Entropie (So298)
149,62 J/(K-mol)
Std. Bildungsenthalpie
Bildung fH298)
40,16-40,96 kJ/mol
Std. Bildungsenthalpie
Verbrennung cH298)
-1256,03 - -1256,63 kJ/mol
Gefahren
GHS-Kennzeichnung:
Piktogramme
GHS02: Entflammbar GHS07: Ausrufezeichen
Signalwort
Gefahr
Gefahrenhinweise
H225, H302, H312, H319, H332
Sicherheitshinweise
P210, P280, P305+P351+P338
NFPA 704 (Feuerdiamant)
2
3
0
Flammpunkt 2.0 °C (35.6 °F; 275.1 K)
Selbstentzündung
temperatur
523.0 °C (973.4 °F; 796.1 K)
Explosionsgrenzen 4.4–16.0%
Tödliche Dosis oder Konzentration (LD, LC):
LD50 (mittlere Dosis)
  • 2 g/kg (dermal, Kaninchen)
  • 2,46 g/kg (oral, Ratte)
LC50 (mittlere Konzentration)
5655 ppm (Meerschweinchen, 4 Std.)
2828 ppm (Kaninchen, 4 Std.)
53.000 ppm (Ratte, 30 min)
7500 ppm (Ratte, 8 Std.)
2693 ppm (Maus, 1 Std.)
LCLo (niedrigster veröffentlichter Wert)
16.000 ppm (Hund, 4 Std.)
NIOSH (US-Grenzwerte für die Gesundheit):
PEL (Zulässig)
TWA 40 ppm (70 mg/m3)
REL (Empfohlen)
TWA 20 ppm (34 mg/m3)
IDLH (Unmittelbare Gefahr)
500 ppm
Verwandte Verbindungen
Verwandte Alkanenitrile
  • Cyanwasserstoff
  • Thiocyansäure
  • Cyanogenjodid
  • Cyanogenbromid
  • Cyanidenchlorid
  • Cyanogenfluorid
  • Aminoacetonitril
  • Glykolnitril
  • Cyanogen
  • Propionitril
  • Aminopropionitril
  • Malononitril
  • Pivalonitril
  • Acetoncyanohydrin
Verwandte Verbindungen
DBNPA
Sofern nicht anders angegeben, beziehen sich die Daten auf Materialien im Standardzustand (bei 25 °C [77 °F], 100 kPa).
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Infobox Referenzen

Acetonitril, oft mit MeCN (Methylcyanid) abgekürzt, ist die chemische Verbindung mit der Formel CH
3CN. Diese farblose Flüssigkeit ist das einfachste organische Nitril (Blausäure ist ein einfacheres Nitril, aber das Cyanid-Anion wird nicht als organisch eingestuft). Sie wird hauptsächlich als Nebenprodukt bei der Herstellung von Acrylnitril gewonnen. Es wird als polares aprotisches Lösungsmittel in der organischen Synthese und bei der Reinigung von Butadien verwendet. Das N≡C-C-Gerüst ist linear mit einem kurzen C≡N-Abstand von 1,16 Å.

Acetonitril wurde erstmals 1847 von dem französischen Chemiker Jean-Baptiste Dumas hergestellt.

Anwendungen

Acetonitril wird hauptsächlich als Lösungsmittel bei der Reinigung von Butadien in Raffinerien verwendet. Konkret wird Acetonitril in den oberen Teil einer Destillationskolonne eingespeist, die mit Kohlenwasserstoffen einschließlich Butadien gefüllt ist, und während das Acetonitril durch die Kolonne nach unten fällt, absorbiert es das Butadien, das dann vom Boden des Turms in einen zweiten Trennkolben geleitet wird. In diesem wird das Butadien durch Wärmezufuhr abgetrennt.

Im Labor wird Butadien als mittelpolares Lösungsmittel verwendet, das mit Wasser und einer Reihe von organischen Lösungsmitteln, jedoch nicht mit gesättigten Kohlenwasserstoffen, mischbar ist. Es hat eine angenehme Flüssigkeitsreichweite und eine hohe Dielektrizitätskonstante von 38,8. Mit einem Dipolmoment von 3,92 D löst Acetonitril ein breites Spektrum ionischer und unpolarer Verbindungen und eignet sich als mobile Phase in der HPLC und LC-MS.

Aufgrund seiner relativ hohen Dielektrizitätskonstante und seiner Fähigkeit, Elektrolyte aufzulösen, wird es häufig in Batterieanwendungen eingesetzt. Aus ähnlichen Gründen ist es ein beliebtes Lösungsmittel in der zyklischen Voltammetrie.

Seine Transparenz im ultravioletten Bereich (UV-Cutoff), seine niedrige Viskosität und seine geringe chemische Reaktivität machen es zu einer beliebten Wahl für die Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC).

Acetonitril spielt eine wichtige Rolle als wichtigstes Lösungsmittel bei der Herstellung von DNA-Oligonukleotiden aus Monomeren.

