Richtfest

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Richtfest

Das Richtfest (auch Bauheben, Weihefest, Hebefest, Hebfeier, Hebauf, Hebweih, Hebmahl, Firstbier, Aufschlagfest oder Hiebschmaus; in Österreich Gleichenfeier, Firstfeier/-fest oder Dachgleiche; in der Schweiz Aufrichte, niederdeutsch Fensterbeer) wird gefeiert, wenn der Rohbau eines Gebäudes fertiggestellt und der Dachstuhl errichtet bzw. das Dach erstellt ist. Ein Richtfest findet typischerweise auf der Baustelle und zur Arbeitszeit statt, damit alle daran teilnehmen können. Bei Häusern ohne Dachstuhl wird stattdessen bisweilen ein „Deckenfest“ gefeiert und bei Sanierungsarbeiten an historischen Türmen ist auch ein Knopffest denkbar.

Im Bauwesen ist das Richtfest (manchmal auch Richtkranz genannt) ein Bauritual, das traditionell abgehalten wird, wenn der letzte Balken (oder das Äquivalent) auf ein Bauwerk gesetzt wird. Heutzutage wird diese Zeremonie oft zu einem Medienereignis für die Öffentlichkeitsarbeit umfunktioniert. Inzwischen wird der Begriff ganz allgemein für die Fertigstellung eines Gebäudes verwendet, unabhängig davon, ob es eine Zeremonie gibt oder nicht. Der Begriff wird auch häufig verwendet, um die Windstärke auf der Spitze des Bauwerks zu bestimmen.

Geschichte

Der Brauch des "Richtfestes" eines neuen Gebäudes lässt sich auf den alten skandinavischen religiösen Brauch zurückführen, einen Baum auf ein neues Gebäude zu setzen, um die Geister der Bäume zu besänftigen, die beim Bau des Gebäudes vertrieben wurden. Er war lange Zeit ein wichtiger Bestandteil des Holzrahmenbaus und gelangte zunächst nach England und Nordeuropa und von dort nach Amerika.

Ein Baum oder ein belaubter Zweig wird auf den obersten Holz- oder Eisenbalken gelegt, oft mit Fahnen und Luftschlangen daran befestigt. In der Regel wird ein Trinkspruch ausgebracht, und manchmal werden die Arbeiter mit einem Essen verwöhnt. Im Mauerwerksbau wird mit diesem Ritus die Einbettung des letzten Blocks oder Ziegels gefeiert.

In manchen Fällen wird das Richtfest zu einem Zwischenzeitpunkt gefeiert, etwa wenn das Dach trocken ist, d. h., wenn es zumindest einen halbwegs dauerhaften Schutz vor den Elementen bieten kann.

Diese Praxis ist nach wie vor im Vereinigten Königreich und in verschiedenen Commonwealth-Ländern wie Australien und Kanada sowie in Deutschland, Österreich, Slowenien, Island, Chile, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Polen, Ungarn und den baltischen Staaten üblich. In den Vereinigten Staaten wird der letzte Balken eines Wolkenkratzers oft weiß gestrichen und von allen beteiligten Arbeitern unterzeichnet. In Neuseeland wird die Fertigstellung des wasserdichten Dachs mit einem "Dachjubel" gefeiert, bei dem die Arbeiter mit Kuchen und Bier bewirtet werden.

In den Niederlanden und Flandern ist die Tradition des "Pannenbier" (wörtlich "(Dach-)Ziegelbier" auf Niederländisch) beliebt, bei der eine nationale, regionale oder städtische Flagge aufgehängt wird, sobald der höchste Punkt eines Gebäudes erreicht ist. Die Fahne bleibt so lange hängen, bis der Eigentümer des Gebäudes den Arbeitern Freibier spendiert, und wird dann wieder heruntergelassen. Es gilt als gierig, wenn sie länger als ein paar Tage gehisst bleibt.

Das Richtfest lässt sich bereits im 14. Jahrhundert nachweisen. Der Brauch geht auf rituelle Formen der Zinszahlung und der Abgeltung von Arbeitsleistungen zurück, wie sie im Mittelalter nicht ungewöhnlich waren. Die festlichen Zusammenkünfte, die zum Abschluss der einzelnen Arbeiten abgehalten wurden, müssen als rechtsverbindliche symbolische Handlungen betrachtet werden, für die der Kontakt zwischen Untertan und Obrigkeit kennzeichnend war. In diesem Sinne steht das Richtfest in Zusammenhang mit Erntebier bzw. Erntedankfest.

Ablauf des Richtfestes

Richtfest mit Richtkranz bei einem Neubau der Stiftung Tannenhof

Das Dach wird mit dem Richtkranz (auch Richtkrone genannt) oder dem Richtbaum geschmückt und einer der Zimmerleute oder der Polier hält eine kurze Ansprache, den Richtspruch oder Zimmermannsspruch. Der Richtspruch ist zum einen ein Dank an Architekt und Bauherr, zum anderen eine Bitte um Gottes Segen für das Haus. Der Redner bekommt traditionell Wein oder Schnaps, um auf das Wohl der Hausbesitzer zu trinken, und wirft am Ende des Richtspruches das Glas vom Dach. Zerspringt es am Boden, wird alles gut, bleibt das Glas heil, gilt das als ein schlechtes Omen und eine Schmach für den Werfer. Der Bauherr muss noch den letzten Nagel einschlagen, manchmal spielen ihm die Zimmerleute hier noch einen kleinen Streich.

Im Anschluss an den Richtspruch wird gefeiert, der so genannte Richtschmaus oder Hebeschmaus findet meist auf der Baustelle statt. Der Bauherr richtet das Fest aus, was sein Dank an die beteiligten Handwerker ist. Im 15. und 16. Jahrhundert waren Getränke und Speisen zum Beginn oder Ende eines Bauabschnittes zudem Teil des Handwerkerlohns. Zum Richtfest werden neben den Handwerkern auch alle weiteren Helfer, die Nachbarn und ein Vertreter des Bauträgers eingeladen. Es ist gleichzeitig eine Gelegenheit, um Freunden und Verwandten den Baufortschritt vorzuführen.

Früher gestaltete man das Richtfest etwas anders. Der Bauherr hatte auch den letzten Nagel einzuschlagen, doch war der betreffende Sparren von den Handwerkern zunächst versteckt gehalten worden. Dann verhandelten die Zimmerleute mit dem Bauherrn über die zu liefernde Biermenge zum Fest, ehe die Bauhandwerker das Geheimnis um den Balken lüfteten. Der Bauherr schlug dann den Nagel ein, wurde anschließend auf den Sparren gesetzt und dreimal um den Neubau getragen, ehe das feuchtfröhliche Feiern begann.

Name

Der Name Richtfest leitet sich vom Ausdruck aufrichten oder errichten her, mit dem das Aufstellen des Dachstuhls bezeichnet wird. Deshalb heißt das Richtfest in der deutschsprachigen Schweiz auch Aufrichte.

Der österreichische Name Dachgleiche drückt aus, dass beide Seiten des Daches gleich hoch geworden sind.

Für Häuser ohne Dachstuhl wird teilweise der Begriff Dichtfest verwendet.

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