Serendipität
Der Begriff Serendipität (englisch serendipity), gelegentlich auch Serendipity-Prinzip oder Serendipitätsprinzip, bezeichnet eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist. Verwandt, aber nicht identisch ist die weiter gefasste Redewendung vom glücklichen Zufall. Serendipität betont eine darüber hinausgehende Untersuchungstätigkeit, eine intelligente Schlussfolgerung oder Findigkeit. ⓘ
Serendipity ist eine ungeplante, glückliche Entdeckung. Serendipity ist eine häufige Erscheinung in der Geschichte der Produkterfindung und wissenschaftlichen Entdeckung. Serendipity wird auch als potenzielles Gestaltungsprinzip für Online-Aktivitäten angesehen, die ein breites Spektrum an Informationen und Standpunkten präsentieren, anstatt nur die Meinung eines Nutzers zu bekräftigen. ⓘ
Herkunft
Erstmals verwendete der britische Autor Horace Walpole, 4. Earl of Orford (1717–1797), den Ausdruck in einem Brief vom 28. Januar 1754 an seinen in Florenz lebenden Freund Horace Mann. Er erläuterte darin, er habe ihn in Anlehnung an ein persisches Märchen mit dem englischen Titel The Three Princes of Serendip geprägt, in dem die drei Prinzen viele dieser unerwarteten Entdeckungen machen. Serendip bzw. سرنديب / Sarandīb ist eine alte, von arabischen Händlern geprägte Bezeichnung für Ceylon, das heutige Sri Lanka, und hat ihre Wurzeln im alten Sanskrit-Namen der Insel, Simhaladvipa. Die weltweite Verbreitung, die der Begriff vor allem in wissenschaftlichen Kreisen erhielt, geht allerdings auf den US-amerikanischen Soziologen Robert K. Merton (1910–2003) zurück. Er findet sich erstmals 1945 in seinem Werk The Travels and Adventures of Serendipity. ⓘ
Vermutlich stammt die Geschichte der drei Prinzen von Serendip vom indisch-persischen Dichter Amir Chusro. 1557 wurde sie auch von dem italienischen Dichter Christoforo Armeno erzählt. ⓘ
Das Wort wurde in viele andere Sprachen übertragen, mit der allgemeinen Bedeutung von "unerwartete Entdeckung" oder "glücklicher Zufall". ⓘ
Anwendungen
Erfindungen
Der Begriff "Serendipity" wird oft auf Erfindungen angewandt, die eher zufällig als absichtlich gemacht wurden. Andrew Smith, Herausgeber von The Oxford Companion to American Food and Drink, hat spekuliert, dass die meisten Alltagsprodukte auf einen glücklichen Zufall zurückgehen, wobei viele frühe Produkte mit Tieren zusammenhängen. Der Ursprung des Käses zum Beispiel geht möglicherweise auf die Nomaden zurück, die Milch im Magen eines toten Kamels lagerten, das am Sattel eines lebenden Kamels befestigt war, und so das Lab aus dem Magen mit der darin gelagerten Milch vermischten. ⓘ
Andere Beispiele für glückliche Zufälle bei Erfindungen sind:
- Die Post-It-Notiz, die entstand, nachdem der 3M-Wissenschaftler Spencer Silver einen schwachen Klebstoff entwickelt hatte und ein Kollege ihn dazu verwendete, Lesezeichen in einem Kirchengesangbuch zu befestigen.
- Silly Putty, das aus einem gescheiterten Versuch mit synthetischem Gummi hervorging.
- Die Verwendung von Sensoren, um zu verhindern, dass Auto-Airbags Kinder töten, was auf einen Stuhl zurückgeht, der vom MIT Media Lab für eine Zaubershow von Penn und Teller entwickelt wurde.
- Der Mikrowellenherd. Der Raytheon-Wissenschaftler Percy Spencer ließ die Idee dazu patentieren, nachdem er festgestellt hatte, dass die Emissionen von Radargeräten die Süßigkeiten in seiner Tasche geschmolzen hatten.
- Der Klettverschluss. Auf die Idee kam George de Mestral nach einem Ausflug zur Vogeljagd, als er unter dem Mikroskop an seiner Hose klebende Kletten betrachtete und sah, dass jede Klette mit winzigen Haken besetzt war.
- Das Eis am Stiel, dessen Ursprünge auf San Francisco zurückgehen, wo Frank Epperson im Alter von 11 Jahren versehentlich eine Mischung aus Wasser und Brausepulver über Nacht draußen gefrieren ließ.
