Feudalismus

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Investitur eines Ritters (Miniatur aus den Statuten des 1352 von Ludwig I. von Neapel gegründeten Ordens des Knotens).
Burg Orava in der Slowakei. Eine mittelalterliche Burg ist ein traditionelles Symbol für eine feudale Gesellschaft.

Der Feudalismus, auch bekannt als Feudalsystem, war eine Kombination aus rechtlichen, wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Bräuchen, die im mittelalterlichen Europa zwischen dem 9. und 15. Im weitesten Sinne war es eine Art, die Gesellschaft auf der Grundlage von Beziehungen zu strukturieren, die sich aus dem Besitz von Land im Austausch gegen Dienste oder Arbeit ergaben. Obwohl sich der Begriff vom lateinischen Wort feodum oder feudum (Lehen) ableitet, das im Mittelalter verwendet wurde, wurden der Begriff Feudalismus und das von ihm beschriebene System von den Menschen des Mittelalters nicht als formales politisches System verstanden. Die klassische Definition von François Louis Ganshof (1944) beschreibt eine Reihe gegenseitiger rechtlicher und militärischer Verpflichtungen, die zwischen dem Kriegeradel bestanden und sich um die drei Schlüsselbegriffe Herren, Vasallen und Lehen drehten.

Eine weiter gefasste Definition des Feudalismus, wie sie von Marc Bloch (1939) beschrieben wird, umfasst nicht nur die Verpflichtungen des Kriegeradels, sondern die Verpflichtungen aller drei Stände des Reiches: des Adels, des Klerus und der Bauernschaft, die alle durch ein System der Grundherrschaft gebunden waren; dies wird manchmal als "Feudalgesellschaft" bezeichnet. Seit der Veröffentlichung von Elizabeth A. R. Browns "The Tyranny of a Construct" (1974) und Susan Reynolds' "Fiefs and Vassals" (1994) gibt es unter den Mittelalterhistorikern eine anhaltende Diskussion darüber, ob der Feudalismus ein nützliches Konstrukt zum Verständnis der mittelalterlichen Gesellschaft ist.

Feudalismus (wie „feudal“ zu lateinisch feudum/feodum ‚Lehen‘) bezeichnet in den Sozialwissenschaften vor allem die Gesellschafts- und Wirtschaftsform des europäischen Mittelalters.

Definition

Es gibt keine allgemein akzeptierte moderne Definition des Feudalismus, zumindest nicht unter Gelehrten. Das Adjektiv feudal ist seit mindestens 1405 gebräuchlich, und das Substantiv Feudalismus, das heute häufig in einem politischen und propagandistischen Kontext verwendet wird, wurde 1771 geprägt, parallel zum französischen féodalité.

Nach einer klassischen Definition von François Louis Ganshof (1944) beschreibt der Feudalismus eine Reihe gegenseitiger rechtlicher und militärischer Verpflichtungen, die unter dem Kriegeradel bestanden und sich um die drei Schlüsselbegriffe Herren, Vasallen und Lehen drehten, obwohl Ganshof selbst anmerkte, dass sich seine Behandlung nur auf den "engen, technischen, rechtlichen Sinn des Wortes" bezog.

Eine weiter gefasste Definition, wie sie in Marc Blochs Feudalgesellschaft (1939) beschrieben wird, umfasst nicht nur die Verpflichtungen des Kriegeradels, sondern die Verpflichtungen aller drei Stände des Reiches: des Adels, des Klerus und derjenigen, die von ihrer Arbeit lebten, vor allem der Bauernschaft, die durch ein System der Grundherrschaft gebunden war; diese Ordnung wird oft als "Feudalgesellschaft" bezeichnet, in Anlehnung an Blochs Verwendung.

Außerhalb des europäischen Kontextes wird das Konzept des Feudalismus oft in Analogie verwendet, vor allem in Diskussionen über das feudale Japan unter den Shogunen und manchmal in Diskussionen über die Zagwe-Dynastie im mittelalterlichen Äthiopien, die einige feudale Merkmale aufwies (manchmal als "halbfeudal" bezeichnet). Einige haben die Analogie zum Feudalismus weiter gefasst und sehen den Feudalismus (oder Spuren davon) an so unterschiedlichen Orten wie China während der Frühlings- und Herbstperiode (771-476 v. Chr.), dem alten Ägypten, dem Partherreich, dem Feudalismus auf dem indischen Subkontinent und den Antebellum-Südstaaten sowie den Jim Crow-Gesetzen im amerikanischen Süden.

Der Begriff Feudalismus wird auch - oft abwertend - auf nicht-westliche Gesellschaften angewandt, in denen Institutionen und Einstellungen vorherrschen, die denen im mittelalterlichen Europa ähnlich sind. Einige Historiker und Politiktheoretiker sind der Ansicht, dass der Begriff Feudalismus durch die vielen Verwendungsmöglichkeiten seiner spezifischen Bedeutung beraubt wurde, was sie dazu veranlasst, ihn als nützliches Konzept zum Verständnis der Gesellschaft abzulehnen.

Die Anwendbarkeit des Begriffs Feudalismus wurde auch im Zusammenhang mit einigen mittel- und osteuropäischen Ländern wie Polen und Litauen in Frage gestellt, wobei Wissenschaftler feststellten, dass die mittelalterliche politische und wirtschaftliche Struktur dieser Länder zwar einige, aber nicht alle Ähnlichkeiten mit den westeuropäischen Gesellschaften aufweist, die gemeinhin als feudal bezeichnet werden.

Etymologie

Herr Reinmar von Zweter, ein Minnesänger aus dem 13. Jahrhundert, wurde mit seinem Adelswappen im Codex Manesse abgebildet.

Die Wurzel des Begriffs "feudal" geht auf das proto-indoeuropäische Wort *péḱu zurück, das "Vieh" bedeutet, und hat in vielen anderen indoeuropäischen Sprachen Entsprechungen: Sanskrit pacu, "Vieh"; Latein pecus (vgl. pecunia) "Vieh", "Geld"; Althochdeutsch fehu, fihu, "Vieh", "Eigentum", "Geld"; Altfriesisch fia; Altsächsisch fehu; Altenglisch feoh, fioh, feo, fee. Der Begriff "féodal" wurde erstmals in französischen Rechtstraktaten aus dem 17. Jahrhundert (1614) verwendet und in englischen Rechtstraktaten als Adjektiv übersetzt, z. B. "feodal government".

