Ataraxie

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Ataraxia (griechisch: ἀταραξία, von alpha privativ ("a-", Negation) und tarachē "Störung, Unruhe"; daher "Ungestörtheit", im Allgemeinen übersetzt als "Unerschütterlichkeit", "Gleichmut" oder "Ruhe") ist ein griechischer Begriff, der in der antiken griechischen Philosophie zuerst von Pyrrho und später von Epikur und den Stoikern für einen klaren Zustand robusten Gleichmuts verwendet wurde, der durch anhaltende Freiheit von Kummer und Sorgen gekennzeichnet ist. Im nichtphilosophischen Sprachgebrauch wurde der Begriff verwendet, um den idealen Geisteszustand für Soldaten zu beschreiben, die in die Schlacht ziehen.

Das Erreichen der Ataraxie ist ein gemeinsames Ziel von Pyrrhonismus, Epikureismus und Stoizismus, aber die Rolle und der Wert der Ataraxie innerhalb jeder Philosophie variiert in Übereinstimmung mit ihren philosophischen Theorien. Die geistigen Störungen, die einen daran hindern, Ataraxie zu erreichen, sind in den einzelnen Philosophien unterschiedlich, und jede Philosophie hat ein anderes Verständnis davon, wie man Ataraxie erreichen kann.

Die Ataraxie (altgriechisch ἀταραξία ataraxía „Unerschütterlichkeit“, auch Ataraxis [ἀτάραξις], von ἀτάρακτος atáraktos „unerschütterlich“) ist die Bezeichnung der Epikureer und Pyrrhoneer für das Ideal der Seelenruhe. Sie bezeichnet als seelischen Zustand die Affekt­losigkeit und Gelassenheit gegenüber Schicksalsschlägen und ähnlichen Außeneinwirkungen, die das Glück des Weisen, die Eudaimonie, gefährden.

Pyrrhonismus

Die Ataraxie ist das zentrale Ziel der pyrrhonistischen Praxis. Pyrrhonisten sehen Ataraxie als notwendig an, um eudaimonia (Glück) für eine Person zu erreichen, was den letzten Zweck des Lebens darstellt. Die pyrrhonistische Methode zur Erreichung der Ataraxie besteht darin, die Epoché (d. h. die Aussetzung des Urteils) in Bezug auf alle Fragen des Dogmas (d. h. des nicht offensichtlichen Glaubens) zu erreichen. Der pyrrhonistische Philosoph Sextus Empiricus fasste den Pyrrhonismus zusammen als "die Bereitschaft, Phänomene und Noumena auf jede beliebige Weise einander gegenüberzustellen, mit dem Ergebnis, dass wir aufgrund der Gleichwertigkeit der so gegenübergestellten Dinge und Aussagen zuerst zur epoché und dann zur ataraxia gelangen... Epoché ist ein Zustand des Intellekts, aufgrund dessen wir weder etwas leugnen noch bejahen. Ataraxia ist ein ungetrübter und ruhiger Zustand der Seele."

Sextus gab diese detaillierte Beschreibung der Ataraxie:

Wir sagen immer, dass das Ziel des Pyrrhonisten in Bezug auf den Glauben (d.h. das Dogma) die ataraxia ist, und dass es in Bezug auf die unvermeidlichen Dinge der moderate pathē ist. Denn als der Pyrrhonist mit dem Ziel zu philosophieren begann, seine phantasiai zu beurteilen - das heißt, zu bestimmen, welche wahr und welche falsch sind, um ataraxia zu erreichen -, geriet er in einen Streit zwischen gleich starken Positionen, und da er ihn nicht lösen konnte, setzte er das Urteil aus. Doch während er das Urteilsvermögen aussetzte, kam es zufällig zu der gesuchten Ataraxie in Bezug auf den Glauben. Denn derjenige, der glaubt, etwas sei von Natur aus gut oder schlecht, ist ständig in Aufruhr; wenn er das, was ihm gut zu sein scheint, nicht besitzt, glaubt er, von dem, was von Natur aus schlecht ist, gequält zu werden, und er jagt dem nach, was er für gut hält; wenn er es dann bekommt, gerät er in noch größere Qualen, weil er sich unvernünftig und maßlos freut, und weil er jede Veränderung fürchtet, tut er alles, um das, was ihm gut erscheint, nicht zu verlieren. Derjenige aber, der keinen Standpunkt zu dem einnimmt, was von Natur aus gut oder schlecht ist, vermeidet weder, noch verfolgt er es intensiv. Dadurch erreicht er die Ataraxie. Was dem Pyrrhonisten widerfuhr, gleicht in der Tat dem, was von Apelles, dem Maler, erzählt wird. Denn es heißt, dass er einmal, als er ein Pferd malte und den Schaum des Pferdes darstellen wollte, so sehr scheiterte, dass er aufgab und seinen Schwamm auf das Bild warf - den Schwamm, mit dem er die Farben von seinem Pinsel abwischte - und dass der Schwamm beim Aufschlagen auf das Bild die gewünschte Wirkung erzielte. So hofften auch die Pyrrhonisten, die Ataraxie zu erreichen, indem sie die Anomalie von Phänomenen und Noumena auflösten, und da sie dazu nicht in der Lage waren, setzten sie das Urteil aus. Aber dann, sozusagen zufällig, als sie das Urteil aussetzten, folgte die Ataraxie, wie ein Schatten dem Körper folgt. Wir nehmen natürlich nicht an, dass der Pyrrhonist völlig unbesorgt ist, aber wir sagen, dass er nur durch unvermeidliche Dinge beunruhigt wird. Denn wir stimmen zu, dass er manchmal friert und durstig ist und verschiedene Gefühle wie diese hat. Aber selbst in solchen Fällen, während der gewöhnliche Mensch von zwei Umständen betroffen wird - nämlich von dem pathē selbst und nicht weniger von seinem Anschein, dass diese Zustände von Natur aus schlecht sind -, kommt der Pyrrhonist, indem er den zusätzlichen Glauben, dass alle diese Dinge von Natur aus schlecht sind, ausschaltet, auch hier milder davon. Deshalb sagen wir, dass das Ziel des Pyrrhonisten in Bezug auf den Glauben ataraxia ist, aber in Bezug auf die unvermeidlichen Dinge ist es, einen gemäßigten pathē zu haben.

