Kulturkampf

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Modus vivendi, Karikatur von Wilhelm Scholz: Der Papst und der Reichskanzler fordern sich gegenseitig als Zeichen der Unterwerfung zum Fußkuss auf, durch den Vorhang beobachtet Ludwig Windthorst die Szene. Bildunterschrift: Pontifex: „Nun bitte, genieren Sie sich nicht!“ Kanzler: „Bitte gleichfalls!“. Aus dem Kladderadatsch, Nr. 14/15 (18. März 1878).

In Deutschland wird der Begriff Kulturkampf unter Vorzeichen des 19. Jahrhunderts auf den Konflikt zwischen Preußen bzw. später dem Deutschen Kaiserreich unter Reichskanzler Otto von Bismarck und der katholischen Kirche unter Papst Pius IX. bezogen; diese Auseinandersetzungen eskalierten ab 1871; sie wurden bis 1878 beendet und 1887 diplomatisch beigelegt.

Politisch ging es in Deutschland in erster Linie um die Lösung des Staates von der Katholischen Kirche in ihrer rechtlichen und politischen Dimension sowie um den Einfluss der organisierten katholischen Minderheit. Speziell Preußen begegnete in seinen Ostgebieten der Anlehnung des polnischen Nationalismus an den Katholizismus, also einer auf die Konfessionszugehörigkeit projizierten Sezessionsgefahr.

Auch die protestantischen Kirchen waren vom Kulturkampf betroffen; sie standen aber nicht im Zentrum der Auseinandersetzung. Sie lassen sich auch nicht eindeutig einem Lager zurechnen, weil Maßnahmen gegen die katholischen „Konkurrenten“ durchaus auch in ihrem Sinne waren. Otto von Bismarck ging mit scharfen Mitteln gegen die katholische Geistlichkeit vor; dafür wurde er schließlich sogar von Protestanten und Liberalen kritisiert. Ab 1878 kam es wieder zu einer Annäherung zwischen Staat und katholischer Kirche.

Allgemein werden als Kulturkampf Auseinandersetzungen zwischen Staat und katholischer Kirche im 19. Jahrhundert in mehreren Staaten Europas und Südamerikas bezeichnet, bei denen es grundsätzlich um einen Versuch der Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche ging. Beim Kulturkampf prallten die Vertreter zweier konkurrierender Weltanschauungen – konservativ und liberal – aufeinander. Von staatlicher Seite erstrebte man die Durchsetzung einer liberalen Politik, die eine Trennung von Kirche und Staat beabsichtigte und sich zum Beispiel in Preußen für die Einführung der Zivilehe einsetzte. Religiöse Kräfte, die überwiegend der katholischen Kirche angehörten, stemmten sich dagegen; sie setzten sich für den Einfluss des Religiösen in Öffentlichkeit und Politik sowie einen Primat von Kirche und Religion über Staat und Wissenschaft ein.

In einem größeren Kontext wird mit „Kulturkampf“ auch ein europäisches Phänomen bezeichnet: Es kam in mehreren Staaten des Kontinents zu ähnlichen Entwicklungen. Eine gewisse Vorreiterrolle hatte dabei die Schweiz, vergleiche Kulturkampf in der Schweiz. Auch der badische und der bayerische Kulturkampf fanden zeitlich vor dem preußischen statt. Beide werden im traditionellen Geschichtsverständnis als Vorläufer des „eigentlichen“ Konflikts zwischen Preußen beziehungsweise dem Reich und der katholischen Kirche verstanden; in der jüngeren Geschichtsschreibung werden sie eher als Beleg für den überregionalen Charakter der deutschen Kulturkämpfe gesehen.

Darüber hinaus spielt der Begriff vor allem bei rechtsgerichteten Kreisen in der zeitgenössischen politischen Diskussion in Deutschland eine gewisse Rolle, siehe „Aktueller Gebrauch“ unten im Artikel.

Hintergrund

Europa und die katholische Kirche

Unter dem Einfluss neu aufkommender Philosophien und Ideologien wie der Aufklärung, des Realismus, des Positivismus, des Materialismus, des Nationalismus, des Säkularismus und des Liberalismus erfuhren die Rolle der Religion in der Gesellschaft und das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und den etablierten Kirchen im 18. und 19. Jahrhundert tief greifende Veränderungen. In vielen Ländern bemühten sich die politischen Führer, die Kirche von ihren weltlichen Befugnissen zu entbinden, während Kirche und Staat in früheren Zeiten eng miteinander verbunden waren, die Aufgaben der Kirche durch die Säkularisierung der öffentlichen Sphäre und die Trennung von Kirche und Staat auf geistliche Angelegenheiten zu reduzieren und die Vorherrschaft des Staates, insbesondere im Bildungswesen, durchzusetzen. Róisín Healy (2003) argumentiert, dass der Kulturkampf in ganz Europa hauptsächlich auf staatlicher Ebene stattfand. Er entwickelte sich "vor allem in den Hochburgen des Liberalismus, Antiklerikalismus und Antikatholizismus".

Papst Pius IX. (um 1878)

Die katholische Kirche wehrte sich gegen diese Entwicklung, die sie als Angriff auf die Religion darstellte, und versuchte, ihre starke Rolle in Staat und Gesellschaft zu erhalten und zu stärken. Mit dem wachsenden Einfluss der Aufklärung und nachdem sie im Zuge der Mediatisierung und Säkularisierung des frühen 19. Jahrhunderts viel von ihrem Reichtum, ihrer Macht und ihrem Einfluss verloren hatte, befand sich die Kirche in einem Zustand des Niedergangs.

Das Papsttum befand sich an einem schwachen Punkt in seiner Geschichte, nachdem es alle seine Territorien an Italien verloren hatte und der Papst im Vatikan "gefangen" war. Die Kirche bemühte sich, ihren Einfluss zurückzugewinnen und in Bereichen wie Ehe, Familie und Bildung das Sagen zu haben. Sie initiierte eine katholische Wiederbelebung, indem sie Vereine, Zeitungen, Schulen, soziale Einrichtungen und neue Orden gründete und religiöse Praktiken wie Wallfahrten, Massenversammlungen, die Verehrung der Jungfrau Maria oder des heiligen Herzens Jesu und die Verehrung von Reliquien förderte; der Papst selbst wurde zu einem Objekt der Verehrung.

Neben der Zunahme der Orden wurden im 19. Jahrhundert zahlreiche katholische Vereine und Organisationen gegründet, vor allem in Deutschland und Frankreich. (In den Vereinigten Staaten gab es im späten 19. Jahrhundert einen vergleichbaren Anstieg der brüderlichen Organisationen). Die katholische Propaganda, einschließlich der Interpretation des Tagesgeschehens, wurde durch lokale und nationale katholische Zeitungen gefördert, die in allen westeuropäischen Ländern bekannt waren. Darüber hinaus widmeten sich organisierte Missionen und Gruppen der Herstellung frommer Literatur.

Im 19. Jahrhundert veröffentlichten die Päpste eine Reihe von Enzykliken (z. B. Mirari vos (1832) von Papst Gregor XVI.), die den Liberalismus und die Pressefreiheit verurteilten. Dies löste in einigen Kreisen Kontroversen aus. Unter der Leitung von Gregors Nachfolger, Papst Pius IX., verkündete die Kirche 1854 die unbefleckte Empfängnis Mariens. Im Jahr 1864 veröffentlichte Pius die Enzyklika Quanta cura mit dem beigefügten Syllabus Errorum ("Syllabus der Irrtümer") und berief 1870 das Erste Vatikanische Konzil ein. Das Konzil verkündete seinerseits das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit.

Im Syllabus Errorum verurteilte die Kirche rund 80 philosophische und politische Aussagen als falsch, vor allem die Grundlagen des modernen Nationalstaats. Sie lehnte Konzepte wie Religionsfreiheit, Trennung von Kirche und Staat, Zivilehe, Volkssouveränität, Liberalismus und Sozialismus sowie die Vernunft als einzige Grundlage menschlichen Handelns rundheraus ab und verurteilte generell die Idee der Versöhnung mit dem Fortschritt. Die Verlautbarungen enthielten ein Verzeichnis der verbotenen Bücher.

Die Kirche organisierte sich allmählich neu und begann, die Massenmedien umfassend zur Verbreitung ihrer Botschaften zu nutzen. Außerdem bemühten sich die Päpste, ihre Kontrolle über die Kirche zu verstärken. Die Kirche zentralisierte einige Funktionen und straffte ihre Hierarchie, was zu heftiger Kritik seitens der europäischen Regierungen führte. Die Bischöfe ließen sich vom Vatikan leiten, und die Bedürfnisse und Ansichten der internationalen Kirche hatten Vorrang vor denen der lokalen. Die Gegner der neuen hierarchischen Kirchenorganisation nannten sie abwertend Ultramontanismus.

Angesichts der Opposition der Kirche gegen die Aufklärung, die liberalen Reformen und die Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts verärgerten diese Dogmen und das ausdrückliche Beharren der Kirche auf dem päpstlichen Primat die liberal gesinnten Menschen in ganz Europa, sogar einige Katholiken. Die Debatten waren hitzig.

Die Dogmen wurden als Bedrohung für den säkularisierten Staat empfunden, da sie bekräftigten, dass die grundlegende Loyalität der Katholiken nicht ihrem Nationalstaat, sondern dem Evangelium und der Kirche gilt. Die Lehre des Papstes wurde als absolut autoritativ und für alle Gläubigen verbindlich dargestellt. Säkulare Politiker fragten sich, ob "Katholizismus und Treue zum modernen liberalen Staat sich nicht gegenseitig ausschließen". Der britische Premierminister Gladstone schrieb 1874, dass die Lehre über die päpstliche Unfehlbarkeit die Loyalität der gläubigen englischen Katholiken gefährde. Für den europäischen Liberalismus wurden die Dogmen als eine Kriegserklärung an den modernen Staat, die Wissenschaft und die geistige Freiheit verstanden.

