Giftschlange
Als Giftschlangen werden Schlangen bezeichnet, die zur Jagd auf Beute und zur Verteidigung Giftstoffe einsetzen. Durch das bei dem Biss injizierte Gift wird das Beutetier getötet oder ein Angreifer zumindest vergiftet. Es gibt weltweit gut 3900 bekannte Schlangenarten. Die Angaben, wie viele davon giftig sind, wechseln, wobei viele davon für Beutetiere, nicht aber für den Menschen gefährlich sind. Giftig sind beispielsweise die kompletten Familien der Giftnattern (Elapidae) und der Vipern (Viperidae) sowie die Erdvipern (Atractaspidinae). Die Reptile Database verzeichnete im Mai 2014 351 Arten der Giftnattern, 321 Arten der Vipern und 22 Arten der Erdvipern. Diese Familien enthalten ausschließlich Giftschlangen. Dazu addieren sich noch diverse weitere giftige Schlangen aus anderen Familien, wie beispielsweise die Boomslang aus der Familie der Nattern; insgesamt kommt man so auf ca. 700 giftige Arten. Die WHO verzeichnet 109 Arten mit hoher medizinischer Bedeutung für Menschen, und weitere 142 Arten mit geringerer oder unklarer Bedeutung, davon die meisten in den Tropen Afrikas und Asiens sowie in Australien. Von den in Deutschland natürlich vorkommenden Giftschlangen hat nur die Kreuzotter eine nennenswerte Bedeutung. ⓘ
Entwicklung
Die Evolutionsgeschichte der Giftschlangen lässt sich bis vor 28 Millionen Jahren zurückverfolgen. Schlangengift ist eigentlich ein modifizierter Speichel, der zur Ruhigstellung von Beutetieren und zur Selbstverteidigung verwendet wird, und wird in der Regel durch hochspezialisierte Zähne, hohle Reißzähne, direkt in die Blutbahn oder das Gewebe des Ziels abgegeben. Kürzlich wurden Beweise für die Toxicofera-Hypothese vorgelegt, wonach das Gift (in geringen Mengen) bei den Vorfahren aller Schlangen (sowie einiger Eidechsenfamilien) als "giftiger Speichel" vorhanden war und sich in den Schlangenfamilien, die normalerweise als giftig eingestuft werden, durch parallele Evolution zu Extremen entwickelt hat. Die Toxicofera-Hypothese besagt ferner, dass "nicht giftige" Schlangenlinien entweder die Fähigkeit zur Giftproduktion verloren haben (aber möglicherweise noch über verbleibende Giftpseudogene verfügen) oder tatsächlich Gift in geringen Mengen produzieren, das wahrscheinlich ausreicht, um kleine Beutetiere zu fangen, aber bei einem Biss keinen Schaden für den Menschen verursacht. ⓘ
Taxonomie
Es gibt keine einzige oder spezielle taxonomische Gruppe für Giftschlangen. Das Gift ist in mehreren Familien bekannt. Dies wurde dahingehend interpretiert, dass das Gift der Schlangen durch eine konvergente Evolution mehr als einmal entstanden ist. Etwa ein Viertel aller Schlangenarten sind als giftig bekannt. ⓘ
Familie | Beschreibung ⓘ |
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Atractaspididae (Attraktaspididen) | Erdnattern, Maulwurfsvipern, Stilettoschlangen |
Colubridae (Colubriden) | Die meisten sind harmlos, aber andere haben ein starkes Gift, und mindestens fünf Arten, darunter die Boomslang (Dispholidus typus), sind für den Menschen tödlich gewesen. |
Elapidae (Elapiden) | Seeschlangen, Taipane, Braunschlangen, Korallenschlangen, Kraits, Todesottern, Tigerschlangen, Mambas, Königskobras und Kobras |
Viperidae (Viperiden) | Echte Vipern, darunter die Russellviper, Sägeschuppenvipern, Puffotter und Grubenvipern, darunter Klapperschlangen, Lanzenköpfe, Kupferköpfe und Baumwollschlangen. |
Terminologie
Giftige Schlangen werden oft als giftig bezeichnet, aber Gift und Gift sind nicht dasselbe. Gifte müssen verschluckt, eingeatmet oder absorbiert werden, während das Gift mechanisch in den Körper injiziert werden muss. Es gibt einige wenige Schlangenarten, die tatsächlich giftig sind. Rhabdophis-Kielrückennattern sind sowohl giftig als auch giftig - ihre Gifte werden in Nackendrüsen gespeichert und durch die Aufnahme von Toxinen aus giftigen Kröten, die die Schlangen fressen, erworben. In ähnlicher Weise können bestimmte Strumpfbandnattern aus Oregon Giftstoffe in ihrer Leber speichern, die sie durch den Verzehr von Rauhhautmolchen aufgenommen haben. ⓘ
