Riechsalz

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Marguerite Gérard: Schlechte Nachrichten, 1804

Als Riechsalze bezeichnet man verschiedene intensiv riechende Substanzen, die vom 17. bis Anfang des 20. Jahrhunderts zur Belebung bei Schwindel- und Ohnmachtsanfällen unter die Nase gehalten wurden. Riechstäbchen dienten demselben Zweck. Riechsalz wird in der modernen Ersten Hilfe nicht mehr angewendet. Die gelegentliche praktizierte Anwendung im Sportbereich wird nicht empfohlen, da sie mutmaßlich keine Wirkung hat und das Einleiten notwendiger medizinischer Maßnahmen verzögern kann.

Die meisten Riechsalze basieren auf Ammoniumcarbonat, das durch Dissoziation in feuchter Umgebung Ammoniak freisetzt. Ammoniak soll in Nase und Lunge einen verstärkten Atemanreiz bewirken, der dann zu einer besseren Sauerstoffversorgung des Patienten führen soll. Als Rohstoff wurde Hirschhornsalz verwendet, das zu einem Drittel aus Ammoniumcarbonat besteht. Die Wirkung ließ sich verstärken, indem durch Zugabe von Ammoniak der Anteil an Ammoniumcarbonat erhöht wurde.

Als Englisches Riechsalz bezeichnete man früher Ammoniumcarbonat, das mit ätherischen Ölen parfümiert wurde. Aus Riechsalzen bestehende Flüssigkeiten, auch Schlagbalsam genannt, füllte man in sogenannte Riechfläschchen.

Zwei Riechsalzkapseln aus einem Erste-Hilfe-Kasten. Eine dünne innere Glasröhre enthält Alkohol und Ammoniak; die äußere Schicht besteht aus Baumwolle und Netz. Beim Zerdrücken wird die Flüssigkeit in die Watte freigesetzt, während die Glasscherben im Inneren zurückbleiben. Die mit Ammoniak getränkte Watte wird zur Behandlung von Ohnmachtsanfällen vor der Nase hin- und herbewegt.

Riechsalze, auch bekannt als Ammoniak-Inhalationsmittel, Hirschhorngeist oder sal volatile, sind chemische Verbindungen, die als Stimulanzien zur Wiederherstellung des Bewusstseins nach einer Ohnmacht verwendet werden.

Verwendung

Der übliche Wirkstoff ist Ammoniumcarbonat, ein farbloser bis weißer, kristalliner Feststoff ((NH4)2CO3). Da die meisten modernen Lösungen mit Wasser gemischt werden, sollten sie eigentlich als "aromatischer Ammoniakgeist" bezeichnet werden. Moderne Lösungen können auch andere Produkte zur Parfümierung oder in Verbindung mit dem Ammoniak enthalten, z. B. Lavendelöl oder Eukalyptusöl.

Historisch gesehen wurden Riechsalze bei Ohnmachtsgefühlen oder Ohnmachtsanfällen eingesetzt. Sie werden normalerweise von anderen verabreicht, können aber auch selbst verabreicht werden.

Riechsalz wird häufig bei Sportlern (insbesondere Boxern) eingesetzt, die benommen oder bewusstlos sind, um das Bewusstsein und die geistige Wachheit wiederherzustellen. Bei den meisten Boxwettbewerben sind Riechsalze inzwischen verboten.

Es wird auch als Stimulans bei Sportwettkämpfen (z. B. Kraftdreikampf, Kraftdreikampf und Eishockey) verwendet, um die Teilnehmer "aufzuwecken", damit sie bessere Leistungen erbringen. Im Jahr 2005 schätzte Michael Strahan, dass 70-80 % der Spieler der National Football League Riechsalze als Stimulanzien verwenden.

Geschichte

Fläschchen mit Riechsalz, das zur Wiederbelebung von Zahnpatienten nach einem Eingriff verwendet wurde. Französisch, 18. Jahrhundert.

Riechsalz wird seit der Römerzeit verwendet und wird in den Schriften von Plinius als Hammoniacus sal erwähnt. Es gibt Belege für die Verwendung im 13. Jahrhundert durch Alchemisten als Sal Ammoniac. In den Canterbury Tales aus dem 14. Jahrhundert gibt eine Figur an, dass sie Sal Armonyak verwendet. Im 17. Jahrhundert führte die Destillation einer Ammoniaklösung aus Spänen von Hirschhörnern und -hufen zu der alternativen Bezeichnung für Riechsalze als Hirschhorngeist oder Hirschhornsalz.

Im viktorianischen Großbritannien war es weit verbreitet, um ohnmächtige Frauen wiederzubeleben, und in manchen Gegenden trugen die Wachtmeister zu diesem Zweck ein Gefäß mit dem Salz bei sich. In dieser Zeit wurden Riechsalze üblicherweise mit Parfüm in Essig oder Alkohol aufgelöst und auf einen Schwamm geträufelt, der dann in einem dekorativen Behälter, einer Vinaigrette, am Körper getragen wurde. In Dickens' Roman Nicholas Nickleby taucht das flüchtige Salz mehrere Male auf.

