Zugfestigkeit

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„Nominelle“ (rot) und „wahre“ (blau) Spannung von Stahl im Spannungs-Dehnungs-Diagramm. (Erstere bezieht sich auf den Ausgangsquerschnitt des Prüflings. Letztere berücksichtigt die Einschnürung während der Zugprobe.) Die Zugfestigkeit ist das Maximum der nominellen Spannung, hier mit 1 markiert. Punkt 2 kennzeichnet die Streckgrenze, Punkt 3 die Bruchspannung.

Die Zugfestigkeit (insbesondere bei Textilien und Papier auch Reißfestigkeit) ist einer von mehreren Festigkeits­kennwerten eines Werkstoffs: die maximale mechanische Zugspannung, die der Werkstoff aushält. Die Dimension der Zugfestigkeit ist Kraft pro Fläche mit den Maßeinheiten N/mm² oder MPa. Als Formelzeichen der Zugfestigkeit werden u. A. verwendet: , , , , , oder .

Im Spannungs-Dehnungs-Diagramm ist die Zugfestigkeit der höchsten Punkt der Kurve. Bestimmt wird diese zumeist durch den Zugversuch, als maximal erreichte Zugkraft bezogen auf den ursprünglichen Querschnitt der genormten Zugprobe:

Duktile Werkstoffe wie Stahl dehnen sich im Zugversuch nach Überschreiten der Zugfestigkeit noch weiter, der Probenstab schnürt dann ein. Spröde Werkstoffe wie Gusseisen dagegen brechen nahezu ohne Einschnürung.

Zwei Schraubstöcke üben Spannung auf eine Probe aus, indem sie an ihr ziehen und die Probe dehnen, bis sie bricht. Die maximale Spannung, der die Probe bis zum Bruch standhält, ist ihre endgültige Zugfestigkeit.

Die Höchstzugkraft (UTS), oft abgekürzt als Zugfestigkeit (TS), Endfestigkeit oder abgekürzt wird, ist die maximale Spannung, die ein Material aushalten kann, wenn es gedehnt oder gezogen wird, bevor es bricht. Bei spröden Materialien liegt die Zugfestigkeit in der Nähe der Streckgrenze, während die Zugfestigkeit bei duktilen Materialien höher sein kann.

Die Zugfestigkeit spielt bei der Bemessung von duktilen Bauteilen kaum eine Rolle, ist aber bei spröden Bauteilen von Bedeutung. Sie sind für gängige Werkstoffe wie Legierungen, Verbundwerkstoffe, Keramik, Kunststoffe und Holz tabellarisch aufgeführt.

Definition

Die Zugfestigkeit eines Werkstoffs ist eine intensive Eigenschaft; daher hängt ihr Wert nicht von der Größe des Probekörpers ab. Je nach Werkstoff kann sie jedoch von anderen Faktoren abhängen, z. B. von der Vorbereitung der Probe, dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Oberflächenfehlern sowie der Temperatur der Prüfumgebung und des Werkstoffs.

Einige Materialien brechen sehr scharf, ohne plastische Verformung, was als sprödes Versagen bezeichnet wird. Andere, duktilere Materialien, darunter die meisten Metalle, weisen vor dem Bruch eine gewisse plastische Verformung und möglicherweise eine Einschnürung auf.

Die Zugfestigkeit wird als Spannung definiert, die als Kraft pro Flächeneinheit gemessen wird. Bei einigen inhomogenen Materialien (oder bei zusammengesetzten Bauteilen) kann sie nur als Kraft oder als Kraft pro Breiteneinheit angegeben werden. Im Internationalen Einheitensystem (SI) ist die Einheit das Pascal (Pa) (oder ein Vielfaches davon, oft Megapascal (MPa), unter Verwendung des SI-Präfix Mega); oder, äquivalent zu Pascal, Newton pro Quadratmeter (N/m2). Eine in den Vereinigten Staaten übliche Einheit ist Pfund pro Quadratzoll (lb/in2 oder psi). Kilopound pro Quadratzoll (ksi oder manchmal kpsi) entspricht 1000 psi und wird in den Vereinigten Staaten üblicherweise zur Messung der Zugfestigkeit verwendet.