Der Umgang des Papstes mit abweichenden Meinungen zu den Dogmen, z. B. durch die Exkommunikation von Kritikern oder die Forderung, sie aus Schulen und Universitäten zu entfernen, wurde als "Inbegriff des päpstlichen Autoritarismus" betrachtet. Als unmittelbare Reaktion auf die Verlautbarungen des Vatikans erließ Österreich 1868 die so genannten Maigesetze für Cisleithanien, die das Konkordat von 1855 einschränkten, und kündigte das Konkordat 1870 schließlich ganz auf. Sachsen und Bayern verweigerten die Zustimmung zur Veröffentlichung des päpstlichen Unfehlbarkeitsdogmas; Hessen und Baden sprachen ihm sogar jegliche Rechtsgültigkeit ab. Frankreich verweigerte die Veröffentlichung der Doktrinen ganz; Spanien verbot 1864 die Veröffentlichung des Syllabus Errorum.

Deutschland

Vor 1871

Anti-Katholische Karikatur in den Münchner Leuchtkugeln, 1848. Eine Warnung, sich noch nicht zu freuen. Der katholische Kleriker als Fuchs und blinder Passagier auf dem Wagen des Fortschritts, um später den Lauf der Geschichte umzukehren.

Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich auch in Deutschland eine liberale Politik durchgesetzt und die Trennung von Kirche und Staat wurde zu einem wichtigen Thema. Der Kulturkampf in Preußen wird in der Regel auf die Jahre 1871 und 1878 eingegrenzt, wobei die katholische Kirche 1880 offiziell sein Ende verkündete, aber der Kampf in Deutschland war eine andauernde Angelegenheit ohne eindeutigen Anfang, und die Jahre 1871 bis 1878 markieren nur in Preußen seinen Höhepunkt.

Im Gefolge anderer europäischer Länder hatten die meisten deutschen Staaten schon lange vor der Einigung erste Schritte zur Säkularisierung unternommen. Das mehrheitlich katholische Baden war Vorreiter bei der Beschneidung der Macht der katholischen Kirche (Badischer Kirchenstreit, 1852-1854) und beim Badischen Kulturkampf (1864-1876). Weitere Beispiele sind Preußen (1830er Jahre, 1850, 1859 und 1969), Württemberg (1859/1862), Bayern (Bayerischer Kulturkampf [de], 1867), Hessen-Nassau oder Hessen-Darmstadt.

Im Kölner Wirren von 1837 um rechtliche und politische Fragen bezüglich der Kinder aus gemischten protestantisch-katholischen Ehen wurde Preußens endgültige Regelung als Niederlage für den Staat gewertet, da er den Forderungen der katholischen Kirche nachgegeben hatte. 1850 kam es in Preußen erneut zu einem Streit mit der Kirche über die Zivilehe und die Volksschulen, und 1852 erließ Preußen Dekrete gegen die Jesuiten. Wie in vielen anderen europäischen Ländern wurden die Jesuiten in vielen deutschen Staaten verboten oder stark eingeschränkt, z. B. in Sachsen (1831) und sogar in katholischen Staaten wie Bayern (1851), Baden (1860) oder Württemberg (1862).

Die deutschen Gebiete westlich des Rheins hatten bereits nach der Annexion durch das revolutionäre und napoleonische Frankreich im Jahr 1794 einen Prozess der Trennung von Kirche und Staat im Sinne einer radikalen Säkularisierung durchlaufen, um nicht außen vor zu bleiben. Nach der Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1814 wurden viele, wenn nicht sogar die meisten dieser Veränderungen beibehalten.

In der Zeit des Vormärz wurden Revolutionen in katholischen Publikationen in der Regel als negativ und gefährlich für die bestehende Ordnung sowie für die Interessen der katholischen Kirche dargestellt. Die meisten von ihnen betrachteten einen lebensfähigen Katholizismus als notwendig für die Gesundheit der Gesellschaft und des Staates und als den einzig wahren und wirksamen Schutz gegen die Geißel der Revolution. Die erfolglosen deutschen Revolutionen von 1848/49, die die katholische Kirche bekämpft hatte, brachten keine demokratischen Reformen hervor, und die Versuche, die Beziehungen zwischen Staat und Kirche radikal zu entflechten, scheiterten. Im Revolutionsparlament stellten sich viele prominente Vertreter des politischen Katholizismus auf die Seite der extremen Rechten. In den Jahren nach der Revolution wurde der Katholizismus zunehmend politisiert, da die aufkommenden liberalen Ideologien im Gegensatz zur antimodernistischen und antiliberalen Politik des Vatikans standen.

Im Österreichisch-Preußischen Krieg von 1866 und im Deutsch-Französischen Krieg von 1870 stellte sich die katholische Kirche auf die Seite Preußens und war ein entschiedener Gegner der deutschen Einigung unter Preußen (wie auch der Einigung Italiens).

Die in den Jahren 1854, 1864 und 1870 verkündeten katholischen Dogmen und Lehren wurden in Deutschland als direkte Angriffe auf den modernen Nationalstaat empfunden. Daher empfanden Bismarck, die Liberalen und die Konservativen, die die orthodoxen Protestanten vertraten, die Unterstützung der Zentrumspartei für den Papst als äußerst provokant. Viele Katholiken teilten diese Ansichten, insbesondere gegen die erklärte Unfehlbarkeit des Papstes, und die Mehrheit der katholischen deutschen Bischöfe betrachtete die Definition des Dogmas als "ungünstig" im Hinblick auf die Situation in Deutschland". Während sich die meisten Katholiken schließlich mit der Lehre versöhnten, gründeten einige die kleine abtrünnige altkatholische Kirche.

Nach Ansicht des bayerischen Regierungschefs Hohenlohe gefährdete das Unfehlbarkeitsdogma die Loyalität der Katholiken gegenüber dem Staat. Er schickte ein Rundschreiben an alle diplomatischen Vertreter des bayerischen Königreichs, in dem es hieß: "Die einzige dogmatische These, die Rom auf dem Konzil entschieden haben will und die die Jesuiten in Italien und Deutschland jetzt erregen, ist die Frage der Unfehlbarkeit des Papstes. Diese Behauptung wird, wenn sie einmal zum Dogma geworden ist, über die rein geistlichen Sphären hinausgehen und offensichtlich zu einer politischen Frage werden: denn sie wird die Macht des souveränen Papstes auch in weltlichen Dingen über alle Fürsten und Völker der Christenheit erheben."

Die liberalen Mehrheiten im Reichstag und im preußischen Parlament sowie die Liberalen im Allgemeinen betrachteten die Kirche als rückständig, als Brutstätte für Reaktionäre, als Feinde des Fortschritts und sahen im klösterlichen Leben den Inbegriff eines rückständigen katholischen Mittelaltertums. Sie waren beunruhigt über den dramatischen Anstieg der Zahl der Klöster, Konvente und klerikalen religiösen Gruppen in einer Zeit der allgemeinen religiösen Erneuerung. In der Diözese Köln zum Beispiel verzehnfachte sich die Zahl der Mönche und Nonnen zwischen 1850 und 1872. Die preußischen Behörden waren besonders misstrauisch gegenüber der Ausbreitung des monastischen Lebens unter den polnischen und französischen Minderheiten. Die Kirche wiederum betrachtete die Nationalliberalen als ihren ärgsten Feind und warf ihnen vor, den Krieg gegen das Christentum und die katholische Kirche anzuführen.

1871–72

Bei der Einigung 1871 zählte das neue Deutsche Reich 25,5 Millionen Protestanten (62 % der Bevölkerung) und 15 Millionen Katholiken (36,5 % der Bevölkerung). Obwohl sie im Reich eine Minderheit darstellten, bildeten die Katholiken in den Ländern Bayern, Baden und Elsass-Lothringen sowie in den vier preußischen Provinzen Westpreußen, Posen, Rheinland und Westfalen und in der preußischen Region Oberschlesien die Mehrheit. Seit dem Dreißigjährigen Krieg war die Bevölkerung im Allgemeinen nach religiösen Gesichtspunkten getrennt, und die ländlichen Gebiete oder Städte waren überwiegend, wenn nicht sogar ausschließlich, derselben Religion zugehörig. Auch das Bildungswesen war getrennt und lag meist in den Händen der Kirchen. Es gab kaum gegenseitige Toleranz, Interaktion oder Mischehen. Die Protestanten hegten im Allgemeinen ein tiefes Misstrauen gegenüber der katholischen Kirche.

Bismarck um 1875

Die Wiedervereinigung war über viele Hindernisse und gegen starke Gegner erreicht worden. Dies waren die europäischen Mächte Frankreich und Österreich, beides katholische Nationen, und die katholische Kirche selbst, die Bismarck als "Koalition der katholischen Rache" wahrnahm. Für Bismarck war das Reich sehr zerbrechlich, und seine Konsolidierung war ein wichtiges Thema. Der Biograph Otto Pflanze betont: "Bismarcks Glaube an die Existenz einer weitverbreiteten katholischen Verschwörung, die eine Bedrohung sowohl für seine deutsche als auch für seine europäische Politik darstellte."

