Astroturfing

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Von AstroTurf hergestellter Kunstrasen, der den Namen "Astroturfing" inspiriert hat, weil er einen falschen Eindruck von der Unterstützung durch die Bevölkerung erweckt.

Unter Astroturfing versteht man die Praxis, die Sponsoren einer Botschaft oder Organisation (z. B. aus den Bereichen Politik, Werbung, Religion oder Öffentlichkeitsarbeit) zu verschleiern, um den Anschein zu erwecken, sie stamme von der Basis und werde von ihr unterstützt. Es ist eine Praxis, die den Aussagen oder Organisationen Glaubwürdigkeit verleihen soll, indem Informationen über die finanziellen Verbindungen der Quelle zurückgehalten werden. Der Begriff Astroturfing leitet sich von AstroTurf ab, einer Marke für synthetische Teppichböden, die natürlichem Gras ähneln sollen, und ist eine Anspielung auf das Wort "Graswurzeln". Die Verwendung des Begriffs impliziert, dass anstelle einer "echten" oder "natürlichen" Graswurzelbewegung hinter der fraglichen Aktivität ein "falscher" oder "künstlicher" Anschein der Unterstützung besteht.

Der Begriff Astroturfing (englisch abgeleitet von AstroTurf), zu deutsch sinngemäß künstliche Graswurzelbewegung, bezeichnet – insbesondere in den USA – politische Public-Relations- und kommerzielle Werbeprojekte, die darauf abzielen, den Eindruck einer spontanen Graswurzelbewegung vorzutäuschen. Ziel ist es dabei, den Anschein einer unabhängigen öffentlichen Meinungsäußerung über Politiker, politische Gruppen, Produkte, Dienstleistungen, Ereignisse und Ähnliches zu erwecken, indem das Verhalten vieler verschiedener und geographisch getrennter Einzelpersonen zentral gesteuert wird.

Definition

In der Politikwissenschaft wird Astroturfing als der Prozess definiert, der darauf abzielt, einen Wahlsieg zu erringen oder Missstände in der Gesetzgebung zu beseitigen, indem politischen Akteuren geholfen wird, eine sympathisierende Öffentlichkeit zu finden und zu mobilisieren. Astroturfing ist der Einsatz von gefälschten Graswurzelbemühungen, die sich in erster Linie auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung konzentrieren und in der Regel von Unternehmen und staatlichen Stellen finanziert werden, um Meinungen zu bilden.

Im Internet verwenden Astroturfing-Anhänger Software, um ihre Identität zu verschleiern. Manchmal agiert eine einzelne Person unter mehreren Pseudonymen, um den Eindruck zu erwecken, dass die Agenda ihres Auftraggebers breite Unterstützung findet. Einige Studien deuten darauf hin, dass Astroturfing die öffentliche Meinung verändern und genügend Zweifel wecken kann, um Maßnahmen zu verhindern. In der ersten systematischen Studie über Astroturfing in den Vereinigten Staaten vertrat der Oxford-Professor Philip N. Howard die Ansicht, dass das Internet es mächtigen Lobbyisten und politischen Bewegungen sehr viel leichter macht, kleine Gruppen von verärgerten Bürgern zu aktivieren, um ihnen eine übertriebene Bedeutung in öffentlichen politischen Debatten zu verleihen. In einer Studie vom Januar 2021 wurde eine Reihe von "menschlich aussehenden Bot-Konten" beschrieben, die politische Inhalte posten und vierzehn Tage lang automatisch arbeiten (und 1.586 Beiträge verfassen) konnten, bevor sie von Twitter entdeckt und gesperrt wurden.

Politik und Durchsetzung

Viele Länder haben Gesetze, die offenere Astroturfing-Praktiken verbieten. In den Vereinigten Staaten kann die Federal Trade Commission (FTC) Unterlassungsanordnungen verschicken oder eine Geldstrafe von 16.000 Dollar pro Tag verhängen, wenn gegen ihre "Guides Concerning the Use of Endorsements and Testimonials in Advertising" verstoßen wird. Die Leitfäden der FTC wurden 2009 aktualisiert, um soziale Medien und Mundpropaganda zu berücksichtigen. Einem Artikel im Journal of Consumer Policy zufolge machen die FTC-Leitlinien Werbetreibende dafür verantwortlich, dass Blogger oder Produktbefürworter die Leitlinien einhalten, und alle Produktbefürworter, die in einer materiellen Verbindung stehen, müssen ehrliche Bewertungen abgeben.

In der Europäischen Union schreibt die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken vor, dass bezahlte redaktionelle Inhalte in den Medien einen klaren Hinweis darauf enthalten müssen, dass es sich um gesponserte Werbung handelt. Darüber hinaus verbietet die Richtlinie denjenigen, die eine materielle Verbindung zu einem Unternehmen haben, die Leser in die Irre zu führen, damit sie denken, sie seien normale Verbraucher.

Im Vereinigten Königreich gibt es die Consumer Protection from Unfair Trading Regulations, die es verbieten, sich als Verbraucher auszugeben. Verstöße können mit bis zu zwei Jahren Gefängnis und unbegrenzten Geldstrafen geahndet werden. Darüber hinaus hat die Werbeindustrie im Vereinigten Königreich viele freiwillige Richtlinien verabschiedet, wie z. B. den Code of Non-Broadcast Advertising, Sale, Promotion and Direct Marketing. Ein Branchenverband, die Advertising Standards Authority, untersucht Beschwerden über Verstöße. Die Richtlinie schreibt vor, dass Marketingfachleute ihr Publikum nicht in die Irre führen dürfen, auch nicht durch Unterlassung der Offenlegung ihrer materiellen Verbindung.

