Suggestivfrage

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Eine Suggestivfrage ist eine Frage, die impliziert, dass eine bestimmte Antwort gegeben werden sollte, oder die eine in der Frage enthaltene Annahme fälschlicherweise als akzeptierte Tatsache darstellt. Eine solche Frage verzerrt das Gedächtnis und bringt die Person dazu, auf eine bestimmte Art und Weise zu antworten, die wahr sein kann oder auch nicht, oder die mit ihren tatsächlichen Gefühlen übereinstimmt, und kann absichtlich oder unabsichtlich sein. So ist beispielsweise die Formulierung "Finden Sie nicht, dass das falsch war?" trotz des Unterschieds von nur einem Wort suggestiver als "Finden Sie, dass das falsch war?". Ersteres kann den Befragten auf subtile Weise unter Druck setzen, mit "Ja" zu antworten, während letzteres viel direkter ist. Wiederholte Fragen können Menschen dazu bringen, ihre erste Antwort für falsch zu halten und ihre Antwort zu ändern, oder sie können Menschen dazu bringen, so lange zu antworten, bis der Fragesteller genau die Antwort erhält, die er sich wünscht. Auch die Diktion des Interviewers kann einen Einfluss auf die Antwort des Befragten haben.

Experimentelle Untersuchungen der Psychologin Elizabeth Loftus haben ergeben, dass der Versuch, solche Fragen zu beantworten, bei Augenzeugen zu Konfabulation führen kann. Die Teilnehmer eines Experiments sehen zum Beispiel alle denselben Videoclip eines Autounfalls. Die Teilnehmer werden nach dem Zufallsprinzip in eine von zwei Gruppen eingeteilt. Die Teilnehmer der ersten Gruppe werden gefragt: "Wie schnell fuhr das Auto, als es das Stoppschild passierte?" Den Teilnehmern der anderen Gruppe wird eine ähnliche Frage gestellt, die sich nicht auf ein Stoppschild bezieht. Später erinnern sich die Teilnehmer der ersten Gruppe mit größerer Wahrscheinlichkeit daran, ein Stoppschild in dem Videoclip gesehen zu haben, obwohl es tatsächlich kein solches Schild gab, was ernsthafte Fragen über die Gültigkeit von Informationen aufwirft, die durch schlecht formulierte Fragen während einer Zeugenaussage gewonnen werden.

Suggestivfragen finden in der Psychologie, in der Rhetorik, in der Vernehmungspraxis, im Verkaufsgespräch, in der Markt- und Meinungsforschung, in den Medien sowie im alltäglichen Sprachgebrauch Anwendung, werden jedoch aufgrund ihres Beeinflussungscharakters nicht überall geschätzt.

Wer diese Frageform anwendet, stellt keine wirkliche Frage, sondern beabsichtigt, eine bestimmte Idee, Sichtweise oder Meinung einer anderen Person zu suggerieren, um diese so zu beeinflussen. Nützlich kann eine Suggestivfrage dann sein, wenn sie eine vorhandene Gemeinsamkeit im Denken, Fühlen, Wollen oder Handeln mit einer Person betonen soll.

Arten

Direkte Fragen

Direkte Fragen führen zu Ein-Wort-Antworten, wenn manchmal Erklärungen erforderlich sind. Dazu gehören Fragen wie "Haben Sie es verstanden?" und "Wo ist es passiert?".

Wiederholte Fragen

Wiederholte Fragen führen zu bestimmten Arten von Antworten. Wiederholte Fragen bringen Menschen dazu, zu denken, dass ihre erste Antwort falsch war, veranlassen sie dazu, ihre Antwort zu ändern, oder veranlassen Menschen dazu, so lange zu antworten, bis der Fragesteller genau die Antwort erhält, die er sich wünscht. Elizabeth Loftus stellt fest, dass Fehler bei Antworten drastisch reduziert werden, wenn eine Frage nur einmal gestellt wird.

Erzwungene Auswahlfragen

Ja/Nein- oder Zwangsauswahlfragen wie "Sollen wir diesen Mörder verurteilen?" zwingen die Befragten dazu, sich zwischen zwei Möglichkeiten zu entscheiden, obwohl die Antwort keine der beiden Möglichkeiten sein könnte. Dies führt zu mehr "Interviewer-Gesprächen", bei denen der Interviewer spricht und den größten Teil des Gesprächs kontrolliert. Diese Art von Fragen wird auch als falsches Dilemma bezeichnet.