In einem protestantischen Reich sollte die katholische Kirche ihren guten Ruf verlieren, den sie jahrhundertelang im katholisch dominierten Heiligen Römischen Reich genossen hatte und den sie auch in einem unter österreichischer Schirmherrschaft vereinigten deutschen Reich weiterhin genießen würde. Daher wurde 1870, am Vorabend der Einigung, die Zentrumspartei ausdrücklich gegründet, um die Stellung der Kirche im neuen Reich zu verteidigen.

Bismarck war sehr besorgt darüber, dass viele wichtige Mitglieder und Unterstützer dieser neuen Partei nicht mit dem neuen Reich sympathisierten: das Haus Hannover, die ethnische Minderheit der Polen, die süddeutschen Staaten. Die überwiegend katholischen süddeutschen Staaten waren 1871 nur widerwillig dem Reich beigetreten, wodurch sich der Gesamtanteil der katholischen Bevölkerung auf 36,5 % erhöhte. Zu diesem katholischen Anteil gehörte die größte ethnische Minderheit Deutschlands, weit über 2 Millionen Polen im Osten Preußens, die unter Preußen und Deutschland unter Diskriminierung und Unterdrückung litten. Bismarck sah in der neuen Zentrumspartei nicht nur eine unzulässige Vermischung von Politik und Religion und den "langen Arm" der Kirche, sondern auch eine einigende Kraft für katholische Deutsche und Polen und damit eine Gefahr für die Festigung des Reiches. Er befürchtete, dass die Zentrumspartei seine umfassenderen politischen Pläne durchkreuzen würde, und warf den katholischen Priestern vor, den polnischen Nationalismus zu fördern, wie es in den Provinzen Posen und Oberschlesien offen geschehen war.

Der preußische Unterrichtsminister Adalbert Falk, 1872

Die Liberalen betrachteten die katholische Kirche als eine mächtige reaktionäre und antimoderne Kraft, insbesondere nach der Verkündung der päpstlichen Unfehlbarkeit im Jahr 1870 und der zunehmenden Kontrolle des Vatikans über die örtlichen Bischöfe. Die neue Vitalität des Katholizismus in Deutschland mit seinen Massenversammlungen zog auch Protestanten an - sogar der preußische Thronfolger nahm mit Genehmigung des Königs an einer solchen teil. Antiliberalismus, Antiklerikalismus und Antikatholizismus wurden zu mächtigen intellektuellen Kräften der Zeit, und der Antagonismus zwischen Liberalen und Protestanten auf der einen und der katholischen Kirche auf der anderen Seite wurde durch Schlammschlachten in der Presse ausgetragen. Eine Welle von antikatholischen, antiklerikalen und antikirchlichen Pamphleten in der liberalen Presse wurde mit antiliberalen Predigten und Propaganda in katholischen Zeitungen beantwortet und umgekehrt.

Aus diesen Gründen versuchte die Regierung, die katholischen Massen von der Hierarchie und der Zentrumspartei abzubringen, und die Forderungen der Liberalen, die Macht der Kirchen zu beschneiden, passten gut zu Bismarcks wichtigstem politischen Ziel, der Zerschlagung der Zentrumspartei.

Der Historiker Anthony J. Steinhoff schreibt:

Bismarcks Plan, den politischen Katholizismus zu entwaffnen, begeisterte die liberalen Politiker, die den Kreuzzug parlamentarisch unterstützten. Der Begriff Kulturkampf, den der Linksliberale Rudolf Virchow für diesen Kampf prägte, deutet jedoch darauf hin, dass die Liberalen nicht nur verhindern wollten, dass der Katholizismus zu einer politischen Kraft wurde. Sie wollten den Sieg über den Katholizismus selbst, den lange hinausgezögerten Abschluss der Reformation.

Spätestens seit 1847 war auch Bismarck im Einklang mit den Liberalen der erklärten Meinung, dass Staat und Kirche vollständig getrennt sein sollten und "die Sphäre des Staates gegen die Übergriffe der Kirche gesichert werden müsse", wenngleich seine Vorstellungen nicht so weitreichend waren wie in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien. Er hatte die traditionelle Stellung der evangelischen Kirche in Preußen im Blick und rief erheblichen Widerstand bei den konservativen Protestanten hervor. Dies wurde in einer hitzigen Debatte mit dem preußischen Kultusminister von Mühler im Jahr 1871 deutlich, als Bismarck sagte: "Da Sie meine Pläne in der evangelischen Kirche gestoppt haben, muss ich den Weg über Rom gehen." Im August 1871 bekundete Bismarck in Bad Ems seine Absicht, gegen die Zentrumspartei zu kämpfen, Staat und Kirche zu trennen, die Schulaufsicht Laien zu übertragen, den Religionsunterricht an den Schulen abzuschaffen und die Religionsangelegenheiten dem Justizminister zu übertragen.

Am 22. Januar 1872 löste der liberale Adalbert Falk den konservativen Heinrich von Mühler als preußischer Minister für Religion, Erziehung und Gesundheit ab. Nach Bismarcks Auffassung sollte Falk "die Rechte des Staates gegenüber der Kirche wiederherstellen". Doch im Gegensatz zu Bismarck, dessen Hauptmotivation für den Kulturkampf der politische Machtkampf mit der Zentrumspartei war, war Falk, ein Jurist, ein starker Befürworter der staatlichen Autorität, der die rechtlichen Aspekte der Beziehungen zwischen Staat und Kirche im Auge hatte. Falk wurde die treibende Kraft hinter den Kulturkampfgesetzen. Obwohl Bismarck Falk öffentlich unterstützte, bezweifelte er den Erfolg seiner Gesetze und war unzufrieden mit seinem Mangel an politischem Taktgefühl und Sensibilität. Die unterschiedlichen Haltungen zum Kulturkampf führten schließlich zum Zerwürfnis zwischen den beiden Politikern.

Vor diesem Hintergrund und der Entschlossenheit von Kirche und Staat gewann der Kulturkampf in Deutschland an Schärfe und Bitterkeit.

Zeitleiste, 1871-76

"Zwischen Berlin und Rom", mit Bismarck auf der linken und dem Papst auf der rechten Seite, aus der deutschen Satirezeitschrift Kladderadatsch, 1875. Der Papst: "Zugegeben, der letzte Zug war für mich unangenehm; aber die Partie ist noch nicht verloren. Ich habe noch einen sehr schönen Geheimzug." Bismarck: "Das wird auch der letzte sein, und dann werden Sie in ein paar Zügen matt gesetzt - zumindest in Deutschland."

Von 1871 bis 1876 erließen der preußische Landtag und der Bundesgesetzgeber (Reichstag), beide mit liberalen Mehrheiten, 22 Gesetze im Rahmen des Kulturkampfes. Sie richteten sich hauptsächlich gegen Kleriker: Bischöfe, Priester und Orden (antiklerikal) und setzten die Vormachtstellung des Staates über die Kirche durch. Während einige Gesetze speziell die katholische Kirche betrafen (Jesuiten, Kongregationen usw.), betrafen die allgemeinen Gesetze sowohl die katholischen als auch die evangelischen Kirchen. In dem Bemühen, den zunehmenden Widerstand der katholischen Kirche und ihre Missachtung der Gesetze zu überwinden, gingen die neuen Vorschriften zunehmend über die staatlichen Angelegenheiten hinaus und bezogen sich auf die rein internen Angelegenheiten der Kirche. Selbst viele Liberale sahen darin einen Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten, der ihr eigenes Glaubensbekenntnis gefährdete.

Die Bildung und die Regelung religiöser Angelegenheiten waren verfassungsrechtlich den Bundesländern vorbehalten, und der Hauptakteur des Kulturkampfes war Preußen, der größte deutsche Staat. Einige der Gesetze wurden jedoch auch vom Reichstag verabschiedet und galten für ganz Deutschland. Die Presse und die Verbände, einschließlich der katholischen, waren von den Gesetzen im Allgemeinen nicht betroffen.

1871

  • 8. Juni: Zusammenlegung der katholischen und evangelischen Abteilungen im preußischen Kultusministerium (zuständig für religiöse Angelegenheiten). Die katholische Abteilung war 1840 eingerichtet worden. Begründet wird die Zusammenlegung damit, dass man "die ausschließlich politische Haltung der gleichen Gerechtigkeit für alle" einnehmen wolle und zu diesem Zweck eine kirchliche Abteilung benötige. Die Fusion war auch eine Voraussetzung für das Schulaufsichtsgesetz des folgenden Jahres.
  • 10. Dezember: Kaiserreich, Kanzelparagraph, der auf Initiative Bayerns erlassen wird und den Missbrauch religiöser Predigten zur politischen Agitation von der Kanzel eindämmen soll. Das Gesetz lautete: "Mit Gefängnis oder Zuchthaus bis zu zwei Jahren wird bestraft, wer in Ausübung seines Berufes oder bei Ausübung seines Berufes vor einer Volksmenge, in einer Kirche oder an einem anderen für religiöse Versammlungen bestimmten Ort vor einer Anzahl von Menschen staatliche Angelegenheiten in einer Weise verkündet oder erörtert, dass dadurch der öffentliche Friede gefährdet wird."