In Australien wird Astroturfing durch Abschnitt 18 des australischen Verbrauchergesetzes geregelt, der "irreführendes und trügerisches Verhalten" weitgehend verbietet. Nach Angaben des Journal of Consumer Policy sind die australischen Gesetze, die 1975 eingeführt wurden, eher vage. In den meisten Fällen werden sie durch Klagen von Konkurrenten durchgesetzt und nicht durch die australische Wettbewerbs- und Verbraucherkommission. Außerdem gibt es ein Internationales Netzwerk für Verbraucherschutz und Durchsetzung (ICPEN).

Die gesetzlichen Bestimmungen zielen in erster Linie auf Testimonials, Vermerke und Aussagen über die Leistung oder Qualität eines Produkts ab. Mitarbeiter einer Organisation können als Kunden betrachtet werden, wenn ihre Handlungen nicht von einer Autorität innerhalb des Unternehmens geleitet werden.

Im Oktober 2018 wurde Entergy zu einer Geldstrafe in Höhe von fünf Millionen Dollar verurteilt, weil das Unternehmen die Astroturf-Firma The Hawthorn Group beauftragt hatte, Schauspieler zu engagieren, um zu verhindern, dass die Stimmen echter Gemeindemitglieder bei Stadtratssitzungen gezählt werden, und um falsche Unterstützung von der Basis zu zeigen.

Debatte

Wirksamkeit

In dem Buch Grassroots for Hire: Public Affairs Consultants in American Democracy definiert Edward Walker "Astroturfing" als öffentliche Beteiligung, die als stark angeregt, als betrügerisch (Behauptungen werden denjenigen zugeschrieben, die sie nicht gemacht haben) oder als eine als Massenbewegung getarnte Elitenkampagne wahrgenommen wird. Obwohl nicht alle Kampagnen professioneller Lobbying-Berater an der Basis dieser Definition entsprechen, stellt das Buch fest, dass die von der Elite gesponserten Kampagnen an der Basis oft scheitern, wenn sie nicht transparent sind, woher sie ihre Unterstützung beziehen, und/oder es nicht schaffen, Partnerschaften mit Wählergruppen aufzubauen, die ein unabhängiges Interesse an dem Thema haben. Walker hebt den Fall von Working Families for Wal-Mart hervor, bei dem die mangelnde Transparenz der Kampagne zu ihrem Scheitern führte.

Eine im Journal of Business Ethics veröffentlichte Studie untersuchte die Auswirkungen von Websites, die von Tarngruppen betrieben werden, auf Studenten. Dabei wurde festgestellt, dass Astroturfing wirksam dazu beiträgt, Unsicherheit zu schaffen und das Vertrauen in Behauptungen zu verringern, wodurch sich die Wahrnehmung zugunsten der Geschäftsinteressen ändert, die hinter den Astroturfing-Bemühungen stehen. Die New York Times berichtete, dass "Verbraucher"-Bewertungen effektiver sind, weil "sie vorgeben, Zeugnisse echter Menschen zu sein, auch wenn einige von ihnen gekauft und verkauft werden, wie alles andere im kommerziellen Internet". Manche Unternehmen fühlen sich durch negative Kommentare in ihrem Geschäft bedroht und betreiben daher Astroturfing, um sie zu übertönen. Online-Kommentare von Astroturfing-Mitarbeitern können die Diskussion auch durch den Einfluss des Gruppendenkens beeinflussen.

Rechtfertigung

Einige Astroturfing-Mitarbeiter verteidigen ihre Praxis. In Bezug auf "Bewegungen, die sich aggressiv organisiert haben, um ihren Einfluss zu vergrößern", sagte der Autor Ryan Sager, dass dies "kein Betrug ist. Alles in seiner Macht Stehende zu tun, um seine Leute dazu zu bringen, sich zu zeigen, ist grundlegende Politik". Einem leitenden Angestellten von Porter/Novelli zufolge "wird es Zeiten geben, in denen die von Ihnen vertretene Position, egal wie gut sie formuliert und unterstützt wird, von der Öffentlichkeit nicht akzeptiert wird, einfach weil Sie sind, wer Sie sind."

Auswirkungen auf die Gesellschaft

Der Data-Mining-Experte Bing Liu (University of Illinois) schätzt, dass ein Drittel aller Verbraucherbewertungen im Internet gefälscht sind. Nach Angaben der New York Times ist es dadurch schwierig geworden, zwischen "Volksstimmung" und "gefälschter öffentlicher Meinung" zu unterscheiden. Einem Artikel im Journal of Business Ethics zufolge bedroht Astroturfing die Legitimität echter Graswurzelbewegungen. Die Autoren argumentieren, dass Astroturfing, das "absichtlich so konzipiert ist, dass es Unternehmensagenden erfüllt, die öffentliche Meinung manipuliert und der wissenschaftlichen Forschung schadet, einen schwerwiegenden Mangel an ethischem Verhalten darstellt." In einem Bericht aus dem Jahr 2011 wurde festgestellt, dass sich häufig bezahlte Poster von konkurrierenden Unternehmen in Foren gegenseitig angreifen und dabei die regulären Teilnehmer überwältigen. George Monbiot sagte, dass Persona-Management-Software, die Astroturfing unterstützt, "das Internet als Forum für konstruktive Debatten zerstören könnte". In einem Artikel im Journal of Consumer Policy heißt es, dass Regulierungsbehörden und politische Entscheidungsträger aggressiver gegen Astroturfing vorgehen müssen. Der Autor sagte, dass es die Fähigkeit der Öffentlichkeit untergräbt, potenzielle Kunden über minderwertige Produkte oder unangemessene Geschäftspraktiken zu informieren, merkte aber auch an, dass gefälschte Bewertungen schwer zu erkennen seien.

