Flüssigstickstoff

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Ein Versorgungstank mit Flüssigstickstoff für Kryokonservierung
Siedender Flüssigstickstoff in einem tassenförmigen Behälter
Flüssiger Stickstoff beim Umfüllen

Flüssigstickstoff (englisch liquid nitrogen, LN oder LN2) ist Stickstoff in flüssigem Aggregatzustand, der unter Normaldruck bei 77 K (−196 °C) siedet. Die klare, farblose Flüssigkeit hat eine Dichte von 0,807 g/ml am Siedepunkt und eine Viskosität von etwa 1,5 Millipoise.

Flüssigstickstoff wird industriell in großen Mengen zusammen mit Flüssigsauerstoff durch fraktionierte Destillation von flüssiger Luft hergestellt. Ausreichend isoliert von Umgebungswärme kann Flüssigstickstoff in sogenannten Dewargefäßen aufbewahrt und transportiert werden. Dabei wird die Temperatur durch langsames Sieden des Stickstoffs bei konstant 77 K gehalten, wobei Stickstoff-Gas entweicht. Je nach Größe und Aufbau der Isoliergefäße kann die maximale Aufbewahrungszeit zwischen einigen Stunden bis zu einigen Wochen betragen.

Flüssigstickstoff kann leicht in den festen Zustand überführt werden, indem es in eine Vakuumkammer mit einer Drehschieberpumpe gegeben wird. Stickstoff gefriert bei einer Temperatur von 63 K (−210 °C). Als Kühlungsmittel ist Stickstoff nur bedingt effizient, da Flüssigstickstoff bei Kontakt mit wärmeren Objekten sofort siedet, wodurch das Objekt durch eine Schicht von gasförmigem Stickstoff gegen den Flüssigstickstoff isoliert wird. Dieser Effekt ist als Leidenfrost-Effekt bekannt und kommt in allen Situationen vor, bei denen eine Flüssigkeit mit einem Gegenstand in Kontakt gebracht wird, der eine wesentlich höhere Temperatur hat als der Siedepunkt dieser Flüssigkeit. Schnellere und bessere Kühlung kann erreicht werden, indem ein Gegenstand in eine Mischung aus festem und flüssigem Stickstoff gegeben wird anstatt in flüssigen Stickstoff allein.

Eine Demonstration von Flüssigstickstoff im Freeside Makerspace in Atlanta, Georgia, während der Konferenz der Online News Association im Jahr 2013
Studenten bei der Zubereitung von selbstgemachtem Eis mit einem Dewar mit flüssigem Stickstoff.

Physikalische Eigenschaften

Der zweiatomige Charakter des N2-Moleküls bleibt nach der Verflüssigung erhalten. Die schwache van-der-Waals-Wechselwirkung zwischen den N2-Molekülen führt zu einer geringen interatomaren Wechselwirkung, die sich in einem sehr niedrigen Siedepunkt äußert.

Die Temperatur von Flüssigstickstoff kann leicht auf seinen Gefrierpunkt -210 °C (-346 °F; 63 K) gesenkt werden, indem man ihn in eine von einer Vakuumpumpe betriebene Vakuumkammer legt. Die Effizienz von Flüssigstickstoff als Kühlmittel ist dadurch begrenzt, dass er bei Kontakt mit einem wärmeren Objekt sofort siedet und das Objekt in eine isolierende Schicht aus Stickstoffblasen einhüllt. Dieser als Leidenfrost-Effekt bekannte Effekt tritt auf, wenn eine Flüssigkeit mit einer Oberfläche in Berührung kommt, die wesentlich heißer als ihr Siedepunkt ist. Eine schnellere Abkühlung kann erreicht werden, indem man ein Objekt in einen Brei aus flüssigem und festem Stickstoff taucht, anstatt nur in flüssigen Stickstoff.

Handhabung

Da es sich um eine kryogene Flüssigkeit handelt, die lebendes Gewebe schnell einfriert, erfordern seine Handhabung und Lagerung eine Wärmeisolierung. Er kann in Vakuumflaschen gelagert und transportiert werden, wobei die Temperatur durch langsames Sieden der Flüssigkeit konstant bei 77 K gehalten wird. Je nach Größe und Ausführung beträgt die Haltedauer der Vakuumflaschen zwischen einigen Stunden und einigen Wochen. Die Entwicklung von unter Druck stehenden, superisolierten Vakuumbehältern hat es ermöglicht, Flüssigstickstoff über längere Zeiträume zu lagern und zu transportieren, wobei die Verluste auf 2 % pro Tag oder weniger reduziert werden konnten.

