Dissident

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Ein Dissident ist eine Person, die ein etabliertes politisches oder religiöses System, eine Doktrin, einen Glauben, eine Politik oder eine Institution aktiv in Frage stellt. Im religiösen Kontext wird der Begriff seit dem 18. Jahrhundert verwendet, im politischen Sinne seit den 1920er Jahren, als totalitäre Regierungen in Ländern wie dem faschistischen Italien, dem nationalsozialistischen Deutschland, dem kaiserlichen Japan, der Sowjetunion, Saudi-Arabien und dem Iran aufkamen. In der westlichen Welt gibt es historische Beispiele von Menschen, die als Dissidenten galten und sich selbst als solche betrachteten, wie etwa der niederländische Philosoph Baruch Spinoza. In totalitären Ländern werden Dissidenten oft ohne ausdrückliche politische Anschuldigungen oder aufgrund von Verstößen gegen dieselben Gesetze, gegen die sie sich wehren, inhaftiert, oder weil sie sich für bürgerliche Freiheiten wie die Redefreiheit einsetzen.

Dissident (von lateinisch dissidēre „auseinander sitzen, nicht übereinstimmen, in Widerspruch stehen“) bezeichnet einen unbequemen Andersdenkenden, der öffentlich gegen die allgemeine Meinung oder politische Regierungslinie aktiv auftritt. Hauptsächlich wird die Bezeichnung für Oppositionelle in Diktaturen und totalitären Staaten verwendet, weil das ungehinderte Aussprechen der eigenen Meinung in Demokratien ein Grundrecht ist und damit als selbstverständlich gilt.

Ostblock

Václav Havel, Dramatiker, ehemaliger Dissident, eine der wichtigsten Persönlichkeiten in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Anführer der Samtenen Revolution. Der letzte Präsident der Tschechoslowakei und der erste Präsident der Tschechischen Republik.

Der Begriff Dissident wurde im Ostblock, insbesondere in der Sowjetunion, in der Zeit nach dem Tod Josef Stalins bis zum Zusammenbruch des Kommunismus verwendet. Er wurde für Bürger verwendet, die die Praktiken oder die Autorität der kommunistischen Partei kritisierten. Die Autoren der unzensierten, unangepassten Samizdat-Literatur wurden in den offiziellen Zeitungen kritisiert. Bald begannen viele, die mit den Regimen des Ostblocks unzufrieden waren, sich selbst als Dissidenten zu bezeichnen. Dadurch änderte sich die Bedeutung des Begriffs radikal: Anstatt sich auf eine Person zu beziehen, die sich gegen die Gesellschaft stellt, bezeichnete er nun eine Person, deren Nonkonformismus als zum Wohle der Gesellschaft empfunden wurde. In Ungarn wurde das Wort disszidens im zeitgenössischen Sprachgebrauch für eine Person verwendet, die sich unerlaubt in den Westen abgesetzt hatte (d. h. ein Überläufer), indem sie illegal die Grenze überschritt oder mit einem Pass ins Ausland reiste, aber nicht zurückkehrte und (manchmal) im Ausland Asyl beantragte. Diesen Personen wurde in der Regel die Staatsbürgerschaft entzogen, und ihr zurückgelassenes Vermögen (sofern vorhanden) fiel an den Staat zurück.

Sowjetische

Mitglieder der Moskauer Helsinki-Gruppe: Yuliya Vishnevskaya, Lyudmila Alexeyeva, Dina Kaminskaya, Kronid Lyubarsky in München, 1978

Sowjetische Dissidenten waren Menschen, die mit bestimmten Merkmalen der sowjetischen Ideologie nicht einverstanden waren und bereit waren, sich dagegen auszusprechen. Der Begriff Dissident wurde in der Sowjetunion in der Zeit nach dem Tod Josef Stalins bis zum Fall des Kommunismus verwendet. Er wurde für kleine Gruppen von Intellektuellen verwendet, die an den Rand gedrängt wurden und deren bescheidene Herausforderungen an das sowjetische Regime auf den Schutz und die Ermutigung von Korrespondenten stießen. In Anlehnung an die Etymologie des Begriffs wird ein Dissident als "abseits" des Regimes stehend betrachtet. Als die Dissidenten begannen, sich selbst als Dissidenten zu bezeichnen, wurde der Begriff zu einer Bezeichnung für eine Person, deren Nonkonformismus als zum Wohle der Gesellschaft empfunden wurde.

