Diathese-Stress-Modell

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Schematische Darstellung des Diathese-Stress-Modells

Das Diathese-Stress-Modell, auch bekannt als Vulnerabilitäts-Stress-Modell, ist eine psychologische Theorie, die versucht, eine Störung bzw. deren Verlauf als Ergebnis einer Wechselwirkung zwischen einer prädisponierten Vulnerabilität, der Diathese, und durch Lebenserfahrungen verursachtem Stress zu erklären. Der Begriff Diathese leitet sich vom griechischen Begriff (διάθεσις) für eine Veranlagung oder Empfindlichkeit ab. Eine Diathese kann in Form von genetischen, psychologischen, biologischen oder situativen Faktoren auftreten. Die individuelle Anfälligkeit für die Entwicklung einer Störung kann sehr unterschiedlich sein.

Die Diathese oder Veranlagung steht in Wechselwirkung mit der anschließenden Stressreaktion des Einzelnen. Stress ist ein Lebensereignis oder eine Reihe von Ereignissen, die das psychologische Gleichgewicht einer Person stören und die Entwicklung einer Störung katalysieren können. Das Diathese-Stress-Modell dient also dazu, zu erforschen, wie biologische oder genetische Merkmale (Diathesen) mit Umwelteinflüssen (Stressoren) zusammenwirken, um Störungen wie Depressionen, Angstzustände oder Schizophrenie hervorzurufen. Das Diathese-Stress-Modell geht davon aus, dass eine Person eine Störung entwickelt, wenn die Kombination aus Veranlagung und Stress eine bestimmte Schwelle überschreitet. Die Verwendung des Begriffs Diathese in der Medizin und im Fachgebiet der Psychiatrie reicht bis in die 1800er Jahre zurück. Das Diathese-Stress-Modell wurde jedoch erst in den 1960er Jahren von Paul Meehl zur Erklärung der Schizophrenie eingeführt und zur Beschreibung der Entwicklung der Psychopathologie verwendet.

Das Diathese-Stress-Modell wird in vielen Bereichen der Psychologie verwendet, insbesondere zur Untersuchung der Entwicklung von Psychopathologie. Es ist nützlich, um das Zusammenspiel von Natur und Veranlagung bei der Anfälligkeit für psychische Störungen während der gesamten Lebensspanne zu verstehen. Diathese-Stress-Modelle können auch dabei helfen, zu bestimmen, wer eine Störung entwickeln wird und wer nicht. Im Zusammenhang mit Depressionen kann das Diathese-Stress-Modell zum Beispiel erklären, warum Person A depressiv wird, während Person B nicht depressiv wird, selbst wenn sie denselben Stressfaktoren ausgesetzt ist. In jüngerer Zeit wurde das Diathese-Stress-Modell verwendet, um zu erklären, warum einige Personen ein höheres Risiko für die Entwicklung einer Störung haben als andere. So sind beispielsweise Kinder, in deren Familie Depressionen vorkommen, im Allgemeinen anfälliger dafür, selbst eine depressive Störung zu entwickeln. Ein Kind, in dessen Familie Depressionen vorkommen und das einem besonderen Stressfaktor ausgesetzt war, wie etwa Ausgrenzung oder Ablehnung durch Gleichaltrige, wird mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Depression entwickeln als ein Kind, in dessen Familie Depressionen vorkommen und das ansonsten ein positives soziales Netzwerk von Gleichaltrigen hat. Das Diathese-Stress-Modell hat sich auch als nützlich erwiesen, um andere schlechte (aber nicht klinische) Entwicklungsergebnisse zu erklären.

Schutzfaktoren, wie positive soziale Netzwerke oder ein hohes Selbstwertgefühl, können den Auswirkungen von Stressoren entgegenwirken und die Folgen der Störung verhindern oder eindämmen. Bei vielen psychischen Störungen gibt es ein Zeitfenster der Anfälligkeit, in dem die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person eine Störung entwickelt, größer ist als bei anderen. Diathese-Stress-Modelle werden häufig als multikausale Entwicklungsmodelle konzeptualisiert, die davon ausgehen, dass mehrere Risikofaktoren im Laufe der Entwicklung mit Stressoren und Schutzfaktoren interagieren, die zu einer normalen Entwicklung oder Psychopathologie beitragen. Die Hypothese der differenziellen Anfälligkeit ist eine neuere Theorie, die aus dem Diathese-Stress-Modell hervorgegangen ist.

Auswirkungen wechselnder Belastungen über eine Entwicklung der Anfälligkeit
Belastbarkeit in Abhängigkeit von der Anfälligkeit

Diathese

Eine Tassenanalogie, die zeigt, dass Person 2 bei gleicher Menge an Stressoren aufgrund ihrer Veranlagung anfälliger ist als Person 1.