1872

  • 22. Januar: Adalbert Falk wird preußischer Minister für geistliche, schulische und gesundheitliche Angelegenheiten
  • 11. März: Preußisches Schulaufsichtsgesetz. Dieses Gesetz war das Herzstück des Kulturkampfes, da es die kirchliche Aufsicht über das preußische Volksschulwesen (katholisch und evangelisch) abschaffte, den Klerus aus dem Bildungswesen ausschloss und seinen Einfluss auf die Lehrpläne beseitigte. Dies war ein Meilenstein für den Liberalismus, da die Übertragung des Bildungswesens in die Hände des Staates immer ganz oben auf seiner Agenda gestanden hatte. Die Liberalen glaubten, dass damit ein weltoffenes und neutrales Bildungssystem geschaffen würde, das als Voraussetzung für eine fortschrittliche Gesellschaft angesehen wurde. In den Augen Bismarcks war dieses Gesetz notwendig, nachdem die Kirche, die sich in Opposition zum Staat stellte, die Schulen nutzte, um die Jugend gegen die Regierung aufzuwiegeln.
  • April: Der Vatikan lehnt Gustav Adolf Kardinal Fürst von Hohenlohe-Schillingsfürst als deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl ab. Schillingsfürst hatte sich kritisch zum Unfehlbarkeitsdogma geäußert, akzeptierte aber schließlich die Entscheidung des Konzils. Bismarck hielt ihn daher für einen geeigneten Vermittler. Als Reaktion auf die Ablehnung blieb die diplomatische Mission unbesetzt und Preußen brach im Dezember 1872 die Beziehungen zum Vatikan ab.
  • 4. Juli: Kaiserreich, Jesuitengesetz Verbot der Jesuiten, die als Abgesandte Roms und Speerspitze des Ultramontanismus angesehen wurden. Da sie die Vorherrschaft der päpstlichen Autorität anerkannten, wurden die Jesuiten beschuldigt, die weltliche Autorität anzufechten. Das Gesetz ermöglichte die Auflösung aller Jesuitenkapitel und den Ausschluss ihrer Mitglieder. Im folgenden Jahr wurde das Gesetz auf eng verwandte Orden ausgedehnt: die Redemptoristen, Lazaristen, Patres vom Heiligen Geist und die Herz-Jesu-Damen. Der anhaltende und zunehmende Widerstand der Kirche und die Missachtung der Gesetze von 1871/1872 führten zu Änderungen der Verfassung und zum Erlass weiterer Gesetze. Um diese Gesetze zu erleichtern, wird die preußische Verfassung geändert.
  • 20. September: Die preußischen Bischöfe protestieren auf einer Konferenz in Fulda gegen die kirchenfeindlichen Verordnungen.
  • 23. Dezember: Der Papst prangert in einer Ansprache an seine Kardinäle die neuen Gesetze als Kirchenverfolgung an.

1873

Rudolf Virchow, 1861
  • 17. Januar: Der Begriff Kulturkampf kommt ins Spiel. In der Debatte über das Gesetz über die Ausbildungsbedingungen für die Anstellung von Geistlichen sagte ein progressiver Abgeordneter im preußischen Landtag, der bedeutende Mediziner und Pionier des öffentlichen Gesundheitswesens, Rudolf Virchow: "Ich habe die Überzeugung, es handelt sich hier um einen großen Kulturkampf". Er wiederholte diesen Ausdruck in einem Aufruf zur Abstimmung der Deutschen Fortschrittspartei am 23. März 1873. Er wird in der katholischen Presse ironisch aufgegriffen und verspottet und in der liberalen enthusiastisch verteidigt.
  • 30. Januar: Während die Gesetze im Parlament debattiert werden, reichen die preußischen Bischöfe einen Protest gegen die geplante Gesetzgebung ein und kündigen in einer Denkschrift ihren Widerstand gegen die neuen Gesetze an.
  • 5. April: Preußen, Änderung der Paragraphen 15, 16 und 18 der Preußischen Verfassung:
    • In Artikel 15 wird der Satz "Die evangelische und die römisch-katholische Kirche, wie auch jede andere Religionsgemeinschaft, regelt und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig" ergänzt durch "bleiben aber den Gesetzen des Staates und seiner gesetzlich geregelten Aufsicht unterworfen". Es wird hinzugefügt, dass dies auch für den Besitz oder die Nutznießung von Einrichtungen für Religion, Unterricht, Wohltätigkeit, Stiftungen und Fonds gilt.
    • Paragraph 16, der den uneingeschränkten Umgang der Religionsgemeinschaften mit ihren Senioren und öffentlichen Bekanntmachungen nach allgemeinen Vorschriften regelt, wurde aufgehoben.
    • Abschnitt 18 hob das Recht des Staates auf, Geistliche für ein Amt zu ernennen, zu nominieren, zu wählen oder zu bestätigen. Die Novelle fügte jedoch hinzu, dass der Staat die für kirchliche Ämter erforderliche Mindestausbildung, die Ernennung und Entlassung von Geistlichen und Religionsdienern regeln und die Grenzen der kirchlichen Disziplinarmaßnahmen festlegen kann.
  • 2. Mai: Die Bischöfe geben ein gemeinsames Hirtenschreiben heraus, in dem sie den Gläubigen die Notwendigkeit des einmütigen und passiven Widerstands gegen diese Gesetze erklären.
  • 11-14 Mai: Vier "Maigesetze" wurden 1873 verabschiedet und traten am 11. und 14. Mai desselben Jahres in Kraft.
  • 26. Mai: Die Bischöfe geben einen weiteren Hirtenbrief heraus, in dem sie die Gläubigen zum Widerstand gegen die neuen Gesetze auffordern und der preußischen Regierung mitteilen, dass sie bei deren Ausführung nicht mitwirken werden. Die Pfarrgemeinderäte weigerten sich, neue Pfarrer zu wählen oder Pfarrverwalter zu akzeptieren. Exilierte oder inhaftierte Bischöfe nutzten Netzwerke im Untergrund. Die Bischöfe von Münster und Paderborn verweigerten das Kulturexamen für ihre Priesterseminare und ernannten Priester, ohne die Behörden zu informieren. Kleriker, die sich dem Auftrag der Bischöfe unterwarfen, wurden sofort mit den gesetzlich vorgeschriebenen Strafen belegt. In Hunderten von Fällen wurden Geldstrafen verhängt, und die Kleriker weigerten sich zu zahlen, woraufhin die Regierung zu Gewalt griff, entweder durch Beschlagnahmung oder durch eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren.
  • 21. November: In seiner Enzyklika Etsi multa über die Verfolgung der Kirche in Italien, Deutschland und der Schweiz schreibt der Papst über Deutschland: "Kein Wunder also, dass die frühere religiöse Ruhe in diesem Reich durch diese Art von Gesetzen und andere Pläne und Maßnahmen der preußischen Regierung, die der Kirche sehr feindlich sind, schwer gestört wurde. Aber wer wollte die Schuld an dieser Störung fälschlicherweise den Katholiken des Deutschen Reiches zuschieben!" Er behauptete, die Freimaurerei sei die treibende Kraft hinter dem Kulturkampf.
Ludwig Windthorst, 1872

Das Wort „Kulturkampf“ wurde das erste Mal 1840 in der in Freiburg im Breisgau erscheinenden katholischen Zeitschrift für Theologie verwendet. Es taucht dort in einer anonymen Rezension einer Schrift des Radikalen Ludwig Snell über „Die Bedeutung des Kampfes der liberalen katholischen Schweiz mit der römischen Kurie“ auf und bezeichnete in dem Artikel den Konflikt zwischen liberalen Schweizer Katholiken mit der römischen Kurie.

Maigesetze

Die Falk-Gesetze oder "Maigesetze" waren eine Reihe von Gesetzen, die vom preußischen Parlament in den Jahren 1873, 1874 und 1875 verabschiedet wurden. Vier der 1873 verabschiedeten Gesetze traten am 11. und 14. Mai desselben Jahres in Kraft:

1. Gesetz über den Religionsaustritt, das es einer Person ermöglichte, ihre Verbindung zur Kirche durch eine einfache Erklärung vor einem Friedensrichter zu lösen. Diese Erklärung befreite ihn von allen zivilen Auswirkungen der Zugehörigkeit zu einer Kirche, insbesondere von kirchlichen Lasten und Abgaben.
2. Gesetz über kirchliche Disziplinarmaßnahmen, das die Ausübung von kirchlichen Strafen und Disziplinarmitteln, die sich gegen Leben, Eigentum, Freiheit oder Ehre der Bürger richten, einschränkt. Dazu gehörte die Verhängung der großen Exkommunikation, wenn sie mit dem Namen des Schuldigen verkündet wurde, wegen möglicher Störungen des zivilen und gesellschaftlichen Verkehrs. Die Disziplinarmaßnahmen beschränkten sich also fast vollständig auf den geistlichen Bereich (siehe staatliches Gewaltmonopol).
3. Das kirchliche Disziplinarrecht über die kirchliche Disziplinargewalt und die Einrichtung des Königlichen Gerichtshofs für kirchliche Angelegenheiten. Damit wurde die katholische Kirche nicht nur in äußeren, sondern auch in inneren Angelegenheiten der staatlichen Gerichtsbarkeit unterworfen. Das Gesetz regelte die Ausübung der Disziplinargewalt der kirchlichen Behörden gegen ihre Amtsträger wegen besonderer Pflichtverletzungen. Die Mitglieder des Gerichts mussten Deutsche mit Wohnsitz in Deutschland sein. Körperliche Züchtigung durch die Kirche war gänzlich verboten, Geldstrafen waren auf Höchstbeträge beschränkt, Freiheitsbeschränkungen durften nur in der Verbannung in eine kirchliche Einrichtung innerhalb Deutschlands bestehen, die nicht länger als drei Monate und nicht gegen den Willen des Betroffenen erfolgen durfte. Andererseits erhielt das neue Gericht auch die Zuständigkeit für kirchliche Amtsträger, die gegen die staatlichen Gesetze verstoßen.
Mit diesem Gesetz sollte der deutsche Klerus von jeglicher Gerichtsbarkeit außerhalb des Staates befreit werden. Daher waren Urteile des Heiligen Stuhls oder der Römischen Rota für sie nicht bindend. Das oberste Gericht setzte sich aus preußischen Geistlichen zusammen, die alle mit Genehmigung der preußischen Zivilbehörden ernannt wurden. Die juristischen und strafrechtlichen Befugnisse der Kirche wurden dadurch eingeschränkt, dass Kleriker, die z. B. von der Kirche bestraft wurden, weil sie sich den Kulturkampfgesetzen nicht widersetzt hatten, den Königlichen Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten anrufen konnten. Bischöfe, die diesem Gesetz zuwiderhandeln, können abgesetzt werden.
4. Bildungsnormen und Standesamtsgesetz über die Ausbildung und Ernennung von Priestern. Für die evangelische Kirche waren diese Vorschriften bereits seit langem in Kraft. Alle Männer, die für das Priesteramt vorgesehen waren, mussten ein Abitur an einem deutschen Gymnasium ablegen und 3 Jahre Theologie an einer deutschen Universität studieren.
Alle Ernennungen von Klerikern mussten vom Staat genehmigt werden. Die Ausbildung und Ernennung der Geistlichen stand damit unter staatlicher Aufsicht. Die traditionelle Ausbildung der Geistlichen sollte durch eine moderne Ausbildung an einer liberalen deutschen Einrichtung ersetzt werden, um sicherzustellen, dass die Priesteramtskandidaten vom Geist des Säkularismus durchdrungen sind. Außerdem konnten kirchliche Ämter nur mit Genehmigung der obersten zivilen Behörde der jeweiligen Provinz besetzt werden, womit die alte Praxis der Laieninvestitur im Wesentlichen wiederbelebt wurde.