Im 18. Jahrhundert prägte Adam Smith auf der Suche nach einer Beschreibung von Wirtschaftssystemen in seinem Buch The Wealth of Nations (1776) die Begriffe "Feudalregierung" und "Feudalsystem". Der Begriff "Feudalsystem" tauchte 1736 in Baronia Anglica auf, das neun Jahre nach dem Tod seines Autors Thomas Madox (1727) veröffentlicht wurde. 1771 führte John Whitaker in seinem Buch The History of Manchester erstmals das Wort "Feudalismus" und den Begriff der Feudalpyramide ein.

Der Begriff "feudal" oder "feodal" leitet sich von dem mittelalterlichen lateinischen Wort feodum ab. Die Etymologie des Wortes feodum ist komplex, und es gibt mehrere Theorien, von denen einige auf einen germanischen Ursprung hindeuten (die am weitesten verbreitete Ansicht), während andere auf einen arabischen Ursprung hindeuten. In den lateinischen Urkunden des europäischen Mittelalters wurde eine Landverleihung als Gegenleistung für Dienste zunächst als beneficium (lateinisch) bezeichnet. Später begann der Begriff feudum oder feodum das beneficium in den Dokumenten zu ersetzen. Der erste belegte Fall stammt aus dem Jahr 984, obwohl primitivere Formen bis zu hundert Jahre früher auftraten. Der Ursprung des feudum und die Gründe, warum es das beneficium ersetzt hat, sind nicht eindeutig geklärt, aber es gibt mehrere Theorien, die im Folgenden beschrieben werden.

Die am weitesten verbreitete Theorie stammt von Johan Hendrik Caspar Kern aus dem Jahr 1870 und wurde unter anderem von William Stubbs und Marc Bloch unterstützt. Kern leitete das Wort von einem vermuteten fränkischen Begriff *fehu-ôd ab, wobei *fehu "Vieh" und -ôd "Ware" bedeutet, was "ein beweglicher Wertgegenstand" impliziert. Bloch erklärt, dass es zu Beginn des 10. Jahrhunderts üblich war, Land in Geldwerten zu bewerten, dafür aber mit Gegenständen von gleichem Wert zu bezahlen, wie z. B. Waffen, Kleidung, Pferde oder Lebensmittel. Dies wurde als feos bezeichnet, ein Begriff, der die allgemeine Bedeutung einer Zahlung für etwas anstelle von Geld annahm. Diese Bedeutung wurde dann auf das Land selbst übertragen, wobei das Land zur Bezahlung von Lehnsansprüchen, z. B. gegenüber einem Vasallen, verwendet wurde. So wandelte sich das alte Wort feos, das bewegliches Eigentum bedeutet, nach und nach zu feus, das das genaue Gegenteil bedeutet: Grundbesitz. Es wird auch vermutet, dass das Wort aus dem gotischen faihu stammt, was "Eigentum", insbesondere "Vieh", bedeutet.

Eine andere Theorie wurde von Archibald Ross Lewis aufgestellt. Lewis zufolge ist der Ursprung von "Lehen" nicht feudum (oder feodum), sondern eher foderum, wobei die früheste belegte Verwendung in der Vita Hludovici (840) von Astronomus zu finden ist. In diesem Text findet sich eine Passage über Ludwig den Frommen, in der es heißt: "annona militaris quas vulgo foderum vocant", was mit "Ludwig verbot die Lieferung von Militärproviant (den sie im Volksmund "Futter" nennen)" übersetzt werden kann.

Eine andere Theorie von Alauddin Samarrai legt einen arabischen Ursprung nahe, von fuyū (der Plural von fay, was wörtlich "die Zurückgekehrten" bedeutet und insbesondere für "Land, das von Feinden erobert wurde, die nicht gekämpft haben" verwendet wurde). Samarrai geht davon aus, dass zu den frühen Formen von "Lehen" auch feo, feu, feuz, feuum und andere gehören, wobei die Vielzahl der Formen stark auf die Herkunft aus einem Lehnwort hindeutet. Die erste Verwendung dieser Begriffe findet sich im Languedoc, einem der am wenigsten germanischen Gebiete Europas, das an Al-Andalus (muslimisches Spanien) grenzt. Darüber hinaus kann die früheste Verwendung von feuum (als Ersatz für beneficium) auf das Jahr 899 datiert werden, demselben Jahr, in dem ein muslimischer Stützpunkt in Fraxinetum (La Garde-Freinet) in der Provence gegründet wurde. Samarrai zufolge ist es möglich, dass französische Schreiber in lateinischer Sprache versuchten, das arabische Wort fuyū (Plural von fay) zu transkribieren, das damals von den muslimischen Invasoren und Besatzern verwendet wurde, was zu einer Vielzahl von Formen führte - feo, feu, feuz, feuum und andere -, aus denen schließlich feudum entstand. Samarrai rät jedoch auch, mit dieser Theorie vorsichtig umzugehen, da mittelalterliche und frühneuzeitliche muslimische Schreiber oft etymologisch "phantasievolle Wurzeln" verwendeten, um die ausgefallensten Dinge als arabischen oder muslimischen Ursprung zu behaupten.

Geschichte

Der Feudalismus in seinen verschiedenen Ausprägungen entstand in der Regel als Folge der Dezentralisierung eines Reiches: insbesondere im Karolingerreich im 9. Jahrhundert n. Chr., dem die notwendige bürokratische Infrastruktur zur Unterstützung der Kavallerie fehlte, ohne diesen berittenen Truppen Land zuzuweisen. Die berittenen Soldaten begannen, sich ein System der erblichen Herrschaft über das ihnen zugewiesene Land zu sichern, und ihre Macht über das Territorium erstreckte sich auf den sozialen, politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Bereich.

Diese erworbenen Befugnisse schmälerten die einheitliche Macht in diesen Reichen erheblich. Sobald jedoch die Infrastruktur zur Aufrechterhaltung der einheitlichen Macht wiederhergestellt war - wie bei den europäischen Monarchien - begann der Feudalismus dieser neuen Machtstruktur zu weichen und verschwand schließlich.

