Steißbein
Steißbein ⓘ | |
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Einzelheiten | |
Aussprache . | /ˈkɒksɪks/ KOK-siks |
Bezeichnungen | |
Lateinisch | os coccygis |
Anatomische Begriffe des Knochens [Bearbeiten auf Wikidata] |
Das Steißbein (PL: coccyges oder coccyxes), gemeinhin als Steißbein bezeichnet, ist das letzte Segment der Wirbelsäule bei allen Menschenaffen und analoge Strukturen bei bestimmten anderen Säugetieren wie z.B. Pferden. Bei schwanzlosen Primaten (z. B. Menschen und anderen Menschenaffen) seit Nacholapithecus (einem Hominoiden aus dem Miozän) ist das Steißbein das Überbleibsel eines rudimentären Schwanzes. Bei Tieren mit knöchernem Schwanz wird es als Schwanzkopf oder Dock bezeichnet, in der Vogelanatomie als Schwanzfächer. Es besteht aus drei bis fünf getrennten oder miteinander verschmolzenen Steißbeinwirbeln unterhalb des Kreuzbeins, die mit dem Kreuzbein durch ein faserig-knorpeliges Gelenk, die Symphysis sacrococcygealis, verbunden sind, das eine begrenzte Bewegung zwischen Kreuzbein und Steißbein ermöglicht. ⓘ
Klassifikation nach ICD-10 ⓘ | |
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S32.2 | Fraktur des Os coccygis |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Das Steißbein (lat. und medizinisch Coccyx bzw. Os coccygis) des Menschen ist der kaudale („zum Schwanz hin gerichtete“) beziehungsweise untere Abschnitt der Wirbelsäule und folgt auf das Kreuzbein (Os sacrum). Es dient verschiedenen Bändern und Muskeln des Beckens, insbesondere des Beckenbodens und der Hüftgelenke, als Ansatzpunkt. Typischerweise durch einen Sturz auf das Gesäß oder einen kräftigen Tritt kann das Steißbein luxieren oder brechen. Beide Verletzungen sind sehr schmerzhaft. ⓘ
Aufbau
Das Steißbein setzt sich aus drei, vier oder fünf rudimentären Wirbeln zusammen. Es artikuliert nach oben hin mit dem Kreuzbein. In jedem der ersten drei Segmente lassen sich ein rudimentärer Körper sowie Gelenk- und Querfortsätze erkennen; das letzte Stück (manchmal das dritte) ist ein bloßer Knochenknoten. Die Querfortsätze sind am ersten Steißbeinsegment am stärksten ausgeprägt und auffällig. Allen Segmenten fehlen Stiele, Laminae und Dornfortsätze. Das erste Segment ist das größte; es ähnelt dem untersten Kreuzbeinwirbel und existiert oft als separates Stück; die übrigen Segmente nehmen nach rostral hin an Größe ab. ⓘ
In den meisten Anatomiebüchern steht fälschlicherweise, dass das Steißbein bei Erwachsenen normalerweise verwachsen ist. Es hat sich gezeigt, dass das Steißbein bei manchen Menschen aus bis zu fünf separaten Knochensegmenten bestehen kann, wobei die häufigste Konfiguration zwei oder drei Segmente sind. ⓘ
Oberflächen
Die vordere Oberfläche ist leicht konkav und mit drei Querrillen versehen, die die Verbindungsstellen zwischen den einzelnen Segmenten markieren. Sie bildet den Ansatz für das vordere Sakrokoccygealband und die Levatores ani und trägt einen Teil des Rektums. Die hintere Fläche ist konvex, mit Querrillen versehen, die denen der vorderen Fläche ähneln, und weist auf beiden Seiten eine Reihe von linearen Höckern auf, die die noch nicht ausgebildeten Gelenkfortsätze der Steißbeinwirbel darstellen. Sie ragen nach kaudal vor und artikulieren mit den Cornua des Kreuzbeins. Auf beiden Seiten schließen sie das Foramen für die Übertragung des hinteren Abschnitts des fünften Sakralnervs ab. ⓘ
Ränder
Die seitlichen Ränder sind dünn und weisen eine Reihe von kleinen knöchernen Vorsprüngen auf, die die Querfortsätze der Steißbeinwirbel darstellen. Der erste von ihnen ist der größte; er ist nach vorne abgeflacht und reicht oft bis zum unteren Teil des dünnen seitlichen Randes des Kreuzbeins und vervollständigt so das Foramen für die Übertragung des vorderen Abschnitts des fünften Sakralnervs; die anderen nehmen von kaudal her an Größe ab und sind oft nicht vorhanden. Die Ränder des Steißbeins sind schmal und setzen auf beiden Seiten an den Ligamenti sacrotuberi und sacrospini an, vor den Ligamenten am Coccygeus und Levator ani und hinter den Ligamenten am Gluteus maximus. ⓘ