1874

  • 9. März: Preußisches Standesamtsgesetz (Geburt, Heirat, Tod). Das gleiche Gesetz wurde am 6. Februar 1875 für das gesamte Reich verabschiedet.
  • 4. Mai: Das Reichsausbürgerungsgesetz sollte die Ausübung kirchlicher Aufgaben durch Kleriker ohne die erforderliche Zustimmung der Behörden eindämmen. Das Gesetz sah vor, dass ein Kleriker in solchen Fällen nach einer rechtskräftigen Verurteilung aus seiner Gemeinde verbannt oder an einen anderen Ort innerhalb des Reiches verwiesen und im Wiederholungsfall ausgebürgert und ausgewiesen wurde.
  • 20. Mai: Preußisches Gesetz über die Verwaltung der vakanten Bistümer. Nach dem Gesetz vom 11. Mai 1873 sollten für vakante Bistümer Verwalter gewählt werden, die Laien ermächtigten, Verwaltungsaufgaben auf Gemeindeebene zu übernehmen. In diesem Zusatzgesetz wurde festgelegt, dass, falls kein Verwalter nach dem Gesetz gewählt wird, die Verwaltung durch einen staatlichen Superintendenten erfolgen soll.
  • 13. Juli: In der Stadt Bad Kissingen versucht Eduard Kullmann, Bismarck mit einer Pistole zu ermorden, trifft aber nur seine Hand. Kullmann gab als Grund für sein Attentat die Kirchengesetze an und wurde zu 14 Jahren Zuchthaus mit harter Zwangsarbeit verurteilt. Das Attentat führte zu einer Verschärfung der Kulturkampfmaßnahmen.

1875

  • 5. Februar: Die Enzyklika Quod Nunquam erklärt die Maigesetze für ungültig, "da sie der göttlichen Ordnung der Kirche völlig zuwiderlaufen". Die katholische Zeitung Westfälischer Merkur veröffentlicht als erste in Deutschland am 18. desselben Monats den gesamten Text. Alle folgenden Zeitungen, die die Enzyklika veröffentlichten, wurden beschlagnahmt.
  • 22. April: Das Preußische Zahlungsgesetz (Brotkorbgesetz) stellt die staatlichen Subventionen und Zahlungen für die katholischen Bistümer und Kleriker ein, sofern diese nicht eine Erklärung zur Einhaltung aller Gesetze unterzeichnen.
  • 31. Mai: Preußisches Kongregationsgesetz, das die Auflösung aller Orden innerhalb von 6 Monaten vorsieht, mit Ausnahme derjenigen, die sich mit der Krankenpflege befassen. Für Lehrorden kann die Frist verlängert werden.
  • 20. Juni: Preußisches Gesetz über die Verwaltung der Kirchenfinanzen, das eine Vertretung und einen von der Gemeinde gewählten Rat für die Verwaltung des Vermögens vorsieht.
  • 4. Juli: Preußisches Altkatholisches Kirchenberechtigungsgesetz, das altkatholischen Gemeinden ab einer bestimmten Größe das Recht gibt, katholische Kirchen und Friedhöfe zu nutzen.

1876

Die letzten beiden Gesetze aus dem Jahr 1876 hatten keine praktische Bedeutung mehr:

  • Am 26. Februar: Die mögliche Bestrafung von Verstößen gegen das Kanzelgesetz wurde auf Veröffentlichungen ausgedehnt.
  • 7. Juni: Das Staatsaufsichtsgesetz sah die staatliche Aufsicht über das gesamte Kirchenvermögen in den katholischen Diözesen Preußens vor.

Milderungs- und Friedensgesetze, 1878-1887

Papst Leo XIII. (um 1898)

Die politische Lage in Europa war sehr instabil. Ursprünglich als möglicher Feind der deutschen Einigung unter preußischer Führung angesehen, wurden Österreich und Deutschland sehr schnell Freunde und schlossen 1879 die Duale Allianz. Auch die Möglichkeit eines Krieges mit Frankreich oder Russland wurde immer unwahrscheinlicher. Daher rückten soziale und wirtschaftliche Probleme in den Vordergrund, und Bismarcks Aufmerksamkeit wandte sich allmählich anderen Themen zu, die er für bedrohlicher hielt, wie die zunehmende Popularität der Sozialisten oder wichtigere wie Fragen der Einfuhrzölle. In diesen Fragen konnte er sich entweder nicht auf die Unterstützung der Liberalen verlassen, um seine Ziele zu verfolgen, oder sie reichten nicht aus, um eine Mehrheit zu bilden. Bismarck hatte sich mit der zunehmenden Heftigkeit des Kulturkampfes nicht wohl gefühlt. Im Hinblick auf den Aufstieg der Zentrumspartei hatten sich die Gesetze als äußerst unwirksam und sogar kontraproduktiv erwiesen. Er erkannte bald, dass sie im Kampf gegen die Zentrumspartei keine Hilfe waren, und was die Trennung von Staat und Kirche betraf, hatte er mehr erreicht, als er wollte.

Um Unterstützung für seine antisozialistischen Gesetze und Handelsschutzzölle zu gewinnen, wandte sich Bismarck von der Partei ab, wandte sich Bismarck von den Liberalen ab und suchte nach neuen Bündnissen. Der Tod von Pius IX. am 7. Februar 1878 öffnete die Tür für eine Einigung mit der katholischen Kirche. Der neue Papst Leo XIII. zeigte sich pragmatisch und versöhnlich und brachte seinen Friedenswunsch in einem Brief an den preußischen König noch am Tag seiner Wahl zum Ausdruck, dem noch im selben Jahr ein zweiter Brief mit ähnlichem Inhalt folgte.

Bismarck und der Papst traten in direkte Verhandlungen ohne Beteiligung der Kirche und des Reichstags ein, jedoch zunächst ohne großen Erfolg. So kam es, dass Falk, der von den Katholiken heftig angefeindet wurde, am 14. Juli 1879 zurücktrat, was als Friedensangebot an den Vatikan gewertet werden konnte. Ein entscheidender Impuls kam erst im Februar 1880, als der Vatikan unerwartet dem Standesamt für Kleriker zustimmte. Als der Kulturkampf langsam ausklingt, führen die Gespräche zu einer Reihe von sogenannten Milderungs- und Friedensgesetzen, die bis 1887 verabschiedet werden.

  • 1880 Juli: Das Erste Milderungsgesetz erlaubt den preußischen Diözesen wieder staatliche Zahlungen und befreit die Bischöfe vom Treueeid auf die preußischen Gesetze. Daraufhin werden vier neue Bischöfe eingesetzt, deren Sitze nach dem Tod früherer Bischöfe unbesetzt geblieben waren. Katholische Vereine, die sich mit der Krankenpflege befassen, werden wieder zugelassen.
  • 1882: Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Preußen (nicht Deutschland) und dem Vatikan, die 1872 abgebrochen worden waren
  • 1882 Mai 31: Das Zweite Milderungsgesetz erlaubt den Verzicht auf staatliche Prüfungen für Kleriker
  • 1883 Juli: Das Dritte Milderungsgesetz legalisiert alle religiösen Handlungen von Bischöfen und in bestimmten Fällen kann der König abgesetzte Bischöfe begnadigen. 280 abgesetzte Kleriker wurden begnadigt.

Am 29. September 1885 schlug Bismarck als weiteres Zeichen des Friedens den Papst als Schiedsrichter in einem Streit mit Spanien über die Karolinen vor und akzeptierte dessen Urteil zugunsten von Spanien. Aus Dankbarkeit, aber zum großen Entsetzen der Katholiken, verlieh der Papst Bismarck den Höchsten Christusorden, den höchsten Ritterorden, den der Heilige Stuhl zu vergeben hat. Bismarck war der einzige Protestant, der diese Auszeichnung je erhalten hat.

Nach weiteren Verhandlungen zwischen Preußen und dem Vatikan verabschiedete das preußische Parlament zwei weitere Gesetze, die einige der Kulturkampfgesetze änderten.