Klassischer Feudalismus

Die klassische Version des Feudalismus von François Louis Ganshof beschreibt eine Reihe von wechselseitigen rechtlichen und militärischen Verpflichtungen, die zwischen dem Kriegeradel bestanden und sich um die drei Schlüsselbegriffe Herren, Vasallen und Lehen drehten. Im Großen und Ganzen war ein Herr ein Adliger, der Land besaß, ein Vasall war eine Person, der der Herr den Besitz des Landes gewährte, und das Land wurde als Lehen bezeichnet. Als Gegenleistung für die Nutzung des Lehens und den Schutz durch den Herrn musste der Lehnsmann dem Herrn eine Art von Dienst erweisen. Es gab viele verschiedene Arten von Lehnsverhältnissen, die sowohl militärische als auch nichtmilitärische Dienste umfassten. Die Verpflichtungen und entsprechenden Rechte zwischen Herr und Vasall in Bezug auf das Lehen bilden die Grundlage der feudalen Beziehung.

Lehnsrecht

Huldigung von Clermont-en-Beauvaisis

Bevor ein Herr jemandem Land (ein Lehen) gewähren konnte, musste er diese Person zu einem Vasallen machen. Dies geschah im Rahmen einer formellen und symbolischen Zeremonie, der so genannten Huldigungszeremonie, die aus einem zweiteiligen Akt der Huldigung und einem Lehnseid bestand. Bei der Huldigung schlossen Herr und Vasall einen Vertrag, in dem sich der Vasall verpflichtete, für den Herrn auf dessen Befehl zu kämpfen, während der Herr sich verpflichtete, den Vasallen vor äußeren Kräften zu schützen. Lehnstreue kommt aus dem Lateinischen fidelitas und bezeichnet die Treue, die ein Vasall seinem Lehnsherrn schuldet. Der Begriff "Treue" bezieht sich auch auf einen Eid, der die während der Huldigung eingegangenen Verpflichtungen des Vasallen noch deutlicher bekräftigt. Ein solcher Schwur folgt auf die Huldigung.

Sobald die Huldigungszeremonie abgeschlossen war, befanden sich der Herr und der Vasall in einer feudalen Beziehung mit vereinbarten gegenseitigen Verpflichtungen. Die Hauptverpflichtung des Vasallen gegenüber dem Herrn bestand in der "Hilfeleistung", also im Militärdienst. Mit der Ausrüstung, die der Vasall aufgrund der Einkünfte aus dem Lehen erhalten konnte, war er verpflichtet, im Namen des Herrn auf Aufforderungen zum Militärdienst zu antworten. Diese Sicherheit der militärischen Hilfe war der Hauptgrund, warum der Herr das Lehnsverhältnis einging. Darüber hinaus konnte der Vasall weitere Verpflichtungen gegenüber seinem Herrn haben, wie etwa die Anwesenheit an dessen Hof, sei es ein herrschaftlicher oder ein freiherrlicher Hof, die beide als Hofbarone bezeichnet wurden, oder am Hof des Königs.

Frankreich im späten 15. Jahrhundert: ein Mosaik von Feudalgebieten

Sie konnte auch darin bestehen, dass der Vasall "Rat" erteilte, d. h., wenn der Herr vor einer wichtigen Entscheidung stand, rief er alle seine Vasallen zusammen und hielt einen Rat ab. Auf der Ebene des Ritterguts konnte es sich dabei um eine recht banale Frage der Agrarpolitik handeln, aber auch um die Verurteilung von Straftaten durch den Grundherrn, in einigen Fällen sogar um die Todesstrafe. Was den Feudalhof des Königs betrifft, so konnte diese Beratung auch die Frage der Kriegserklärung umfassen. Dies sind Beispiele für den Feudalismus; je nach Zeit und Ort in Europa waren die feudalen Sitten und Gebräuche unterschiedlich.

Die feudale Revolution in Frankreich

Ursprünglich war die feudale Landvergabe als persönliche Bindung zwischen Herr und Vasall gedacht, doch mit der Zeit und der Umwandlung von Lehen in Erbbesitz wurde das System als eine Art "Bodenpolitik" (ein Ausdruck des Historikers Marc Bloch) verstanden. Im 11. Jahrhundert kam es in Frankreich zu einer "feudalen Revolution" oder "Mutation" und zu einer "Zersplitterung der Macht" (Bloch), die sich von der Entwicklung des Feudalismus in England, Italien oder Deutschland im gleichen Zeitraum oder später unterschied: Grafschaften und Herzogtümer begannen in kleinere Betriebe zu zerfallen, als Kastellane und niedere Grundherren die Kontrolle über lokale Ländereien übernahmen, und (wie es die comitalen Familien vor ihnen getan hatten) usurpierten/privatisierten die niederen Herren eine breite Palette von Vorrechten und Rechten des Staates, vor allem die höchst einträglichen Rechte der Justiz, aber auch Reisegebühren, Marktgebühren, Gebühren für die Nutzung von Wäldern, die Verpflichtung, die Mühle des Herrn zu benutzen, usw. (was Georges Duby kollektiv die "seigneurie banale" nannte). Die Macht wird in dieser Zeit immer persönlicher.

Diese "Zersplitterung der Macht" erfolgte jedoch nicht systematisch in ganz Frankreich, und in bestimmten Grafschaften (z. B. Flandern, Normandie, Anjou, Toulouse) konnten die Grafen die Kontrolle über ihre Ländereien bis ins 12. In einigen Regionen (wie der Normandie und Flandern) war das Vasallen- und Lehnssystem ein wirksames Instrument der herzoglichen und gräflichen Kontrolle, da es die Vasallen an ihre Herren band; in anderen Regionen führte das System jedoch zu erheblicher Verwirrung, zumal sich die Vasallen an zwei oder mehr Herren verpflichten konnten und dies auch häufig taten. Als Reaktion darauf wurde im 12. Jahrhundert die Idee des "Lehnsherrn" entwickelt (wobei die Verpflichtungen gegenüber einem Herrn als übergeordnet angesehen werden).