Gefährlich
Fragen zur Toxizität
Die Toxizität von Giften wird anhand der mittleren tödlichen Dosis verglichen (in der Regel werden Nagetiere als Versuchstiere verwendet und als LD50 bei Mäusen bezeichnet), d. h. der Giftdosis pro Körpereinheit, die die Hälfte der Versuchstiere tötet. Das Ergebnis hängt davon ab, welche der vier Verabreichungsstellen für die Injektion verwendet wird: Subkutis (SC), Vene (IV), Muskel oder Peritoneum (IP). Kleinere LD50-Werte bei Mäusen deuten auf giftigere Gifte hin, und es gibt zahlreiche Studien über Schlangengifte, bei denen die Potenzschätzungen variieren. Die SC-LD50 gilt als am besten auf tatsächliche Bisse anwendbar, da nur Vipern mit großen Reißzähnen (z. B. große Exemplare der Gattungen Bitis, Bothrops, Crotalus oder Daboia) zu einem wirklich intramuskulären Biss fähig sind, Schlangenbisse nur selten zu einer IV-Envenomie führen und eine IP-Envenomie noch seltener ist. Messungen der LD50 unter Verwendung von trockenem Gift, das mit 0,1 % Rinderserumalbumin in Kochsalzlösung gemischt wurde, sind konsistenter als die Ergebnisse, die mit Kochsalzlösung allein erzielt wurden. So hat beispielsweise das Gift der Östlichen Braunen Schlange eine LD50 (SC) von 41 μg/kg für Mäuse, wenn es in 0,1 % Rinderserumalbumin in Kochsalzlösung gemessen wird; bei Verwendung von Kochsalzlösung allein liegt der Wert bei 53 μg/kg. ⓘ
Die Belcher-See-Schlange (Hydrophis belcheri), die manchmal fälschlicherweise als Hakennasen-See-Schlange (Enhydrina schistosa) bezeichnet wird, ist fälschlicherweise als die giftigste Schlange der Welt popularisiert worden, und zwar aufgrund der ersten Ausgabe von Ernst und Zugs [de] Buch Snakes in Question: The Smithsonian Answer Book, das 1996 veröffentlicht wurde. Der prominente Giftexperte Associate Professor Bryan Grieg Fry hat den Irrtum aufgeklärt: "Der Mythos der Hakennase beruht auf einem grundlegenden Fehler in einem Buch mit dem Titel Snakes in Question. Darin wurden alle Ergebnisse von Toxizitätstests in einen Topf geworfen, unabhängig von der Art des Tests (z. B. subkutan vs. intramuskulär vs. intravenös vs. intraperitoneal). Da der Modus die relative Anzahl beeinflussen kann, können die Gifte nur innerhalb eines Modus verglichen werden. Ansonsten ist es wie mit Äpfeln und Steinen." Die tatsächliche LD50 von Belchers Seeschlange (IM) beträgt 0,24 mg/kg und 0,155 mg/kg. Studien an Mäusen und menschlichen Herzzellkulturen zeigen, dass das Gift des Inland-Taipans, Tropfen für Tropfen, das giftigste aller Schlangen ist. ⓘ
Schlange | Region | subkutane Injektion LD50 | intravenöse Injektion LD50 | |
0,1% Rinderserumalbumin in Kochsalzlösung | in Kochsalzlösung | |||
Inland Taipan | Australien | 0,01 mg/kg | 0,025 mg/kg | K.A. |
Dubois-Seeschlange | Korallenmeer, Arafura-See, Timorsee, Tar-Fluss und Indischer Ozean | K.A. | 0,044 mg/kg | K.A. |
Östliche Braunschlange | Australien, Papua-Neuguinea, Indonesien | 0,041 mg/kg | 0,053 mg/kg | 0,01 mg/kg |
Gelbbauchige Seeschlange | Tropische ozeanische Gewässer | K.A. | 0,067 mg/kg | K.A. |
Peron-Seeschlange | Golf von Siam, Straße von Taiwan, Korallenmeerinseln und andere Orte | K.A. | 0,079 mg/kg | K.A. |
Küstentaipan | Australien | 0,064 mg/kg | 0,105 mg/kg | 0,013 mg/kg |
Vielbindiger Krait | Festlandchina, Taiwan, Vietnam, Laos, Birma | K.A. | 0,108 mg/kg | 0,061 mg/kg |
Schwarzbinden-Seekraut | Ostküste der Malaiischen Halbinsel und Brunei, sowie in Halmahera, Indonesien | K.A. | 0,111 mg/kg | K.A. |
Schwarze Tigerschlange | Australien | 0,099 mg/kg | 0,131 mg/kg | K.A. |