Politische Opposition war in der UdSSR kaum sichtbar und, von wenigen Ausnahmen abgesehen, von geringer Bedeutung. Stattdessen bestand ein wichtiges Element der Dissidententätigkeit in der Sowjetunion darin, die Gesellschaft (sowohl innerhalb der Sowjetunion als auch im Ausland) über die Verletzung von Gesetzen und Menschenrechten zu informieren. Mit der Zeit schuf die Dissidentenbewegung ein lebhaftes Bewusstsein für die Missstände im sowjetischen Kommunismus.

Sowjetische Dissidenten, die den Staat kritisierten, sahen sich nach dem sowjetischen Strafgesetzbuch mit möglichen rechtlichen Sanktionen konfrontiert und hatten die Wahl zwischen Exil, psychiatrischer Anstalt oder Zuchthausaufenthalt. Antisowjetisches politisches Verhalten - insbesondere die offene Opposition gegen die Behörden, Demonstrationen für Reformen oder sogar das Schreiben von Büchern - wurde gleichzeitig als Straftat (z. B. Verstoß gegen Artikel 70 oder 190-1), als Symptom (z. B. "Reformwahn") und als Diagnose (z. B. "träge Schizophrenie") definiert.

Myanmar

Ang San Suu Ki ist eine berühmte myanmarische Dissidentin, die auch den Friedensnobelpreis erhalten hat.

Irland

Der Begriff "Dissident" ist zum Hauptbegriff für irische Republikaner geworden, die sich politisch weiterhin gegen das Karfreitagsabkommen von 1998 stellen und das Ergebnis der Volksabstimmungen darüber ablehnen. Diese politischen Parteien haben auch paramilitärische Flügel, die gewaltsame Methoden befürworten, um ein vereinigtes Irland zu erreichen.

Zu den irisch-republikanischen Dissidentengruppen gehören die Irish Republican Socialist Party (gegründet 1974 - ihr derzeit aktiver paramilitärischer Flügel ist die Irish National Liberation Army), die Republican Sinn Féin (gegründet 1986 - ihr paramilitärischer Flügel ist die Continuity IRA) und das 32 County Sovereignty Movement (gegründet 1997 - ihr paramilitärischer Flügel ist die Real IRA). Im Jahr 2006 entstand die Óglaigh na hÉireann, die eine Splittergruppe der Continuity IRA ist.

Technik

Dissidenten und Aktivisten gehörten zu den ersten Anwendern verschlüsselter Kommunikationstechnologien wie Tor und das Dark Web. Sie nutzten diese Technologie, um sich totalitären Regimen zu widersetzen, Zensur und Kontrolle zu umgehen und ihre Privatsphäre zu schützen.

Tor wurde von den Demonstranten gegen das Mubarak-Regime in Ägypten im Jahr 2011 in großem Umfang genutzt. Tor ermöglichte es ägyptischen Dissidenten, anonym und sicher zu kommunizieren und gleichzeitig sensible Informationen auszutauschen. Auch syrische Rebellen nutzten Tor in großem Umfang, um der Welt all die Schrecken mitzuteilen, die sie in ihrem Land erlebten. Außerdem nutzten regierungskritische Dissidenten im Libanon, in Mauretanien und in anderen Ländern, die vom Arabischen Frühling betroffen waren, Tor, um sicher zu sein und ihre Ideen und Pläne auszutauschen.

Naher Osten

Der saudi-arabische Dissidentenjournalist Jamal Khashoggi (links) bei einem Forum des Project on Middle East Democracy 2018 in Washington, D.C.

Saudi-Arabien

Jamal Khashoggi war ein saudi-amerikanischer Dissident und Journalist. Er wurde im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul von Agenten der saudischen Regierung ermordet, angeblich auf Geheiß von Kronprinz Mohammed bin Salman.