Ende des europäischen Feudalismus (1500-1850er Jahre)

Die meisten der militärischen Aspekte des Feudalismus endeten um 1500. Dies lag zum einen daran, dass das Militär nicht mehr aus Adelsheeren, sondern aus Berufskämpfern bestand, was den Machtanspruch des Adels schmälerte, zum anderen aber auch daran, dass der Schwarze Tod den Einfluss des Adels auf die unteren Klassen schwächte. Überreste des Feudalsystems blieben in Frankreich bis zur Französischen Revolution in den 1790er Jahren bestehen. Selbst als die ursprünglichen Feudalverhältnisse verschwunden waren, gab es noch viele institutionelle Überbleibsel des Feudalismus. Der Historiker Georges Lefebvre erklärt, wie Frankreich in einer frühen Phase der Französischen Revolution, in nur einer Nacht des 4. August 1789, die lang anhaltenden Überreste der Feudalordnung abschaffte. Sie verkündete: "Die Nationalversammlung schafft das Feudalsystem vollständig ab." erklärt Lefebvre:

Ohne Debatte nahm die Versammlung mit Begeisterung die Gleichheit der Besteuerung und die Ablösung aller herrschaftlichen Rechte an, mit Ausnahme derjenigen, die mit einer persönlichen Leibeigenschaft verbunden waren - diese sollten ohne Entschädigung abgeschafft werden. Andere Vorschläge folgten mit dem gleichen Erfolg: die Gleichheit der juristischen Strafen, die Zulassung aller zu öffentlichen Ämtern, die Abschaffung der Käuflichkeit von Ämtern, die Umwandlung des Zehnten in ablösbare Zahlungen, die Freiheit der Religionsausübung, das Verbot der Mehrfachbesetzung von Pfründen ... Die Privilegien der Provinzen und Städte wurden als letztes Opfer dargebracht.

Ursprünglich sollten die Bauern für die Befreiung von den Grundbesitzabgaben zahlen; diese Abgaben betrafen mehr als ein Viertel des Ackerlandes in Frankreich und stellten den Großteil der Einkünfte der Großgrundbesitzer dar. Die Mehrheit weigerte sich zu zahlen, und 1793 wurde die Verpflichtung aufgehoben. So bekamen die Bauern ihr Land frei und brauchten auch keinen Zehnten mehr an die Kirche zu zahlen.

Im Königreich Frankreich wurde der Feudalismus nach der Französischen Revolution mit einem Dekret der verfassungsgebenden Versammlung vom 11. August 1789 abgeschafft, eine Bestimmung, die später nach dem Einmarsch der französischen Truppen auf verschiedene Teile des italienischen Königreichs ausgedehnt wurde. Im Königreich Neapel schaffte Joachim Murat den Feudalismus mit dem Gesetz vom 2. August 1806 ab, das dann mit einem Gesetz vom 1. September 1806 und einem königlichen Dekret vom 3. Dezember 1808 umgesetzt wurde. Im Königreich Sizilien wurde das Abschaffungsgesetz vom sizilianischen Parlament am 10. August 1812 erlassen. Im Piemont wurde der Feudalismus durch die Edikte vom 7. März und 19. Juli 1797 von Karl Emanuel IV. abgeschafft, während im Königreich Sardinien, insbesondere auf der Insel Sardinien, der Feudalismus erst durch ein Edikt vom 5. August 1848 abgeschafft wurde.

Im Königreich Lombardei-Venetien wurde der Feudalismus mit dem Gesetz Nr. 342 vom 5. Dezember 1861 abgeschafft, das alle feudalen Bindungen aufhob. In Teilen Mittel- und Osteuropas wurde das System noch bis in die 1850er Jahre fortgeführt. Die Sklaverei in Rumänien wurde 1856 abgeschafft. In Russland wurde die Leibeigenschaft schließlich 1861 abgeschafft.

In Schottland trat am 28. November 2004 das Gesetz zur Abschaffung der Feudalherrschaft (Abolition of Feudal Tenure etc. (Scotland) Act 2000) in vollem Umfang in Kraft und beendete das schottische Feudalsystem. Das letzte Feudalregime, das der Insel Sark, wurde im Dezember 2008 abgeschafft, als die ersten demokratischen Wahlen für die Wahl eines lokalen Parlaments und die Ernennung einer Regierung stattfanden. Die "Revolution" ist eine Folge der juristischen Intervention des Europäischen Parlaments, das das lokale Verfassungssystem für menschenrechtswidrig erklärte und nach einer Reihe von juristischen Auseinandersetzungen die parlamentarische Demokratie einführte.

Feudale Gesellschaft

Darstellung der Sozietät auf dem königlichen Landgut im feudalen England, um 1310

Der Begriff "Feudalgesellschaft", wie er von Marc Bloch definiert wurde, ist breiter gefasst als der von Ganshof und schließt in die feudale Struktur nicht nur den durch Vasallität gebundenen Kriegeradel ein, sondern auch die durch Grundherrschaft gebundene Bauernschaft und die Stände der Kirche. Die Feudalordnung umfasst also die Gesellschaft von oben bis unten, auch wenn die "mächtige und ausdifferenzierte soziale Gruppe der städtischen Klassen" in gewissem Maße eine eigene Position außerhalb der klassischen Feudalhierarchie einnimmt.

Geschichtsschreibung

Die Idee des Feudalismus war unbekannt, und das System, das er beschreibt, wurde von den Menschen des Mittelalters nicht als formales politisches System begriffen. In diesem Abschnitt wird die Geschichte der Idee des Feudalismus beschrieben, wie das Konzept unter Gelehrten und Denkern entstand, wie es sich im Laufe der Zeit veränderte und wie es heute diskutiert wird.

Neo-Feudalismus bedeutet die teilweise oder umfassende Einführung feudalismus-analoger Organisationsformen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft während der Hochphase der kapitalistischen Entwicklung.

Entwicklung des Konzepts

Das Konzept eines Feudalstaates oder einer Feudalperiode im Sinne eines Regimes oder einer Periode, die von Herren beherrscht wird, die finanzielle oder soziale Macht und Prestige besitzen, wurde in der Mitte des 18. Jahrhunderts durch Werke wie Montesquieus De L'Esprit des Lois (1748; The Spirit of Law) und Henri de Boulainvilliers' Histoire des anciens Parlements de France (1737; auf Englisch veröffentlicht als An Historical Account of the Ancient Parliaments of France or States-General of the Kingdom, 1739). Im 18. Jahrhundert schrieben die Schriftsteller der Aufklärung über den Feudalismus, um das antiquierte System des Ancien Régime, der französischen Monarchie, zu verunglimpfen. Es war das Zeitalter der Aufklärung, in dem die Schriftsteller die Vernunft schätzten und das Mittelalter als "dunkles Zeitalter" betrachteten. Die Autoren der Aufklärung verspotteten im Allgemeinen alles, was aus dem "finsteren Mittelalter" stammte, einschließlich des Feudalismus, und projizierten dessen negative Eigenschaften auf die gegenwärtige französische Monarchie, um politische Vorteile zu erzielen. Für sie bedeutete "Feudalismus" die Privilegien und Vorrechte der Grundherren. Als die Französische Verfassunggebende Versammlung im August 1789 das "Feudalregime" abschaffte, war genau dies gemeint.