Duktile Werkstoffe

Abbildung 1: "Technische" Spannungs-Dehnungs-Kurve (σ-ε), typisch für Aluminium
  1. Endfestigkeit
  2. Streckgrenze
  3. Proportionale Grenzspannung
  4. Bruch
  5. Versetzte Dehnung (typischerweise 0,2 %)
Abbildung 2: "Technische" (rot) und "echte" (blau) Spannungs-Dehnungs-Kurve, typisch für Baustahl.
  • 1: Endfestigkeit
  • 2: Streckgrenze (Fließgrenze)
  • 3: Bruch
  • 4: Verfestigungsbereich
  • 5: Einschnürungsbereich
  • A: Scheinbare Spannung (F/A0)
  • B: Tatsächliche Spannung (F/A)

Viele Werkstoffe können ein lineares elastisches Verhalten aufweisen, das durch eine lineare Spannungs-Dehnungs-Beziehung definiert ist, wie in Abbildung 1 bis zum Punkt 3 dargestellt. Das elastische Verhalten von Werkstoffen reicht oft bis in einen nichtlinearen Bereich, der in Abbildung 1 durch Punkt 2 (die "Streckgrenze") dargestellt ist. Bis zu diesem Punkt sind Verformungen nach Aufhebung der Belastung vollständig rückbildbar, d. h. eine elastisch auf Zug belastete Probe dehnt sich aus, kehrt jedoch nach Entlastung in ihre ursprüngliche Form und Größe zurück. Jenseits dieses elastischen Bereichs sind die Verformungen bei duktilen Materialien wie Stahl plastisch. Eine plastisch verformte Probe kehrt nicht vollständig in ihre ursprüngliche Größe und Form zurück, wenn sie entlastet wird. Für viele Anwendungen ist die plastische Verformung inakzeptabel und wird als Konstruktionsbeschränkung verwendet.

Nach der Streckgrenze durchlaufen duktile Metalle eine Phase der Kaltverfestigung, in der die Spannung mit zunehmender Dehnung wieder ansteigt, und sie beginnen sich einzuziehen, da die Querschnittsfläche der Probe aufgrund des plastischen Fließens abnimmt. Wenn die Einschnürung bei einem ausreichend duktilen Werkstoff erheblich wird, führt sie zu einer Umkehrung der technischen Spannungs-Dehnungs-Kurve (Kurve A, Abbildung 2); dies liegt daran, dass die technische Spannung unter Annahme der ursprünglichen Querschnittsfläche vor der Einschnürung berechnet wird. Der Umkehrpunkt ist die maximale Spannung auf der technischen Spannungs-Dehnungs-Kurve, und die technische Spannungskoordinate dieses Punktes ist die Bruchfestigkeit, die durch Punkt 1 gegeben ist.

Die Bruchfestigkeit wird bei der Bemessung von duktilen statischen Bauteilen nicht verwendet, da die Bemessungspraxis die Verwendung der Streckspannung vorschreibt. Sie wird jedoch für die Qualitätskontrolle verwendet, da sie leicht zu prüfen ist. Sie wird auch zur groben Bestimmung von Materialtypen für unbekannte Proben verwendet.

Die Zugfestigkeit ist ein gängiger technischer Parameter für die Bemessung von Bauteilen aus sprödem Material, da solche Materialien keine Fließgrenze haben.

Bei der Zugprobe ändert sich der wirkliche Querschnitt aufgrund von Querkontraktion und Brucheinschnürung und ist nach einer Verformung geringer als der Ausgangsquerschnitt. Insbesondere an Proben aus duktilen Werkstoffen, ist die plastische Verformung nach dem Test durch einen verringerten Querschnitt sicht- und messbar. Die wahre Zugfestigkeit entspricht also nicht der nominellen Zugfestigkeit in der Probe, sondern ist höher.

Die „nominellen“ Zugfestigkeit kann in eine „wahren“ Spannung umgerechnet werden, die aber nicht der „wahren“ Zugfestigkeit entsprechen muss. Über den Bereich der Gleichmaßdehnung kann unter Annahme von Volumenkonstanz der wirkliche Querschnitt errechnet werden. Sobald es zu einer Einschnürung kommt, ist eine Abschätzung des Querschnittes nicht genau möglich.

Im instrumentierten Zugversuch wird der Probenquerschnitt kontinuierlich gemessen und die Kraft auf den wahren Querschnitt bezogen. So untersuchte Proben zeigen einen kontinuierlichen Anstieg der wahren Spannung bis zum Bruch (blaue Kurve in der Abb.). Der auf diese Weise ermittelte Wert ist jedoch nur von theoretischer Bedeutung.

Für die Dimensionierung in der Technik ist üblicherweise die Streckgrenze relevant. Die nominelle Zugfestigkeit spielt jedoch eine Rolle beispielsweise in der Fertigung beim Verformen oder Zerspanen. Spröde Werkstoffe wiederum werden zwar nach der Zugfestigkeit dimensioniert, allerdings gibt es bei diesen Werkstoffen auch keine relevante Einschnürung und daher keinen Unterschied zwischen nomineller und wahrer Spannung. Kurz: technisch hat ein Bauteil bei Erreichen der Zugfestigkeit längst versagt, mit oder ohne Einschnürung.