Techniken

Eine der Astroturfing-Techniken ist der Einsatz einer oder mehrerer Tarnorganisationen. Diese Gruppen geben in der Regel vor, dem öffentlichen Interesse zu dienen, arbeiten aber in Wirklichkeit im Auftrag eines Unternehmens oder eines politischen Sponsors. Tarnorganisationen können sich gegen Gesetze und wissenschaftlichen Konsens wehren, die für das Unternehmen des Sponsors schädlich sind, indem sie Minderheitenstandpunkte hervorheben, Zweifel schüren und Gegenbehauptungen von Experten veröffentlichen, die vom Unternehmen gesponsert werden. Es können auch gefälschte Blogs erstellt werden, die den Anschein erwecken, von Verbrauchern geschrieben zu sein, während sie in Wirklichkeit von einem kommerziellen oder politischen Interesse betrieben werden. Einige politische Bewegungen haben Anreize für Mitglieder der Öffentlichkeit geschaffen, einen Leserbrief an ihre Lokalzeitung zu schreiben, wobei oft ein kopierter und eingefügter Formbrief verwendet wird, der in Dutzenden von Zeitungen wortwörtlich veröffentlicht wird.

Eine weitere Technik ist der Einsatz von Sockenpuppen, bei denen eine einzelne Person online mehrere Identitäten anlegt, um den Anschein von Unterstützung durch die Basis zu erwecken. Sockpuppets können unter falschen Identitäten positive Bewertungen über ein Produkt posten, Teilnehmer angreifen, die die Organisation kritisieren, oder negative Bewertungen und Kommentare über Wettbewerber veröffentlichen. Astroturfing-Unternehmen können ihre Mitarbeiter nach der Anzahl der Beiträge bezahlen, die von den Moderatoren nicht gekennzeichnet werden. Es kann eine Persona-Management-Software eingesetzt werden, so dass jeder bezahlte Poster fünf bis siebzig überzeugende Online-Personas verwalten kann, ohne sie zu verwechseln. Online-Astroturfing mit Sockenpuppen ist eine Form des Sybil-Angriffs auf verteilte Systeme.

Pharmafirmen können Patienten-Selbsthilfegruppen sponsern und sie gleichzeitig dazu bringen, ihre Produkte zu vermarkten. Blogger, die kostenlose Produkte, bezahlte Reisen oder andere Unterbringungsmöglichkeiten erhalten, können ebenfalls als Astroturfing betrachtet werden, wenn diese Geschenke dem Leser nicht offengelegt werden. Analysten könnten als Astroturfing betrachtet werden, da sie oft über ihre eigenen Kunden berichten, ohne ihre finanzielle Verbindung offen zu legen. Um Astroturfing zu vermeiden, haben viele Organisationen und die Presse Richtlinien zu Geschenken, Unterbringung und Offenlegung.

Erkennung

Persona-Management-Software kann Konten veralten lassen und die Teilnahme an einer Konferenz automatisch simulieren, um die Echtheit der Konten glaubhafter zu machen. Bei HBGary erhalten die Mitarbeiter separate USB-Sticks, die Online-Konten für einzelne Identitäten und visuelle Hinweise enthalten, die den Mitarbeiter daran erinnern, welche Identität er gerade verwendet.

Massenbriefe können auf personalisiertem Briefpapier gedruckt werden, wobei unterschiedliche Schriftarten, Farben und Wörter verwendet werden, um sie persönlich erscheinen zu lassen.

Einem Artikel in der New York Times zufolge setzt die Federal Trade Commission ihre Astroturfing-Gesetze nur selten durch. Astroturfing-Aktivitäten werden jedoch häufig aufgedeckt, wenn ihre Profilbilder erkannt werden oder wenn sie durch das Nutzungsverhalten ihrer Konten identifiziert werden. Die Gruppe von Filippo Menczer an der Indiana University hat 2010 eine Software entwickelt, die Astroturfing auf Twitter durch Erkennung von Verhaltensmustern erkennt.

Unternehmen und Akzeptanz

Laut einem Artikel im Journal of Consumer Policy sind sich Akademiker uneinig darüber, wie weit verbreitet Astroturfing ist.

Laut Nancy Clark von Precision Communications verlangen Grassroots-Spezialisten 25 bis 75 Dollar für jeden Wähler, den sie überzeugen, einen Brief an einen Politiker zu schicken. Bezahlte Online-Kommentatoren in China erhalten angeblich 50 Cent für jeden Online-Post, der nicht von Moderatoren entfernt wird, was ihnen den Spitznamen "50-Cent-Partei" eingebracht hat. Die New York Times berichtete, dass ein Unternehmen, das gefälschte Online-Buchrezensionen verkaufte, 999 Dollar für 50 Rezensionen verlangte und kurz nach der Eröffnung 28.000 Dollar im Monat verdiente.

Der Financial Times zufolge ist Astroturfing in der amerikanischen Politik "alltäglich", in Europa war es jedoch "revolutionär", als aufgedeckt wurde, dass die European Privacy Association, eine datenschutzfeindliche "Denkfabrik", in Wirklichkeit von Technologieunternehmen gesponsert wurde.

Geschichte der Vorfälle

Ursprünge

Obwohl der Begriff "Astroturfing" noch nicht entwickelt wurde, findet sich ein frühes Beispiel für diese Praxis in Akt 1, Szene 2 von Shakespeares Stück Julius Cäsar. In dem Stück schreibt Gaius Cassius Longinus gefälschte Briefe von "der Öffentlichkeit", um Brutus davon zu überzeugen, Julius Caesar zu ermorden.

Der Begriff "Astroturfing" wurde erstmals 1985 vom Senator der Demokratischen Partei von Texas, Lloyd Bentsen, geprägt, als er sagte: "Ein Kerl aus Texas kann den Unterschied zwischen Graswurzeln und AstroTurf erkennen... das ist generierte Post." Bentsen beschrieb damit einen "Berg von Karten und Briefen", die an sein Büro geschickt wurden, um die Interessen der Versicherungsindustrie zu fördern.