Adam Smith benutzte den Begriff "Feudalsystem", um ein soziales und wirtschaftliches System zu beschreiben, das durch vererbte soziale Ränge definiert war, von denen jeder mit sozialen und wirtschaftlichen Privilegien und Verpflichtungen verbunden war. In einem solchen System stammte der Reichtum aus der Landwirtschaft, die sich nicht nach den Kräften des Marktes richtete, sondern auf der Grundlage gewohnheitsmäßiger Arbeitsleistungen, die die Leibeigenen den grundbesitzenden Adligen schuldeten.

Karl Marx

Auch Karl Marx verwendete den Begriff im 19. Jahrhundert in seiner Analyse der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der Gesellschaft und bezeichnete den Feudalismus (oder allgemeiner die Feudalgesellschaft oder die feudale Produktionsweise) als die dem Kapitalismus vorausgehende Ordnung. Für Marx zeichnete sich der Feudalismus dadurch aus, dass die herrschende Klasse (die Aristokratie) die Kontrolle über das Ackerland ausübte, was zu einer Klassengesellschaft führte, die auf der Ausbeutung der Bauern beruhte, die diese Ländereien bewirtschafteten, in der Regel in Leibeigenschaft und vor allem durch Arbeits-, Produktions- und Geldrenten. Marx definierte den Feudalismus also in erster Linie über seine wirtschaftlichen Merkmale.

Er nahm ihn auch als Paradigma für das Verständnis der Machtverhältnisse zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern in seiner eigenen Zeit: "In vorkapitalistischen Systemen war es offensichtlich, dass die meisten Menschen ihr Schicksal nicht selbst in der Hand hatten - im Feudalismus zum Beispiel mussten die Leibeigenen für ihre Herren arbeiten. Der Kapitalismus scheint anders zu sein, weil die Menschen theoretisch frei sind, für sich selbst oder für andere zu arbeiten, wie sie wollen. Doch die meisten Arbeiter haben genauso wenig Kontrolle über ihr Leben wie die Leibeigenen im Feudalismus. Einige spätere marxistische Theoretiker (z. B. Eric Wolf) haben diese Bezeichnung auch auf außereuropäische Gesellschaften angewandt und den Feudalismus zusammen mit dem kaiserlichen China und dem Inkareich in der präkolumbianischen Ära als "tributpflichtige" Gesellschaften bezeichnet.

Spätere Studien

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert kamen J. Horace Round und Frederic William Maitland, beide Historiker des mittelalterlichen Britanniens, zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen hinsichtlich des Charakters der angelsächsischen englischen Gesellschaft vor der normannischen Eroberung im Jahr 1066. Round vertrat die Ansicht, dass die Normannen den Feudalismus mit nach England brachten, während Maitland behauptete, dass seine Grundlagen bereits vor 1066 in Großbritannien vorhanden waren. Die Debatte dauert bis heute an, doch herrscht Einigkeit darüber, dass es in England vor der Eroberung die commendation gab (die einige der persönlichen Elemente des Feudalismus verkörperte), während Wilhelm der Eroberer einen modifizierten und strengeren nordfranzösischen Feudalismus in England einführte, der (1086) einen Treueeid auf den König für alle Lehnsträger vorsah, selbst für die Vasallen seiner wichtigsten Vasallen (Lehnsträgerschaft bedeutete, dass die Vasallen die vom König geforderte Quote an Rittern stellen oder als Ersatz eine Geldzahlung leisten mussten).

Im 20. Jahrhundert boten zwei herausragende Historiker noch stärker voneinander abweichende Perspektiven. Der französische Historiker Marc Bloch, der wohl einflussreichste Mittelalterhistoriker des 20. Jahrhunderts, näherte sich dem Feudalismus nicht so sehr aus rechtlicher und militärischer, sondern aus soziologischer Sicht und präsentierte in Feudal Society (1939; dt. 1961) eine nicht nur auf den Adel beschränkte Feudalordnung. Es ist seine radikale Auffassung, dass die Bauern Teil des Feudalverhältnisses waren, die Bloch von seinen Kollegen abhebt: Während der Vasall im Austausch für das Lehen Militärdienst leistete, verrichtete der Bauer körperliche Arbeit im Gegenzug für Schutz - beide sind eine Form des Feudalverhältnisses. Nach Bloch lassen sich auch andere Elemente der Gesellschaft in feudalen Begriffen sehen; alle Aspekte des Lebens waren auf die "Herrschaft" ausgerichtet, und so können wir sinnvollerweise von einer feudalen Kirchenstruktur, einer feudalen höfischen (und anti-höfischen) Literatur und einer feudalen Wirtschaft sprechen.

Im Gegensatz zu Bloch definierte der belgische Historiker François Louis Ganshof den Feudalismus aus einer engen rechtlichen und militärischen Perspektive und vertrat die Auffassung, dass feudale Beziehungen nur innerhalb des mittelalterlichen Adels selbst bestanden. Ganshof formulierte dieses Konzept in Qu'est-ce que la féodalité? ("Was ist Feudalismus?", 1944; ins Englische übersetzt als Feudalism). Seine klassische Definition des Feudalismus ist heute unter Mittelalterforschern weithin anerkannt, auch wenn sie von denjenigen in Frage gestellt wird, die das Konzept weiter fassen, und von denjenigen, die in den adeligen Austauschbeziehungen keine ausreichende Einheitlichkeit sehen, um ein solches Modell zu stützen.