Der Begriff Diathese ist ein Synonym für Anfälligkeit, und in der Psychologie sind Varianten wie "Anfälligkeit-Stress" üblich. Eine Vulnerabilität macht es wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher, dass ein Individuum der Entwicklung einer Psychopathologie erliegt, wenn es einem bestimmten Stress ausgesetzt ist. Diathesen gelten als dem Individuum inhärent und werden typischerweise als stabil, aber nicht unveränderlich über die Lebensspanne hinweg konzeptualisiert. Sie werden auch oft als latent (d. h. schlafend) betrachtet, da sie schwerer zu erkennen sind, wenn sie nicht durch Stressoren ausgelöst werden.

Unter Diathesen versteht man genetische, biologische, physiologische, kognitive und persönlichkeitsbezogene Faktoren. Einige Beispiele für Diathesen sind genetische Faktoren, wie Anomalien in einigen Genen oder Variationen in mehreren Genen, die zusammenwirken und die Anfälligkeit erhöhen. Andere Diathesen sind frühe Lebenserfahrungen wie der Verlust eines Elternteils oder ein hoher Neurotizismus. Diathesen können auch als situationsbedingte Faktoren konzeptualisiert werden, z. B. ein niedriger sozioökonomischer Status oder die Tatsache, dass ein Elternteil an einer Depression leidet.

Stress

Stress kann als ein Lebensereignis begriffen werden, das das Gleichgewicht im Leben einer Person stört. So kann eine Person beispielsweise anfällig für Depressionen sein, aber erst dann eine Depression entwickeln, wenn sie einem bestimmten Stress ausgesetzt ist, der eine depressive Störung auslösen kann. Stressoren können in Form eines einzelnen Ereignisses auftreten, wie z. B. die Scheidung der Eltern oder ein Todesfall in der Familie, oder sie können eher chronische Faktoren sein, wie z. B. eine langfristige Krankheit oder anhaltende Eheprobleme. Stress kann auch mit eher alltäglichen Problemen zusammenhängen, z. B. mit dem Abgabetermin einer Schulaufgabe. Dies entspricht auch dem populären (und ingenieurwissenschaftlichen) Gebrauch des Begriffs Stress, aber es ist zu beachten, dass in der Literatur Stress als Reaktion auf Stressoren definiert wird, insbesondere wenn der Gebrauch in der Biologie die Neurowissenschaften beeinflusst.

Es ist seit langem bekannt, dass psychologischer Stress eine wichtige Rolle für das Verständnis der Entwicklung von Psychopathologie bei Individuen spielt. Psychologen haben jedoch auch festgestellt, dass nicht alle Personen, die gestresst sind oder stressige Lebensereignisse durchleben, eine psychische Störung entwickeln. Um dies zu verstehen, untersuchten Theoretiker und Forscher andere Faktoren, die sich auf die Entwicklung einer Störung auswirken, und schlugen vor, dass einige Personen unter Stress eine Störung entwickeln und andere nicht. So sind einige Personen anfälliger für die Entwicklung einer Störung als andere, sobald der Stress eingesetzt hat. Dies führte zu der Formulierung des Diathese-Stress-Modells.

Genetik

Sensory Processing Sensitivity (SPS) ist ein Temperaments- oder Persönlichkeitsmerkmal, das "eine erhöhte Empfindlichkeit des zentralen Nervensystems und eine tiefere kognitive Verarbeitung physischer, sozialer und emotionaler Reize" beinhaltet. Die Eigenschaft ist gekennzeichnet durch "eine Tendenz, in neuartigen Situationen 'innezuhalten, um zu prüfen', eine größere Empfindlichkeit gegenüber subtilen Reizen und den Einsatz tieferer kognitiver Verarbeitungsstrategien zur Anwendung von Bewältigungsmaßnahmen, die alle durch eine erhöhte emotionale Reaktivität, sowohl positiv als auch negativ, angetrieben werden.

SPS erfasst die Sensibilität für die Umwelt als vererbbares, evolutionär konserviertes Merkmal, das mit einer verstärkten Informationsverarbeitung im Gehirn verbunden ist, die die Sensibilität für die Umwelt in einer Für-Besser-und-für-Schlechter Weise moderiert. Die Interaktion mit negativen Erfahrungen erhöht das Risiko für Psychopathologie, während die Interaktion mit positiven Erfahrungen (einschließlich Interventionen) die positiven Ergebnisse erhöht. Mastzellen sind langlebige, gewebebewohnende Zellen, die in vielen entzündlichen Situationen eine wichtige Rolle spielen, unter anderem bei der Abwehr von parasitären Infektionen und bei allergischen Reaktionen. Stress ist bekanntermaßen ein Mastzellenaktivator.

