Nornen

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Nordische Mythologie, Sjódreygil und die Nornen Färöische Briefmarken 2006
Die Nornen spinnen die Fäden des Schicksals am Fuße von Yggdrasil, dem Baum der Welt. Unter ihnen befindet sich der Brunnen Urðarbrunnr mit den beiden Schwänen, die alle Schwäne der Welt hervorgebracht haben.
Die Nornen (1889) von Johannes Gehrts.

Die Nornen (altnordisch: norn [ˈnorn], Plural: nornir [ˈnornez̠]) sind in der nordischen Mythologie Gottheiten, die für die Gestaltung der menschlichen Schicksale verantwortlich sind.

In der von Snorri Sturluson überlieferten Völuspá schöpfen die drei Ur-Nornen Urðr (Wyrd), Verðandi und Skuld Wasser aus ihrem heiligen Brunnen, um den Baum im Zentrum des Kosmos zu nähren und ihn vor der Fäulnis zu bewahren. Diese drei Nornen werden als mächtige jungfräuliche Riesinnen (Jotuns) beschrieben, deren Ankunft aus Jötunheimr das goldene Zeitalter der Götter beendete. Die Nornen werden auch als Jungfrauen von Mögþrasir im Vafþrúðnismál beschrieben.

Neben den drei Nornen, die Yggdrasill hüten, berichteten die vorchristlichen Skandinavier von Nornen, die ein neugeborenes Kind besuchen, um dessen Zukunft zu bestimmen. Diese Nornen konnten bösartig oder wohlwollend sein: Erstere verursachten tragische Ereignisse in der Welt, während letztere freundlich und beschützend waren.

J.L. Lund (1777–1867): Nornir

Etymologie

Der Ursprung des Namens Norn ist ungewiss; er könnte von einem Wort abgeleitet sein, das "verflechten" bedeutet und sich darauf bezieht, dass sie den Schicksalsfaden verflechten. Bek-Pedersen vermutet, dass das Wort norn mit dem schwedischen Dialektwort norna (nyrna) zusammenhängt, einem Verb, das "heimlich mitteilen" bedeutet. Dies bezieht sich auf die Vorstellung von Nornen als schattenhafte Hintergrundfiguren, die den Menschen ihre schicksalhaften Geheimnisse immer erst dann offenbaren, wenn sich ihr Schicksal erfüllt hat.

Der Name Urðr (altenglisch Wyrd, Weird) bedeutet "Schicksal". Wyrd und Urðr sind etymologisch verwandt, was jedoch nicht garantiert, dass Wyrd und Urðr im Laufe der Zeit dieselbe semantische Qualität von "Schicksal" aufweisen. Sowohl Urðr als auch Verðandi leiten sich von dem altnordischen Verb verða, "werden", ab, das sich wiederum vom proto-germanischen *wurdiz, vom proto-indoeuropäischen *wrti-, einem verbalen Abstraktum von der Wurzel *wert- ("sich drehen"), ableitet. Es wird allgemein behauptet, dass Urðr sich von der Vergangenheitsform ("das, was wurde oder geschah") ableitet, während Verðandi sich von der Gegenwartsform von verða ("das, was geschieht") ableitet. Skuld leitet sich von dem altnordischen Verb skulu ab, "müssen/sollen sein"; seine Bedeutung ist "das, was werden soll, oder das, was geschehen muss". Aus diesem Grund wurde oft gefolgert, dass die drei Nornen in irgendeiner Weise mit der Vergangenheit, der Gegenwart bzw. der Zukunft verbunden sind, aber es wurde bestritten, dass ihre Namen wirklich eine zeitliche Unterscheidung implizieren, und es wurde betont, dass die Wörter an sich keine chronologischen Perioden im Altnordischen bezeichnen.

Beziehung zu anderen germanischen weiblichen Gottheiten

Fresko der Nornen im Neuen Museum, Berlin

Es gibt keine klare Unterscheidung zwischen Nornen, Fylgjas, Hamingjas und Walküren, auch nicht mit dem Oberbegriff dísir. Außerdem erlaubte es die künstlerische Freiheit, solche Bezeichnungen für sterbliche Frauen in der altnordischen Dichtung zu verwenden. Ich zitiere Snorri Sturlusons Skáldskaparmál zu den verschiedenen Bezeichnungen für Frauen:

Die Frau wird auch metaphorisch mit den Namen Asynjur oder Walküren oder Nornen oder Frauen übernatürlicher Art bezeichnet.