Georges Duby war ein Vertreter der Annalisten-Tradition, auch wenn er nie offiziell zu dem Kreis von Gelehrten um Marc Bloch und Lucien Febvre gehörte, der als Annales-Schule bekannt wurde. In einer 1952 veröffentlichten Fassung seiner Doktorarbeit mit dem Titel La société aux XIe et XIIe siècles dans la région mâconnaise (Die Gesellschaft im 11. und 12. Jahrhundert in der Region Mâconnais) untersuchte er auf der Grundlage der umfangreichen dokumentarischen Quellen, die aus dem burgundischen Kloster Cluny überliefert sind, sowie der Diözesen Mâcon und Dijon erforschte Duby die komplexen sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Personen und Institutionen der Region Mâconnais und zeichnete einen tiefgreifenden Wandel in den sozialen Strukturen der mittelalterlichen Gesellschaft um das Jahr 1000 auf. Er argumentierte, dass im frühen 11. Jahrhundert die Regierungsinstitutionen - insbesondere die unter der karolingischen Monarchie eingerichteten Komitialgerichte -, die im 9. und 10. Jahrhundert in Burgund für öffentliche Gerechtigkeit und Ordnung gesorgt hatten, zurücktraten und einer neuen Feudalordnung Platz machten, in der unabhängige aristokratische Ritter die Macht über die bäuerlichen Gemeinschaften mit Hilfe von Zwangsmaßnahmen und Gewaltandrohungen ausübten.

1939 ordnete der österreichische Historiker Theodor Mayer [de] den Feudalstaat seinem Konzept des Personenverbandsstaates unter und verstand ihn im Gegensatz zum Territorialstaat. Diese mit dem Heiligen Römischen Reich identifizierte Form der Staatlichkeit wird als die vollständigste Form mittelalterlicher Herrschaft beschrieben, die die herkömmliche feudale Struktur von Grundherrschaft und Vasallentum durch die persönliche Verbindung zwischen den Adligen ergänzt. Die Anwendbarkeit dieses Konzepts auf Fälle außerhalb des Heiligen Römischen Reiches ist jedoch in Frage gestellt worden, wie etwa von Susan Reynolds. Auch in der deutschen Geschichtsschreibung wurde das Konzept wegen seiner Einseitigkeit und seines Reduktionismus zur Legitimierung des Führerprinzips in Frage gestellt und verdrängt.

Herausforderungen an das Feudalmodell

1974 lehnte die amerikanische Historikerin Elizabeth A. R. Brown die Bezeichnung Feudalismus als Anachronismus ab, der dem Konzept ein falsches Gefühl der Einheitlichkeit verleihe. Nachdem sie festgestellt hatte, dass derzeit viele, oft widersprüchliche Definitionen des Begriffs Feudalismus verwendet werden, argumentierte sie, dass das Wort nur ein Konstrukt sei, das keine Grundlage in der mittelalterlichen Realität habe und eine Erfindung moderner Historiker sei, die "tyrannisch" in die historischen Aufzeichnungen zurückgelesen werde. Befürworter von Brown haben vorgeschlagen, den Begriff ganz aus Geschichtsbüchern und Vorlesungen über mittelalterliche Geschichte zu streichen. In Fiefs and Vassals: The Medieval Evidence Reinterpreted (1994) erweiterte Susan Reynolds die ursprüngliche These Browns. Obwohl einige Zeitgenossen Reynolds' Methodik in Frage stellten, haben andere Historiker sie und ihr Argument unterstützt. Reynolds argumentiert:

Zu viele Modelle des Feudalismus, die zu Vergleichszwecken herangezogen werden, selbst von Marxisten, sind entweder immer noch auf der Grundlage des 16. Jahrhunderts konstruiert oder enthalten aus marxistischer Sicht sicherlich oberflächliche oder irrelevante Merkmale davon. Selbst wenn man sich auf Europa und den Feudalismus im engeren Sinne beschränkt, ist es äußerst zweifelhaft, ob die feudal-vassalistischen Institutionen ein kohärentes Bündel von Institutionen oder Konzepten bildeten, die von anderen Institutionen und Konzepten der Zeit strukturell getrennt waren.

Der Begriff Feudalismus wurde auch auf nicht-westliche Gesellschaften angewandt, in denen ähnliche Institutionen und Haltungen wie im mittelalterlichen Europa vorherrschten (siehe: Beispiele für Feudalismus). Japan wurde in dieser Hinsicht ausgiebig untersucht. Karl Freitag stellt fest, dass sich Japanhistoriker im 21. Jahrhundert nur noch selten auf den Feudalismus berufen; statt auf Ähnlichkeiten konzentrieren sich die Spezialisten, die eine vergleichende Analyse vornehmen, auf grundlegende Unterschiede. Letztendlich, so die Kritiker, haben die vielen Verwendungsmöglichkeiten des Begriffs Feudalismus ihn seiner spezifischen Bedeutung beraubt, was einige Historiker und politische Theoretiker dazu veranlasst, ihn als nützliches Konzept zum Verständnis der Gesellschaft abzulehnen.

Richard Abels stellt fest, dass "Lehrbücher der westlichen Zivilisation und der Weltzivilisation den Begriff 'Feudalismus' heute meiden".

Nationalsozialistische Herrschaft

Der amerikanische Historiker Robert Lewis Koehl prägte – orientiert am Feudalismus-Konzept – den Begriff „Neofeudalismus“ zur Charakterisierung der nationalsozialistischen Herrschaft insbesondere im deutsch besetzten Osten, wo die deutsche Herrschaft personalisiert war und örtliche Befehlshaber eine absolute Machtfülle besaßen. Hinweisend auf Gemeinsamkeiten zwischen den charismatischen Elementen mittelalterlicher und nationalsozialistischer Herrschaft versuchte er damit, die irrationalen Aspekte des Nationalsozialismus zu verdeutlichen. Koehls Annahme, diese feudalistischen Machtbeziehungen wären der atavistischen Ideologie des Nationalsozialismus entsprungen, folgt die neuere Forschung jedoch nicht.