AstroTurf selbst war erst kürzlich erfunden und im Houston Astrodome installiert worden, wo natürlicher Rasen nicht wachsen konnte. Nach Angaben des Herstellers "herrschte ein gewisser Glaube daran, dass der Mensch die Zwänge der Natur mit Einfallsreichtum und zukunftsorientiertem Fortschritt überwinden könne. Der Astrodome wurde inmitten dieses fieberhaften Strebens nach dem Unmöglichen gebaut."

Tabak

Als Reaktion auf die Verabschiedung von Gesetzen zur Eindämmung des Tabakkonsums in den USA gründeten Philip Morris, Burson-Marsteller und andere Tabakkonzerne 1993 die National Smokers Alliance (NSA). Die NSA und andere Tabakkonzerne starteten von 1994 bis 1999 eine aggressive PR-Kampagne, um den Anschein einer breiten Unterstützung für die Rechte der Raucher zu erwecken. Einem Artikel im Journal of Health Communication zufolge hatte die NSA gemischten Erfolg bei der Ablehnung von Gesetzesvorlagen, die den Einnahmen der Tabakinteressen schadeten.

Internet

E-Mail, automatische Telefonanrufe, Serienbriefe und das Internet machten Astroturfing in den späten 1990er Jahren wirtschaftlicher und produktiver. Im Jahr 2001, als Microsoft sich gegen eine Kartellklage verteidigte, startete Americans for Technology Leadership (ATL), eine von Microsoft stark finanzierte Gruppe, eine Briefkampagne. ATL kontaktierte Wähler unter dem Vorwand, eine Umfrage durchzuführen, und schickte Pro-Microsoft-Kunden Formulare und Musterbriefe, die sie an die beteiligten Gesetzgeber schicken sollten. Damit sollte der Anschein erweckt werden, dass die Öffentlichkeit eine wohlwollende Entscheidung in der Kartellrechtsklage unterstützt.

Im Januar 2018 lud der YouTube-Nutzer Isaac Protiva ein Video hoch, in dem er behauptete, dass der Internetanbieter Fidelity Communications hinter einer Initiative namens "Stop City-Funded Internet" stecke, da einige Bilder auf der Website "Stop City-Funded Internet" den Namen "Fidelity" in ihrem Dateinamen hätten. Die Kampagne schien eine Reaktion auf den Ausbau des Breitbandnetzes der Stadt West Plains zu sein und sprach sich für das Ende des kommunalen Breitbandnetzes aus, da es zu riskant sei. Einige Tage später veröffentlichte Fidelity ein Schreiben, in dem sie zugab, die Kampagne gesponsert zu haben.

Politik

2009-2010 entwickelte eine Forschungsstudie der Indiana University ein Softwaresystem zur Erkennung von Astroturfing auf Twitter, da das Thema im Vorfeld der US-Zwischenwahlen 2010 und der Sperrung von Konten auf der Social-Media-Plattform sehr heikel war. Die Studie nennt eine begrenzte Anzahl von Beispielen, die alle konservative Politiken und Kandidaten fördern.

Im Jahr 2003 bot GOPTeamLeader.com den Nutzern der Website "Punkte" an, die gegen Produkte eingelöst werden konnten, wenn sie einen Formbrief für George Bush unterschrieben und eine Lokalzeitung dazu brachten, ihn als Leserbrief zu veröffentlichen. Mehr als 100 Zeitungen veröffentlichten einen identischen Leserbrief von der Website mit unterschiedlichen Unterschriften darauf. Ähnliche Kampagnen wurden von GeorgeWBush.com und von MoveOn.org durchgeführt, um für Michael Moores Film Fahrenheit 9/11 zu werben. Die Kampagne "Fix the Debt" des Komitees für einen verantwortungsvollen Bundeshaushalt setzte sich für eine Verringerung der Staatsverschuldung ein, ohne offenzulegen, dass seine Mitglieder Lobbyisten oder hochrangige Mitarbeiter von Unternehmen waren, die eine Verringerung der Bundesausgaben anstreben. Sie schickte auch Meinungsäußerungen an verschiedene Studenten, die in unveränderter Form veröffentlicht wurden.

Einigen Organisationen in der Tea-Party-Bewegung wurde vorgeworfen, dass sie mit Astroturfing arbeiten.

Im Oktober und November 2018 gründete die konservative Marketingfirma Rally Forge etwas, das The New Yorker als "eine gefälschte linke Frontgruppe, America Progress Now, die 2018 online für Kandidaten der Grünen Partei warb, offenbar um Demokraten in mehreren Rennen zu schaden." In ihren Anzeigen auf Facebook wurden sozialistische Meme und Slogans verwendet, um Demokraten anzugreifen und in mehreren knappen Rennen, darunter der Gouverneurswahl in Wisconsin, zur Protestwahl für Dritte aufzurufen.

Im Jahr 2018 richtete Jeff Ballabon, ein republikanischer Aktivist Mitte 50, eine Website mit dem Namen "Jexodus" ein, die angeblich von "stolzen jüdischen Millennials, die es leid sind, in der Knechtschaft der linken Politik zu leben" betrieben wird, aber als "wahrscheinlich eher eine ungeschickte Astroturf-Bemühung als eine tatsächliche Graswurzelbewegung" angeprangert wurde. Die Website wurde am 5. November 2018 registriert, also vor den Kongresswahlen und bevor die des Antisemitismus beschuldigten Abgeordneten überhaupt gewählt worden waren. Diese Website wurde später von Donald Trump zitiert, als handele es sich um eine echte Bewegung.