Verschiedene andere Menschenrechtsaktivisten aus Saudi-Arabien wurden entweder zum Schweigen gebracht oder bestraft. Dies geschieht auch, wenn die betreffende Person außerhalb des Landes lebt. Wenn ein Dissident nicht die saudische Staatsbürgerschaft besitzt, muss er wahrscheinlich mit seiner Abschiebung rechnen.

Das Fact Finding Panel (FFP), eine unabhängige Jury aus britischen Parlamentsmitgliedern und internationalen Anwälten, wurde mit der Überprüfung der Inhaftierung des ehemaligen saudischen Kronprinzen Mohammed bin Nayef und des Prinzen Ahmed bin Abdulaziz beauftragt. Mitte Dezember 2020 veröffentlichte das Gremium einen Bericht, in dem es feststellte, dass die kollektive Inhaftierung politischer Gefangener durch das Königreich Saudi-Arabien einen Verstoß gegen die internationalen rechtlichen Verpflichtungen des Landes darstellt, da die Behörden die Gefangenen ohne Anklage festhalten und ihnen keine Möglichkeit geben, ihre Inhaftierung anzufechten. Die Inhaftierung gefährdet auch die Sicherheit der Gefangenen, da sie ohne angemessene medizinische Versorgung inmitten der anhaltenden COVID-19-Pandemie hinter Gittern festgehalten werden, was ein tödliches Risiko für ihre Gesundheit darstellt.

Bahrain

Eine weitere Monarchie des Nahen Ostens, Bahrain, ist dafür bekannt, dass sie die Rechte friedlicher Kritiker der Regierung, einschließlich politischer Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger, verletzt. Ein von Amnesty International 2017 veröffentlichter Bericht zeigte, dass das Land zwischen Juni 2016 und Juni 2017 verschiedene repressive Maßnahmen wie willkürliche Verhaftungen, Folter und Schikanen einsetzte, um Dissidenten zu unterdrücken. Mehrere Menschenrechtsorganisationen und internationale Führungspersönlichkeiten haben die schlechte Menschenrechtsbilanz Bahrains immer wieder angeprangert.

Im Human Rights Watch World Report 2021 wurde ebenfalls hervorgehoben, dass Bahrain seine repressiven Maßnahmen gegen Dissidenten fortsetzt, einschließlich Maßnahmen gegen Online-Aktivitäten, friedliche Kritiker und Oppositionsaktivisten. Im Januar 2021 schrieben vierzig parteiübergreifende Abgeordnete des Vereinigten Königreichs einen Brief an den Vizekanzler einer Bildungseinrichtung, der Universität von Huddersfield, in dem sie das Risiko einer "indirekten Verwicklung in Menschenrechtsverletzungen" sahen. Die Universität führte einen Masterstudiengang (MSc in Security Science) für Beamte der Royal Academy of Policing in Bahrain durch, deren Gebäude auch für die Folterung von Dissidenten genutzt wurde.

Im April 2021 nahm das Europäische Parlament eine Entschließung zu Bahrain an, insbesondere zu den Fällen der inhaftierten Dissidenten Nabeel Rajab, Abdulhadi al-Khawaja und Ibrahim Sharif. Mit 48 Ja-Stimmen verurteilten die Abgeordneten Bahrain für seine Menschenrechtsverletzungen und forderten die sofortige Freilassung aller politischen Aktivisten, politischen Gefangenen, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und friedlichen Demonstranten. Das Europäische Parlament forderte die bahrainische Regierung auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das Gesetz zu respektieren und sicherzustellen, dass ihre Handlungen in vollem Einklang mit den internationalen Menschenrechtsnormen stehen.

Iran

Die iranischen Dissidenten setzen sich aus verstreuten Gruppen zusammen, die die derzeitige Regierung und damit auch das vorherige Regime ablehnen und stattdessen die Einrichtung demokratischer Institutionen anstreben.

UAE

Den VAE wird vorgeworfen, Kritiker zu inhaftieren. Wie in vielen anderen Ländern des Nahen Ostens ist Kritik an der Regierung nicht erlaubt. Viele emiratische Dissidenten sitzen im Gefängnis, einige von ihnen seit einem Jahrzehnt.

