Retarder
Ein Retarder ist eine Vorrichtung, die einige der Funktionen der primären, auf Reibung basierenden Bremssysteme ergänzt oder ersetzt, normalerweise bei schweren Fahrzeugen. Retarder dienen dazu, Fahrzeuge zu verlangsamen oder eine konstante Geschwindigkeit aufrechtzuerhalten, während sie einen Hügel hinunterfahren, und verhindern, dass das Fahrzeug durch die Beschleunigung den Hügel hinunter "wegläuft". Sie sind in der Regel nicht in der Lage, Fahrzeuge zum Stillstand zu bringen, da ihre Wirksamkeit mit abnehmender Fahrzeuggeschwindigkeit abnimmt. Sie werden in der Regel als zusätzliche "Hilfe" zum Abbremsen von Fahrzeugen eingesetzt, wobei die endgültige Abbremsung durch eine herkömmliche Reibungsbremsanlage erfolgt. Da die Reibungsbremse vor allem bei höheren Geschwindigkeiten weniger beansprucht wird, erhöht sich ihre Lebensdauer, und da die Bremsen in diesen Fahrzeugen druckluftbetätigt sind, wird auch der Luftdruck geschont. ⓘ
Reibungsbremssysteme sind anfällig für "Bremsfading", wenn sie über längere Zeiträume intensiv genutzt werden, was gefährlich sein kann, wenn die Bremsleistung unter das zum Anhalten des Fahrzeugs erforderliche Maß sinkt - beispielsweise wenn ein Lkw oder Bus eine lange Gefällestrecke hinunterfährt. Aus diesem Grund werden solche schweren Fahrzeuge häufig mit einem zusätzlichen System ausgestattet, das nicht auf Reibung basiert. ⓘ
Retarder sind nicht auf Straßenfahrzeuge beschränkt, sondern können auch in Eisenbahnsystemen eingesetzt werden. Der britische Prototyp Advanced Passenger Train (APT) verwendete hydraulische Retarder, damit der Hochgeschwindigkeitszug in der gleichen Entfernung anhalten konnte wie normale Züge mit niedrigeren Geschwindigkeiten, da ein reines Reibungssystem nicht praktikabel war. ⓘ
Ein Retarder (vom englischen retard für „verzögern“ oder „aufhalten“, von lateinisch retardare ‚verlangsamen, verzögern‘) ist eine verschleißfreie hydrodynamische (mit Flüssigkeit arbeitende) oder elektrodynamische Dauerbremse oder Kupplung, die vorwiegend in Nutzfahrzeugen wie LKW oder Omnibussen eingesetzt wird. ⓘ
Motorbremse
Dieselbetriebene Fahrzeuge
Dieselmotoren regeln ihre Leistung ausschließlich über die Menge und den Zeitpunkt der Kraftstoffeinspritzung in die Verbrennungskammern. Die Motorbremse, die bei Benzinmotoren durch die Erzeugung eines Unterdrucks bei geschlossener Drosselklappe bei jedem Ansaugtakt erzeugt wird, ist bei Fahrzeugen mit Dieselmotoren nicht anwendbar, da diese Motoren recht "freilaufend" sind. Clessie L. Cummins, der Gründer der Cummins Engine Company, erkannte jedoch, dass durch das Öffnen der Auslassventile im Zylinder, wenn der Kolben den oberen Totpunkt erreicht, und nicht erst am Ende des Arbeitstakts, die angesammelte Druckluft im Zylinder entlüftet werden kann, bevor sie als "Feder" wirkt und den Kolben wieder nach unten treibt. Auf diese Weise wirkt der Motor wie ein Luftkompressor, wobei die Energie aus dem Getriebe zum Komprimieren der Luft verwendet wird, wodurch das Fahrzeug verlangsamt wird. Die dem Getriebe entzogene Leistung kann bei bestimmten Motoren bis zu 90 % der Nennleistung des Motors betragen. ⓘ
Bei einem Motorbremssystem mit Kompressionsfreigabe für einen turboaufgeladenen Verbrennungsmotor wird eine übermäßige Beanspruchung, die mit dem Öffnen der Auslassventile des Motors nahe dem oberen Totpunkt des Kompressionshubs verbunden ist, wenn der Motor mit hoher Geschwindigkeit dreht, dadurch verhindert, dass der Druck im Ansaugkrümmer gegenüber dem Druck, der sonst bei dieser hohen Geschwindigkeit herrschen würde, verringert wird. Dies geschieht durch eine Verzögerung des Turboladers, so dass seine Drehzahl geringer ist, als sie es sonst bei hoher Motordrehzahl wäre. ⓘ