  • 1886 Mai 21: Mit dem Ersten Friedensgesetz werden einige Bestimmungen des Erziehungs- und Standesamtsgesetzes vom 11. Mai 1873 geändert und die Staatsexamina für Geistliche (Verzicht im Zweiten Milderungsgesetz vom 31. Mai 1882) ganz abgeschafft. Die bischöflich-theologischen Akademien und Seminare sowie das Theologiestudium an diesen Einrichtungen wurden wieder zugelassen. Die Studenten durften in katholischen Internaten (Konvikts) einquartiert werden. Der Staat erkannte die päpstliche Disziplinargewalt an und schaffte den Königlichen Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten ab.
  • 1887 April 26: Das Zweite Friedensgesetz lässt alle Orden außer den Jesuiten in Preußen wieder zu

Am 23. Mai 1887 erklärte der Papst: "Der Kampf, der der Kirche geschadet und dem Staat nichts genützt hat, ist beendet". Die Milderungs- und Friedensgesetze stellten die innere Autonomie der katholischen Kirche wieder her, während die wichtigsten Vorschriften und Gesetze zur Trennung von Kirche und Staat beibehalten wurden (standesamtliche Eheschließung, Standesamt, Religionslosigkeit, staatliche Schulaufsicht, Standesamt für Geistliche, Verbot der Jesuiten, Kanzelgesetz, staatliche Aufsicht über das Kirchenvermögen, Verfassungsänderungen und die katholische Abteilung im Kultusministerium wurde nicht wieder eingeführt).

Die jeweiligen Oppositionsparteien im Reichstag kritisierten die Zugeständnisse des Vatikans und der preußischen Regierung heftig. Windthorst und die Zentrumspartei waren bestürzt darüber, dass sie bei den Zugeständnissen des Papstes, z. B. beim Jesuitenverbot oder dem Standesamt für Geistliche, übergangen und nicht konsultiert wurden. Keine der Hauptforderungen der Partei wurde erfüllt. Stattdessen stellte sich der Papst in nicht-religiösen Fragen sogar auf die Seite Bismarcks und setzte die Zentrumspartei unter Druck, Bismarck zu unterstützen oder sich zumindest der Stimme zu enthalten, z. B. in der Frage des heiß diskutierten Septennats 1887 (7-jähriger Militärhaushalt). Viele Liberale, insbesondere Falk, lehnten die Zugeständnisse Bismarcks an die Kirche ab.

Das Erstarken der Zentrumspartei wurde als großer Rückschlag für Bismarck angesehen, obwohl dies nie öffentlich zugegeben wurde. Doch trotz der starken katholischen Vertretung im Reichstag wurden die politische Macht und der Einfluss der Kirche in der Öffentlichkeit und ihre politische Macht stark eingeschränkt.

Obwohl zwischen Deutschland und dem Vatikan nach 1878 offiziell Frieden herrschte, hielten die religiösen Konflikte und Spannungen an. Um die Jahrhundertwende verkündete Papst Pius X. die Enzyklika Pascendi dominici gregis, in der er neue Angriffe auf die historische Kritik an biblischen Texten und jede Anpassung des Katholizismus an die moderne Philosophie, Soziologie oder Literatur unternahm. Ab 1910 mussten Kleriker einen Eid gegen alle Formen des Modernismus ablegen, eine Anforderung, die später auch auf katholische Religionslehrer an Schulen und Professoren der katholischen Theologie ausgedehnt wurde, was zu intensiven politischen und öffentlichen Debatten und neuen Konflikten mit dem Staat führte.

Auswirkungen und Folgen

Die Abschaffung der katholischen Abteilung des preußischen Ministeriums für Kirchen- und Schulwesen beraubte die Katholiken ihrer Stimme auf höchster Ebene. Das System der strengen staatlichen Schulaufsicht wurde nur in katholischen Gebieten angewandt; die protestantischen Schulen wurden in Ruhe gelassen. Die Schulpolitik entfremdete auch protestantische Konservative und Kirchenmänner.

Der britische Botschafter Odo Russell berichtete im Oktober 1872 nach London, dass Bismarcks Pläne nach hinten losgingen und die ultramontane (pro-päpstliche) Position innerhalb des deutschen Katholizismus stärkten:

Die deutschen Bischöfe, die in Deutschland politisch machtlos waren und theologisch in Opposition zum Papst in Rom standen, sind nun zu mächtigen politischen Führern in Deutschland und begeisterten Verteidigern des nunmehr unfehlbaren Glaubens Roms geworden, geeint, diszipliniert und nach dem Märtyrertod dürstend, dank Bismarcks unangebrachter antiliberaler Kriegserklärung an die Freiheit, die sie bis dahin friedlich genossen hatten.

Fast alle deutschen Bischöfe, Kleriker und Laien lehnten die Rechtmäßigkeit der neuen Gesetze ab und stellten sich trotzig den immer härteren Strafen, Prozessen und Inhaftierungen. 1878 hatten nur noch drei von acht preußischen Diözesen Bischöfe, rund 1.125 von 4.600 Pfarreien waren unbesetzt, fast 1.800 Priester landeten im Gefängnis oder im Exil, fast die Hälfte der Mönche und Nonnen hatte Preußen verlassen, ein Drittel der Klöster und Stifte war geschlossen. Zwischen 1872 und 1878 wurden zahlreiche katholische Zeitungen beschlagnahmt, katholische Vereine und Versammlungen aufgelöst und katholische Beamte nur unter dem Vorwand entlassen, ultramontane Sympathien zu hegen. Tausende von Laien wurden inhaftiert, weil sie den Priestern geholfen hatten, die neuen Strafgesetze zu umgehen.

Die allgemeine ideologische Begeisterung der Liberalen für den Kulturkampf stand im Gegensatz zu Bismarcks pragmatischer Haltung gegenüber den Maßnahmen und dem wachsenden Unbehagen der Konservativen. Neben der deutlichen Kritik der katholischen Kirche und der Zentrumspartei an den Kulturkampfgesetzen gab es auch eine Reihe von Liberalen und Protestanten, die sich zumindest besorgt über die sogenannten "Kampfgesetze" äußerten. "Unbehagen über die Auswirkungen seines Programms machte sich bei allen außer den bigottesten Priesterhassern und den dogmatischsten Liberalen breit". Solche namhaften Kritiker außerhalb des katholischen Lagers waren Friedrich Heinrich Geffcken, Emil Albert Friedberg oder Julius von Kirchmann. Obwohl sie Befürworter der staatlichen Überlegenheit waren, betrachteten sie einige der Gesetze entweder als unwirksam oder als Einmischung in innerkirchliche Angelegenheiten und nicht im Einklang mit liberalen Werten. Geffcken schrieb, dass "in der Absicht, die Laien von der Hierarchie zu emanzipieren, die Hauptmasse der Katholiken in Phalanx in die Hände von Führern gebracht wurde, denen sie abgerungen werden sollte. Aber der Staat kann nicht auf Dauer gegen ein Drittel der Bevölkerung kämpfen, er hat keine Mittel, einen solchen passiven, von religiösem Fanatismus getragenen und organisierten Widerstand zu brechen. Wenn ein Staatsmann von der Richtigkeit einer Maßnahme abrät, so kommt es nur darauf an, dass er die Macht hat, sie durchzusetzen." Selbst Bismarck, der in diesen Maßnahmen zunächst eine Reihe taktischer politischer Vorteile sah, z. B. für seine Unterdrückungspolitik gegenüber der polnischen Bevölkerung, bemühte sich, sich von der Härte ihrer Durchsetzung zu distanzieren."

Das Kulturkampfgesetz, das als das härteste gilt und in Europa keine Entsprechung hat, war das Ausbürgerungsgesetz. Verabschiedet von einer liberalen Mehrheit im Parlament, sah es die Verbannung als eine Strafe vor, die von allen zivilisierten Völkern als die härteste nach der Todesstrafe angesehen wurde.

Was die Zentrumspartei anbelangt, so hatten diese Maßnahmen nicht die Wirkung, die Bismarck im Sinn hatte. Bei den Landtagswahlen im November 1873 wuchs sie von 50 auf 90 Sitze und bei den Reichstagswahlen von 63 auf 91. Auch die Zahl der katholischen Zeitschriften nahm zu; 1873 waren es etwa 120.

Der Kulturkampf bot den Säkularisten und Sozialisten die Gelegenheit, alle Religionen anzugreifen, was die protestantischen Führer und insbesondere Bismarck selbst, der ein frommer, pietistischer Protestant war, in Bedrängnis brachte.

Angesichts der systematischen Missachtung verschärfte die Regierung Bismarck die Strafen und Angriffe und wurde 1875 herausgefordert, als eine päpstliche Enzyklika die gesamte Kirchengesetzgebung Preußens für ungültig erklärte und jedem Katholiken, der sich daran hielt, die Exkommunikation androhte. Es kam nicht zu Gewalttätigkeiten, aber die Katholiken mobilisierten ihre Unterstützung, gründeten zahlreiche Bürgervereine, sammelten Geld, um die Geldstrafen zu bezahlen, und scharten sich hinter ihre Kirche und die Zentrumspartei.