Diese unklaren Unterscheidungen zwischen Nornen und anderen germanischen weiblichen Gottheiten werden in Bek-Pedersens Buch "Norns in Old Norse Mythology" diskutiert.

Theorien

Zu den Nornen gibt es eine Reihe von Theorien.

Matres und Matrones

Die germanischen Matres und Matrones, weibliche Gottheiten, die vom 1. bis zum 5. Jahrhundert n. Chr. in Nordwesteuropa verehrt wurden und auf Votivobjekten und Altären fast ausschließlich in Dreiergruppen abgebildet sind, wurden mit den späteren germanischen Dísir, Walküren und Nornen in Verbindung gebracht, die möglicherweise von ihnen abstammen.

Drei Nornen

Es gibt Theorien, wonach es in der nordischen Mythologie keine Grundlage für die Vorstellung gibt, dass die drei Hauptnornen jeweils ausschließlich mit der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft in Verbindung gebracht werden, sondern dass alle drei das Schicksal darstellen, das mit dem Fluss der Zeit verwoben ist. Darüber hinaus gibt es Theorien, wonach die Vorstellung, dass es drei Hauptnornen gibt, auf einen späten Einfluss der griechischen und römischen Mythologie zurückzuführen sein könnte, wo es ebenfalls spinnende Schicksalsgöttinnen gibt (Moirai und Parcae).

In der Volkskultur

Die Nornen sind die Hauptfiguren des beliebten Anime Oh My Goddess! Verðandi (hier wegen der japanischen Transliteration Belldandy genannt) ist die weibliche Hauptfigur der Serie. Ihre ältere Schwester Urðr (Urd) und ihre jüngere Schwester Skuld sind wichtige Nebenfiguren in der Geschichte.

Amon Amarth haben ein Death-Metal-Album namens Fate of Norns geschrieben, das den Titelsong "Fate of Norns" enthält und 2004 veröffentlicht wurde.

Jack und Annie treffen die Norns bei einer ihrer Missionen in Magic Tree House.

In Shin Megami Tensei: Devil Children 2, das in Nordamerika als "Demikids" bekannt ist, treten die Norns einzeln als Wächter der Zeit auf und sind rekrutierbare Dämonen im Post-Game. Wenn sie alle gesammelt werden, können sie zu einem einzigen mächtigen Dämon namens "Norn" verschmolzen werden, der die Eigenschaften der drei einzelnen Dämonen, aus denen er besteht, teilt und Zugang zu allen drei Elementen hat, die seine einzelnen Teile besitzen.

Norns kommen in Philip K. Dicks "Galaktischer Topfheiler" vor, als Wesen, die ein Buch führen, in dem die Zukunft bereits geschrieben steht.

In Neil Gaimans "American Gods" werden die Nornen als drei Frauen dargestellt (eine sehr groß, eine mittelgroß, die letzte ein Zwerg), die Shadow bei seiner Nachtwache für Wednesday (Odin) auf der Esche helfen und dann in einem nahegelegenen Gehöft bleiben; sie beleben Schattens tote Frau Laura mit Hilfe des Wassers aus der Grube von Urd wieder; und sie prophezeien Mr. Town, einem Mitarbeiter von Mr. World, dass sein Genick gebrochen werden wird.

Die Norns tauchen in Kieron Gillens und Jamie McKelvies 2014-2018 erschienenem Comic The Wicked + The Divine auf.

Eine Anspielung auf die Nornen findet sich in God of War von 2018, dem achten Teil der God-of-War-Reihe, der von Santa Monica Studio entwickelt und von Sony Interactive Entertainment (SIE) veröffentlicht wurde und mit dem das Franchise einen Ausflug in die nordische Mythologie unternahm. Während sich der Protagonist Kratos und sein junger Sohn Atreus auf eine Reise durch das Reich Midgard begeben, stoßen sie immer wieder auf Truhen, die als Nornir-Truhen bekannt sind. Jede dieser Truhen kann geöffnet werden, indem man drei versteckte Runensiegel findet und alle drei schnell mit der Leviathan-Axt trifft. Jede der Nornir-Truhen enthält Sammlerstücke, die nach und nach Kratos' Gesundheits- und/oder Wutanzeige verbessern.

