Antragsdelikt

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Im Strafrecht einiger Länder mit kontinentalem Rechtssystem ist ein Antragsdelikt (Plural Antragsdelikte) eine Kategorie von Straftaten, die ohne eine Anzeige des Opfers nicht verfolgt werden können. Das gleiche Konzept wurde im japanischen Recht unter dem Namen shinkokuzai (japanisch: 親告罪), im südkoreanischen Recht unter dem Namen chingojoe (korean: 친고죄), im taiwanesischen Recht (sowohl während der frühen Republik als auch nach 1949) unter verschiedenen Bezeichnungen, im niederländischen Recht unter dem Namen klachtdelict, im belgischen Recht unter dem Namen klachtmisdrijf/crime de plainte und im indonesischen Recht unter dem Namen delik aduan.

Unter einem Antragsdelikt versteht man eine Straftat, der grundsätzlich nur auf Antrag des Geschädigten von den Strafverfolgungsbehörden nachgegangen wird. Unterschieden wird zwischen

  • einem absoluten Antragsdelikt und
  • einem relativen Antragsdelikt

Das Gegenstück zum Antragsdelikt ist das Offizialdelikt, das die Staatsanwaltschaft von Amts wegen verfolgen muss.

Absolutes Antragsdelikt

Absolute Antragsdelikte können ohne Strafantrag nicht verfolgt werden. Dessen Fehlen stellt ein echtes Verfolgungshindernis dar (wie zum Beispiel auch die Verjährung). Nach deutschem Recht ist beispielsweise der Hausfriedensbruch gemäß § 123 Strafgesetzbuch (StGB) ein solches reines Antragsdelikt.

Relatives Antragsdelikt

Die meisten Antragsdelikte im deutschen Recht sind eine Mischung aus Antrags- und Offizialdelikt, die auch dann verfolgt werden können, wenn zwar kein Strafantrag vorliegt, die Staatsanwaltschaft jedoch das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Eine solche Mischform stellen im deutschen Recht unter anderem die einfache vorsätzliche und die fahrlässige Körperverletzung (§ 223, § 229, § 230 StGB) dar. Die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung kann nicht mit Rechtsmitteln angegriffen werden.

Antragsdelikte im Strafgesetzbuch

Im deutschen Strafgesetzbuch ausgewiesene absolute Antragsdelikte:

  • § 123 – Hausfriedensbruch
  • § 145a – Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht
  • § 185 – Beleidigung (i. V. m. § 194)
  • § 186 – Üble Nachrede (i. V. m. § 194)
  • § 187 – Verleumdung (i. V. m. § 194)
  • § 201 Abs. 1 und 2, §§ 202, 203 und 204 – Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs (i. V. m. § 205)
  • § 247 – Haus- und Familiendiebstahl
  • § 248b – Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs
  • § 248c Abs. 4 – Entziehung elektrischer Energie
  • § 288 – Vereiteln der Zwangsvollstreckung
  • § 289 – Pfandkehr
  • § 293 – Fischwilderei (i. V. m. § 294)
  • § 323a – Vollrausch, sofern die wegen Unzurechnungsfähigkeit nicht bestrafte Rauschtat ein absolutes Antragsdelikt ist
  • § 355 – Verletzung des Steuergeheimnisses

Im deutschen Strafgesetzbuch ausgewiesene Delikte, die auf Antrag, aber auch bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses verfolgt werden können (relative Antragsdelikte):

  • § 182 Abs. 3 – Sexueller Missbrauch von Jugendlichen
  • § 183 – Exhibitionistische Handlungen
  • § 201a – Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen
  • §§ 202 a und 202 b – Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs (i. V. m. § 205)
  • § 223 – Körperverletzung (i. V. m. § 230)
  • § 229 fahrlässige Körperverletzung (i. V. m. § 230)
  • § 235 – Entziehung Minderjähriger
  • § 248a – Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen
  • § 248c Abs. 1, 2 und 3 – Entziehung elektrischer Energie
  • § 299 – Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (i. V. m. § 301)
  • § 303 – Sachbeschädigung (i. V. m. § 303c)
  • § 303a – Datenveränderung (i. V. m. § 303c)
  • § 303b – Computersabotage (i. V. m. § 303c)

Außerhalb des deutschen Strafgesetzbuchs ausgewiesene Delikte, die auf Antrag, aber auch bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses verfolgt werden können:

  • §§ 106 bis § 108 sowie § 108b des Urheberrechtsgesetzes (i. V. m. § 109)
  • § 142 des Patentgesetzes
  • § 25 des Gebrauchsmustergesetzes
  • § 10 des Halbleiterschutzgesetzes
  • § 39 des Sortenschutzgesetzes
  • § 143 sowie § 143a des Markengesetzes
  • § 51 sowie § 65 des Designgesetzes
  • § 33 des Kunsturhebergesetzes
  • §§ 17 bis § 19 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb

Grundlegende Definition

Der Begriff setzt sich aus den deutschen Wörtern Antrag und Delikt (von lateinisch dēlictum") zusammen. Antragsdelikte sind von der Definition her ähnlich (aber nicht identisch) mit Ermächtigungsdelikten. In Österreich fallen beispielsweise Straftaten wie Hausfriedensbruch oder Betrug, die in einer Notsituation begangen werden, unter die letztgenannte Kategorie. Bei Antragsdelikten ist die Zustimmung des Opfers erforderlich, damit die Ermittlungen aufgenommen werden können; bei Ermächtigungsdelikten ist eine solche Zustimmung nicht erforderlich, obwohl der Staatsanwalt das Opfer informiert. In beiden Fällen wird die tatsächliche Verfolgung der Straftat nur mit Zustimmung des Opfers fortgesetzt. Ein anderer Begriff ist Privatklagedelikte.[1]

Antragsdelikt ist in gewisser Weise vergleichbar mit dem Konzept der zusammensetzbaren Straftat im thailändischen Recht, unterscheidet sich jedoch von diesem synonymen Begriff im malaysischen oder singapurischen Recht.

Japan

Das Konzept des shinkokuzai wurde erstmals in der frühen Meiji-Zeit in das japanische Recht aufgenommen. Im Strafgesetzbuch Shinritsu Kōryō (新律綱領) von 1870 wurde der Begriff zwar nicht direkt verwendet, aber es hieß, dass die Verfolgung einer Reihe von Gewaltdelikten zwischen Eheleuten von einer Anzeige der betreffenden Person abhing. Die Formulierung mizukara tsugeru wo mate, mit der diese Bedingung ausgedrückt wurde, ist wahrscheinlich der Ursprung des modernen Begriffs shinkokuzai; mizukara tsugeru (persönlich informieren) enthält zwei der gleichen Kanji, die für shinkokuzai verwendet werden. Im Entwurf des Strafgesetzbuchs vom November 1877 wurde der Begriff shinkokuzai direkt in den Definitionen verschiedener Straftaten verwendet. Im modernen japanischen Recht wurden vor dem 13. Juli 2017 Sexualdelikte wie Vergewaltigung oder unsittliche Nötigung als shinkokuzai eingestuft, damit eine Strafverfolgung gegen den Willen des Opfers nicht zu einer sekundären Viktimisierung oder Verletzung der Privatsphäre führt.

Südkorea

In Südkorea werden die folgenden Straftaten als chingojoe kategorisiert:

  • Krimineller Ehebruch
  • Verleumdung einer toten Person und
  • Missachtung des Gerichts

Republik China

Vor 1949

Der Begriff qīn'gàozuì (chinesisch: 親告罪) wurde in den Gesetzen der frühen republikanischen Ära Chinas (1912-1928) verwendet, zum Beispiel in der Strafprozessordnung von 1921 oder dem Strafprozessgesetz von 1928. In der modernen Terminologie wird das Konzept eines Verbrechens, für das es keinen Prozess ohne Anklage gibt, jedoch gewöhnlich als gàosunǎilùn zhī zuì (chinesisch: 告訴乃論之罪) bezeichnet.

Taiwan

Das taiwanesische Strafgesetzbuch, das von der Republik China übernommen wurde, verwendet den Begriff Chinesisch: 告訴乃論; Pinyin: gàosù nǎi lùn (wörtlich: "Handlung nur bei Beschwerde"). Derzeit gibt es fünf Straftatbestände in dieser Kategorie, bei denen es sich um geringfügige Vergehen gegen Einzelpersonen handelt: Beleidigung, Verleumdung, Verletzung der Freiheit der Ehe (in der Regel durch die Eltern), Misshandlung (von Familienmitgliedern) und einfache Unterschlagung. Das Strafgesetzbuch sieht jedoch vor, dass jede derartige Straftat, die schwerwiegende Folgen hat (z. B. schwere Verletzung oder Tod), ohne Antrag verfolgt werden kann.

Durch eine Änderung des taiwanesischen Strafgesetzbuchs im Jahr 1999 wurden unsittliche Körperverletzung und Vergewaltigung (mit Ausnahme der Vergewaltigung in der Ehe) aus dieser Kategorie gestrichen.

Ägypten

Zwar gibt es im ägyptischen Recht keine dem Antragsdelikt vergleichbare formale Rechtskategorie, doch können mehrere religiöse Straftaten, darunter Apostasie, nicht auf Initiative der Staatsanwaltschaft verfolgt werden; der Fall muss stattdessen von einem anderen Bürger vorgebracht werden.