Epikuräismus

Ataraxia ist ein Schlüsselelement der epikureischen Vorstellung vom höchsten Gut. Epikuräer messen der Ataraxie aufgrund ihres Verständnisses von Vergnügen einen hohen Stellenwert bei. Epikureer argumentieren, dass Vergnügen das höchste Gut ist. Sie unterteilen das Vergnügen in zwei Kategorien: das körperliche und das geistige. Sie betrachten geistige und nicht körperliche Freuden als die größte Art der Freude, weil körperliche Freuden nur in der Gegenwart existieren, während geistige Freuden in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft existieren.

Epikuräer unterscheiden außerdem zwischen kinetischen und katastematischen Vergnügungen. Kinetische Freuden sind jene Freuden, die durch eine Handlung oder Veränderung entstehen. Eine solche Handlung könnte die Befriedigung eines Wunsches oder die Beseitigung eines Schmerzes sein, da genau diese Art von Handlung an sich ein Vergnügen darstellt. Handlungen, die sich gut anfühlen, auch wenn sie nicht der Befriedigung eines Wunsches oder der Beseitigung eines Schmerzes dienen, wie z. B. ein gut schmeckendes Essen, fallen ebenfalls in die Kategorie der kinetischen Freuden. Auch geistige Freuden können kinetischer Natur sein. Epikur soll die Freude als ein Beispiel für ein kinetisches geistiges Vergnügen beschrieben haben.

Katastematisches Vergnügen ist ein Vergnügen, das durch die Abwesenheit von Schmerz oder Kummer entsteht. Diese Art der Freude kann körperlich oder geistig sein. Physisches katastematisches Vergnügen entsteht durch die Freiheit von physischen Störungen, wie z. B. der einfache Zustand, keinen Durst zu haben. Im Vergleich dazu besteht geistiges katastematisches Vergnügen in der Freiheit von geistiger Störung. Diejenigen, die frei von körperlichen Störungen waren, wurden als aponia bezeichnet, während diejenigen, die frei von geistigen Störungen waren, als ataraxia bezeichnet wurden.

Epikur hielt katastematische Vergnügungen für besser als kinetische, da er glaubte, man könne kein größeres Vergnügen empfinden als die Beseitigung aller Schmerzen. In der Tat soll er gesagt haben:

Das Ausmaß des Vergnügens erreicht seine Grenze in der Beseitigung aller Schmerzen. Wenn Vergnügen vorhanden ist, gibt es, solange es ununterbrochen ist, keinen Schmerz, weder für den Körper noch für den Geist oder für beide zusammen.

Als geistiges und katastematisches Vergnügen hat die Ataraxie in der epikureischen Ethik eine herausragende Bedeutung und ist der Schlüssel zum Glück des Menschen. Nach epikureischer Auffassung erlebt ein Mensch die höchste Form des Glücks, wenn er sich gleichzeitig in einem Zustand der Aponie und der Ataraxie befindet.

Stoizismus

Anders als im Pyrrhonismus und Epikureismus ist im Stoizismus die Ataraxie nicht das Endziel des Lebens. Stattdessen ist ein Leben in Tugendhaftigkeit gemäß der Natur das Ziel des Lebens. Den Stoikern zufolge würde ein tugendhaftes Leben im Einklang mit der Natur jedoch als Nebenprodukt zur Ataraxie führen.