Im Januar 2021 führte ein Team unter der Leitung von Mohsen Mosleh eine politisch ausgerichtete Astroturfing-Kampagne auf Twitter durch, bei der "eine Reihe von menschlich aussehenden Bot-Konten" verwendet wurde; jeder Bot suchte nach Nutzern, die Links posteten, die die Forscher für Fake News hielten, und "twitterte eine öffentliche Antwortnachricht auf den Tweet des Nutzers, die den Link zu der falschen Geschichte enthielt". Im Laufe von vierzehn Tagen wurden 1.586 Spam-Antworten versendet, bis Twitter alle Bot-Konten entdeckte und sperrte.

Umwelt

Die Gebrüder Koch gründeten eine öffentliche Interessengruppe, um die Entwicklung von Windkraftanlagen vor der Küste von Massachusetts zu verhindern. Auch die Familie Kennedy war daran beteiligt.

Die Bemühungen der Unternehmen, die Öffentlichkeit gegen Umweltvorschriften zu mobilisieren, nahmen in den USA nach der Wahl von Präsident Barack Obama zu.

2014 veröffentlichte die konservative Toronto Sun einen Artikel, in dem sie Russland beschuldigte, mit Astroturf-Taktiken die Stimmung gegen Fracking in Europa und im Westen anzuheizen, angeblich um die Vorherrschaft bei den Ölexporten über die Ukraine zu erhalten.

In Kanada initiierte eine Koalition aus Führungskräften von Öl- und Gasunternehmen, die sich in der Canadian Association of Petroleum Producers zusammengeschlossen haben, ebenfalls eine Reihe von Aktionen, um die Öl- und Gasindustrie in Kanada über die Mainstream-Medien und die sozialen Medien zu unterstützen und mit Hilfe von Online-Kampagnen öffentliche Unterstützung für Energieprojekte mit fossilen Brennstoffen zu gewinnen.

Kommerziell

Im Jahr 2006 erstellten zwei Edelman-Mitarbeiter einen Blog mit dem Titel "Wal-Marting Across America" über zwei Personen, die durch das ganze Land zu Wal-Marts reisten. Der Blog erweckte den Anschein, von spontanen Verbrauchern betrieben zu werden, wurde aber tatsächlich im Auftrag von Working Families for Walmart, einer von Wal-Mart finanzierten Gruppe, geführt. 2007 schaltete Ask.com eine Anti-Google-Werbekampagne, in der Google als "Informationsmonopol" dargestellt wurde, das dem Internet schade. Die Anzeige sollte den Anschein einer Volksbewegung erwecken und enthüllte nicht, dass sie von einem Konkurrenten finanziert wurde.

Im Jahr 2010 legte die Federal Trade Commission eine Beschwerde gegen das Unternehmen Reverb Communications bei, das Praktikanten einsetzte, um für Kunden positive Produktbewertungen im iTunes Store von Apple zu veröffentlichen. Im September 2012 wurde in Finnland einer der ersten größeren Fälle von Astroturfing aufgedeckt, bei dem es um Kritik an den Kosten eines 1,8 Milliarden Euro teuren Patienteninformationssystems ging, das durch gefälschte Online-Identitäten verteidigt wurde, die von beteiligten Anbietern betrieben wurden.

Im September 2013 kündigte der New Yorker Generalstaatsanwalt Eric T. Schneiderman einen Vergleich mit 19 Unternehmen an, um Astroturfing zu verhindern. "Astroturfing' ist die Version der falschen Werbung des 21. Jahrhunderts, und den Staatsanwälten stehen viele Instrumente zur Verfügung, um dem ein Ende zu setzen", sagte Schneiderman. Die Unternehmen zahlten 350.000 Dollar, um die Angelegenheit beizulegen, aber der Vergleich öffnete auch den Weg für private Klagen. "Jeder Staat hat eine Version der Statuten, die New York verwendet hat", so Rechtsanwalt Kelly H. Kolb. "Was der New Yorker Generalstaatsanwalt getan hat, ist vielleicht, dass er privaten Anwälten einen Weg zur Klageerhebung aufgezeigt hat.

Staatlich gesponsert

1993 gründete die Public-Relations-Agentur Burson-Marsteller die Astroturfing-Gruppe National Smokers Alliance (NSA) um die Anti-Raucher-Gesetzgebung im Sinne der Tabakindustrie zu beeinflussen. Mit finanzieller Unterstützung von Philip Morris USA wurden mit aggressiven Methoden Mitglieder für die NSA geworben, neben Einzelpersonen handelte es sich dabei vor allem um Restaurants. Obwohl die NSA sich den Anschein einer Graswurzelbewegung gab, handelte es sich um eine Frontorganisation der Tabakindustrie, wie später aufgedeckt werden konnte.

Der chinesische Menschenrechtler und Journalistikprofessor Xiao Qiang erläuterte 2008 anhand von internen Regierungsdokumenten, wie staatliche Stellen in der Volksrepublik China mit speziell trainierten Internetkommentatoren, der 50-Cent-Partei (so benannt nach dem Betrag, der ihnen Gerüchten zufolge für ein Posting gezahlt wird), virtuelle Debatten manipulieren.

Dem Blogger Richard Silverstein übermittelte einer seiner Leser während der Operation Gegossenes Blei Anfang 2009 einen Diskussionsleitfaden des israelischen Außenministeriums für Freiwillige, die in den Internetforen internationaler Medien die Militäroffensive Israels in Gaza verteidigen sollten. Im August 2013 bestätigte das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Berichte über ein Programm, für umgerechnet 583.000 Euro Studenten mit Stipendien auszustatten, die als Gegenleistung pro-israelische Postings auf Facebook und Twitter verbreiten sollen.