Diese Art von Retarder ist als Kompressionsfreigabe-Motorbremse oder "Jake-Bremse" bekannt. Ein Nachteil dieses Systems ist, dass es im Betrieb sehr laut wird, insbesondere wenn der Auspufftopf defekt ist; seine Verwendung ist daher in einigen Gegenden verboten. ⓘ
Auspuffbremse
Auspuffbremsen sind in ihrer Funktionsweise einfacher als eine Motorbremse. Im Wesentlichen wird das Auspuffrohr des Fahrzeugs durch ein Ventil verengt. Dadurch erhöht sich der Druck in der Auspuffanlage, so dass der Motor gezwungen ist, beim Auspufftakt seiner Zylinder härter zu arbeiten. Der Motor wirkt also wieder wie ein Luftkompressor, wobei die zum Komprimieren der Luft erforderliche Kraft dem Auspuffrohr vorenthalten wird, wodurch das Fahrzeug gebremst wird. Retarder für Turbolader, die den Abgasstrom drosseln, können ebenfalls dazu beitragen, den Abgasdruck zu erhöhen, um das gleiche Ziel zu erreichen. ⓘ
Hydraulische Retarder
Hydraulische Retarder nutzen die viskosen Widerstandskräfte zwischen dynamischen und statischen Schaufeln in einer mit Flüssigkeit gefüllten Kammer, um eine Verzögerung zu erreichen. Es gibt verschiedene Typen, die mit Standard-Getriebeflüssigkeit (Getriebeöl), einer separaten Ölversorgung, Wasser oder einer Mischung aus Öl und magnetischer Retardierung arbeiten. Magnetische Retarder ähneln dem unten beschriebenen elektrischen Retarder. ⓘ
Ein einfacher Retarder verwendet Schaufeln, die an der Antriebswelle des Getriebes zwischen der Kupplung und den Antriebsrädern befestigt sind. Sie können auch separat über Zahnräder von einer Antriebswelle angetrieben werden. Die Schaufeln befinden sich in einer statischen Kammer mit geringem Abstand zu den Wänden der Kammer (die ebenfalls mit Schaufeln versehen sind), wie bei einem Automatikgetriebe. Wenn eine Verzögerung erforderlich ist, wird Flüssigkeit (Öl oder Wasser) in die Kammer gepumpt, und der dadurch entstehende viskose Widerstand bremst das Fahrzeug ab. Die Arbeitsflüssigkeit erwärmt sich und wird normalerweise durch ein Kühlsystem zirkuliert. Der Grad der Abbremsung kann durch Einstellen des Füllstands der Kammer variiert werden. ⓘ
Hydraulische Retarder sind extrem leise, oft unhörbar gegenüber dem Geräusch eines laufenden Motors und im Vergleich zu Motorbremsen besonders leise im Betrieb. ⓘ
Elektrischer Retarder
Elektrische Retarder nutzen elektromagnetische Induktion, um eine Verzögerungskraft zu erzeugen. Eine elektrische Retardereinheit kann an einer Achse, einem Getriebe oder einem Antriebsstrang angebracht werden und besteht aus einem Rotor, der an der Achse, dem Getriebe oder dem Antriebsstrang befestigt ist, und einem Stator, der sicher am Fahrzeugchassis angebracht ist. Es gibt keine Kontaktflächen zwischen dem Rotor und dem Stator und keine Arbeitsflüssigkeit. Wenn eine Verzögerung erforderlich ist, erhalten die elektrischen Wicklungen im Stator Strom von der Fahrzeugbatterie und erzeugen ein Magnetfeld, durch das sich der Rotor bewegt. Dadurch werden im Rotor Wirbelströme induziert, die ein dem Stator entgegengesetztes Magnetfeld erzeugen. Die entgegengesetzten Magnetfelder verlangsamen den Rotor und damit die Achse, das Getriebe oder die Antriebswelle, an der er befestigt ist. Der Rotor verfügt über interne Lamellen (wie eine belüftete Bremsscheibe), die für eine eigene Luftkühlung sorgen, so dass das Kühlsystem des Fahrzeugs nicht belastet wird. Der Betrieb des Systems ist extrem leise. ⓘ
Der Antriebsstrang eines Hybridfahrzeugs nutzt die elektrische Verzögerung, um die mechanischen Bremsen zu unterstützen, und recycelt dabei die Energie. Der elektrische Fahrmotor dient als Generator zum Laden der Batterie. Die in der Batterie gespeicherte Energie steht für die Beschleunigung des Fahrzeugs zur Verfügung. ⓘ