Verwendungen

Flüssigstickstoff ist eine kompakte und leicht zu transportierende Quelle für trockenes Stickstoffgas, da er nicht unter Druck gesetzt werden muss. Seine Fähigkeit, Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt von Wasser aufrechtzuerhalten, macht ihn außerdem für eine Vielzahl von Anwendungen äußerst nützlich, vor allem als Kühlmittel mit offenem Kreislauf, z. B:

  • in der Kryotherapie zur Entfernung unansehnlicher oder potenziell bösartiger Hautläsionen wie Warzen und aktinischer Keratose
  • zur Lagerung von Zellen bei niedrigen Temperaturen für Laborarbeiten
  • in der Kryotechnik
  • in einem Kryophorus zur Demonstration des schnellen Gefrierens durch Verdampfung
  • als Reserve-Stickstoffquelle in Brandschutzsystemen für hypoxische Luft
  • als Quelle für sehr trockenes Stickstoffgas
  • für das Eintauchen, Einfrieren und den Transport von Lebensmitteln
  • für die Kryokonservierung von Blut, Fortpflanzungszellen (Sperma und Eizellen) und anderen biologischen Proben und Materialien
    • zur Konservierung von Gewebeproben aus chirurgischen Eingriffen für künftige Studien
    • zur Erleichterung der Kryokonservierung von tiergenetischen Ressourcen
  • zum Einfrieren von Wasser- und Ölleitungen, um daran zu arbeiten, wenn kein Ventil zur Verfügung steht, um den Flüssigkeitsstrom zum Arbeitsbereich zu blockieren; diese Methode wird als kryogene Isolierung bezeichnet
  • zur kryonischen Konservierung in der Hoffnung auf eine spätere Wiederbelebung
  • zum Zusammenschrumpfen von Maschinenteilen
  • als Kühlmittel
    • für CCD-Kameras in der Astronomie
    • für einen Hochtemperatursupraleiter bis zu einer Temperatur, die ausreicht, um Supraleitung zu erreichen
    • zur Aufrechterhaltung einer niedrigen Temperatur um das primäre Flüssighelium-Kühlsystem von supraleitenden Hochfeldmagneten, die z. B. in Kernspinresonanzspektrometern und Kernspintomographen verwendet werden
    • für Vakuumpumpfallen und in kontrollierten Verdampfungsprozessen in der Chemie
    • als Bestandteil von Kühlbädern, die für Tiefsttemperaturreaktionen in der Chemie verwendet werden
    • zur Erhöhung der Empfindlichkeit von Infrarot-Zielsuchköpfen von Raketen wie der Strela 3
    • zum vorübergehenden Schrumpfen mechanischer Komponenten bei der Maschinenmontage und zur Verbesserung von Presspassungen
    • für Computer und extreme Übertaktung
    • zur Simulation des Weltraumhintergrunds in der Vakuumkammer bei thermischen Tests von Raumfahrzeugen
  • bei der Lebensmittelzubereitung, z. B. zur Herstellung von ultraglatter Eiscreme. Siehe auch Molekulargastronomie.
  • bei der Inertisierung und Druckbeaufschlagung von Behältern durch Einspritzen einer kontrollierten Menge flüssigen Stickstoffs unmittelbar vor dem Versiegeln oder Verschließen
  • als kosmetische Neuheit, die Getränken einen rauchigen, sprudelnden "Kesseleffekt" verleiht. Siehe Flüssigstickstoff-Cocktail.
  • als Energiespeichermedium
  • beim Gefrierbrand von Rindern
  • Als Bauverfahren im Tiefbau, bei dem der Boden durch künstliches Gefrieren des Bodenwassers verfestigt wird (Bodenvereisung)
  • Zur Rohrfrostung, um einen temporären Verschluss einer Rohrleitung herzustellen
  • Zur Herstellung von Speiseeis
  • Zur Inertisierung von Tanks zur Explosionsvorbeugung
  • Bei der kryonischen Konservierung von Menschen und Haustieren, in der Hoffnung, sie irgendwann wiederbeleben zu können
  • Bei der sogenannten Promession, einer Form der Leichenbestattung

