Marteniza
Marteniza (f., bulg. мартеница, vom bulgarischen Namen für den Monat März: март) ist ein kleiner rot-weißer Schmuck, der im März jedes Jahres nach einem alten Brauch getragen wird. Dieser bulgarische Brauch stammt aus der Zeit vor dem 7. Jahrhundert n. Chr. Als einer der beliebtesten bulgarischen Bräuche und über Jahrhunderte gepflegt, ist das gegenseitige Beschenken mit Martenizi (мартеници, Pluralform) am 1. März und in der darauf folgenden Woche. Es handelt sich um kleine rot-weiße Anhänger, Quasten, Püppchen oder schlichte Armbänder aus Stoff, Wolle oder Baumwollfäden, die in Bulgarien Anfang März von allen getragen werden. Sie werden ebenfalls gern im ganzen Freundeskreis per Briefchen oder Postkarten verschickt. ⓘ
Die Marteniza ist im Wesentlichen ein Talisman für Gesundheit und ein langes Leben, was jeweils die Farben symbolisieren: rot für rote Wangen bzw. weiß für weißes Haar und hohes Alter. Man trägt sie auf der linken Seite (dort, wo das Herz ist) oder als Armband auf dem linken Arm. Die rot-weißen Glücksbringer trägt man so lange, bis man ein erstes Frühlingszeichen – einen Storch, eine Schwalbe oder einen blühenden Baum – sieht. Dann (spätestens zum 1. April) hängt man sie auf einen Baum oder legt sie unter einen Stein und wünscht sich etwas Schönes. ⓘ
Eine ähnliche Tradition gibt es zum 1. März auch in Rumänien und in der Republik Moldau. Dort wird sie Mărțișor genannt. In Griechenland heißt der Brauch Martis (griechisch Μάρτης). ⓘ
Symbolik
Eine typische Martenitsa besteht aus zwei kleinen Wollpuppen, Pizho und Penda (bulgarisch: Пижо и Пенда). Pizho, die männliche Puppe, ist in der Regel weiß; Penda, die weibliche Puppe, zeichnet sich durch ihren Rock aus und ist meist rot. ⓘ
Die rot und weiß gewebten Fäden symbolisieren den Wunsch nach guter Gesundheit. Sie sind die Vorboten des kommenden Frühlings und des neuen Lebens. Während die Farbe Weiß für Reinheit steht, ist Rot ein Symbol für Leben und Leidenschaft. Einige Ethnologen vermuten daher, dass der Brauch in seinen Ursprüngen an den ständigen Kreislauf von Leben und Tod, an das Gleichgewicht von Gut und Böse sowie an Leid und Glück im menschlichen Leben erinnert hat. Die Martenitsa ist auch ein stilisiertes Symbol für Mutter Natur, wobei das Weiß die Reinheit des schmelzenden weißen Schnees und das Rot der untergehenden Sonne symbolisiert, die mit fortschreitendem Frühling immer intensiver wird. Diese beiden natürlichen Ressourcen sind die Quelle des Lebens. Sie werden auch mit den männlichen und weiblichen Anfängen assoziiert und in ihrem Gleichgewicht mit der Notwendigkeit des Gleichgewichts im Leben. ⓘ
Tradition
Der Tradition nach werden Martenitsi immer verschenkt und nicht für sich selbst gekauft. Sie werden geliebten Menschen, Freunden und Menschen, denen man sich nahe fühlt, geschenkt. Ab dem ersten März werden ein oder mehrere Martenitsi an die Kleidung geheftet oder um das Handgelenk oder den Hals getragen, bis der Träger einen Storch oder eine Schwalbe sieht, die vom Zug zurückkehren, oder einen blühenden Baum, und dann die Martenitsa abnimmt. ⓘ
In der bulgarischen Folklore erinnert der Name Baba Marta (bulgarisch: Баба Марта, "Großmutter März") an eine mürrische alte Dame, deren Stimmung sehr schnell schwankt. Der Volksglaube besagt, dass die Menschen Baba Marta um Gnade bitten, wenn sie die roten und weißen Farben der Marteniza tragen. Sie hoffen, dass dadurch der Winter schneller vergeht und der Frühling kommt. Der erste zurückkehrende Storch oder die erste Schwalbe gilt als Vorbote des Frühlings und als Beweis dafür, dass Baba Marta gut gelaunt ist und sich zur Ruhe setzen wird. ⓘ