Zu Bismarcks Überraschung stellte sich die Konservative Partei, insbesondere die Junker aus seiner eigenen Grundbesitzerklasse in Ostpreußen, auf die Seite der Katholiken. Sie waren Protestanten und mochten den Papst nicht, aber sie hatten viel mit der Zentrumspartei gemeinsam. Die Konservativen kontrollierten ihre örtlichen Schulen und wollten nicht, dass Bürokraten aus Berlin sie übernahmen. Sie waren den Liberalen gegenüber feindselig eingestellt, da sie Angst vor dem Freihandel hatten, der sie in Konkurrenz zu den Vereinigten Staaten und anderen Getreideexporteuren bringen würde, und ihnen deren weltliche Ansichten missfielen. In der preußischen Legislative stellten sie sich in der Schulfrage auf die Seite der Zentrumspartei. Bismarck war wütend und trat vom Amt des preußischen Ministerpräsidenten zurück (er blieb jedoch Kanzler des Deutschen Reiches), indem er einem Verbündeten sagte: "In der Innenpolitik habe ich durch den unpatriotischen Verrat der konservativen Partei in der katholischen Frage den Boden verloren, der für mich akzeptabel ist." In der Tat waren viele von Bismarcks konservativen Freunden in der Opposition. So auch Kaiser Wilhelm I., der König von Preußen, der die Zivilehe als Bestandteil des Kulturkampfes entschieden ablehnte.

Der Kulturkampf machte die Katholiken entschlossener; sie antworteten nicht mit Gewalt, sondern mit Stimmen, und als die neu gegründete Zentrumspartei zu einer wichtigen Kraft im Reichstag wurde, gewann sie Unterstützung von nichtkatholischen Minderheiten, die sich durch Bismarcks Zentralisierung der Macht bedroht fühlten. Langfristig gesehen war das wichtigste Ergebnis die Mobilisierung der katholischen Wähler durch die Zentrumspartei und deren Beharren auf dem Schutz ihrer Kirche. So die Historikerin Margaret Anderson:

Die Bemühungen wurden nicht nur von ihren Gegnern so wahrgenommen, als zielten sie auf nichts Geringeres als die gewaltsame Assimilierung der katholischen Kirche und ihrer Anhänger an die Werte und Normen der protestantischen Mehrheit des Reiches ab.... [es veranlasste] Katholiken - junge und alte, Männer und Frauen, Kleriker und Laien, große und kleine Männer - dazu, ihren Priestern die Treue zu halten und sich den Gesetzen zu widersetzen.

Nachdem die Zentrumspartei bei den Wahlen von 1874 ihre Stimmenzahl verdoppelt hatte, wurde sie zweitstärkste Partei im nationalen Parlament und blieb für die nächsten 60 Jahre eine starke Kraft. Es wurde für Bismarck schwierig, ohne ihre Unterstützung eine Regierung zu bilden. Aus den jahrzehntelangen Erfahrungen im Kampf gegen den Kulturkampf haben die deutschen Katholiken, so Professor Margaret Anderson, die Demokratie gelernt. Sie stellt fest, dass der Klerus:

Sie erwarben ein pragmatisches, aber nichtsdestoweniger echtes Engagement für demokratische Wahlen, parlamentarische Verfahren und Parteipolitik - ein Engagement, in dem sie ihre Schäfchen ebenso durch ihre Praxis wie durch ihre Predigten schulten."

Antipolnischer Aspekt des Kulturkampfes

Studien, die den nationalistischen Aspekt des Kulturkampfes analysieren, verweisen auf seinen antipolnischen Charakter und Bismarcks Versuch, die polnischen Provinzen im Deutschen Reich zu germanisieren. Die Polen hatten schon lange vor der Vereinigung unter Diskriminierung und zahlreichen Unterdrückungsmaßnahmen in Deutschland gelitten. Diese Maßnahmen wurden nach der Gründung des Deutschen Reiches verschärft, und Bismarck war dafür bekannt, dass er den Polen besonders feindlich gesinnt war. Christopher Clark argumentiert, dass sich die preußische Politik in den 1870er Jahren angesichts der unübersehbaren polnischen Unterstützung für Frankreich im Deutsch-Französischen Krieg radikal änderte. Polnische Demonstrationen machten das polnische Nationalgefühl deutlich, und es wurden auch Aufrufe an polnische Rekruten gerichtet, aus der preußischen Armee zu desertieren - die jedoch unbeachtet blieben. Bismarck war empört und teilte dies dem preußischen Kabinett 1871 mit: Von der russischen Grenze bis zur Adria sind wir mit der kombinierten Propaganda von Slawen, Ultramontanen und Reaktionären konfrontiert, und es ist notwendig, unsere nationalen Interessen und unsere Sprache gegen solche feindlichen Handlungen offen zu verteidigen. Daher nahm der Kulturkampf in der Provinz Posen einen viel nationalistischeren Charakter an als in anderen Teilen Deutschlands. Bismarck war zwar kein entschiedener Befürworter der allgemeinen Kulturkampfziele der Liberalen, doch erkannte er in einigen von ihnen das Potenzial, die polnischen nationalen Bestrebungen zu unterdrücken, und machte bereitwillig davon Gebrauch. Während das Hauptziel der Liberalen die Trennung von Staat und Kirche war, die für eine demokratische und liberale Gesellschaft unerlässlich war, sah Bismarck ihren Nutzen darin, die polnische Bevölkerung von dem einzigen Träger und Hüter ihrer nationalen Identität zu trennen. Die preußischen Behörden ließen 185 Priester inhaftieren und zwangen Hunderte von ihnen ins Exil. Unter den Inhaftierten war auch der Primas von Polen, Erzbischof Mieczysław Ledóchowski. Ein Großteil der verbliebenen katholischen Priester musste seinen Dienst vor den Behörden versteckt fortsetzen. Obwohl die meisten der 185 inhaftierten Priester bis zum Ende des Jahrzehnts freigelassen wurden, wanderten diejenigen, die freigelassen wurden, aus. Die antipolnischen Aspekte des Kulturkampfes blieben in den polnischen Provinzen des Deutschen Reiches bis zum Ersten Weltkrieg bestehen.

Kulturkampf in Österreich

Die Wurzeln des Kulturkampfes in Österreich reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück. Jahrhundert zurück. Kaiser Joseph II. verfolgte eine Religionspolitik (später "Josephinismus" genannt), die für die Vorherrschaft des Staates in religiösen Angelegenheiten eintrat. Dies führte zu einer weitreichenden staatlichen Kontrolle über die katholische Kirche, einschließlich der Neuorganisation der Diözesen, der Regulierung der Anzahl der Messen, der Übertragung vieler Schulen in staatliche Hände, staatlich kontrollierter Seminare, der Begrenzung der Anzahl der Kleriker und der Auflösung zahlreicher Klöster. Proteste von Papst Pius VI. und sogar sein Besuch in Wien im Jahr 1782 blieben erfolglos. Im Konkordat von 1855, das den Höhepunkt des katholischen Einflusses in Österreich darstellte, wurden viele Rechte der katholischen Kirche, die ihr unter Joseph II. entzogen worden waren, wiederhergestellt (Eheschließung, teilweise Kontrolle der Zensur, des Elementar- und Sekundarschulwesens, volle Kontrolle über den Klerus und die Religionsfonds).

In den Jahren 1868 und 1869 hob das neu ernannte Kabinett von Kaiser Franz Joseph mit Genehmigung der Dezemberverfassung Teile des Konkordats durch mehrere liberale Reformen auf. Diese Reformen werden als die Maigesetze bezeichnet. Nach heftigen Protesten der katholischen Kirche wurde mit den Gesetzen vom 25. Mai 1868 und 14. Mai 1869 die Zivilehe wiederhergestellt, das Primar- und Sekundarschulwesen in die Hände des Staates gelegt, interkonfessionelle Schulen eingerichtet und die interkonfessionellen Beziehungen geregelt (z. B. Mischehen und das Recht der Kinder, ihren Glauben zu wählen).

In einem geheimen Konsistorium verurteilte Papst Pius IX. die Verfassung von 1867 und die Maigesetze als "leges abominabiles". In einem Hirtenbrief vom 7. September 1868 rief Bischof Franz-Josef Rudigier zum Widerstand gegen diese Maigesetze auf. Der Brief wurde jedoch beschlagnahmt, und Rudigier musste am 5. Juni 1869 vor Gericht erscheinen. Dieses Ereignis führte zu den ersten öffentlichen Demonstrationen der katholischen Bevölkerung überhaupt. Am 12. Juli 1869 wurde der Bischof zu einer Gefängnisstrafe von zwei Wochen verurteilt, später aber vom Kaiser begnadigt.

Die Maigesetze lösten einen schweren Konflikt zwischen Staat und Kirche aus. Nach der Verkündung der päpstlichen Unfehlbarkeit im Jahr 1870 hob Österreich das Konkordat von 1855 auf und schaffte es 1874 ganz ab. Im Mai 1874 wurde das Religionsgesetz offiziell anerkannt.

"Kulturkampf" im zeitgenössischen Sprachgebrauch

Vereinigte Staaten

Im späten 19. Jahrhundert kam es in den Vereinigten Staaten zu Kulturkriegen über Fragen der Prohibition und der Bildung. Das Bennett-Gesetz war ein höchst umstrittenes staatliches Gesetz, das 1889 in Wisconsin verabschiedet wurde und die Verwendung der englischen Sprache für den Unterricht in den Hauptfächern an allen öffentlichen und privaten Grund- und Oberschulen vorschrieb. Da die deutschen Katholiken und die Lutheraner in Wisconsin jeweils eine große Anzahl von Kirchenschulen betrieben, in denen Deutsch im Unterricht verwendet wurde, wurde das Gesetz von den deutsch-amerikanischen (und einigen norwegischen) Gemeinden erbittert abgelehnt. Obwohl das Gesetz schließlich aufgehoben wurde, hatte es erhebliche politische Auswirkungen: Die Republikaner verloren das Gouverneursamt und die Legislative, und die Demokraten wurden in den Senat und das Repräsentantenhaus gewählt.