Kulinarisch

Die kulinarische Verwendung von Flüssigstickstoff wird in einem Rezeptbuch von Mrs. Agnes Marshall aus dem Jahr 1890 mit dem Titel Fancy Ices erwähnt, wird aber in jüngerer Zeit von Restaurants bei der Zubereitung von gefrorenen Desserts wie Eiscreme eingesetzt, die aufgrund der schnellen Abkühlung der Lebensmittel innerhalb weniger Augenblicke am Tisch zubereitet werden können. Die rasche Abkühlung führt auch zur Bildung kleinerer Eiskristalle, wodurch das Dessert eine glattere Textur erhält. Der Küchenchef Heston Blumenthal verwendet diese Technik in seinem Restaurant The Fat Duck, um gefrorene Gerichte wie Eier- und Speck-Eiscreme zu kreieren. Flüssigstickstoff ist auch bei der Zubereitung von Cocktails beliebt, da er zum schnellen Kühlen von Gläsern oder zum Einfrieren von Zutaten verwendet werden kann. Er wird auch Getränken zugesetzt, um einen rauchigen Effekt zu erzeugen, der dadurch entsteht, dass winzige Tröpfchen des flüssigen Stickstoffs mit der Umgebungsluft in Kontakt kommen und den natürlich vorhandenen Dampf kondensieren.

Ursprung

Stickstoff wurde erstmals am 15. April 1883 von den polnischen Physikern Zygmunt Wróblewski und Karol Olszewski an der Jagiellonen-Universität verflüssigt.

Sicherheit

Tieftemperatur-Handschuhe für Arbeiten mit verflüssigten Gasen

Wegen seiner niedrigen Temperatur kann Flüssigstickstoff bei unvorsichtigem Gebrauch in kürzester Zeit Erfrierungen verursachen. Zwar kann man seine Hand kurz in flüssigen Stickstoff tauchen, sofern man keine guten Wärmeleiter wie metallische Ringe trägt, weil der an der Haut verdampfende Stickstoff eine isolierende Gasschicht bildet (Leidenfrost-Effekt). Kommt man aber in Kontakt mit Metall oder anderen Wärmeleitern, ist die Isolation sofort unterbrochen, was zu schweren Erfrierungen und Absterben des Gewebes führt. Zum sicheren Be- und Umfüllen kommen daher oft Schnellkupplungen zum Einsatz.

Wie alle Stoffe dehnt sich Stickstoff beim Sieden stark aus. Sein Volumen steigt beim Übergang vom flüssigen in den gasförmigen Zustand bei Raumtemperatur um den Faktor 694. Das kann explosive Kräfte auslösen. Bei einem Unfall an der Texas A&M University versagte ein verstopfter Tank, explodierte, und wurde durch die Decke über dem Tank geschleudert.

Flüssigstickstoff kann in sogenannten Dewargefäßen mit evakuierter doppelter Wand aus Glas oder Stahl transportiert und gelagert werden. Dabei muss stets ein Druckausgleich zur umgebenden Atmosphäre stattfinden können. Flüssigstickstoff sollte nur von geschulten Personen gehandhabt werden. Es kam in der Vergangenheit zu schweren Verletzungen bis hin zu Todesfällen durch unsachgemäße Handhabung flüssigen Stickstoffs, beispielsweise wenn Flüssigstickstoff, der für die Molekularküche besorgt wurde, in einer fest verschlossenen Thermoskanne transportiert wurde.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) wies auch auf gesundheitliche Risiken bei der Verwendung von Flüssigstickstoff im Rahmen des Food-Trends "Dragon Breath" hin. In mehreren deutschen Bundesländern wurden vereinzelt Fälle gemeldet, bei denen etwa an Kiosken Lebensmittel mit flüssigem Stickstoff gefroren und dann an Verbraucher lose zum Verzehr abgegeben wurden. Während des Verzehrs sorgt der Flüssigstickstoff dafür, dass der Atem kondensiert und wie der namensgebende "Drachenatem" aussehen soll. Das BfR weist darauf hin, dass die extreme Kälte zu Verletzungen der Zunge bzw. Mundschleimhaut (auch bekannt als Gefrierbrand oder Kälteverbrennung) oder Schädigungen der Zähne führen kann.

Wenn Flüssigstickstoff verdunstet und sich mit Luft vermischt, sinkt die Sauerstoff-Konzentration in der Luft. Besonders in geschlossenen Räumen kann das zu Sauerstoffmangel führen. Weil Stickstoff geruch-, farb- und geschmacklos ist, kann unbemerkt eine Hypoxie entstehen. In Aufzügen, PKWs und LKWs darf Stickstoff nur in dafür zugelassenen Gefäßen transportiert werden.