Im Februar 2012 veröffentlichte eine Gruppe, die sich als russischer Arm von Anonymous bezeichnete, angeblich von ihr gehackte E-Mail-Korrespondenzen zwischen der Führung der Jugendorganisation Naschi und einem Netzwerk von Bloggern und Internetbenutzern. Die in ihnen beschriebenen Aktivitäten umfassen Zahlungen für Postings, in denen die Politik von Wladimir Putin gelobt wird, Pläne, für mehr als zehn Millionen Rubel positive Artikel über das jährliche Sommerlager von Naschi in den Zeitungen Moskowski Komsomolez, Komsomolskaja Prawda und Nesawissimaja Gaseta zu erkaufen, Manipulationen der Benutzerbewertungen auf YouTube, Ideen für eine Online-Schmähkampagne gegen den Regierungskritiker Alexei Nawalny und die Überwachung der LiveJournal-Einträge der oppositionellen Politiker Nawalny, Boris Nemzow und Ilja Jaschin. Weitere Enthüllungen dieser Art erfolgten 2014. Demnach soll die sogenannte Troll-Armee, die damals im Sankt Petersburger Stadtteil Olgino residierte, von Jewgeni Prigoschin finanziert werden und ihre Aktivitäten im Gefolge des Euromaidan, der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland und des Kriegs im Osten der Ukraine auf die Kommentarspalten westlicher Medien ausgeweitet haben. Die Authentizität des Materials wurde von einem Geschäftsführer der Agentur zur Analyse des Internets gegenüber der Süddeutschen Zeitung bestätigt. 2015 meldeten die russischen Zeitungen Moi Rajon und Nowaja Gaseta unter Berufung auf interne Dokumente und Aussagen einer ehemaligen Mitarbeiterin, dass die Agentur über 400 Angestellte beschäftige, die für einen Monatslohn von 40.000 Rubeln in Zwölf-Stunden-Schichten rund um die Uhr arbeiteten. Einer der Aufträge sei die Verbreitung von Verschwörungstheorien zur Ermordung von Boris Nemzow gewesen. Ehemalige Beschäftigte der Agentur, deren Sitz sich nun in der Sankt Petersburger Sawuschkina-Straße 55 befindet, berichteten in Interviews, dass die Bezahlung in bar erfolge und es keine Arbeitsverträge, sondern lediglich Geheimhaltungsverpflichtungen gebe.

Ein Report von Freedom House stellte 2013 in 22 von 60 untersuchten Ländern Manipulationen von Online-Diskussionen durch von der jeweiligen Regierung bezahlte Kommentatoren fest, wobei in der Volksrepublik China, Bahrain und Russland diese Praktiken am massivsten eingesetzt wurden.

Im Gefolge der globalen Überwachungs- und Spionageaffäre veröffentlichte der Journalist Glenn Greenwald im Februar 2014 Dokumente aus dem Fundus des Whistleblowers Edward Snowden, aus denen hervorgehen soll, dass die Geheimdienste GCHQ und NSA versuchen, Online-Diskurse zu manipulieren und zu kontrollieren. Die Präsentation mit dem Titel The Art of Deception: Training for Online Covert Operations (dt.: Die Kunst der Täuschung: Training für verdeckte Onlineoperationen), die von der GCHQ-Arbeitsgruppe Joint Threat Research Intelligence Group (JTRIG) stammen soll, listet Maßnahmen zur gezielten Diskreditierung von Zielpersonen oder Unternehmen auf. Außerdem werden auf Erkenntnissen der Sozialwissenschaften basierende Taktiken geschildert, mit denen sich Internet-Debatten beeinflussen und auf ein gewünschtes Ziel hin steuern ließen.

Im Vorfeld der Parlamentswahl 2014 in Indien wurde sowohl der Bharatiya Janata Party (BJP) wie auch der Kongresspartei vorgeworfen, „politische Trolle“ zu beschäftigen, die in Blogs und sozialen Medien für sie Stimmung machen.

2015 stellte das Informationsministerium der Ukraine eine „Informationsarmee“ von Freiwilligen auf, die der russischen Trollarmee entgegentreten soll.

Astroturfing-Kampagnen werden ebenfalls von der organisierten Klimaleugnerbewegung angewandt. Wichtige Beispiele sind insbesondere die Kampagnen der Frontorganisationen Americans for Prosperity und FreedomWorks, die beide von den Gebrüdern Koch (Koch Industries) finanziert werden. Diesen kam eine einflussreiche Rolle bei der Formierung der Tea-Party-Bewegung zu; zugleich animierten sie die Tea-Party-Bewegung dazu, ihre Interessen auf die globale Erwärmung zu lenken. Eine weitere Astroturf-Organisation ist Energy Citizens, die sich offiziell als eine Bewegung Zehntausender Amerikaner darstellt, hinter der aber tatsächlich das American Petroleum Institute steht.

Auch Microsoft verwendete bereits Astroturfing. Bekannt geworden sind zahlreiche Fälle aus dem Jahr 2001, in denen unterstützende Briefe im amerikanischen Anti-Trust-Verfahren gefälscht oder zumindest vorformuliert wurden, einige dieser Briefe sogar im Namen von Verstorbenen. Studentenvertretungen an zahlreichen deutschen Universitäten bekamen darüber hinaus im Januar 2011 E-Mails gleichlautenden Inhalts von einer angeblichen Studentin, welche für einen Einsatz von OneNote warb. Diese Mails wurden jedoch nicht von einer Universitätsadresse abgeschickt, sondern aus einem IP-Subnetz von Microsoft.

Eine Fernsehserie von Al Jazeera, The Lobby, dokumentierte den Versuch Israels, eine freundlichere, israelfreundliche Rhetorik zu fördern, um die Einstellung der britischen Jugend zu beeinflussen, zum Teil durch die Beeinflussung bereits etablierter politischer Gremien wie der National Union of Students und der Labour Party, aber auch durch die Gründung neuer israelfreundlicher Gruppen, deren Zugehörigkeit zur israelischen Regierung geheim gehalten wurde.