- Das Antibiotikum Penicillin, das von Sir Alexander Fleming entdeckt wurde, als er nach einem Urlaub feststellte, dass eine Petrischale, die eine Staphylokokken-Kultur enthielt, von einem Penicillium-Schimmelpilz infiziert worden war und keine Bakterien in der Nähe wuchsen. ⓘ
Entdeckungen
Dank eines glücklichen Zufalls entdeckte der Entomologe Shaun Winterton Semachrysa jade, eine neue Florfliegenart, die er nicht in ihrer Heimat Malaysia, sondern auf der Foto-Sharing-Website Flickr fand. Wintertons Entdeckung wurde dadurch begünstigt, dass Flickr in der Lage ist, Bilder zu präsentieren, die auf die Interessen eines Nutzers zugeschnitten sind, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass er zufällig auf das Foto stößt. Der Informatiker Jaime Teevan hat argumentiert, dass eine solche Personalisierung zufällige Entdeckungen begünstigt, denn "die Menschen wissen nicht, was sie mit zufälligen neuen Informationen anfangen sollen. Stattdessen wollen wir Informationen, die am Rande dessen liegen, was wir bereits wissen, denn dann haben wir die kognitiven Strukturen, um die neuen Ideen zu verstehen". ⓘ
Online-Aktivität
Serendipity ist ein Gestaltungsprinzip für Online-Aktivitäten, bei denen Standpunkte präsentiert werden, die von denen abweichen, die die Teilnehmer bereits vertreten. Der Harvard-Rechtsprofessor Cass Sunstein argumentiert, dass eine solche "Architektur der Serendipität" eine gesündere Demokratie fördern würde. Wie eine großartige Stadt oder Universität biete "ein gut funktionierender Informationsmarkt" die Möglichkeit, neue Ideen, Menschen und Lebensweisen kennenzulernen: "Serendipität ist entscheidend, weil sie den Horizont erweitert. Das braucht man, wenn man frei sein will". Diese Idee könnte bei der Gestaltung von sozialen Medien, der Informationssuche und dem Surfen im Internet Anwendung finden. ⓘ
Verwandte Begriffe
William Boyd prägte im späten zwanzigsten Jahrhundert den Begriff Zemblanität, um das Gegenteil von Serendipity zu bezeichnen: "unglückliche, unglückliche und erwartete Entdeckungen, die absichtlich gemacht werden". Die Ableitung ist spekulativ, aber es wird angenommen, dass der Begriff von Nova Zembia stammt, einem unfruchtbaren Archipel, auf dem einst russische Atomtests durchgeführt wurden. ⓘ
Bahramdipity leitet sich direkt von Bahram Gur ab, wie er in The Three Princes of Serendip beschrieben wird. Es beschreibt die Unterdrückung von zufälligen Entdeckungen oder Forschungsergebnissen durch mächtige Personen. ⓘ
Darüber hinaus unterscheiden Solomon & Bronstein (2018) weiter zwischen wahrgenommener und realisierter Pseudo-Serendipität und Nemorinität. ⓘ
Bekannte und bedeutende Beispiele
Bekannte Beispiele für Serendipität sind die Entdeckung Amerikas 1492, die Entdeckungen der Röntgenstrahlung, des Penicillins und Viagras, des Sekundenklebers oder der kosmischen Hintergrundstrahlung. Aber auch geradezu überzufällige Begebenheiten sind beschrieben, die fleißige Forscher zu Entdeckungen führen, bis hin zum Benzolring, der schließlich in einem Traum vorkam. Andere Beispiele sind der Klettverschluss, das Post-it, das Teflon, das Linoleum, das Silikon, die „Erfindung“ des Teebeutels, der Nylonstrümpfe oder auch die Entdeckung des LSD. In diesem Zusammenhang fällt oft der Satz „Der Zufall begünstigt nur einen vorbereiteten Geist“; soll heißen: Die Entdeckung kommt, wenn jemand viel daran gearbeitet hat, aber oft ungezwungen, sie fällt ihm dann zu. ⓘ
Der Dinosaurier Serendipaceratops wurde nach diesem Prinzip benannt, da seine Erstbeschreiber nur durch Zufall die wahren verwandtschaftlichen Beziehungen entdeckten. ⓘ
Serendipität in der Informationswissenschaft
Auch im Bereich des Information Retrievals können Serendipitätseffekte eine Rolle spielen, wenn beispielsweise beim Surfen im Internet unbeabsichtigt nützliche Informationen entdeckt werden. Bei der Recherche in professionellen Datenbanken und vergleichbaren Informationssystemen kann es zu Serendipitätseffekten kommen. Hier wird die Serendipität zu einem Kennwert der Fähigkeit eines Informationssystems, trotz eines Überangebots von Daten nützliche Informationen zu finden. ⓘ
Die folgende Formel versucht zu bewerten, wie weit ein Informationssystem fähig ist, nützliche Informationen zu finden. ⓘ
: Serendipität ⓘ
: Anzahl der brauchbaren Dokumente – wenn auch für ein anderes Suchargument! ⓘ
: Anzahl der für das Suchargument nicht relevanten Dokumente (siehe Recall und Precision) ⓘ
Der Serendipitätseffekt ist nicht auf Hypertexte beschränkt, sondern tritt auch beim Stöbern in der Freihandaufstellung einer Bibliothek oder dem Angebot einer gut sortierten Buchhandlung auf. Dafür wurde bereits lange vor dem Aufkommen des Internets der Begriff Browsing verwendet. Eugen Roth hat diesen Effekt in seinem Gedicht Das Hilfsbuch humorvoll verarbeitet. ⓘ
Siehe auch
- Inzidentelles Lernen ⓘ
Film
Die US-amerikanische Kinoproduktion Weil es Dich gibt (Originaltitel: Serendipity) aus dem Jahr 2001 mit John Cusack und Kate Beckinsale in den Hauptrollen greift hier auf das Thema Serendipität zurück. In den USA hatte der Film am 5. Oktober 2001 Premiere, in Deutschland und der Schweiz kam er am 29. November 2001 in die Kinos. ⓘ