Im beliebten MMO Guild Wars 2 gibt es eine Rasse von Wikingern, die Norn genannt werden. Ihre Geschichte und Namensgebung sind von der Mythologie und Kultur der Wikinger inspiriert.

Die Nornen in der Edda

Drei Schicksalsfrauen werden mit Namen genannt: Sie heißen Urd (Schicksal), Verdandi (das Werdende) und Skuld (Schuld; das, was sein soll). Ihre Namen gelten als nordische Entsprechungen gängiger mittelalterlicher Vorstellungskonzepte der Zeit in Form von Personifikationen der Vergangenheit (Urd), Gegenwart (Verdandi) und Zukunft (Skuld). Auch wenn diese drei Namen jung sind, scheinen sie auf eine alte germanische Vorstellung einer namenlosen Dreiheit von Schicksalsfrauen zurückzugehen. Laut Mela Escherich kannte die alte Mythologie allerdings nur eine Norne, nämlich Urd.

Nach der Völuspá wohnen die Nornen an der Wurzel der Weltenesche Yggdrasil an der Urdquelle, der Quelle des Schicksals, nach der Urd benannt ist. Sie lenken die Geschicke der Menschen und Götter.

Ask veit ek standa,
heitir Yggdrasill,
hár baðmr, ausinn
hvíta auri;
þaðan koma dǫggvar,
þærs í dala falla,
stendr æ yfir, grænn,
Urðar brunni.

Þaðan koma meyiar
margs vitandi
þrjár, ór þeim sal,
er und þolli stendr;
Urð hétu eina,
aðra Verðandi,
- skáro á skíði, -
Skuld ina þriðio;
þær lǫg lǫgðu,
þær líf kuru
alda bǫrnum,
ørlǫg seggia.

Eine Esche weiß ich,
heißt Yggdrasil,
Den hohen Baum
netzt weißer Nebel;
Davon kommt der Tau,
der in die Täler fällt.
Immergrün steht er
über Urds Brunnen.

Davon kommen Frauen,
vielwissende,
Drei aus dem See
dort unterm Wipfel.
Urd heißt die eine,
die andre Verdandi:
Sie schnitten Stäbe;
Skuld hieß die dritte.
Sie legten Lose,
das Leben bestimmten sie
Den Geschlechtern der Menschen,
das Schicksal verkündend.

Nach der Gylfaginning in der Snorra-Edda wird der Baum nicht durch Nebel erhalten, sondern die Nornen pflegen ihn:

„Enn er þat sagt, at nornir þær, er byggja við Urðarbrunn, taka hvern dag vatn í brunninum ok með aurinn þann, er liggr um brunninn, ok ausa upp yfir askinn, til þess at eigi skuli limar hans tréna eða fúna. En þat vatn er svá heilagt, at allir hlutir, þeir er þar koma í brunninn, verða svá hvítir sem hinna sú, er skjall heitir, er innan liggr við eggskurn.“

„Ferner erzählt man, dass die Nornen, die am Urdabrunnen hausen, täglich Wasser aus dem Brunnen schöpfen und dazu den Schlamm, der um die Quelle herum liegt, und dies über die Esche ausgießen, damit ihre Zweige nicht verdorren oder verfaulen. Dies Wasser ist so heilig, dass alle Dinge, die in jene Quelle geraten, so weiß werden wie die Haut, die man Skjall nennt und die innen an der Eierschale sitzt.“

Gylfagynning Kap. 16.

Daneben werden noch solche Nornen erwähnt, die Müttern bei der Geburt beistehen: In Fafnismál fragt Sigurd den Drachen Fafnir:

Segðu mér, Fáfnir,
alls þik fróðan kveða
ok vel margt vita,
hverjar ro þær nornir,
er nauðgönglar ro
ok kjósa mæðr frá mögum?
Fáfnir kvað:
Sundrbornar mjök
segi ek nornir vera,
eigu-t þær ætt saman;
sumar eru áskunngar,
sumar alfkunngar,
sumar dætr Dvalins.

Laß dich fragen, Fafnir,
da du vorschauend bist
Und wohl manches weißt:
Welches sind die Nornen,
die notlösend heißen
und Mütter mögen entbinden?
Fafnir sagte:
Verschiedenen Geschlechts
scheinen die Nornen mir
Und nicht eines Ursprungs.
Einige sind Asen,
einige Alfen,
einige Töchter Dwalins.