Prüfung

Rundstabprobe nach dem Zugversuch
Aluminium-Zugversuchsproben nach dem Bruch
Die "Becher"-Seite des charakteristischen Versagensmusters "Becher-Kegel".
Einige Teile zeigen die "Tassen"-Form und einige die "Kegel"-Form

Bei der Prüfung wird in der Regel eine kleine Probe mit einer festen Querschnittsfläche entnommen und dann mit einem Tensometer mit einer konstanten Dehnungsrate (Änderung der Messlänge geteilt durch die ursprüngliche Messlänge) gezogen, bis die Probe bricht.

Bei der Prüfung einiger Metalle korreliert die Eindrückhärte linear mit der Zugfestigkeit. Diese wichtige Beziehung ermöglicht die wirtschaftlich bedeutsame zerstörungsfreie Prüfung von Schüttgutlieferungen aus Metall mit leichten, sogar tragbaren Geräten, wie z. B. handgehaltenen Rockwell-Härteprüfgeräten. Diese praktische Korrelation trägt dazu bei, dass die Qualitätssicherung in der metallverarbeitenden Industrie weit über das Labor und die Universalprüfmaschinen hinausgeht.

Typische Zugfestigkeiten

Typische Zugfestigkeiten für einige Werkstoffe
Werkstoff Streckgrenze
(MPa)
Endgültige Zugfestigkeit
(MPa)
Dichte
(g/cm3)
Stahl, Baustahl ASTM A36 250 400–550 7.8
Stahl, 1090 unlegierter Stahl 247 841 7.58
Chrom-Vanadium-Stahl AISI 6150 620 940 7.8
Stahl, 2800 Martensitaushärtender Stahl 2617 2693 8.00
Stahl, AerMet 340 2160 2430 7.86
Stahl, Sandvik Sanicro 36Mo Holzfällerkabel-Präzisionsdraht 1758 2070 8.00
Stahl, AISI 4130,
wasserabgeschreckt 855 °C (1570 °F), 480 °C (900 °F) angelassen
951 1110 7.85
Stahl, API 5L X65 448 531 7.8
Stahl, hochfeste Legierung ASTM A514 690 760 7.8
Acryl, klare gegossene Platte (PMMA) 72 87 1.16
Hochdichtes Polyethylen (HDPE) 26–33 37 0.85
Polypropylen 12–43 19.7–80 0.91
Stahl, rostfrei AISI 302 - kaltgewalzt 520 860 8.19
Gusseisen 4,5% C, ASTM A-48 130 200 7.3
"Flüssigmetall"-Legierung 1723 550–1600 6.1
Beryllium 99,9% Be 345 448 1.84
Aluminiumlegierung 2014-T6 414 483 2.8
Polyesterharz (unverstärkt) 55 55  
Polyester und Hackschnitzelmattenlaminat 30% E-Glas 100 100  
S-Glas-Epoxid-Verbundwerkstoff 2358 2358  
Aluminiumlegierung 6061-T6 241 300 2.7
Kupfer 99,9% Cu 70 220 8.92
Kupfernickel 10% Ni, 1,6% Fe, 1% Mn, Rest Cu 130 350 8.94
Messing 200 + 500 8.73
Wolfram 941 1510 19.25
Glas   33 2.53
E-Glas K.A. 1500 für Laminate,
3450 für Fasern allein
2.57
S-Glas K.A. 4710 2.48
Basalt-Faser K.A. 4840 2.7
Marmor K.A. 15 2.6
Beton K.A. 2–5 2.7
Kohlefaser K.A. 1600 für Laminate,
4137 für Fasern allein
1.75
Kohlefaser (Toray T1100G)
(die stärksten vom Menschen hergestellten Fasern)
  7000 Faser allein 1.79
Menschliches Haar 140–160 200–250  
Bambusfaser   350–500 0.4-0.8
Spinnenseide (siehe Anmerkung unten) 1000 1.3
Spinnenseide, Darwins Rindenspinne 1652
Seidenraupenseide 500   1.3
Aramid (Kevlar oder Twaron) 3620 3757 1.44
UHMWPE 24 52 0.97
UHMWPE-Fasern (Dyneema oder Spectra) 2300–3500 0.97
Vectran   2850–3340 1.4
Polybenzoxazol (Zylon) 2700 5800 1.56
Holz, Kiefer (parallel zur Faser)   40  
Knochen (Gliedmaßen) 104–121 130 1.6
Nylon, geformt, 6PLA/6M 75-85 1.15
Nylonfaser, gezogen 900 1.13
Epoxid-Klebstoff 12–30
Gummi 16  
Bor K.A. 3100 2.46
Silizium, monokristallin (m-Si) K.A. 7000 2.33
Hochreine Siliziumdioxid-Glasfaser-Leitungen 4100