Geschichte

Die Bezeichnung „Dissident“ wurde 1573 in der Warschauer Konföderation für die Protestanten geprägt, die nicht der in Polen-Litauen herrschenden römisch-katholischen Kirche angehörten. Der Begriff blieb bis in das späte 18. Jahrhundert in Polen-Litauen für alle nichtkatholischen Christen (Protestanten und Orthodoxe) gebräuchlich.

Im 17. Jahrhundert fand er als „Dissenter“ Verbreitung in England, als Bezeichnung für protestantische Gruppen, die nicht zu einer Integration in die anglikanische Kirche bereit waren.

Im 18. Jahrhundert bezeichnet Dissident denjenigen, den keiner anerkannte. Seit dem 19. Jahrhundert ist es jener, der keiner Religionsgemeinschaft angehört. Entsprechend wurden die Gesetze, die Konfessionslosigkeit ermöglichten, Dissidentengesetz genannt. Auch die Mitglieder der deutschkatholischen Vereine, die sogenannten Deutschkatholiken, sowie die protestantischen Freien Gemeinden, die sogenannten Lichtfreunde, die sich 1856 mit den Deutschkatholiken zum Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands zusammenschlossen, wurden offiziell als Dissidenten bezeichnet. Üblich war dies in Deutschland mindestens bis in die 1930er Jahre.

Gegenwart

Die Bezeichnung Dissident wurde ab den 1970er Jahren vorwiegend für oppositionelle Künstler und Intellektuelle (insbesondere Bürgerrechtler) des kommunistischen Herrschaftsbereichs verwendet. Die Entstehung der sowjetrussischen Dissidentenbewegung war nicht zuletzt eine Reaktion auf das Ende des poststalinistischen Massenterrors gewesen. Die Verhaftung der Schriftsteller Andrei Sinjawski und Juli Daniel im September 1965 hatte eine Entwicklung angestoßen, die in der ersten öffentlichen Kampagne für Bürgerrechte hinter dem Eisernen Vorhang münden sollte. Getragen wurde sie von einer losen Koalition von Naturwissenschaftlern, Mathematikern und anderen Vertretern der städtischen Intelligenz, die eng mit westlichen Menschenrechtsaktivisten zusammenarbeiteten.

Weitere Beispiele für Dissidenten in den ehemals kommunistischen Staaten sind Andrej Sacharow, Alexander Solschenizyn, Milovan Đilas, Wladimir Bukowski und Václav Havel. Ein Beispiel für eine andere Art des Wortgebrauchs ist der Fall des Atomkraftmanagers und späteren „Kernenergie-Dissidenten“ Klaus Traube.

In der DDR wurden Dissidenten generell als Feindlich-negative Personen bezeichnet und bis in die 1970er Jahre vom Ministerium für Staatssicherheit mit ähnlichen Methoden bekämpft wie in der Sowjetunion. Mit der Ära Honecker verlegte man sich auf ein subtileres, vom MfS eigens dazu entwickeltes Verfahren, die so genannte Zersetzung. Sie umfasste die heimlich durchgeführte psychische Zerstörung von Oppositionellen, um die Opfer dadurch an weiteren politischen Handlungen zu hindern. Dadurch konnte der Einsatz physischer Gewalt und von Inhaftierungen weitgehend vermieden werden, was der auf ihr internationales Renommee bedachten DDR-Führung entgegenkam.

Gemeinsames Merkmal aller Dissidenten war und ist die öffentliche Kritik am bestehenden politischen System, abseits von Zeitgeist und Mainstream und unter bewusster Inkaufnahme von persönlichen Nachteilen. Im weiteren Sinne werden heute auch allgemein deutlich regierungs- bzw. systemkritische Intellektuelle als Dissidenten bezeichnet. So wird die Bezeichnung im englischen Sprachraum unter anderem auf den US-Amerikaner Noam Chomsky angewandt.

Im Juni 2016 wurde der AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon in der deutschen Presse scharf angegriffen, weil er gerichtlich verurteilte Holocaust-Leugner wie David Irving, Horst Mahler und Ernst Zündel in einem Buch als Dissidenten bezeichnet hatte, die nur wegen ihrer Meinung hinter Gitter gesperrt würden.

Im Februar 2009 waren nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen weltweit 66 so genannte Internet-Dissidenten (im Internet aktive Bürger-Journalisten) in Haft.