Anmaßende Fragen

Anmaßende Fragen können entweder ausgewogen oder unausgewogen sein. Bei unausgewogenen Fragen werden Fragen nur aus der Sicht einer Seite eines Arguments gestellt. Ein Vernehmungsbeamter könnte zum Beispiel fragen: "Sind Sie für die Todesstrafe für Personen, die wegen Mordes verurteilt wurden?" Bei dieser Frage wird davon ausgegangen, dass der einzige Standpunkt der Person in dieser Situation der ist, dass eine Person, die verurteilt wird, entweder die Todesstrafe bekommen muss oder nicht. Die zweite Art von anmaßenden Fragen sind ausgewogene Fragen. Dabei verwendet der Vernehmungsbeamte gegensätzliche Fragen, um den Zeugen glauben zu machen, dass die Frage ausgewogen ist, obwohl das in Wirklichkeit nicht der Fall ist. Der Vernehmungsbeamte würde zum Beispiel fragen: "Sind Sie für eine lebenslange Haftstrafe ohne die Möglichkeit der Bewährung?" Diese Art von Frage mag ausgewogen erscheinen, während sie in Wirklichkeit die Person dazu beeinflusst, über lebenslange Haft und keine andere Wahl zu diskutieren.

Bestätigende Fragen

Bestätigende Fragen führen zu Antworten, die nur einen bestimmten Punkt unterstützen können. Hier zwingt der Interviewer die Person, darauf zu achten, dass ihre Antworten sie als extrovertiert oder introvertiert erscheinen lassen. Wenn die Person extrovertiert erscheinen soll, werden Fragen gestellt wie "Wie machen Sie eine Party lustiger?" und "Wann sind Sie gesprächig?". Wenn sie die Person introvertiert erscheinen lassen wollen, stellen sie Fragen wie "Wurden Sie jemals von einer Gruppe ausgeschlossen?" oder "Können Sie manchmal hyperaktiv sein?".

Forschung

Suggestivfragen und ihren Auswirkungen wurde große Aufmerksamkeit gewidmet. Experimentelle Untersuchungen von Elizabeth Loftus, einer amerikanischen Psychologin und Expertin für menschliches Gedächtnis, haben ergeben, dass der Versuch, solche Fragen zu beantworten, bei Augenzeugen zu Konfabulationen führen kann. Loftus führte ein Experiment durch, bei dem alle Teilnehmer denselben Videoclip eines Autounfalls sahen. Anschließend wurden die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Gruppen zugewiesen. Gruppe eins wurde gefragt: "Wie schnell war das Auto unterwegs, als es das Stoppschild passierte?" Den Teilnehmern der anderen Gruppe wurde eine ähnliche Frage gestellt, die sich nicht auf ein Stoppschild bezog. Die Ergebnisse zeigten, dass die Teilnehmer der ersten Gruppe sich eher daran erinnerten, in dem Videoclip ein Stoppschild gesehen zu haben, obwohl es in Wirklichkeit kein solches Schild gab. Loftus stellte fest, dass jeder Mensch von suggestiven Fragen betroffen ist, und dass dies auf Umweltfaktoren und nicht auf angeborene Faktoren zurückzuführen ist.

William S. Cassel, Professor an der Universität von New Orleans, führte ein Experiment durch, das mit Kindern im Kindergarten, in der zweiten und vierten Klasse sowie mit Erwachsenen durchgeführt wurde. Sie mussten sich ein kurzes Video von zwei Kindern ansehen, die sich über die Benutzung eines Fahrrads stritten. Eine Woche später wurden die Versuchspersonen nach ihrer freien Erinnerung an die Ereignisse im Video gefragt. Es folgten hierarchisch angeordnete, zunehmend suggestive Fragen, die eine richtige (positiv-führende), eine falsche (irreführende) oder keine spezifische (unvoreingenommen-führende) Antwort nahelegten. Die letzte Fragestufe für jedes Item war eine Multiple-Choice-Frage mit drei Alternativen. Der korrekte freie Abruf variierte mit dem Alter, wobei die Kinder im Kindergarten und in der zweiten Klasse im Allgemeinen eher den Fragen der ersten Ebene folgten als die älteren Probanden. Ältere Kinder waren bei der Beantwortung der Fragen zu den zentralen Items genauso genau wie Erwachsene, bei den nicht zentralen Items jedoch nicht. Entwicklungsunterschiede wurden bei den Antworten auf wiederholte Suggestivfragen festgestellt, wobei Kindergartenkinder häufiger irreführenden Fragen folgten und ihre Antworten änderten als ältere Probanden. Bei den abschließenden Multiple-Choice-Fragen konnten Kindergartenkinder trotz zwischenzeitlicher Fehler genauso oft die richtige Antwort geben wie bei den Anfangsfragen.