Saphir (Al2O3) 400 bei 25 °C,
275 bei 500 °C,
345 bei 1000 °C
1900 3.9–4.1
Bornitrid-Nanoröhrchen K.A. 33000 2.62
Diamant 1600 2800
~80-90 GPa auf der Mikroskala
3.5
Graphen K.A. intrinsisch 130000;
technisch 50000-60000
1.0
Erste Kohlenstoff-Nanoröhrchen-Seile ? 3600 1.3
Kohlenstoff-Nanoröhrchen (siehe Anmerkung unten) K.A. 11000–63000 0.037–1.34
Kohlenstoff-Nanoröhrchen-Verbundwerkstoffe K.A. 1200 K.A.
Hochfester Kohlenstoff-Nanoröhren-Film K.A. 9600 K.A.
Eisen (reiner Einkristall) 3 7.874
Zähne der Krabbe Patella vulgata (Goethit-Whisker-Nanokomposit) 4900
3000–6500
^a Viele der Werte hängen vom Herstellungsverfahren und der Reinheit oder Zusammensetzung ab.
^b Mehrwandige Kohlenstoff-Nanoröhren haben die höchste Zugfestigkeit aller bisher gemessenen Materialien, mit einem Messwert von 63 GPa, der noch weit unter einem theoretischen Wert von 300 GPa liegt. Die ersten Nanoröhrenseile (20 mm lang), deren Zugfestigkeit veröffentlicht wurde (im Jahr 2000), hatten eine Festigkeit von 3,6 GPa. Die Dichte hängt von der Herstellungsmethode ab, und der niedrigste Wert liegt bei 0,037 oder 0,55 (fest).
^c Die Festigkeit von Spinnenseide ist sehr unterschiedlich. Sie hängt von vielen Faktoren ab, u. a. von der Art der Seide (jede Spinne kann mehrere für verschiedene Zwecke produzieren), der Art, dem Alter der Seide, der Temperatur, der Luftfeuchtigkeit, der Geschwindigkeit, mit der die Belastung während der Prüfung aufgebracht wird, der Dauer der Belastung und der Art der Gewinnung der Seide (Zwangsspinnung oder Naturspinnung). Der in der Tabelle angegebene Wert von 1000 MPa ist in etwa repräsentativ für die Ergebnisse einiger weniger Studien mit verschiedenen Spinnenarten, wobei die spezifischen Ergebnisse stark variieren.
Die Stärke des menschlichen Haares variiert je nach ethnischer Zugehörigkeit und chemischer Behandlung.
Typische Eigenschaften für geglühte Elemente
Element E-Modul
modul
(GPa)
Versatz oder
Streckgrenze
(MPa)
Endgültige
festigkeit
(MPa)
Silizium 107 5000–9000
Wolfram 411 550 550–620
Eisen 211 80–100 350
Titan 120 100–225 246–370
Kupfer 130 117 210
Tantal 186 180 200
Zinn 47 9–14 15–200
Zinklegierung 85–105 200–400 200–400
Nickel 170 140–350 140–195
Silber 83 170
Gold 79 100
Aluminium 70 15–20 40–50
Blei 16 12

Zugfestigkeit als Namensbestandteil

Die Zugfestigkeit wurde in der Vergangenheit häufig für die Charakterisierung von Werkstoffen verwendet. Ein Beispiel hierfür ist die Bezeichnung von Baustählen. So wurde der Stahl 52 (St52, heute S355) nach seiner Zugfestigkeit von 52 kp/mm² (510 N/mm²) bezeichnet.

Aufgrund der Harmonisierung der europäischen und internationalen Normen werden heute viele Stähle nach der Streckgrenze bezeichnet, die aus konstruktiver Sicht ein besserer Kennwert für die Belastbarkeit eines Werkstoffs ist.

Beispielwerte

Werkstoff Zugfestigkeit in
N/mm² bzw. MPa
Glas 7–70
Blei 10 bis 15
Zinn 15
Porzellan 45
Polystyrol 45 bis 64
Magnesiumlegierungen 150 bis 350
Aluminiumlegierungen meist 200 bis 450; selten bis 640
Kupferlegierungen 240 bis 500
Gusseisen mit Lamellengraphit 100 bis 350
menschliches Haar 200
Titanlegierungen 290 bis 1200
Baustahl 310 bis 690
Legierter Stahl 1100 bis 1300
Dyneema 3000
Kohlenstoffnanoröhren bis 63.000