Es gibt Hinweise darauf, dass Kinder, die pränatalem Stress ausgesetzt waren, durch epigenomweite Wechselwirkungen eine Resilienz entwickeln können." Die Wechselwirkungen zwischen Stress im frühen Leben und dem Epigenom zeigen mögliche Mechanismen auf, die die Anfälligkeit für psychiatrische Erkrankungen fördern. Stress in der Vorgeschichte verändert den Verlauf der psychischen Gesundheit über epigenetische Regulierung.

Träger einer kongenitalen Nebennierenhyperplasie haben aufgrund der einzigartigen Natur dieses Gens eine Prädisposition für Stress. Die tatsächlichen Prävalenzraten sind nicht bekannt, aber häufige genetische Varianten des menschlichen Steroid 21-Hydroxylase-Gens (CYP21A2) werden mit Unterschieden im zirkulierenden Hormonspiegel in der Bevölkerung in Verbindung gebracht.

Psychische Belastung ist ein bekanntes Merkmal der generalisierten Gelenkhypermobilität (gJHM) sowie ihrer häufigsten syndromalen Ausprägung, dem Ehlers-Danlos-Syndrom, Hypermobilitätstyp (auch bekannt als Gelenkhypermobilitätssyndrom - JHS/EDS-HT), und trägt erheblich zur Lebensqualität der Betroffenen bei. Interessanterweise wurden neben der Bestätigung eines engen Zusammenhangs zwischen Angst und gJHM auch erste Verbindungen zu Depressionen, Aufmerksamkeitsdefizit- (und Hyperaktivitäts-) Störungen, Autismus-Spektrum-Störungen und zwanghaften Persönlichkeitsstörungen gefunden.

Schützende Faktoren

Zeit
Schwellenwert
Symptom
Stress
Ergebnis
Ressource
Prädisposition
Mit mehr Ressourcen ausgestattet, werden die Auswirkungen verschiedener Lebensstressoren abgefedert

Schutzfaktoren sind zwar kein inhärenter Bestandteil des Diathese-Stress-Modells, doch sind sie bei der Betrachtung der Wechselwirkung von Diathese und Stress von Bedeutung. Schutzfaktoren können die Auswirkungen größerer Stressoren abmildern oder abpuffern, indem sie dem Einzelnen entwicklungsangepasste Möglichkeiten zur Stressbewältigung bieten. Beispiele für Schutzfaktoren sind eine positive Eltern-Kind-Beziehung, ein unterstützendes Peer-Netzwerk und individuelle soziale und emotionale Kompetenz.

Während der gesamten Lebensspanne

Viele Modelle der Psychopathologie gehen im Allgemeinen davon aus, dass alle Menschen in gewissem Maße anfällig für bestimmte psychische Störungen sind, gehen jedoch von einer großen Bandbreite individueller Unterschiede in Bezug auf den Zeitpunkt aus, zu dem eine Person eine bestimmte Störung entwickeln wird. So kann beispielsweise eine Person mit beziehungsfördernden Persönlichkeitsmerkmalen wie Extrovertiertheit und Verträglichkeit eine starke soziale Unterstützung erfahren, die später bei Stress oder Verlusten als Schutzfaktor dienen und die Entwicklung einer Depression verzögern oder verhindern kann. Umgekehrt kann eine Person, der es schwer fällt, unterstützende Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten, anfälliger für die Entwicklung einer Depression nach einem Arbeitsplatzverlust sein, weil sie keine schützende soziale Unterstützung hat. Die individuelle Schwelle wird durch das Zusammenspiel von Diathese und Stress bestimmt.

Es wird davon ausgegangen, dass die Anfälligkeit für die Entwicklung bestimmter Psychopathologien zu verschiedenen Zeitpunkten im Leben besteht. Darüber hinaus sind verschiedene Diathesen und Stressoren an verschiedenen Störungen beteiligt. So werden beispielsweise Trennungen und andere schwere oder traumatische Lebensereignisse mit der Entwicklung von Depressionen in Verbindung gebracht. Stressige Ereignisse können auch die manische Phase der bipolaren Störung auslösen, und stressige Ereignisse können dann eine Erholung verhindern und einen Rückfall auslösen. Eine genetische Veranlagung, süchtig zu werden, und spätere Alkoholexzesse im College werden mit der Entwicklung von Alkoholismus in Verbindung gebracht. Eine familiäre Vorbelastung mit Schizophrenie in Verbindung mit dem Stressfaktor, in einer dysfunktionalen Familie aufzuwachsen, erhöht das Risiko, an Schizophrenie zu erkranken.