Festland-Tigerschlange | Australien | 0,118 mg/kg | 0,118 mg/kg | 0,014 mg/kg |
Westaustralische Tigerschlange | Australien | 0,124 mg/kg | 0,194 mg/kg | K.A. |
Geschnäbelte Seeschlange | Tropischer Indo-Pazifik | 0,164 mg/kg | 0,1125 mg/kg | K.A. |
Die giftigsten Schlangen sind in Australien und im Meer (Seeschlangen) zu finden. Als Ort mit der höchsten Giftschlangendichte gilt die Insel Queimada Grande vor der Ostküste Brasiliens. ⓘ
Die giftigste Schlange der Welt ist der in Australien beheimatete Inlandtaipan. Die bekanntesten Konkurrenten des Inlandtaipans um die Frage des potenteren Giftes sind die Schnabelseeschlange (Enhydrina schistosa) und Dubois’ Seeschlange (Aipysurus duboisii). Allerdings liegt der LD50-Wert der Schnabelseeschlange bei knapp über 0,1 mg/kg, während Dubois’ Seeschlange 0,044 mg/kg erreicht. ⓘ
Bei der (ebenfalls in Australien heimischen) Östlichen Braunschlange (Pseudonaja textilis) wurde ein LD50-Wert von etwa 0,037 mg/kg ermittelt. ⓘ
Hierbei ist zu beachten, dass die Ergebnisse solcher Messungen sich je nach Tier und Messart anders ergeben. Die hier dargestellten Ergebnisse sind daher nicht absolut. ⓘ
Andere Faktoren
Die Toxizität von Schlangengift [basierend auf Labortests an Mäusen] wird manchmal herangezogen, um das Ausmaß der Gefahr für den Menschen abzuschätzen, aber das reicht nicht aus. Viele Giftschlangen sind spezialisierte Raubtiere, deren Gift so angepasst sein kann, dass es ihre bevorzugte Beute außer Gefecht setzt. Bei der Bestimmung der potenziellen Gefahr, die von einer bestimmten Giftschlange für den Menschen ausgeht, sind auch eine Reihe anderer Faktoren entscheidend, darunter ihre Verbreitung und ihr Verhalten. Der Inland-Taipan beispielsweise gilt zwar als die giftigste Schlange der Welt, wie LD50-Tests an Mäusen zeigen, ist aber eine scheue Art, die nur selten zuschlägt und noch keinen einzigen Todesfall beim Menschen verursacht hat. Die vier großen indischen Schlangenarten (Indische Kobra, Gewöhnliche Kraite, Russellviper und Sägeschildviper) sind zwar weniger giftig als die Inland-Taipan, kommen aber in größerer Nähe zu menschlichen Siedlungen vor und sind angriffslustiger, was zu mehr Todesfällen durch Schlangenbisse führt. Darüber hinaus zeigen einige Arten, wie die Schwarze Mamba und der Küstentaipan, gelegentlich eine gewisse Aggressivität, in der Regel, wenn sie erschreckt werden oder sich selbst verteidigen, und können dann tödliche Giftdosen abgeben, was zu einer hohen Sterblichkeitsrate beim Menschen führt. ⓘ
Beißen und Spucken
Die Giftzähne der Schlangen befinden sich vorn (in den Mund zurückklappbar oder feststehend) oder hinten im Oberkiefer. Die Zähne werden nach einer bestimmten Zeit durch andere, sich nach vorne schiebende Zähne ersetzt und fallen aus. Das Gift wird in Oberlippendrüsen gebildet und bei einem Biss in das Beutetier gespritzt. Das Gift kann entweder auf das zentrale Nervensystem (neurotoxisch) oder auf das Blut und Gewebe (hämotoxisch) des Opfers wirken, bei manchen Schlangenarten (z. B. der Gabunviper) auch beides. Neurotoxische Gifte wirken lähmend und schränken die Funktion der Atemorgane ein, was zum Erstickungstod führen kann. Hämotoxische Gifte greifen die Blutzellen und das Gewebe an. ⓘ
Nach dem Angriff ziehen sich die meisten Schlangen zurück und warten, bis das Tier tot oder gelähmt ist. Beim Verschlingen gibt die Schlange noch mehrmals Gift in das Beutetier ab. Schlangengifte enthalten auch Enzyme, die zur Verdauung der Beute dienen. ⓘ
Ein trockener Biss ist ein Biss, bei dem kein Gift injiziert wird. ⓘ
Speikobras können zur Verteidigung ihr Gift dem Angreifer entgegenspritzen, wobei sie auf das Gesicht zielen. Auf intakter Haut wirkungslos, verursacht es in den Augen starke Schmerzen und eine Beeinträchtigung der Sehfähigkeit, wobei unbehandelt längerfristige Schäden bis hin zur Blindheit möglich sind. Es ähnelt in der Zusammensetzung den Giften anderer Giftnattern. ⓘ