Loftus und John Palmer entwickelten den Fehlinformations-Effekt. Er beschreibt Teilnehmer, die Zeugen eines Unfalls sind, deren Antworten sich ändern, wenn die Fragen anders formuliert werden. Sie fanden heraus, dass Menschen dazu neigen, das, was sie wirklich gesehen haben, zu übertreiben. Fünfundzwanzig Prozent der Teilnehmer gaben an, zerbrochenes Glas gesehen zu haben, weil das Wort "zertrümmert" statt "getroffen" verwendet wurde.

Berufsgruppen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie Suggestivfragen verwenden

Vernehmungsbeamte und Polizei

Unethische oder ungeschulte Polizeibeamte können in Vernehmungszimmern Suggestivfragen verwenden. Solche Vernehmungsbeamten verwenden verschiedene Techniken und Fragetypen, um Personen zu einem Geständnis zu bewegen. Sie setzen Response Framing ein, um Menschen zu einem falschen Geständnis zu bewegen. Das bedeutet, dass sie bestimmte Antworten absichtlich einschränken und andere vorschlagen. Zum Beispiel fragen sie jemanden, ob er um 1, 2 oder 3 Uhr im Haus war, und zwingen ihn, zu denken, dass es eine dieser Möglichkeiten gewesen sein muss. Dadurch werden die Personen dazu gebracht, sich an die Aufforderung zu erinnern, anstatt an ihre Erinnerungen. Außerdem verwenden Vernehmungsbeamte die Stereotyp-Induktion, d. h. sie nennen dem Zeugen nur negative Eigenschaften des mutmaßlichen Täters. Ein Teil der Stereotypeninduktion ist die belastende Bedingung, bei der alles, was der Zeuge sagt, als schlecht bezeichnet wird. Der Detektiv schüttelt dann leicht den Kopf oder sagt dem Zeugen, er solle es noch einmal versuchen. Dies steht im Gegensatz zu einer anderen Vernehmungsoption, nämlich der Verwendung einer neutralen Befragungstechnik, die sowohl die schlechten als auch die guten Seiten des Täters einbezieht.

Je mehr Zeit sich die Vernehmungsbeamten nehmen, um die Zeugen zu einem Vorfall zu befragen, desto mehr verblasst die Erinnerung an das Ereignis und die Menschen vergessen, was wirklich geschehen ist. Wenn dann die Erinnerung wiedererlangt wird, werden einige Aspekte rekonstruiert, was zu Fehlern führt. Nicht einmal das Vertrauen in das, was Zeugen glauben, gesehen zu haben, kann mit einer genauen Erinnerung korreliert werden. Dem Psychologen Philip Zimbardo zufolge können falsch informierte Personen dazu kommen, die Fehlinformationen zu glauben, in die sie Vertrauen haben".

Therapeuten

Bei einigen Therapeuten besteht die Gefahr, dass sie bei der Erörterung vergangener traumatischer Ereignisse suggestive Fragen an ihre Klienten stellen. Sigmund Freuds Definition des verdrängten Gedächtnisses ist "die bewusste und unbewusste Vermeidung unangenehmer Wünsche, Gedanken und Erinnerungen durch den Geist". Es gibt jedoch nur sehr wenige Beweise für diese Art von Erinnerung. Einige Therapeuten behaupten, dass die Verdrängung Menschen dazu veranlasst, schreckliche Ereignisse von sexuellem oder körperlichem Missbrauch als psychologische Verteidigung zu vergessen. Durch falsch formulierte Interviewfragen kann ein Therapeut seinen Klienten davon überzeugen, dass es so etwas wie verdrängte Erinnerungen gibt und dass der Missbrauch stattgefunden haben muss, der Patient sich aber einfach nicht daran erinnert. Wiederholte Fragen verändern die Antworten des Klienten von einem zögernden "vielleicht" zu einem eindeutigen "sicher". Der Einsatz von Suggestivfragen durch Therapeuten verändert die Wahrnehmung und kann dazu führen, dass ganze Erinnerungen entstehen.