Im Anschluss daran wuchs ihnen die Aufgabe zu, dem Kind seine Lebensdauer anzusagen. Hier erzeugen sie das persönliche Fatum (lat.: Schicksal) des einzelnen Menschen. In der Edda heißt es:

Nótt varð í bæ,
nornir kómu,
þær er öðlingi
aldr of skópu;
þann báðu fylki
frægstan verða
ok buðlunga
beztan þykkja.

Nacht wurde es im Gehöft,
Nornen kamen,
die dem Edlen
die Lebenszeit schufen;
sie bestimmten, dass dieser Heerführer
der berühmteste werde
und als der Fürsten
bester erscheine.

„Skuld“ (wörtlich: Schuld, „skal“: sollen) ist auch bekannt als der Name einer Walküre.

Sá hún valkyrjur
vítt um komnar,
görvar að ríða
til Goðþjóðar;
Skuld hélt skildi,

Ich sah Walküren
weither kommen,
Bereit zu reiten
zum Rat der Götter.
Skuld hielt den Schild,

Ähnliche Schicksalsfrauen gibt es auch in der griechischen (Moiren), der römischen (Parzen) und der slawischen Mythologie (Zorya).

Eine weitere Variante ist, dass die Nornen nicht das Geschick als solches bestimmen, sondern dass gute Nornen Gutes und böse Nornen Böses zuteilen.

„Góðar nornir ok vel ættaðar skapa góðan aldr, en þeir menn, er fyrir ósköpum verða, þá valda því illar nornir.“

„Gute Nornen aus vornehmem Geschlecht bescheren gutes Leben; wen aber Unglück heimsucht, der verdankt das den bösen Nornen.“

Gylfaginning Kap. 15.

In der Urdquelle schwimmen zwei Schwäne, von denen alle weißen Schwäne abstammen:

„Fuglar tveir fæðast í Urðarbrunni. Þeir heita svanir, ok af þeim fuglum hefir komit þat fuglakyn, er svá heitir.“

„Im Urdabrunnen leben zwei Vögel, die heißen Schwäne, und von ihnen stammt die Vogelart dieses Namens.“

Gylfaginning Kap. 16.

Oft werden die Nornen mit den Walküren verwechselt. Manchmal werden sie auch mit den Schutzgeistern Fylgja sowie den weisen Frauen volur und spåkonur vermischt.

Rezeption

Vorhang im Eingangsbereich der Nibelungenhalle (Königswinter) von August Wilckens: drei Nornen an der Weltesche Yggdrasil beim Spinnen der „Schicksalsfäden“

Aufgrund der dem Schicksal naturgemäß innewohnenden Unwägbarkeiten gelten die Nornen als Ausprägung des ambivalenten Aspekts des sog. Mutterarchetyps im Sinne der Analytischen Psychologie Carl Gustav Jungs.

Im Vorspiel von Richard Wagners Götterdämmerung, dem letzten Teil seiner Tetralogie Der Ring des Nibelungen, spielen die Nornen eine wesentliche Rolle. Sie erinnern an das in den drei Abenden vorher Geschehene, das Gegenwärtige und schließlich, während ihnen das Schicksals-Seil reißt, von dem sie wie träumend die Runen ablesen, das nahe Ende der Götter, die hereinbrechende Götterdämmerung (Ragnarök).

Bei Wagner ist der Singular von „Nornen“ nicht, wie sonst im Deutschen üblich, „Norne“, sondern „Norn“ wie im Altnordischen, und sie tragen keine Namen, sondern werden als „Erste Norn“, „Zweite Norn“ und „Dritte Norn“ bezeichnet.

Zeitgenössische Metal-Bands, z. B. Brothers of Metal, greifen die Nornen und andere Themen der nordischen Mythologie in ihren Stücken auf.

Verschiedene Werke der Fantasy, die die nordische Mythologie aufgreifen, bauen auch die Nornen in ihre Handlung ein, beispielsweise die Romantrilogie Das Geheimnis der Großen Schwerter von Tad Williams oder die Manga-Serien Oh! My Goddess und Detektiv Loki. Aber auch in den Werken Throne of glass und das Reich der sieben Höfe gibt es Anspielungen auf nordische Mythologie.