In der Industrie wird es als Lösungsmittel für die Herstellung von Arzneimitteln und fotografischen Filmen verwendet.

Organische Synthese

Acetonitril ist ein gebräuchlicher Zweikohlenstoffbaustein in der organischen Synthese vieler nützlicher Chemikalien, darunter Acetamidinhydrochlorid, Thiamin und α-Naphthalinessigsäure. Durch Reaktion mit Chlorcyan wird Malononitril gebildet.

Als Elektronenpaar-Donator

Acetonitril besitzt ein freies Elektronenpaar am Stickstoffatom, das zahlreiche Übergangsmetall-Nitrilkomplexe bilden kann. Da es schwach basisch ist, ist es ein leicht verdrängbarer Ligand. So wird beispielsweise Bis(acetonitril)palladiumdichlorid durch Erhitzen einer Suspension von Palladiumchlorid in Acetonitril hergestellt:

PdCl
2 + 2 CH
3CN → PdCl
2(CH
3CN)
2

Ein verwandter Komplex ist [Cu(CH3CN)4]+. Das CH
3CN-Gruppen in diesen Komplexen werden schnell durch viele andere Liganden verdrängt.

Es bildet auch Lewis-Addukte mit Lewis-Säuren der Gruppe 13 wie Bortrifluorid. In Supersäuren ist es möglich, Acetonitril zu protonieren.

Acetonitril-d3

Vollständig deuteriertes Acetonitril (Acetonitril-d3) – in dem alle drei Wasserstoffatome durch Deuterium ausgetauscht sind – wird als Lösungsmittel in der NMR-Spektroskopie benutzt.

Deuteriertes Acetonitril (Acetonitril-d3)

Herstellung

Acetonitril ist ein Nebenprodukt bei der Herstellung von Acrylnitril. Der größte Teil wird verbrannt, um den vorgesehenen Prozess zu unterstützen, aber schätzungsweise mehrere tausend Tonnen werden für die oben genannten Anwendungen zurückbehalten. Die Produktionstrends für Acetonitril folgen daher im Allgemeinen denen von Acrylnitril. Acetonitril kann auch durch viele andere Verfahren hergestellt werden, die jedoch seit 2002 keine kommerzielle Bedeutung mehr haben. Beispiele hierfür sind die Dehydratisierung von Acetamid oder die Hydrierung von Gemischen aus Kohlenmonoxid und Ammoniak. Im Jahr 1992 wurden in den USA 14.700 Tonnen (32.400.000 lb) Acetonitril hergestellt.

Auch die katalytische Ammoxidation von Ethylen wurde erforscht.

Acetonitril-Knappheit in den Jahren 2008-2009

Ab Oktober 2008 war das weltweite Angebot an Acetonitril gering, da die chinesische Produktion wegen der Olympischen Spiele eingestellt wurde. Außerdem wurde eine US-Fabrik in Texas während des Hurrikans Ike beschädigt. Aufgrund der weltweiten Konjunkturabschwächung ging die Produktion von Acrylnitril, das in Acrylfasern und Acrylnitril-Butadien-Styrol-Harzen (ABS) verwendet wird, zurück. Acetonitril ist ein Nebenprodukt bei der Herstellung von Acrylnitril, dessen Produktion ebenfalls zurückging, was die Acetonitril-Knappheit weiter verschärfte. Die weltweite Verknappung von Acetonitril hielt bis Anfang 2009 an.

Möglichkeiten zur Herstellung sind nucleophile Substitutionsreaktionen von z. B. Brommethan mit Natriumcyanid (NaCN).

Sicherheit

Toxizität

Acetonitril ist in kleinen Dosen nur mäßig toxisch. Es kann unter Bildung von Blausäure metabolisiert werden, die die Quelle der beobachteten toxischen Wirkungen ist. Im Allgemeinen treten die toxischen Wirkungen erst mit Verzögerung ein, da der Körper Acetonitril erst nach etwa 2-12 Stunden zu Cyanid umwandelt.

Fälle von Acetonitrilvergiftungen beim Menschen (oder genauer gesagt von Cyanidvergiftungen nach Exposition gegenüber Acetonitril) sind selten, aber nicht unbekannt, und zwar durch Einatmen, Verschlucken und (möglicherweise) durch Hautresorption. Zu den Symptomen, die in der Regel erst mehrere Stunden nach der Exposition auftreten, gehören Atembeschwerden, langsamer Pulsschlag, Übelkeit und Erbrechen. In schweren Fällen können Krämpfe und Koma auftreten, gefolgt vom Tod durch Atemstillstand. Die Behandlung erfolgt wie bei einer Zyanidvergiftung, wobei Sauerstoff, Natriumnitrit und Natriumthiosulfat zu den am häufigsten verwendeten Notfallbehandlungen gehören.