Anwendungsgebiete

Psychologie

Suggestionen und Suggestivfragen sind in der psychologischen und medizinischen Diagnostik als Kunstfehler zu betrachten, denn der Zweck der Diagnostik ist ja die Wahrheitsfindung. In Behandlungssituationen hingegen können Suggestionen und Suggestivfragen durchaus hilfreich sein, beispielsweise wenn sie dem Patienten helfen, etwas zu erkennen, von dem er ahnt oder weiß, dass es in ihm schlummert, er damit aber Ängste oder beängstigende Erfahrungen verbindet. Beim Autogenen Training sind Suggestion und Autosuggestion ein Kerninhalt: „Mein linker Arm ist ganz schwer“, ebenso beim Lernen von neuen Einstellungen: „Ich bin ruhig und entspannt“, „Ich vertraue auf mein Gefühl, meine innere Weisheit.“

Rhetorik

Suggestivfragen werden als rhetorisches Mittel gerne im Verkaufsgespräch eingesetzt, um bestimmte Ziele zu erreichen. Als Beispiele sind hier unter anderem die „An-der-Tür-Verkäufe“ und die Telefonwerbung zu sehen. Mit geschlossenen Suggestivfragen, die der Befragte mit „Ja“ beantworten soll, wird versucht, Waren oder Dienstleistungen zu verkaufen, Geld zu sammeln oder Unterschriften unter Verträge zu bekommen.

Gleichsam als „Extremfall“ einer Suggestivfrage kann die rhetorische Frage gelten, bei der jedoch gar keine Antwort erwartet wird.

Rechtssystem

Bei der Zeugenvernehmung ist zur Wahrheitsfindung eine Suggestivfrage nicht zulässig, kann aber eingesetzt werden, um die Suggestionsanfälligkeit eines Zeugen und damit seine Glaubwürdigkeit zu prüfen.

Vernehmungspraxis

In der polizeilichen Vernehmungspraxis ist zur Wahrheitsfindung eine Suggestivfrage ebenfalls nicht erlaubt. Es besteht aber in der Praxis immer die Gefahr, dass unter dem Druck, ein Ermittlungsergebnis zu präsentieren, ein Täter, ein Opfer oder ein Zeuge mit einer Suggestivfrage zu einer konkreten Aussage gebracht werden soll.

Markt- und Meinungsforschung

Suggestivfragen werden in der Markt- und Meinungsforschung eingesetzt, um über eine klassische „Ja/​Nein/​Weiß nicht“-Antwort
a) strukturell schnell verwertbare Ergebnisse zu bekommen und
b) die Antworten prägnant verwertbar zu machen.

Suggestivfragen sollten im Interesse einer objektiven Meinungsforschung grundsätzlich vermieden werden. Meinungsforscher, die mit einer bestimmten Umfrage lediglich ein erwünschtes Meinungsbild untermauern wollen, setzen aber gerne Suggestivfragen ganz bewusst zur Manipulation der Ergebnisse ein.

Alltäglicher Sprachgebrauch

In der alltäglichen Kommunikation im privaten Bereich wird die Suggestivfrage allgemein akzeptiert und nur in der starken Form, meistens in Konfliktfällen, abgelehnt. Dagegen wird sie, sofern wahrgenommen, im öffentlichen Bereich als unangenehm empfunden und grundsätzlich abgelehnt.

Beispiele

Frageform Beispiele
Gering suggestive Frageformen
Offene Fragen
(Leerfragen)
„Was hast du gesehen?“
„Was geschah dann?“
Bestimmungsfragen „Um wie viel Uhr ist das passiert?“
Auswahlfragen „War es ein Mann oder eine Frau?“
Satzfragen „Hat der Mann etwas gesagt?“
Stark suggestive Frageformen
Vorhaltfragen mit vorausgesetzten Fakten „Hat er das gestohlene Geld in die Tasche gesteckt?“
Eingekleidete Wertungen und Deskriptionen „Wie schnell ist der X gerannt, als du ihn aus dem Laden flüchten sahst?“
Unvollständige Disjunktionen in Auswahlfragen „War das Auto rot oder schwarz?“
Implizierte Erwartungen „Das Opfer hat dann sicher um Hilfe gerufen?“
Konformitätsdruck (sozialer Vergleich) „A und B haben ausgesagt, dass … Hast du das nicht auch gesehen?“
Illokutive Partikel und Redewendungen „Du hast ja wohl den Schuss gehört, oder?“
Fragewiederholung … „Bist du wirklich sicher? Hat er das Geld genommen?“
Negatives Feedback „Das gibt’s doch nicht, dass du das nicht mehr weißt!“
Drohungen und Versprechungen „Ich frage dich so lange, bis du mir sagst, was der X mit dir gemacht hat. Vorher lasse ich dir keine Ruhe. Es wird dir gut tun, wenn du es endlich sagst.“