Im Jahr 2008 schätzte die Expertin für chinesische Angelegenheiten, Rebecca MacKinnon, dass die chinesische Regierung 280.000 Personen in einer von der Regierung geförderten Astroturfing-Operation beschäftigt, um regierungsfreundliche Propaganda in den sozialen Medien zu verbreiten und abweichende Stimmen zu unterdrücken.

Im Juni 2010 schrieb die US-Luftwaffe eine Software für das Persona-Management" aus, die es einem Operator ermöglicht, eine Reihe verschiedener Online-Personen von ein und demselben Arbeitsplatz aus auszuüben, ohne befürchten zu müssen, von raffinierten Gegnern entdeckt zu werden. Personas müssen den Anschein erwecken können, aus nahezu jedem Teil der Welt zu stammen und können über herkömmliche Online-Dienste und Social-Media-Plattformen interagieren..." Der 2,6-Millionen-Dollar-Vertrag wurde an Ntrepid für eine Astroturfing-Software vergeben, die das Militär zur Verbreitung proamerikanischer Propaganda im Nahen Osten und zur Unterbrechung extremistischer Propaganda und Rekrutierung einsetzen würde. Es wird vermutet, dass der Auftrag im Rahmen eines Programms namens Operation Earnest Voice vergeben wurde, das zunächst als Waffe der psychologischen Kriegsführung gegen die Online-Präsenz von Gruppen entwickelt wurde, die gegen die Koalitionsstreitkräfte in Stellung gebracht wurden.

Am 11. April 2022, sieben Wochen nach der russischen Invasion in der Ukraine, veröffentlichte die BBC die Ergebnisse einer Untersuchung eines Netzwerks von Facebook-Gruppen, deren übergeordnetes Ziel es war, den russischen Präsidenten Wladimir Putin als Helden darzustellen, der sich mit überwältigender internationaler Unterstützung gegen den Westen stellt. Mit Hilfe von Forschern des Institute for Strategic Dialogue wurden Mitglieder, Aktivitäten und Beziehungen in zehn öffentlichen Pro-Putin-Gruppen analysiert, die zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels mehr als 650.000 Mitglieder hatten und Namen wie Vladimir Putin - Leader of the Free World trugen. Innerhalb eines Monats zählten die Forscher 16.500 Beiträge, die mehr als 3,6 Millionen Interaktionen erhielten. Die Kampagne "erweckt den Anschein einer weit verbreiteten Unterstützung für Putin und den Kreml im Schatten der Invasion und stützt sich auf ... nicht authentische Konten, um ihr Ziel zu erreichen", heißt es im ISD-Bericht. Der leitende Forscher Moustafa Ayad bezeichnete das Netzwerk und seine Praxis, Dutzende von doppelten Konten zu verwenden, die möglicherweise gegen die Facebook-Regeln für inauthentisches Verhalten verstoßen, als Beispiel für Astroturfing.

Methoden

Wie die meisten Formen von Propaganda versucht Astroturfing, die Emotionen der Öffentlichkeit gezielt zu beeinflussen und eine starke öffentliche Meinung mit einer bestimmten Ausrichtung vorzutäuschen. Die meisten bekannt gewordenen Fälle von Astroturfing stammen aus der Politik.

Die übliche Methode besteht dabei darin, dass sich wenige Personen als große Zahl von Aktivisten ausgeben, die für eine bestimmte Sache eintreten. Sie verschaffen sich Aufmerksamkeit, indem sie beispielsweise Leserbriefe und E-Mails schreiben, Blogeinträge verfassen, Crossposts verbreiten oder Trackbacks setzen. Sie erhalten von einer Zentrale Anweisungen darüber, welche Meinungen sie wann und wo äußern sollen und wie sie dafür sorgen können, dass ihre Empörung oder Anerkennung, ihre Freude oder ihre Wut vollkommen spontan und unbeeinflusst erscheint, so dass die zentral gesteuerte Kampagne den Eindruck echter Gefühle und Anliegen hinterlässt. Oftmals werden Lokalzeitungen Opfer von Astroturfing, indem sie Leserbriefe veröffentlichen, die mit identischem Inhalt auch an andere Zeitungen gesandt wurden.

Die Kosten von Astroturfingkampagnen sind durch die Effizienz von Internet und E-Mail stark gesunken. Es wird zunehmend auch Software („social bots“) eingesetzt, die es einzelnen Aktivisten vereinfacht, eine größere Anzahl Benutzerkonten in Blogs, Internetforen und sozialen Netzwerken zu verwalten und mit ihnen scheinbare Meinungsmehrheiten zu erzeugen.

Astroturfing kann als Übernahme der Methoden des Grassroots campaigning beschrieben werden. Seine Akteure verfolgen keinen demokratischen Bottom-up-Ansatz, sondern haben durch zentrale Koordination und Finanzierung eine Top-down-Prägung, die sie jedoch zu verheimlichen versuchen. In Anlehnung an das Grassroots-Campaigning wurde Astroturfing auch als Grassroots lobbying bezeichnet. Da heimlichem Lobbyismus wie Astroturfing die Legitimität von Basisbewegungen fehlt, gilt es als Problem, wenn Astroturfing als solches identifiziert wird:

„Einmal aufgedeckt, ernten solche Aktionen fast durchweg ein negatives Presseecho. Den Medien kommt eine wichtige Kontrollfunktion zu, wenn es darum geht, vorgetäuschte Grassrootskampagnen offenzulegen. Die genannten negativen Beispiele zeigen, dass Grassrootscampaigning für Unternehmen und Wirtschaftsverbände nur funktionieren kann, wenn von Anfang an mit offenen Karten gespielt wird. Nur wenn die Quelle und Financiers von Kommunikationsaktivitäten transparent sind, ist die Legitimität des Grassrootslobbying gegeben.“

Beispiele

Deutschland

Beispiele für Astroturfing in Deutschland sind der Bundesverband Landschaftsschutz und die Bürger für Technik der Atomindustrie.