Trotz seiner Toxizität wurde es in Formulierungen für Nagellackentferner verwendet. Mindestens zwei Fälle von versehentlicher Vergiftung von Kleinkindern durch Nagellackentferner auf Acetonitrilbasis wurden gemeldet, von denen einer tödlich verlief. Aceton und Ethylacetat werden für den Hausgebrauch oft als sicherer bevorzugt, und Acetonitril ist seit März 2000 in kosmetischen Produkten im Europäischen Wirtschaftsraum verboten.

Acetonitril wirkt reizend. Es ist gesundheitsschädlich beim Einatmen, Verschlucken und Hautkontakt. Acetonitril wird durch die Haut (perkutan) resorbiert und wirkt im Körper als Blutgift.

Metabolismus und Ausscheidung

Verbindung Cyanid, Konzentration im Gehirn (μg/kg) Orale LD50 (mg/kg)
Kaliumcyanid 748 ± 200 10
Propionitril 508 ± 84 40
Butyronitril 437 ± 106 50
Malononitril 649 ± 209 60
Acrylnitril 395 ± 106 90
Acetonitril 28 ± 5 2460
Kochsalz (NaCl) 3000
Ionische Cyanidkonzentrationen, gemessen im Gehirn von Sprague-Dawley-Ratten eine Stunde nach oraler Verabreichung einer LD50 verschiedener Nitrile.

Wie auch andere Nitrile kann Acetonitril in Mikrosomen, insbesondere in der Leber, zu Blausäure metabolisiert werden, wie Pozzani et al. 1959 erstmals zeigten. Der erste Schritt in diesem Stoffwechselweg ist die Oxidation von Acetonitril zu Glycolonitril durch eine NADPH-abhängige Cytochrom P450-Monooxygenase. Das Glycolonitril zersetzt sich dann spontan zu Blausäure und Formaldehyd. Formaldehyd, das an sich schon ein Toxin und ein Karzinogen ist, wird weiter zu Ameisensäure oxidiert, die eine weitere Quelle der Toxizität darstellt.

Der Metabolismus von Acetonitril ist viel langsamer als der anderer Nitrile, was seine relativ geringe Toxizität erklärt. So war eine Stunde nach Verabreichung einer potenziell tödlichen Dosis die Cyanidkonzentration im Rattenhirn 120 so hoch wie bei einer 60-mal geringeren Propionitrildosis (siehe Tabelle).

Der relativ langsame Metabolismus von Acetonitril zu Cyanwasserstoff ermöglicht es, dass ein größerer Teil des produzierten Cyanids im Körper zu Thiocyanat entgiftet wird (Rhodanese-Weg). Dadurch kann auch ein größerer Teil des Acetonitrils unverändert ausgeschieden werden, bevor es verstoffwechselt wird. Die wichtigsten Ausscheidungswege sind die Ausatmung und die Ausscheidung über den Urin.

Vorkommen

Die Emissionslinien von Acetonitril konnten am 1. Dezember 1973 radioteleskopisch im Kern des Kometen C/1973 E1 (Kohoutek) nachgewiesen werden. Astronomen der ESO haben mithilfe des Teleskops ALMA im April 2015 erstmals größere Mengen von Acetonitril um den jungen Stern MWC 480 nachgewiesen.

Eigenschaften

Chemische Eigenschaften

Die Methyl-Gruppe des Acetonitril-Moleküls besitzt CH-Acidität und kann durch diverse Basen (hier als B dargestellt) deprotoniert werden, wobei ein resonanzstabilisiertes Carbanion gebildet wird:

Deprotonierung von Acetonitril zur Bildung eines resonanzstabilisierten Carbanions ⓘ

Bei starkem Erhitzen und im Brandfall entstehen aus Acetonitril giftige Gase wie Cyanwasserstoff und Stickoxide. Mit Luft entstehen explosionsfähige Gemische.

Acetonitril greift Gummi an und löst viele Polymere. Bei Kontakt mit Schwefelsäure unter Wärmezufuhr kann eine explosionsartige Polymerisation eintreten.

Es bildet mit Wasser ein azeotropes Gemisch aus 83,7 Gew.-% Acetonitril zu 16,3 Gew.-% Wasser und einem Siedepunkt von 76,5 °C, 5,5 K unter dem Siedepunkt von reinem Acetonitril.

Sicherheitstechnische Kenngrößen

Acetonitril bildet leicht entzündliche Dampf-Luft-Gemische. Die Verbindung hat einen Flammpunkt bei 2 °C. Der Explosionsbereich liegt zwischen 3,0 Vol.‑% (50 g/m3) als untere Explosionsgrenze (UEG) und 17 Vol.‑% als obere Explosionsgrenze (OEG). Die Sauerstoffgrenzkonzentration liegt bei 25 °C bei 12,7 Vol%. Die Grenzspaltweite wurde mit 1,5 mm bestimmt. Es resultiert damit eine Zuordnung in die Explosionsgruppe IIA. Die Zündtemperatur beträgt 525 °C. Der Stoff fällt somit in die Temperaturklasse T1. Die elektrische Leitfähigkeit ist mit 6·10−8 S·m−1 eher gering.