Regeneratives Bremsen und Wirbelstrombremsen sind unterschiedliche Arten des elektrischen Bremsens. Die Nutzbremsung kann nicht als Retarder eingestuft werden, da sie keine zusätzliche physische Hardware neben dem bestehenden Rotor/Stator-Paar des Motors verwendet. Das Bremsen erfolgt durch Nutzung des elektrischen Feldes, das durch die Rotationsträgheit des Rotors/Stators erzeugt wird, die durch den Schwung des Fahrzeugs (der Räder) in den Rotor übertragen wird. Zusätzliche Schaltkreise im Steuergerät dienen zur Steuerung dieses Stromflusses von den Statorwicklungen in die Batterie, von dem ein Teil als Wärme in den Schaltkreisen des Steuergeräts verloren geht. ⓘ
Im Gegensatz dazu umfassen Wirbelstrombremsen einen separaten und speziell angefertigten statischen Anker und Rotor, die ausdrücklich zum Bremsen und zur Wärmeableitung und nicht für den Antrieb des Fahrzeugs hergestellt und eingebaut werden; es handelt sich um ein speziell angefertigtes System, das sich vom Motor unterscheidet. ⓘ
Das "dynamische" Bremsen schließlich ist der komplexe Einsatz von Reglerbremsen, bei denen der Regler entweder zum regenerativen Bremsen oder durch Umschalten des Stromkreises zur Einspeisung des Stroms in Widerstände verwendet werden kann. Auf diese Weise kann eine "rheostatische" Bremsung erreicht werden. Während eine Wirbelstrombremse auf Wirbelströmen beruht, die einen magnetischen Widerstand erzeugen, von dem ein Teil in Form von Wärme abgeleitet wird, beruht das rheostatische Bremsen auf Widerständen im Steuerkreis, die die elektrische Energie des Stroms direkt als Wärme ableiten. Bei einigen dynamisch bremsenden Fahrzeugen wird die rheostatische Bremsung als "Stecker"-Bremsung bezeichnet. Insbesondere die dynamische Bremsung von Gabelstaplern wurde entwickelt, um die Vorteile einer Kombination dieser Art von Bremsen mit Steuergeräten zu nutzen, die auf eine schnelle Richtungsumkehr des Fahrzeugs spezialisiert sind. ⓘ
Dynamisches und regeneratives Bremsen bei elektrischen oder dieselelektrischen Eisenbahnlokomotiven bedeutet, dass die Elektromotoren, die normalerweise zum Antrieb der Räder verwendet werden, stattdessen als Generatoren eingesetzt werden, die von den Rädern bei einem Gefälle angetrieben werden. Beim regenerativen Bremsen wird der erzeugte elektrische Strom in der Regel in das Stromnetz (z. B. Oberleitung, dritte Schiene) zurückgespeist und kann von anderen Lokomotiven genutzt oder für eine spätere Verwendung gespeichert werden. Auf diese Weise erhält eine Lokomotive Strom, wenn sie sich in der Ebene befindet oder bergauf fährt, fungiert aber beim Abbremsen als Stromquelle und wandelt die kinetische Energie, die beim Bergabfahren entsteht (oder seltener die Umwandlung des Vorwärtsimpulses beim Fahren in der Ebene), in Strom um. Bei einer dieselelektrischen Lokomotive wird der Strom nicht aus der Ferne erzeugt und von einer Stromquelle abgenommen, sondern direkt von der Antriebsmaschine (dem Motor) an Bord erzeugt und an die Motoren weitergeleitet; es gibt derzeit kaum eine Möglichkeit, den Strom für eine spätere Verwendung zu speichern, so dass die Motoren stattdessen als Generatoren verwendet werden, die die Radumdrehung verzögern, und der erzeugte Strom über Widerstände auf dem Dach der Lokomotive geleitet wird, wo er in Wärmeenergie umgewandelt (ähnlich wie bei einem elektrischen Heizelement) und mit großen Ventilatoren in die Atmosphäre abgeleitet wird. Dies hat zwar den Nachteil, dass die bei der Fahrt bergab erzeugte Energie nicht wiederverwendet werden kann, aber dafür entsteht ein leistungsfähiges und sicheres Bremssystem, das nicht wie mechanische Bremsen zu Bremsschwund oder Verschleiß neigt. ⓘ
Hydrodynamische Retarder
Hydrodynamische Retarder arbeiten mit Öl, teilweise aber auch mit Wasser, das bei Bedarf in ein Wandlergehäuse geleitet wird. Das Wandlergehäuse besteht aus zwei rotationssymmetrischen und sich gegenüberliegenden Schaufelrädern, einem Rotor, der mit dem Antriebsstrang des Fahrzeugs verbunden ist, und einem feststehenden Stator. Der Rotor beschleunigt das zugeführte Fluid, die Zentrifugalkraft drückt es nach außen. Durch die Form der Rotorschaufeln wird das Fluid in den Stator und von diesem wieder zurückgeleitet, wodurch es den Rotor und in weiterer Folge auch die Gelenkwelle abbremst. ⓘ