Eine wichtige Unterscheidung, die getroffen werden muss, ist der Unterschied zwischen Ataraxie und der stoischen Idee der Apatheia. Der Zustand der Apatheia ist zwar eng mit der Ataraxie verwandt, bedeutet aber die Abwesenheit ungesunder Leidenschaften; ein Zustand, den der ideale stoische Weise erreicht. Dies ist nicht dasselbe wie Ataraxie. Apatheia beschreibt die Freiheit von der Störung durch Emotionen, nicht die Gelassenheit des Geistes. Dennoch ist Apatheia für einen stoischen Weisen unabdingbar, um die Stufe der Ataraxie zu erreichen. Da der stoische Weise sich nicht um Dinge kümmert, die außerhalb seiner selbst liegen, und aufgrund seines Zustands der Apatheia nicht für Emotionen empfänglich ist, wäre der stoische Weise nicht in der Lage, sich durch irgendetwas stören zu lassen, was bedeutet, dass er sich in einem Stadium geistiger Ruhe und somit im Zustand der Ataraxia befindet.

Für das Ziel der wegen der spärlichen Überlieferung nur schwer greifbaren Lehre des Pyrrhon von Elis ist neben dem stoischen Terminus Apatheia auch der Begriff der Ataraxie überliefert. In der neupyrrhonischen Skepsis, die uns vor allem in den Schriften des Sextus Empiricus entgegentritt, bezeichnet die Ataraxie zwar eigentlich das Ziel der Ethik, das jedoch nicht direkt erstrebt werden kann, da jedes Streben danach, ja schon jede dogmatische Lehre über das Wesen der Ataraxie eben eine Erschütterung und damit Zerstörung der Seelenruhe bedeuten würde. Daher sagen die Neupyrrhoneer, die Ataraxie folge der Urteilsenthaltung (epoché) „wie der Schatten“. Man gelange „zufällig“ zur Seelenruhe, indem man sich in allen Entscheidungen des Urteils enthalte und so dem Hin- und Hergerissensein entkomme.

Buddhismus

Der Buddhismus, eine Religion, die auf den Lehren von Siddharta Gautama aus dem sechsten Jahrhundert v. Chr. beruht, bekräftigt, dass die Hauptursache für Schmerzen aufgrund von Ängsten das Verlangen ist (jegliches Verlangen, das, da es immer mit Angst und Hoffnung verbunden ist, das Herz in Angst versetzt). Die Flucht oder Erlösung des Schmerzes liegt also im Erlöschen oder in der Nacktheit aller Begierde oder störenden Zuneigung, wie insbesondere der Begierde zu leben.

Ataraxie im Alltag

Die Lebensbedingungen des antiken Menschen waren durch einen schwer erträglichen Alltag geprägt. Laut den Erzählungen Homers und Hesiods waren Leid und Schmerz, Gewalt, Krieg, maßlose Neigungen und unmenschliches Handeln charakteristische Merkmale. Im Gegensatz dazu stand das menschliche Bedürfnis, ein angenehmes Leben (Eudaimonie) führen zu wollen. Durch die Entwicklung einer gelassenen Einstellung (Ataraxie) folgte man diesem Bedürfnis. Daher bezeichnet in der griechischen Antike Ataraxie eine erwünschte, ideale Lebenseinstellung, das unberechenbare Handeln der Götter bzw. Ereignisse des Schicksals gelassen und ruhig akzeptieren zu können, wie von Epiktet (50–138 n. Chr.) u. a. erwähnt. Die antiken Dichter empfahlen ihren Zeitgenossen gelegentlich, das Leben so zu nehmen, wie es kommt, ohne sich von falschen Hoffnungen oder Furcht vor den Göttern in die Irre führen zu lassen.

Ataraxie in der epikureischen Ethik

Das höchste Ziel (télos oder summum bonum) menschlichen Daseins besteht laut der Ethik Epikurs in der gelassenen Lust (hedoné oder voluptas). Letztere beziehe sich – so Malte Hossenfelder – vor allem auf die „Gesundheit des Körpers und ... Ruhe der Seele, ...“ Beide werden aber durch die Furcht vor den Göttern und dem Tod, der Maßlosigkeit der Begierden und von körperlichen Schmerzen bedroht. So muss sich der Weise sowohl von äußeren als auch inneren Einflüssen, die seine Seelenruhe (Ataraxie oder tranquillitas animi) bedrohen, von Begierde, Lüsten, Trauer und Furcht befreien und so zur innerlichen Autarkie gelangen.

Folge man „nüchternen Überlegungen“ über die Götter, über den Tod, über eigene Bedürfnisse und körperliche Schmerzen, so könne dies gelingen, denn

  • die Götter kümmern sich nicht um die Welt,
  • der Tod spielt für Menschen keine Rolle, denn wenn er eintritt, sind sie nicht mehr da,
  • natürliche Bedürfnisse, die Unlust vermeiden, wie z. B. Hunger, Durst, Freundschaft, sind erfüllbar,
  • die meisten Schmerzen sind gering ausgeprägt und dauern nur kurz.

So sei der Mensch in der Lage, ein bescheidenes, autarkes Leben voller Ataraxie, d. h. Unerschrockenheit und Gelassenheit zu führen.

Die Stoa verschmolz ihren Begriff der „Apathie“ (Apatheia) mit dem Konzept der Ataraxie. Der lateinische Ausdruck tranquillitas animi bei Cicero und Seneca erfasst sowohl die Apathie als auch die Ataraxie.