Die Verwendung von Riechsalz wurde während des Zweiten Weltkriegs weithin empfohlen, und das Britische Rote Kreuz und die St. John Ambulance empfahlen allen Arbeitsplätzen, Riechsalz in ihren Erste-Hilfe-Kästen aufzubewahren.

Physiologische Wirkung

Rembrandts Bewusstloser Patient (Allegorie des Geruchs) zeigt eine Frau, die Riechsalz verwendet, um einen Mann wiederzubeleben, der von einem Barbier-Chirurgen in Ohnmacht gefallen ist.

Feste Ammoniumcarbonat- und Ammoniumbicarbonatsalze dissoziieren teilweise und bilden NH
3, CO
2 und H
2O-Dampf wie folgt:

(NH4)2CO3 → 2 NH3 + CO2 + H2O
NH4HCO3 → NH3 + CO2 + H2O

Die Riechsalze setzen Ammoniak (NH
3), das einen Einatmungsreflex auslöst. Es bewirkt, dass die Muskeln, die die Atmung kontrollieren, schneller arbeiten, indem es die Schleimhäute von Nase und Lunge reizt.

Die Ohnmacht kann durch eine übermäßige parasympathische und vagale Aktivität verursacht werden, die das Herz verlangsamt und die Durchblutung des Gehirns verringert. Die sympathische Reizwirkung wird ausgenutzt, um diesen vagalen parasympathischen Effekten entgegenzuwirken und so die Ohnmacht umzukehren.

Risiken

Ammoniakgas ist in hohen Konzentrationen über einen längeren Zeitraum hinweg giftig und kann tödlich sein. Wenn eine hohe Ammoniakkonzentration zu nahe am Nasenloch eingeatmet wird, kann es zu Verbrennungen der Nasen- oder Mundschleimhaut kommen. Der empfohlene Abstand beträgt 10-15 Zentimeter.

Die Verwendung von Ammoniak-Riechsalz zur Wiederbelebung von Sportverletzten wird nicht empfohlen, da es eine ordnungsgemäße und gründliche neurologische Untersuchung durch medizinisches Fachpersonal verhindern oder verzögern kann, z. B. nach Gehirnerschütterungen, bei denen ein Krankenhausaufenthalt ratsam sein kann, und einige Dachverbände raten ausdrücklich davon ab. Der reizende Charakter von Riechsalz bedeutet, dass es eine bereits bestehende Verletzung der Halswirbelsäule verschlimmern kann, indem es einen Rückzugsreflex auslöst, auch wenn dies nachweislich darauf zurückzuführen ist, dass das Riechsalz näher an die Nase gehalten wird als empfohlen.

Riechsalz heute

Aus der modernen Ersten Hilfe ist das Riechsalz verschwunden, da ein Wirksamkeitsnachweis fehlt und es das Einleiten notwendiger medizinischer Maßnahmen verzögern kann. Lautes Ansprechen und beherztes Rütteln an der Schulter hat zum Erwecken aus einer Bewusstseinsstörung den gleichen Effekt, ist aber ohne Zeitverzug sofort umsetzbar. In früheren Zeiten mag es Hemmschwellen gegeben haben, unbekannte oder hochgestellte Personen zu berühren.

Enge Parallelen gibt es zu Riechampullen mit Ammoniak, die heute bei psychosomatischen Erregungszuständen (wieder) eingesetzt werden: Der extreme Geruchsreiz dient zur Reduktion hoher Anspannung, insbesondere als Hochanspannungs-„skill“ im Rahmen der Dialektisch-Behavioralen Therapie, und wirkt auch antidissoziativ; Dissoziationen schließen oft Bewegungs- und sogar Bewusstseinseinschränkungen ein, und extreme Fälle von Dissoziationen können einer Bewusstlosigkeit ähneln. Riechampullen mit Ammoniak können auch bei psychisch (mit)bedingtem Schwindel und bei Angst vor Ohnmacht im Rahmen von Angstbewältigungsstrategien (gewissermaßen zum ‚Durchhalten in der Situation‘) eingesetzt werden, obwohl zur Therapie andere Verfahren – insbesondere Konfrontationstherapie – indiziert sind. Riechampullen sind in Apotheken in Deutschland frei verkäuflich.

Kulturelle Rezeption

Das bekannte Zitat „Nachbarin, Euer Fläschchen!“ aus Goethes Faust bezieht sich auf die Anwendung von Riechsalzen in flüssiger Darreichungsform.

Erika Fuchs griff Riechsalz für die Übersetzung einer Donald-Duck-Geschichte von Carl Barks auf; in der bis heute erscheinenden Übersetzung wird Riechsalz in der neu erfundenen, höchsten „Stärke 5“ eingesetzt.