Diathese-Stress-Modelle werden häufig als multikausale Entwicklungsmodelle konzeptualisiert, die davon ausgehen, dass mehrere Risikofaktoren im Laufe der Entwicklung mit Stressoren und Schutzfaktoren interagieren, die zu einer normalen Entwicklung oder Psychopathologie beitragen. Ein Kind mit einer depressiven Familienanamnese beispielsweise ist wahrscheinlich genetisch anfällig für eine depressive Störung. Dieses Kind war auch Umweltfaktoren ausgesetzt, die mit einer elterlichen Depression in Verbindung gebracht werden und die seine Anfälligkeit für die Entwicklung einer Depression ebenfalls erhöhen. Schutzfaktoren wie ein starkes Netzwerk von Gleichaltrigen, die Teilnahme an außerschulischen Aktivitäten und eine positive Beziehung zum nicht depressiven Elternteil interagieren mit den Anfälligkeiten des Kindes und bestimmen die Entwicklung einer Psychopathologie im Gegensatz zu einer normativen Entwicklung.

Einige Theorien haben sich vom Diathese-Stress-Modell abgeleitet, wie z. B. die Hypothese der differentiellen Anfälligkeit, die das Modell um eine Anfälligkeit für positive Umwelten sowie für negative Umwelten oder Stress erweitert. Eine Person könnte eine biologische Anfälligkeit haben, die in Verbindung mit einem Stressor zu einer Psychopathologie führen könnte (Diathese-Stress-Modell); dieselbe Person mit einer biologischen Anfälligkeit könnte jedoch, wenn sie einer besonders positiven Umgebung ausgesetzt ist, bessere Ergebnisse erzielen als eine Person ohne diese Anfälligkeit.

Beschreibung

Unter Diathese versteht man die Anfälligkeit (Disposition) für eine bestimmte Krankheit. Diese Disposition kann unter anderem genetisch (biologische Diathese) oder auch lerngeschichtlich (psycho-soziale Diathese) bedingt sein und wird als Neigung eines Menschen verstanden, auf eine bestimmte Weise auf Belastungen zu reagieren. Unter den Stressoren versteht man belastende Umweltereignisse oder Lebenssituationen. Sind die Belastungen (Disposition und Stressoren) zu groß und überschreiten sie eine gewisse Schwelle, kommt es zur Symptomausbildung bzw. zum Krankheitsausbruch. Diese Schwelle wird jedoch auch durch Risiko- und Schutzfaktoren (z. B. soziale Unterstützung) beeinflusst.

Verschiedene Autoren übernahmen das Vulnerabilitäts-Stressmodell zur Erklärung der multifaktoriellen psycho-sozio-biologischen Entstehung der Schizophrenie. Demnach zeichnen sich schizophreniegefährdete Menschen durch einen Mangel an Resilienz aus (also eine besondere Vulnerabilität, Sensibilität oder „Dünnhäutigkeit“), die ungünstigenfalls in Kombination mit stressvollen lebensgeschichtlichen, situativ-sozialen oder körperlich-hormonellen Belastungen zum Ausbruch einer Psychose führen kann. (Siehe auch: Doppelbindungstheorie.)

Befunde aus der Forschung

Forschungsergebnisse zeigen regelmäßig die multifaktorielle Entstehung von psychischen Erkrankungen. Genetisch bedingte neurobiologische oder biografisch erworbene Veranlagungen alleine erklären die Entstehung von psychischen Erkrankungen in der Regel nicht. Wissenschaftliche Hinweise auf psychosoziale Auslöser bestehen zu den meisten psychischen Störungen.

Der Einfluss von psychosozialem Stress auf die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse (HHNA) konnte wiederholt nachgewiesen werden. Die HHNA wird unter anderem verantwortlich gemacht für die Regulation des Neurotransmitterhaushaltes im Gehirn.

Vor- und Nachteile des Modells

Vorteile:

  • Das Diathese-Stress-Modell ist in der Lage, komplexe und multifaktorielle Ursachen darzustellen
  • Die Stressoren bzw. die durch sie verursachenden Belastungen können inter- und intraindividuell variieren
  • Innerhalb des Modells können unterschiedliche Verläufe abgebildet werden

Nachteile:

  • Auch dieses Modell ist weit davon entfernt, eine umfassende Begründung zu liefern
  • Es wird keine Aussage über die Gewichtung der einzelnen Faktoren getroffen
  • Ebenfalls fehlt die Darstellung, wie die einzelnen Faktoren miteinander interagieren