Inszenierung von Öffentlichkeit

Angesichts aktueller Entwicklungen im 20. und 21. Jahrhundert sprechen Sozialwissenschaftler wie Jürgen Habermas heute von einer Refeudalisierung der Gesellschaft. Es

„droht mit dieser Entwicklung das, was man eine Refeudalisierung der Gesellschaft nennen könnte: eine Gesellschaft, in der Reichtum ebenso wie Armut innerhalb abgegrenzter sozialer Gruppen ‚vererbt‘ werden, und zwar nicht nur durch die Weitergabe bzw. das Fehlen von materiellen Gütern, sondern – sozialisatorisch weit früher und tiefgreifender – insbesondere durch die soziale Determination von Bildungs- und Aufstiegschancen. So sind heute die Chancen eines Kindes aus einem Elternhaus mit hohem sozialem Status mehr als siebenmal größer, ein Studium aufzunehmen, als die eines Arbeiterkindes. Einem ‚Adel der Chancen‘ am einen, stehen am anderen Ende die Gruppen der Besitz- und Ressourcenlosen ohne Perspektiven gegenüber.“

Charakteristika seien unter anderem die zunehmende Ungleichheit der Vermögensverteilung, die bloße Inszenierung von Öffentlichkeit, das Darstellen von Partikularinteressen von Personen oder Verbänden als Allgemeininteressen, der Ausschluss der Öffentlichkeit bei Entscheidungen von öffentlichem Interesse, soziale Herkunft als entscheidender Faktor für Wohlstand.

Ererbter Status, Managerklasse

Im Finanzmarktkapitalismus werden nach Auffassung des Hamburger Soziologen Sighard Neckel Einkommen und Macht nach vormodernen Mustern verteilt. „Während auf der einen Seite die Zahl derjenigen beständig wächst, die unter Bedingungen arbeiten, die eher an Leibeigenschaft und Sklaverei erinnern als an bürgerlich-kapitalistische Vertragsverhältnisse, werden in der Beletage die Privilegien nach ebenso vormodernen Methoden verteilt: Reichtum wird vor allem vererbt, eine ständisch organisierte Managerklasse schanzt sich exorbitante Gehälter zu.“ In die gleiche Richtung argumentiert der Historiker Olaf Kaltmeier für Lateinamerika, der hier im frühen 21. Jahrhundert eine Tendenz zur Refeudalisierung ausmacht.

Begriffsgeschichte

Der Begriff wurde in Frankreich im frühen Zeitalter der Aufklärung geprägt, durch Montesquieu 1748 bekannt gemacht und insbesondere von Voltaire erläutert. In der Französischen Revolution 1789 spielte er als Kampfbegriff zur Charakterisierung der früheren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eine große Rolle. Im deutschsprachigen Raum kam der Ausdruck Feudalismus Anfang des 19. Jahrhunderts auf. Später klassifizierte Karl Marx den Feudalismus als notwendige Vorstufe des Kapitalismus.

Merkmale

Eine idealtypische feudale Gesellschaft kann durch folgende Merkmale beschrieben werden:

  • Ein Landesherr überlässt seinen militärischen Gefolgsleuten zu deren materieller Versorgung die Nutzung von Teilen seines Landes, einschließlich der darauf befindlichen Bewohner.
  • Das feodum ist ein zum Lehen (also ein im anfänglichen Grundprinzip nur zur Leihe) übertragenes beneficium, also eine Wohltat im Sinne eines Liegenschaftsvermögens, welches nach seiner Bodenbeschaffenheit sowie personellen Ausstattung (samt der damit einhergehenden baulichen und gerätschaftlichen Ausstattung) dazu geeignet und bestimmt ist, Erträge zum Unterhalt des Lehnsinhabers zu erwirtschaften.
  • Im Anschluss an die Lehensgüter entwickeln sich mit der Zeit herrschaftliche und wirtschaftliche Gegebenheiten, die verrechtlicht werden und die den Personenkreis, der zur Landbewirtschaftung bestimmt ist (Bauern), von der gesellschaftlichen Organisationsgestaltung im Sinne einer staatlich-politischen Willensbildung ausschließen und die gleichzeitig nach oben hin, zum obersten Landesherrn, der Entstehung einer geschlossenen Staatsverwaltung entgegenwirken.

Streng genommen beinhaltet der Begriff Feudalismus daher zwei voneinander getrennte Dimensionen:

  1. das Verhältnis des obersten Landesherrn zur Kriegerklasse und deren Gefolgschaftstreue sowie die
  2. Herrschaftsverhältnisse der mit Lehen ausgestatteten Klasse nach unten zu der nicht belehnten Bevölkerung.

Die Produktion des Feudalismus ist stark von der Naturalwirtschaft geprägt. Die Mehrheit der Bevölkerung besteht aus Bauernfamilien. Sie sind aber nicht Eigentümer des von ihnen bestellten Landes. Dieses Land ist Eigentum der wenigen Grundherrn. Die Bauern befinden sich im Zustand der Hörigkeit, sie sind also persönlich abhängig vom Grundherrn und unfrei.

Das bedeutet:

  • Sie sind an die Scholle (das zu bestellende Land) gebunden (glebae adscripti) und haben nicht das Recht, sie zu verlassen, weil sie als Bestandteil der Wirtschaftsgüter des Lehnsgutes gelten.
  • Sie sind der Rechtsprechung ihres Herrn unterworfen.
  • Sie schulden dem Grundherren Abgaben, sowohl in Form von Arbeitsleistungen (Fron) auf dem direkt vom Grundherren bestellten Land (Salland), als auch in Form von Naturalabgaben, die aus demjenigen Stück Land aufgebracht werden müssen, das sie selbst bewirtschaften (Zehnt). Die Frondienste oder die Naturalabgaben können im Verlauf der Entwicklung auch durch Geldabgaben abgelöst werden.

Das Eigentum des Grundherrn ist auch nur bedingt, denn er hat es als Lehen von einem höhergestellten Adligen erhalten, dem er dafür Kriegsdienste schuldet und dessen Vasall er ist.

Zur Beurteilung des Feudalismus als Wirtschaftssystem gehört auch die Beobachtung, dass ein Teil der Einnahmen des Feudalherrn wieder verteilt wird, als patriarchalisches Almosen, als Geschenk an „treue“ Vasallen o. ä. Es ist nämlich Teil der Aufgabe des Feudalherrn, für einen Ausgleich zu sorgen (die allerdings in der Realität von den Feudalherren nur selten voll erfüllt wurde – außerdem wich das damalige Gerechtigkeitsideal zuweilen recht deutlich vom heute verstandenen ab).