Flüssigstickstoff hat einen niedrigeren Siedepunkt (−196 °C, 77 K) als Sauerstoff (−183 °C, 90 K), so dass Sauerstoff aus der Luft an Flüssigstickstoff-Leitungen kondensieren und spontan mit organischem Material reagieren kann. Auch in offenen Behältern, die Flüssigstickstoff enthalten, kann Sauerstoff aus der Luft kondensieren und in den Behälter tropfen. Der Flüssigstickstoff im Behälter wird dann mit Flüssigsauerstoff zunehmend verunreinigt. Bei späterem Gebrauch kann diese Mischung zu starker Oxidation bis hin zur Explosion führen, vor allem bei Kontakt mit organischen Materialien. Flüssigsauerstoff hat eine blassbläuliche Farbe in dicker Schicht, so dass eine bläuliche Farbe flüssigen Stickstoffs in einem Dewargefäß bereits auf einkondensierten Sauerstoff hindeuten kann. Flüssiger Stickstoff ist in reiner Form farblos und transparent.

Befüllung eines Flüssigstickstoff-Dewars aus einem Lagertank

Wenn flüssiger Stickstoff verdampft, verringert er die Sauerstoffkonzentration in der Luft und kann als Erstickungsmittel wirken, insbesondere in engen Räumen. Stickstoff ist geruchlos, farblos und geschmacklos und kann ohne jegliche Empfindung oder Vorwarnung eine Erstickung hervorrufen.

Sauerstoffsensoren werden manchmal als Sicherheitsvorkehrung bei der Arbeit mit Flüssigstickstoff eingesetzt, um die Arbeiter vor einem Gasaustritt in einem geschlossenen Raum zu warnen.

Das Verschlucken von flüssigem Stickstoff kann zu schweren inneren Schäden führen, da das Gewebe, das mit dem Stickstoff in Berührung kommt, gefriert und das Volumen des gasförmigen Stickstoffs, der bei der Erwärmung der Flüssigkeit durch die Körperwärme entsteht. Im Jahr 1997 verschluckte ein Physikstudent, der den Leidenfrost-Effekt demonstrierte, indem er flüssigen Stickstoff in den Mund nahm, versehentlich die Substanz, was zu fast tödlichen Verletzungen führte. Dies war offenbar der erste Fall in der medizinischen Literatur, bei dem flüssiger Stickstoff verschluckt wurde. Im Jahr 2012 musste einer jungen Frau in England der Magen entfernt werden, nachdem sie einen Cocktail mit flüssigem Stickstoff geschluckt hatte. Im Januar 2021 riss in einem Geflügelverarbeitungsbetrieb im US-Bundesstaat Georgia eine Leitung mit flüssigem Stickstoff, wobei sechs Menschen starben und 11 weitere verletzt wurden.

Herstellung

Flüssiger Stickstoff wird kommerziell aus der kryogenen Destillation von verflüssigter Luft oder aus der Verflüssigung von reinem, aus Luft gewonnenem Stickstoff durch Druckwechseladsorption hergestellt. Mit einem Luftkompressor wird gefilterte Luft auf hohen Druck verdichtet; das unter hohem Druck stehende Gas wird auf Umgebungstemperatur abgekühlt und kann sich dann auf einen niedrigen Druck ausdehnen. Die expandierende Luft kühlt stark ab (Joule-Thomson-Effekt), und Sauerstoff, Stickstoff und Argon werden durch weitere Expansions- und Destillationsstufen getrennt. Die Herstellung von Flüssigstickstoff in kleinem Maßstab ist mit diesem Prinzip leicht möglich. Flüssiger Stickstoff kann für den Direktverkauf oder als Nebenprodukt bei der Herstellung von flüssigem Sauerstoff für industrielle Prozesse wie die Stahlerzeugung produziert werden. Anlagen zur Herstellung von Flüssigluft in der Größenordnung von mehreren Tonnen pro Tag wurden bereits in den 1930er Jahren gebaut, fanden aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg große Verbreitung; eine moderne Großanlage kann 3000 Tonnen Flüssigluft pro Tag produzieren.

Kosten

Der Preis von Flüssigstickstoff hängt vom Energiepreis und von der Entfernung zu entsprechenden Produktionsorten ab. In industrialisierten Gebieten liegt er in der Größenordnung von 10–50 Cent pro Liter. Kleinmengen und die Lieferung an abgelegene Orte können erheblich teurer sein.