Das Ritual des endgültigen Ablegens der Martenitsa ist in den verschiedenen Teilen Bulgariens unterschiedlich. Manche Menschen binden die Martenitsa an einen Zweig eines Obstbaums, um dem Baum Gesundheit und Glück zu schenken, das der Träger der Martenitsa selbst genossen hat, während er sie trug. Andere legen die Martenitsa unter einen Stein mit der Vorstellung, dass die Art des Lebewesens (in der Regel ein Insekt), das sich am nächsten Tag in der Nähe der Martenitsa befindet, die Gesundheit der Person für den Rest des Jahres bestimmt. Handelt es sich bei dem Tier um eine Larve oder einen Wurm, wird das kommende Jahr gesund und erfolgreich sein. Das gleiche Glück ist mit einer Ameise verbunden, mit dem Unterschied, dass die Person hart arbeiten muss, um Erfolg zu haben. Wenn das Wesen, das dem Zeichen am nächsten steht, eine Spinne ist, dann hat die Person Schwierigkeiten und kann weder Glück noch Gesundheit oder persönlichen Erfolg genießen. ⓘ
Das Tragen von einem oder mehreren Martenitsi ist eine sehr beliebte bulgarische Tradition. Die Zeit, in der sie getragen werden, soll ein fröhlicher Feiertag sein, der an Gesundheit und langes Leben erinnert. ⓘ
Moderne Martenitsi haben eine größere Vielfalt an Formen und sind oft mit farbigen Perlen und anderen Verzierungen versehen. ⓘ
Herkunft
Diese Tradition ist ein wichtiger Teil der bulgarischen Kultur, und es gibt eine ähnliche Tradition in Nordmazedonien sowie in Griechenland, Albanien (bekannt als verorja), Rumänien und Moldawien. Die Tradition ist mit der alten heidnischen Geschichte der Balkanhalbinsel und mit allen landwirtschaftlichen Naturkulten verbunden. Einige spezifische Merkmale des Rituals, insbesondere das Binden der gedrehten weißen und roten Wollfäden, sind das Ergebnis einer jahrhundertealten Tradition und lassen auf thrakische (paläobalkanische) oder möglicherweise hellenische oder römische Ursprünge schließen. ⓘ
Einige Ethnographen behaupten, dass der Brauch bis zu den Eleusinischen Mysterien zurückverfolgt werden kann. Das antike Äquivalent des modernen griechischen "martis" ist vermutlich der kroke (κρόκη). Der Brauch wird in Photios' Lexikon erwähnt. Es heißt, dass die Priester [μύσται] einen roten Faden [κρόκη] um ihre rechte Hand und ihren Fuß wickeln. Damals wurden rote oder andersfarbige Fäden verwendet, um Kinder und Jugendliche vor bösen Geistern und Hexerei zu schützen. ⓘ
In einer bulgarischen Geschichte aus dem frühen 20. Jahrhundert werden die ersten Martenitsi mit der Schlacht von Ongal im 7. Jahrhundert zwischen dem bulgarischen Khan Asparuh und den Byzantinern in Verbindung gebracht, die mit einem entscheidenden Sieg der Bulgaren endete. Nach der Schlacht schickte der Asparuch Tauben mit weißen Fäden in sein Hauptlager, um den Sieg zu verkünden. Die Fäden färbten sich während des Fluges blutig, wodurch die erste Martenitsa entstand. ⓘ
Baba Marta
Baba Marta (Баба Марта) ist eine volkstümliche, ausschmückende Umschreibung für den Monat März (deutsche Analogie: der Lenz oder die Figur von Frau Holle, die für Schnee sorgt). "Baba" heißt auf deutsch Oma. Auch die Begrüßung Tschestita Baba Marta (bulg. Честита баба Марта, „Glückliche Oma Marta“) ist typisch für den Anfang März in Bulgarien. ⓘ