Die Kette dieser abhängigen, mit Kriegsdienst verbundenen Lehen reicht bis zum König, dessen hoheitliche Domäne letzten Endes alles Land ist. In der mittelalterlichen Vorstellung ist er allerdings auch nur ein Vasall, er ist Gott unterstellt. Die politische Souveränität ist nach unten hin quasi parzelliert. Der König ist in diesem System nur das Oberhaupt seiner Vasallen, an die er durch gegenseitige Bande der Lehnstreue gebunden ist, aber er hat keinen direkten Zugang zu seinen Untertanen.

Hieraus ergibt sich eine bestimmte Entwicklungsdynamik:

  1. Aus der germanischen Zeit überlebte lange Zeit das dörfliche Gemeindeland, die Allmende. Die Zersplitterung der Souveränität erschwerte die Aneignung dieses Landes durch die Feudalherren und stärkte die Stellung der Bauern.
  2. Die Parzellierung der Souveränität unterstützte die Existenz und Entwicklung von Städten. Die Stadtbürger beschäftigten sich mit Handwerk und Handel und erkämpften mit der Zeit die Autonomie (siehe auch unter Kommunen).
  3. Die Zersplitterung der Souveränität kann zu chaotischen Zuständen führen und damit den Bestand des feudalen Staates gefährden. Deshalb waren die Könige bestrebt, ihre Rechte über die reinen Feudalbeziehungen hinaus auszuweiten und direkte Beziehungen zu ihren Untertanen zu etablieren, zum Beispiel in Form des Rechtes der Steuererhebung. Dadurch gerieten sie in einen Gegensatz zum Adel.
  4. Die Kirche, im Altertum ein Bestandteil des Staatsapparates, wurde im Mittelalter eine selbstständige Institution, die sich ebenfalls feudalisierte. Daraus resultieren häufige Spannungen zwischen weltlichen und religiösen Herrschaften, die zu einem Riss in der feudalen Legitimität führen konnten. Ein Beispiel hierfür ist der Investiturstreit.

Einzelne Aspekte des Feudalismus konnten sich mancherorts für lange Zeit in Gesellschaften erhalten, die insgesamt nicht mehr feudal geprägt waren. So folgte das schottische Immobilienrecht noch bis 2002 einem als feudal tenure bezeichneten System, in dem etwa der Käufer eines Grundstücks formell Vasall eines Lehnsherrn wurde.

Entstehung und Geschichte

Die feudale Gesellschaft entstand im Frühmittelalter durch eine Verschmelzung der sich auflösenden antiken Gesellschaft und der germanischen Gesellschaften. Nach der Völkerwanderung entstanden auf dem Gebiet des ehemaligen Römischen Reiches mehrere germanische Königreiche. Die oben beschriebenen feudalen Institutionen entwickelten sich aber erst nach dem Jahr 800 im Reich der Franken, als eine vormals zum Teil freie Bauernschaft durch ständige Kriege und Invasionen der Wikinger, Sarazenen, Magyaren usw. ökonomisch ruiniert und so in die Abhängigkeit von den Feudalherren gezwungen wurde. Es gab aber auch gewaltsame Einverleibungen durch Feudalherren (beispielsweise Stedingerkrieg).

  • In heute zu Deutschland zählenden Gebieten liegen die Anfänge des Feudalismus im 9. Jahrhundert und erreichen im 12. Jahrhundert mit der vor allem von der marxistischen Literatur so bezeichneten Entstehung der Ersten Leibeigenschaft ihre hochmittelalterliche Ausprägung. Im 16. Jahrhundert kommt es zu einer Neubewertung der Herrschaftsverhältnisse, welche in Deutschland östlich der Elbe zur sogenannten Zweiten Leibeigenschaft führen, während in anderen Teilen Deutschlands der Absolutismus die symbolische Aufladung des Landesherrn und Adels mit Macht demonstrativ vorantreibt, gleichzeitig aber eine Vereinheitlichung des Staates von oben herab initiiert wird. Die bürgerliche Revolution von 1848 gilt in Deutschland als Ende feudaler Herrschaftsprinzipien (mit Ausnahme Mecklenburgs: dort 1918).
  • Die Kernregion des europäischen Feudalismus war der Norden des heutigen Frankreich, das dem idealtypischen Feudalsystem sehr viel mehr als jede andere Region entsprach. Hier existierte eine einzigartig dichte Lehnshierarchie mit vielfältigen Ebenen der Subinfeudation.
  • In Südeuropa (Spanien, Languedoc, Italien) waren die Überbleibsel der Antike stärker. So war verhältnismäßig sehr viel mehr Land absolutes, nicht lehnsgebundenes Allod (Eigentum). Zudem verschwanden die Städte nicht so weitgehend wie in Nordeuropa und sie erlebten im Languedoc und in Italien bereits ab dem 10. Jahrhundert eine neue Blütezeit.
  • In Nordeuropa (Sachsen, England, Skandinavien) mit stärkeren Überresten der germanischen Gesellschaften dauerte es viel länger, bis es zur Etablierung der Leibeigenschaft kam. In Sachsen und teilweise auch in anderen Gebieten Deutschlands bis zum 12. Jahrhundert. In Schweden konnte sie sich nie vollständig durchsetzen, in Norwegen überhaupt nicht. In England wiederum verschwand die autonome Volksgerichtsbarkeit nie vollständig. Aus ihr entwickelte sich das Common Law.

Refeudalisierung

Nach Günter Vogler gerieten Deutschland und Europa Ende des 15. Jahrhunderts in die Epoche des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus, wodurch die konstituierenden Merkmale für den Typus frühbürgerliche Revolutionen erreicht wurden. Europa trat damit in die Epoche bürgerlicher Revolutionen ein, in denen sich das Bürgertum schrittweise die politische Macht erkämpfte. Während sich in den Niederlanden und England die bürgerliche Klasse allmählich etablieren konnte, erlitt das Bürgertum im zentralen und östlichen Europa Rückschläge bei der Überwindung der mittelalterlichen feudalen Ordnung. Der Adelsstand hielt dort bis ins fortgeschrittene 19. Jahrhundert seine Machtpositionen.

Refeudalisierung im engeren Sinne bedeutet die Wiederherstellung einer feudalen Ordnung, also die Rückkehr zu originären Formen feudaler Organisation von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, wie sie im 18. und 19. Jahrhundert in Süd- und Südosteuropa vorkam.