Apex
Der Apex ist abgerundet und wird von der Sehne des äußeren Schließmuskels gehalten; er kann zweigeteilt sein. ⓘ
Fossa coccygea
Die Fossa coccygea ist eine flache Vertiefung auf der hinteren Fläche zwischen Kreuzbein und Damm, die sich in der Gesäßspalte befindet, die von knapp unterhalb des Kreuzbeins bis zum Damm verläuft. Sie ist nicht bei allen Menschen gleich ausgeprägt. Die Fossa coccygea markiert den tiefsten Teil des Beckenbodens, der sich neben dem Steißbein befindet. Der Levator ani hat hier seinen Ursprung. ⓘ
Streckmuskel (Extensor coccygis)
Der Streckmuskel (Extensor coccygis) ist ein schlanker Muskelfaszikel, der nicht immer vorhanden ist. Er erstreckt sich über den kaudalen Teil der hinteren Fläche von Kreuzbein und Steißbein. Er entspringt mit Sehnenfasern aus dem letzten Segment des Kreuzbeins oder dem ersten Stück des Steißbeins und verläuft nach unten, um in den unteren Teil des Steißbeins eingesetzt zu werden. Er ist ein evolutionäres Überbleibsel des Streckmuskels der Schwanzwirbel anderer Tiere und ermöglicht eine begrenzte Bewegung des Steißbeins. ⓘ
Steißbeingelenke und Steißbeinzwischengelenke
Die Gelenke sind variabel und können sein: (1) Synovialgelenke; (2) dünne Scheibchen aus Faserknorpel; (3) eine Zwischenform zwischen diesen beiden; (4) verknöchert. ⓘ
Anhänge
An der Vorderseite des Steißbeins befinden sich die Ansätze des Musculus levator ani, des Coccygeus, des Iliococcygeus und des Pubococcygeus sowie die Raphe anococcygea. An der hinteren Seite befindet sich der Gluteus maximus, der den Oberschenkel am Hüftgelenk streckt. Zu den Bändern, die am Steißbein befestigt sind, gehören das vordere und das hintere Kreuzbeinband, die die Fortsetzung der vorderen und hinteren Längsbänder sind, die sich entlang der gesamten Wirbelsäule erstrecken. Die Ligamenta sacrococcygeae lateralis schließen die Foramina für den letzten Sakralnerv ab. Einige Fasern des Ligamentum sacrospinale und des Ligamentum sacrotuberale (die vom Sitzbeinrücken bzw. vom Sitzbeinhöcker ausgehen) setzen ebenfalls am Steißbein an. Ein Fortsatz der Pia mater, das Filum terminale, erstreckt sich von der Spitze des Conus und setzt am Steißbein an. ⓘ
Funktion
Das Steißbein ist beim Menschen nicht völlig nutzlos, denn es hat Anhänge an verschiedenen Muskeln, Sehnen und Bändern. Allerdings sind diese Muskeln, Sehnen und Bänder auch an vielen anderen Stellen an stärkeren Strukturen als dem Steißbein befestigt. Es ist zweifelhaft, dass die Steißbeinansätze für das Wohlbefinden des Menschen wichtig sind, wenn man bedenkt, wie viele Operationen zur Behandlung von Steißbeinleiden jährlich durchgeführt werden. Die Auswertung von Studien, die mehr als 700 Steißbeinentfernungen umfassten, ergab, dass die Operation in 84 % der Fälle erfolgreich zur Schmerzlinderung beitrug. Die einzige größere Komplikation, die in 12 % der Fälle auftrat, war eine Infektion aufgrund der Nähe zum Anus. Eine bemerkenswerte Komplikation der Kokzygektomie ist das erhöhte Risiko eines Dammbruchs. ⓘ
Klinische Bedeutung
Eine Verletzung des Steißbeins kann zu einem schmerzhaften Zustand führen, der als Coccydynie bezeichnet wird, und einer oder mehrere der Knochen oder deren Verbindungen können gebrochen sein (Steißbeinfraktur). Es ist bekannt, dass das Steißbein von einer Reihe von Tumoren befallen wird; der häufigste dieser Tumore ist das Teratom des Steißbeins (Sacrococcygeus). Sowohl die Kokzydynie als auch die Steißbeintumore können eine chirurgische Entfernung des Steißbeins (Kokzygektomie) erfordern. Eine sehr seltene Komplikation der Coccygektomie ist eine Art von Dammriss, die so genannte Coccygealhernie. ⓘ
Geschichte
Etymologie
Der Begriff Steißbein leitet sich von dem altgriechischen Wort κόκκυξ kokkyx "Kuckuck" ab; letzteres ist in den Schriften des griechischen Arztes Herophilus zur Bezeichnung des Endes der Wirbelsäule bezeugt. Dieser griechische Name für den Kuckuck wurde verwendet, da die letzten drei oder vier Knochen des Steißbeins von der Seite betrachtet dem Schnabel dieses Vogels ähneln. ⓘ