Giftschlangen und Menschen
Zur Anzahl der weltweit jährlich durch Giftschlangen verursachten Todesfälle gibt es keine sicheren Angaben, eine neuere Schätzung gibt 21.000 bis 94.000 Todesfälle pro Jahr an. Andere Schätzungen gehen von 100.000 Todesfällen weltweit pro Jahr aus, weitere 300.000 Bissopfer erleiden teilweise chronische Schäden. Jährlich werden weltweit etwa 5 Millionen Menschen von Giftschlangen gebissen, meist Frauen, Kinder und Bauern in armen und ländlichen Gegenden der Tropen. Die Entwicklung von wirkungsvollen Seren hat dazu beigetragen, dass die Todesfälle zurückgegangen sind. ⓘ
Des Weiteren wird Schlangengift häufig zu medizinischen Zwecken gebraucht, zum Beispiel zur Antikörperbildung und zur Bekämpfung von Viren. ⓘ
Giftschlangen kommen auch als Heimtiere vor, wobei auf eine artgerechte Haltung zu achten ist. Eine nicht artgerechte Haltung ist für das Tier eine Qual. In vielen Teilen der EU ist das Halten von giftigen Wildtieren behördlich genehmigungspflichtig. Fahrlässige Haltung kann zur Gefährdung der Mitmenschen führen. Ferner ist auch eine Erlaubnis des Vermieters erforderlich und ein Verstoß kann zur Beendigung des Mietverhältnisses führen. ⓘ
Das nordrhein-westfälische Gifttiergesetz reglementiert seit dem 1. Januar 2021 die Haltung von Giftschlangenarten im engeren Sinne (Familien Viperidae, Atractaspididae und Elapidae) sowie aus der Familie der Nattern (Colubridae) alle Arten der Gattungen Boiga (Nachtbaumnattern), Dispholidus (Boomslang), Thelotornis (Baumnattern) und die Art Rhabdophis tigrinus (Tigernatter) einschließlich ihrer Unterarten und Kreuzungen. ⓘ
Systematik
Giftschlangen kommen in den folgenden Familien vor:
- Giftnattern (Elapidae) mit zwei Unterfamilien:
- Giftnattern (Elapinae), zu denen z. B. die Mambas (Dendroaspis sp.), Kobras (Naja sp.) und die neuweltlichen Korallenottern (Micrurus sp.) gehören
- Seeschlangen (Hydrophiinae), die zusammen mit den landlebenden australoasiatischen Giftnattern ein Taxon innerhalb der Elapidae bilden. Beispiele: Ruderschlangen (Hydrophis sp.), Plattschwänze (Laticauda sp.), Taipane (Oxyuranus sp.), Braunschlangen (Pseudonaja sp.) und Tigerottern (Notechis sp.) ⓘ
- Vipern (Viperidae) mit vier Unterfamilien:
- Echte Vipern (Viperinae), in Mitteleuropa vertreten durch Kreuzotter (Vipera berus), Aspisviper (Vipera aspis) und Wiesenotter (Vipera ursinii). Weitere Gattungen sind z. B. die Puffottern (Bitis sp.) und die Sandrasselottern (Echis sp.)
- Grubenottern (Crotalinae), in Amerika unter anderem vertreten durch die Klapperschlangen (Crotalus sp.), die Dreieckskopfottern (Agkistrodon sp.) und die Lanzenottern (Bothrops sp.), in Asien mit den Bambusottern (Trimeresurus sp.) oder den Halysottern (Gloydius sp.), in Afrika mit den Krötenvipern (Causus)
- urtümlichen Vipern (Azemiopinae) aus Asien mit der Fea-Viper (Azemiops feae) und Azemiops kharini (Weißkopf-Fea-Viper) als einzige Vertreter ihrer Art ⓘ
- Erdvipern (Atractaspididae), in der einige Gattungen bzw. Arten zusammengefasst werden, die zuvor anderen Familien zugeordnet waren, z. B. Muellers Erdviper (Micrelaps muelleri) ⓘ
In der Familie der Nattern (Colubridae) finden sich einige Schlangen mit hinterständigen Furchengiftzähnen, die als Trugnattern bezeichnet werden, jedoch kein eigenes Taxon bilden. Während die Kapuzennattern (Macroprotodon sp.) oder die Katzennattern (Telescopus sp.), die auch in Südeuropa verbreitet sind, nur über ein schwaches Gift verfügen, können die afrikanische Boomslang (Dispholidus typus), die Lianennatter (Thelotornis kirtlandi) und die Mangroven-Nachtbaumnatter (Boiga dendrophila) dem Menschen gefährlich werden. ⓘ