Durch Reibung wird die Bewegungsenergie in Wärme umgewandelt, die durch einen Wärmetauscher wieder abgeführt werden muss, etwa mit Hilfe des Kühlwasserkreislaufs des Motors. Die Ansteuerung des Retarders erfolgt pneumatisch über eine Druckluftsteuerung: Zum Aktivieren wird das Retardergehäuse mit dem Arbeitsfluid aus einem Vorratsbehälter gefüllt, das bei Druckabbau durch die Schaufelräder selbsttätig wieder zurückgepumpt wird. ⓘ
Nachteilig ist, dass die Bremsleistung stark von der Wellendrehzahl abhängig ist. ⓘ
Der hydrodynamische Retarder wurde u. a. von der Firma Voith in Heidenheim an der Brenz entwickelt. Bei den Einbauvarianten der Retarder unterscheidet man zwischen Inline (im Antriebsstrang integriert) und Offline (seitlich an das Getriebe angebaut und nicht direkt auf die Kardanwelle wirkend). ⓘ
Turbo-Retarder-Kupplung
Daimler hat zusammen mit Voith eine hydrodynamische Turbo-Retarder-Kupplung VIAB (Verschleißfreies Integriertes Anfahr- und Bremssystem) entwickelt, die erstmals in den Schwerlasttransportern Actros SLT und Arocs SLT (Serie ab 2014) eingebaut wurde. Seit April 2015 stattet auch der Kranfahrzeughersteller Manitowoc Company sein Modell GMK5250L serienmäßig damit aus. Die Turbo-Retarder-Kupplung vereint verschleißfreies Anfahren und Bremsen in einem System. Sie ist kompakter, leichter und leistungsfähiger als herkömmliche Wandlerschaltkupplungen bzw. Automatikgetriebe und überhitzt nicht bei intensivem Rangieren im Gelände und beim Anfahren an extremen Steigungen mit voll beladenem Fahrzeug. Das Bauteil arbeitet mit Hydrauliköl und dient als Anfahrelement sowie im Rangierbetrieb; eine normale Trockenkupplung im selben Gehäuse übernimmt dann im normalen Fahrbetrieb die Kraftübertragung. Die Turbo-Retarder-Kupplung wird auch zum Bremsen genutzt. Der integrierte Primärretarder dieser Kupplung leistet maximal 350 kW (476 PS) – im Vergleich dazu: Die Bremsleistung des Dieselmotors Typ OM 473 beträgt maximal 475 kW (646 PS). Mit Hilfe der Turbo-Retarder-Kupplung können die SLT-Zugmaschinen Actros und Arocs bis zu 250 Tonnen Gesamtzuggewicht selbst an Steigungen von zehn Prozent ziehen, ohne dass die Kupplung überlastet wird. ⓘ
Bedienung
Die Bedienung eines Retarders variiert sehr stark nach Fahrzeugart. In der Regel befindet sich am Lenkrad neben dem Blinkerhebel ein weiterer Lenkstockschalter, mit dem sich 2 bis 6 Bremsstufen abrufen lassen. Sofern vorhanden, wird mit diesem Hebel auch der Tempomat bedient. Nachgerüstete Retarder besitzen oft frei auf dem Armaturenbrett platzierte Hebel. Bei Betätigung des Retarders mittels solcher Zusatzhebel ist zu beachten, dass die Bremsleuchten des Fahrzeugs nicht immer mit aktiviert werden. Starke Bremsmanöver mittels Retarder – die dieser durchaus leistet – sollten dann vermieden werden. Geregelt ist die Zuschaltung von Bremsleuchten beim Einsatz von Zusatzbremsen wie Retardern im § 53 (2) StVZO, danach kann das Bremslicht zugeschaltet werden, muss es aber nicht zwingend. ⓘ
Auch ist zu beachten, dass der Retarder – ebenso wie andere Dauerbremsen – nur auf einzelne Achsen eines Fahrzeugs oder Fahrzeuggespanns wirkt, was sich besonders bei ungünstigen Fahrbahnverhältnissen (Schnee, Glätte) negativ auf Brems- und Spurverhalten auswirken kann. Daher lassen sich die Achsen separat abschalten. ⓘ
Bei Linienbussen mit Automatikgetriebe beispielsweise ist der Retarder der Betriebsbremse vorgeschaltet und wird daher über die Fußbremse betätigt, ein Handhebel fehlt oft. In einer ersten Stufe bremst nur der Retarder, erst bei einer stärkeren Bremsung wirkt die mechanische Betriebsbremse mit. ⓘ