Diese etablierte etymologische Erklärung findet sich auch in den Schriften des Anatomen Andreas Vesalius aus dem 16. Jahrhundert, der schrieb: os cuculi, a similitudine rostri cuculi avis (der Kuckucksknochen zeigt eine Ähnlichkeit mit dem Schnabel des Kuckucksvogels). Vesalius verwendete den lateinischen Ausdruck os cuculi, mit os, Knochen und cuculus, dem lateinischen Namen für den Kuckuck. Der französische Anatom Jean Riolan der Jüngere aus dem 16./17. Jahrhundert gibt eine recht witzige etymologische Erklärung, wenn er schreibt: quia crepitus, qui per sedimentum exeunt, ad is os allisi, cuculi vocis similitudinem effingunt (weil der Klang der Fürze, die den Anus verlassen und gegen diesen Knochen prallen, eine Ähnlichkeit mit dem Ruf des Kuckucks aufweist). Letzterer wird nicht als möglicher Kandidat angesehen. ⓘ
Neben os cuculi ist auch os caudae, mit caudae, des Schwanzes belegt. Dieser lateinische Ausdruck könnte die Quelle der englischen, französischen, deutschen und niederländischen Begriffe tailbone, l'os de la queue, Schwanzbein und staartbeen sein. In der aktuellen offiziellen anatomischen lateinischen Nomenklatur, Terminologia Anatomica, wird Coccyx und Os coccygis verwendet. ⓘ
Zusätzliche Bilder
Das Steißbein sitzt unterhalb des Kreuzbeins und hinter der Beckenhöhle. ⓘ
Anatomie
Das Steißbein besteht aus meist vier, variierend 2 bis 8 Steißwirbeln, die bei den meisten Menschen aber durch Synostose zu einem einheitlichen Knochen verschmolzen sind. Auch die typischen Merkmale von Wirbeln sind weitestgehend zurückgebildet. Das Steißbein wird als Rudiment der Schwanzwirbel der Wirbeltiere angesehen, die sich im Laufe der menschlichen Entwicklung zurückgebildet haben. ⓘ
Erkrankungen
Steißbeinbruch
Steißbeinbrüche (Steißbeinfrakturen, in der Regel Querfrakturen) entstehen ebenfalls durch Traumata wie Tritte, Sturz auf das Gesäß oder bei Schwergeburten. Symptome eines Steißbeinbruchs sind neben den starken Schmerzen insbesondere beim Sitzen gegebenenfalls ein sichtbares Hämatom oder sogar rektale Blutungen. Bei der Untersuchung tritt ein Druckschmerz in der Gesäßfalte auf. Anders als bei der bloßen Prellung des Steißbeins und ebenso wie bei einer seltenen Steißbeinluxation kann bei einer rektalen Untersuchung eine schmerzhafte Beweglichkeit und Krepitation des Steißbeines festgestellt werden. Die Diagnose kann durch eine seitliche Röntgenaufnahme des Beckens gesichert werden. Die Behandlung erfolgt mittels Analgetika und Ruhigstellung. Zur Entlastung kann auch ein Ringkissen verwendet werden. Auch Abführmittel zur Erleichterung des Stuhlgangs können angezeigt sein. Eine operative Versorgung kann bei anhaltender schmerzhafter Instabilität (Kokzygodynie) oder Verletzungen des Mastdarms erforderlich sein. In diesem äußerst seltenen Falle erfolgt eine chirurgische Entfernung des distalen Knochenfragments. ⓘ
Steißbeinluxation
Die Verlagerung (Luxation) des Steißbeins kann nach Sturz, Tritt, bei der Geburt oder selten auch durch langanhaltende Fehlbelastungen wie das Fahrradfahren mit einem falschen Sattel auftreten. Das auslösende Ereignis kann schon lange zurückliegen, manchmal schon in der Kindheit, und die Symptome können infolge von Kompensationsmechanismen erst Jahre später auftreten. Betroffene haben bis zur richtigen Diagnose oft einen langen Leidensweg hinter sich. Die Behandlung erfolgt durch Einführung des Zeigefingers in den Mastdarm. Der Therapeut greift das Steißbein mit dem Zeigefinger von innen und dem Daumen von außen und zieht es vom Kreuzbein dorsal (rückenwärts) weg, während das Kreuzbein leicht kaudal (in Richtung Füße) gezogen wird. ⓘ
Weitere Krankheiten
Das Steißbeinteratom ist ein Tumor, der bei Embryos und Kleinkindern auftreten kann. ⓘ
Der Sinus pilonidalis ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung der Gesäßfalte in der Steißbeinregion. Die Erkrankung steht allerdings dem Steißbein in keinem kausalen Zusammenhang, so dass der deutsche Name „Steißbeinfistel“ vermieden werden sollte. ⓘ