Hinter dem Marteniza-Brauch steckt zugleich der alte Glaube, dass die rot-weißen Martenizi Baba Marta, die Personifizierung des Monats März in Gestalt einer alten, ärgerlichen und launischen Frau, mild stimmen, damit sie nicht zornig wird und Kälte über das Land schickt. Dies hängt mit dem Landesklima zusammen: Oft kündigt sich der Frühling Anfang März an und gegen Ende des Monats kommt es dennoch zu Schneefall. Alle Erwachsenen, Kinder und Haustiere werden mit Martenizi beschenkt und geschmückt, damit sie gesund bleiben. ⓘ
Geschichte
Der Ursprung der Martenizi geht auf die Gründung des Ersten Bulgarischen Reiches im Jahr 678 durch die Protobulgaren zurück. ⓘ
Der Legende nach gingen zur Zeit der Gründung des ersten bulgarischen Staates die fünf Söhne von Kubrat, begleitet von ihrer Schwester Houba, auf die Jagd. Als sie die Donau erreichten, sahen sie einen silbernen Hirsch. Wie versteinert standen sie da und wagten es nicht auf den Hirsch zu schießen. Der Hirsch überquerte den Fluss und gelangte an das andere Ufer und zeigte der Jagdgesellschaft so, dass sich dort eine Furt, also eine Möglichkeit befand, den Fluss zu überqueren. Eine Brieftaube brachte der Jagdgesellschaft schlechte Nachrichten. Ihr Vater, der Gründer des Alten Bulgarischen Reiches, lag auf dem Sterbebett. In seinen letzten Stunden mahnte der Vater seine Söhne Bajan, Kotrag, Asparuch, Kuwer und Alzek eindringlich, nicht die lockeren Verbindungen zwischen den verschiedenen Bulgarenstämmen abbrechen zu lassen. Seine Söhne schworen, Bulgarien zu verteidigen. ⓘ
Bald nach dem Tod ihres Vaters drangen die Chasaren in ihr Land ein. Ashiba – dem Khan der Chasaren – gelang es Phanagoria, die Hauptstadt des Landes zu erobern. ⓘ
Houba, die Tochter von Kubrat, wurde von Ashiba gefangen genommen. In der Hoffnung ihren Brüdern die Chance auf Freiheit zu geben, unternahm sie einen Selbstmordversuch, wurde aber von den Wachen aufgehalten. ⓘ
Ihre Brüder hielten ihren Schwur auf verschiedene Art. Bayan blieb bei seiner Schwester und erkannte die Herrschaft von Khan Ashiba an. Kotrag ging nach Norden zur Wolga, während Asparuch, Kuwer und Alzek sich auf der Suche nach neuem Land – ohne einen Unterdrücker – nach Süden wandten. ⓘ
Bevor die Brüder heimlich abreisten, hatten sie mit ihrer Schwester Houba und dem bei ihr bleibenden Bruder Bajan vereinbart, ein goldenes Band – geknüpft um den Fuß eines Vogels – als Nachricht zu senden, wenn sie freies Land finden würden. Eines Tages flog ein von Asparuch geschickter Falke mit dem vereinbarten Zeichen in Houbas Raum, woraufhin sie und Bajan sofort Fluchtpläne schmiedeten. Gerade als sie nach einem Platz Ausschau hielten, um die Donau zu überqueren, wurden sie von den Spähern der Chasaren entdeckt und verfolgt. Houba band dem Falken schnell ein weißes Band um den Fuß und übergab ihn ihrem Bruder Bajan. Dann eilte sie davon, um zu versuchen, eine Furt über die Donau zu finden. Bajan wollte den Falken aufsteigen lassen, aber gerade als der Vogel losfliegen wollte, traf ein feindlicher Pfeil Bajan und sein Blut tränkte das eine Ende des Bandes rot. ⓘ
Mit allerletzten Kräften schafften Houba und Bajan es das Land, das Asparuch entdeckt hatte – das heutige Bulgarien – zu erreichen. Asparuch konnte seinen sterbenden Bruder und seine Schwester noch willkommen heißen. Später zeichnete er seine Soldaten mit den weiß-rot gefärbten Fasern des Bandes aus. ⓘ