In den Vereinigten Staaten bezieht sich der Begriff "Kulturkrieg(e)" auf den Konflikt zwischen religiösen Sozialkonservativen und säkularen Sozialliberalen im späten 20. und frühen 21. Dieses Thema des "Kulturkriegs" war die Grundlage für Patrick Buchanans Grundsatzrede auf dem Nationalkongress der Republikaner 1992. Bis 2004 war der Begriff in den Vereinigten Staaten sowohl bei Liberalen als auch bei Konservativen gebräuchlich.

In den 1980er Jahren kam es im Kongress und in den Medien zu Auseinandersetzungen über die staatliche Unterstützung für das National Endowment for the Arts und das National Endowment for the Humanities, die einem Krieg um die Hochkultur zwischen Neokonservativen und Paläokonservativen gleichkamen. Richter Antonin Scalia bezog sich in der Rechtssache Romer gegen Evans, 517 U.S. 620 (1996), auf diesen Begriff und sagte: "Das Gericht hat einen Kulturkampf mit einem Anfall von Bosheit verwechselt". In diesem Fall ging es um eine Änderung der Verfassung des Bundesstaates Colorado, die es allen Unterbehörden untersagte, Maßnahmen zum Schutz von Personen aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung zu ergreifen. Scalia vertrat die Auffassung, dass es sich bei der Änderung um eine zulässige Maßnahme der Bürger handelte, die "eine allgemeinere und daher schwierigere Ebene der politischen Entscheidungsfindung als andere" in Anspruch nehmen wollten. Die Mehrheit war anderer Meinung und vertrat die Auffassung, dass die Änderung gegen die Gleichheitsklausel des vierzehnten Verfassungszusatzes verstößt.

Israel

Der Begriff, der im Hebräischen mit Milhemet Tarbut (מלחמת תרבות) übersetzt wird, wird in den politischen Debatten Israels ebenfalls häufig mit ähnlichen Konnotationen verwendet - er wurde von Juden eingeführt, die in den 1930er Jahren aus Nazi-Deutschland flohen.

Maßnahmen

Maßnahmen auf Reichsebene

  • Dezember 1871: Im „Kanzelparagraphen“, einem Reichsgesetz zur Abänderung des Strafgesetzbuches, wird den Geistlichen verboten, bei Verlautbarungen in ihrem Beruf den „öffentlichen Frieden“ zu gefährden, wie es hieß.
  • Juli 1872: Die Jesuiten dürfen in Deutschland keine Niederlassungen errichten (Jesuitengesetz).
  • Februar 1875: Im Deutschen Reich wird die Zivilehe eingeführt. Die Regelung in Preußen (siehe unten) dient dabei als Vorbild.

Auswirkungen

Bei Beendigung des Konflikts waren 1800 katholische Pfarrer inhaftiert und Kircheneigentum im Wert von 16 Millionen sogenannte Goldmark (entspricht dem Gegenwert von 125 Millionen Euro) beschlagnahmt worden. Zu den auf Grund dieser Gesetze Verurteilten zählten unter anderem der Erzbischof von Posen Ledóchowski und der Trierer Bischof Matthias Eberhard. Ledóchowski wurde zur Höchststrafe von zwei Jahren verurteilt. Eberhard wurde als zweiter preußischer Bischof am 6. März 1874 verhaftet und zu einer Geldstrafe von 130.000 Mark und neun Monaten Haft verurteilt. Er starb sechs Monate nach seiner Haftentlassung auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes. Zum Zeitpunkt seines Todes standen 250 Priester vor Gericht, und 230 von 731 Pfarreien seiner Diözese waren vakant. Der Bischof von Münster, Johannes Bernhard Brinkmann, und der Bischof von Limburg, Peter Joseph Blum flohen ins Exil, die ihn unterstützenden preußischen Landräte Heinrich von Droste zu Hülshoff und Clemens Friedrich Droste zu Hülshoff wurden abgesetzt. Am 13. Juli 1874 verübte der katholische Handwerker Eduard Kullmann ein Attentat auf Bismarck, der dabei aber nur leicht verletzt wurde.

Der Historiker Manfred Görtemaker bezeichnete es als unzulässig, wie Papst Pius IX. von einer Verfolgung der Gläubigen zu sprechen. Es ging viel eher darum, konkret die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirchen zu brechen oder einzuschränken. Außerdem wurden 1872 die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan abgebrochen. Bismarck bekräftigte in einer Reichstagsrede seine Absicht, im Konflikt mit der katholischen Kirche „keinen Fußbreit nachzugeben“ („Nach Canossa gehen wir nicht!“).

Dimensionen des Kulturkampfes

Historiker haben in den letzten Jahrzehnten auf die unterschiedlichen Dimensionen des Konflikts hingewiesen.

Soziale Dimension

Der Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler, Mitbegründer der Zentrumspartei

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war der Liberalismus vor allem bürgerlich-städtisch geprägt. Die mit fortschreitender Industrialisierung immer stärker marginalisierte Landbevölkerung fand nur im Klerus einen Fürsprecher. Der Kulturkampf trägt daher auch Züge eines Klassenkampfes. Dabei standen bürgerliche Kaufleute und Industrielle einer Koalition aus antiliberalen Adligen, Geistlichen und der bäuerlich geprägten Landbevölkerung gegenüber.

Die Arbeiterschicht wurde gleichzeitig von Ultramontanen, Liberalen und Sozialisten umworben. Auf Anregung vor allem des Mainzer „Arbeiterbischofs“ Ketteler waren zahlreiche Christlich-Soziale Arbeitervereine entstanden, die allein im Ruhrgebiet Mitte der 1870er Jahre 30.000 Mitglieder hatten. Diese wohltätigen Vereine hatten gewerkschaftsähnliche Züge und lehnten etwa Streiks nicht ab. Sie litten unter den Auswirkungen des Kulturkampfes und danach (ab 1878) unter dem Sozialistengesetz; sie wurden in die Bedeutungslosigkeit gedrängt.

Politische Dimension

1867 wurde im Norddeutschen Bund und 1871 im Deutschen Reich das allgemeine, gleiche Männerwahlrecht eingeführt. Diese Ausweitung der Wählerbasis brachte rasche Wahlerfolge katholischer Parteien mit sich. Liberale politische Kräfte sahen dadurch ihren politischen Einfluss bedroht und versuchten die Beeinflussung katholischer Wähler durch den Klerus zu unterbinden. Ihre Bemühungen sorgten allerdings erst recht für eine politische Mobilisierung antiliberaler Geistlicher und Laien.

Kulturelle Dimension

Nach Ansicht des Historikers David Blackbourn trafen im deutschen Kulturkampf einander fremde kulturelle Lebensweisen aufeinander. Er weist dies insbesondere anhand des Beispiels der Marienerscheinungen in Marpingen 1876/1877 nach. Drei junge Mädchen berichteten, ihnen sei mehrmals im Härtelwald des saarländischen Dorfes Marpingen Maria erschienen. Die Erscheinungen, die von den Mädchen später widerrufen und von der katholischen Kirche nicht anerkannt wurden, zogen bereits nach wenigen Tagen Tausende von Pilgern an. Bald berichteten auch andere Kinder und Erwachsene, die Erscheinung gesehen zu haben, und es gab Berichte über wunderbare Heilungen. Die Menschenansammlungen erregten die Aufmerksamkeit der preußischen Behörden, die sehr bald das Gelände absperrten und Militär und Gerichte einsetzten, um die Pilgerströme nach Marpingen zu stoppen.

Ähnliches hatte sich bereits bei der Pilgerfahrt zum in Trier aufbewahrten Heiligen Rock ereignet, die im Jahre 1844 stattfand. Diese Zurschaustellung führte zu heftigen Debatten in der Öffentlichkeit. Sie war Auslöser für Otto von Corvins antiklerikales Buch Pfaffenspiegel und Rudolf Löwensteins Spottgedicht Freifrau von Droste-Vischering zum heil’gen Rock nach Trier ging im Kladderadatsch.

Der Ausdruck „Kulturkampf“

Aktueller Gebrauch

Das Wort Kulturkampf wird mittlerweile auch in vielen anderen Zusammenhängen verwendet. Es bezeichnet allgemein:

  • einen „Kampf“ zwischen verschiedenen Kulturkreisen (siehe dazu Samuel P. Huntingtons Buch Kampf der Kulturen) oder
  • einen Kampf um die „kulturelle Vorherrschaft“ und „kulturelle Identitäten“ innerhalb einer Gesellschaft oder zwischen einzelnen gesellschaftlichen Gruppen (siehe z. B. Alt-Right-Bewegung, Konservative Revolution, Neue Rechte, „Leitkultur“, Neue Linke, 68er-Bewegung, Identitätspolitik, Political Correctness, Cancel Culture, Wertewandel).

Im September 2008 erklärte z. B. der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen auf einem Kongress des Forums Deutscher Katholiken, dass er die Katholiken in Deutschland angesichts der aktuellen Diskussion um Gender-Mainstreaming und eine angebliche „Propagierung der Homosexualität“ in einem neuen Kulturkampf um „die reale Stärkung der Familie“ sehe.

Der norwegische Massenmörder Anders Breivik äußerte in seinem Prozess und in einem umfangreichen „Manifest“ die Meinung, Westeuropa werde schrittweise von „Marxisten und Multikulturalisten“ übernommen. Die Presse nahm auf diese Vorstellung mit dem Begriff Kulturkampf Bezug. Norwegische Neonazis unterstützten Breiviks Aussage, Norwegen befinde sich in einem Kulturkampf mit dem Islam.