2009 wurde durch die Bürgerrechtsorganisation Lobbycontrol bekannt, dass die Deutsche Bahn im Jahr 2007 knapp 1,3 Mio. Euro für die „verdeckte Beeinflussung der Öffentlichkeit“ ausgegeben hatte: Dabei wurde mit vermeintlich „unabhängigen“ Umfragen Stimmung gegen die Streiks der Lokführer 2007 und für die Privatisierung der Deutschen Bahn geschaffen. Außerdem wurden Foren und Blogs wie Brigitte.de und Spiegel Online mit bahnfreundlichen Beiträgen massiv unterwandert. Der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) rügte deswegen die Bahn sowie die PR-Firmen EPPA GmbH, Berlinpolis und Allendorf Media.

In einem ähnlichen Fall gab die EPPA GmbH verdeckte PR zum Thema Biokraftstoff in Auftrag, bei der die Agentur Berlinpolis in der Jungen Welt, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Frankfurter Rundschau sowie auf Focus Online vorgebliche Leserbriefe von Berliner Bürgern veröffentlichte.

Im Juni 2010 wurde bekannt, dass die Freie Demokratische Partei (FDP) wiederholt FDP-freundliche Kommentare im Blogforum ruhrbarone.de abgesetzt hatte. Der DRPR kritisierte daraufhin die FDP-Bundesgeschäftsstelle, durch dieses Verhalten „vor allem das Transparenzgebot zur Kontaktpflege im politischen Raum verletzt“ zu haben.

Laut Informationen des ARD-Magazins Plusminus und Lobbycontrol nutzen auch Unternehmen und Verbände der Braunkohlewirtschaft Astroturfing-Kampagnen für ihre PR-Arbeit: So bestünden z. B. enge personelle, organisatorische und inhaltliche Gemeinsamkeiten mit der sich als unabhängig darstellenden Bürgerinitiative „Unser Revier – Unsere Zukunft – An Rur und Erft“, dem Deutschen Braunkohlen-Industrie-Verein (DEBRIV) sowie dem Energieversorgungskonzern RWE AG. Dabei teilten sich die Bürgerinitiative, der DEBRIV sowie der Ring Deutscher Bergingenieure das gleiche Postfach; auch die Internetsite der Bürgerinitiative sei auf die Adresse von DEBRIV und den „Bezirksverein Rheinische Braunkohle“ registriert. Auch der den menschengemachten Klimawandel bestreitende Verein Pro Lausitzer Braunkohle ist eine Astroturfing-Organisation, die von Vattenfall finanziert wurde, um als „Sprachrohr einer angeblich schweigenden Mehrheit“ Stimmung für den Braunkohlebergbau zu machen. Dabei fanden sich gerade in der Debatte zur Energiewende vielfach Versuche, tatsächliche soziale Bewegungen wie Fridays for Future als Astroturfing zu delegitimieren.

Auch Unternehmen wie die Deutsche Telekom haben allem Anschein nach Kundenbewertungen von einer Textagentur fingieren lassen, um so eine angeregte Kundendebatte über diverse Produkte in dem eigenen Shopping-Portal vortäuschen zu können.

Schweiz

Das Zürcher Unternehmen Poolside AG hatte Anfang Dezember 2012 im Auftrag der Werbeanstalt Schweiz AG fünf Studenten angeworben, welche über mehrere Wochen hinweg dafür bezahlt wurden, in gängigen Schweizer Nachrichtenportalen unter einer Reihe von falschen Identitäten gezielt Stimmung gegen die Eidgenössische Volksinitiative «gegen die Abzockerei» zu machen. Die Sockenpuppen-Kampagne wurde nach einigen Wochen durch Recherchen des Tages-Anzeigers aufgedeckt und daraufhin eingestellt. Die Werbeanstalt Schweiz AG war zuvor vom Schweizer Wirtschaftsverband Economiesuisse dafür bezahlt worden, eine Plakat-Kampagne gegen die Volksinitiative durchzuführen, die Kampagnenleiterin des Wirtschaftsverbandes leugnete aber einen Zusammenhang. Die Volksinitiative wurde schließlich mit einem Ja-Stimmenanteil von 67,9 % angenommen.

Vereinigtes Königreich

Im Vereinigten Königreich hatten neben nationalistischen Strömungen vor allem ultrakonservative Politiker und neoliberale Rechte ein Interesse an einem Austritt des Landes ohne eine Einbindung in Regelungsmechanismen der Wirtschaft durch die Europäische Union. Nach der von etlichen Thinktanks und Unternehmen finanzierten „Vote Leave“ Kampagne von Boris Johnson, bauten die neoliberalen Unternehmer Richard Tice, John Longworth und Nigel Farage die Organisation „Leave means Leave“ auf. Mit dieser euroskeptischen Pressure Group lobbyierten sie als „Volksbegwegung“ für den Austritt des Vereinigten Königreichs mit einem „Hard Brexit“. Leave means Leave wird als Astroturfing Organisation der jungen neoliberalen Rechten angesehen und mit verantwortlich gemacht, für die politische Entwicklung die zum Rücktritt von Theresa May und dem Aufstieg von Boris Johnson führte. Etliche Aktive der Leave Means Leave Kampagne waren euroskeptische Konservative Abgeordnete des Unterhauses, organisiert in der sogenannten European Research Group (ERG). Tice wurde später Vorsitzender der Brexit Party (Reform UK).

Film

  • (Astro) Turf Wars (Australien 2010), Dokumentarfilm von Taki Oldham über Astroturfing-Kampagnen gegen Barack Obama